Notizbuch 1952-54

Inhalt: 131 Entwürfe zu 121 Gedichten (17 Endfassungen), Motiv-Notizen, 4 Briefe
Datierung: 16.12.1951 – 13.1.1954
Textträger: Rotbraunes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 193 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (20 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/05 (Schachtel 79)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1952, 1953, 1954, Typoskripte 19521953, 1954
Kommentar: S. 184-195 Motiv-Notizen, von hinten her eingetragen
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Sonntag, 16 Dezember 1951       )

Den diese Wolke hüllt …*

Den diese Wolke hüllt und steigt und stillt 
des Berges wechsellichte Höh ersteigt
das Maultier, zögernd vor den Wassern wild,
da sich der Knabe sorglos in das Stieben neigt:
05 dass er doch wüsste, was den Vater drängt,
dass er Gestrüpp und Fels der Höhe sucht,
hätt er nicht freigerissen in die Flucht
sein Leben, eh Gehorsams Blitz es sengt?
Doch wusst er mehr, da hoher Will entzweigt
10 dem Vaterwillen, das bedrohte Bild
des Knaben er dem Abend gern gezeigt,
wo Stern wie Sonne falben Triften gilt.

Donnerstag, 20 Dezember 1951       )

Hinter dem Palaste fällt der Garten …*

Hinter dem Palaste fällt der
Garten den steilen Hang hinab, Wildnis,
Garten der Natur, Geröll
ist da, wilder Dorn und alle Blumen,
05 die den Fuss des Menschen scheuen,
die nur bunt sind, wenn sie keines
Menschen Auge streift. O wie glücklich
ist der Falter, der dies gänzlich wissend, 
dies Bereich, das aller Gärten und 
10 manchen Frühlings nie gezeigten Keimling
trägt, selig überschwebt, im Wasser 
spiegelnd und begrüsst von der 
Schimmerechse aus brüderlicher Stummheit.

Freitag, 28 Dezember 1951       )

Was aber ists …*

Was aber ists,
das hält und trägt
dies Meer umher,
darin wir immer schliefen // 005 
05 das stille steht,
den Tag verweht
aus diesen blassen Riffen?
Die Blasen steigen
fernher grün und rot:
10 wer regte sie,
was atmet in den Tod?
Des Linnen wir, entrafft,
die Augen reiben,
bis die Lider schmerzen:
15 wir schwanken noch,
wir folgen schon gestrafft
dem sanften Fische
den Scherzen
der goldnen Flossen, treiben // 006 
20 dem Scheine zu,
der grün sich allhier regt
und dort ist weisse Ruh.

Dienstag, 01 Januar 1952       )

Strahlend, leuchtend wie nie …*

Strahlend, leuchtend wie nie 
versinkt die Sonne im Blut,  
versinkt der niedergeschlagne
Held im Purpur, der ausströmt 
05 aus seiner herrlich gefassten, 
nun gelösten Gestalt, 
nun aus der gebrochenen Kraft 
des jubelnden Aufstiegs. 
Nun, nun fällt er 
10 und färbt die weite // 007 
Rundung des Himmels 
mit dem Gold seiner Treue, 
dem Erbe¿ des vollzogenen Ganges, 
nun das Gewölk 
15 mit Rosen und Duft seines Heimgangs: 

denn dieses bleibt uns 
vom unerbittlichen Zeugen, 
Glanz des herrlichen Todes rings 
und endlich das 
20 jenseits Entrücktem 
fromm zugewandte 
seine verborgene Glorie 
silbern abglänzende 
Antlitz der Sichel.

Samstag, 26 Januar 1952       )

Westlich bleibt verblichnem Himmel …*

Westlich bleibt verblichnem Himmel
nur ein kalter Stern zurück,
während aus dem Osten wandelt 
Abend sich in Tag zurück: 
05 schnell schon hat erhabne Kugel 
über uns sich umgedreht, 
Ächzend um uralte Achsen, 
Geistern, auf dem Karusselle immer immer fahrend, 
ihnen ist Musik das Ächzen, 
10 das ihr Reigenlied begleitet.

Montag, 24 März 1952       )

Sträubte wandelnd Tier Gefieder …* (b*)

Sträubte wandelnd Tier Gefieder,
fiel der Pelikan hinab,
äugt es aus dem Moder wieder,
Kröte in dem düstern Grab 
05 unter den geborstnen Stufen, 
Jener Haupt<,> die nicht mehr rufen. 
Lichtes Tier das Leben spendet, 
dunkles, das verzaubert äugt: 
Herrschaft dort im Blut verspendet, 
10 hier ein Krönlein sie bezeugt: 
in der Gruft das böse Licht 
Macht der Kröte dichter flicht.

Mittwoch, 06 Februar 1952       )

Die Landschaft, Tempel meinem heissen Traum …*

Die Landschaft, Tempel meinem heissen Traum,
der Halle Kühle triefend übern Saum des kahlen Gartens ein in dies Verlies. Wo hellste Blume Blatt und Düfte liess dem dumpfen Ruche und dem eklen Span: wo ist der Uhu, der die Ängste sann, dem kindischen Träumer, der am Weg sich gab, wohl unbedacht, dem Schlaf sich, alpbeschwertem Grab. Wo bist erwacht du, an dem schmutzigen Tisch. // 011

02 Die Strasse draussen rülpst und kaut den hellen Fisch, der lebt und glänzt im klaren Element, ein gräulich und verwesendes Gemisch, in ihrer Gier aus Gängern und Geknirsch der Strassenbahnen: schon ist er tot, fiel hin den plumpen Schergen, die<,> dessen wüste Reste Eingeweihte bergen, Abkunft und stumm bewegte Zier nicht ahnen.

Freitag, 08 Februar 1952       )

Überfliege, weisser Vogel …*

Überfliege, weisser Vogel, 
wirre Täler, Hirtenfeuer,
streifen deine schnellen Schwingen.
Und die Träumer um die Gluten, 
05 wachen auf aus SchlummerDünsten 
warmer Tiere, 
ins Gestirn des nackten Himmels, 
mild gestillt durch deine Flügel<,>
nah herab bewegte Lider // 013 
10 mildern mir die Sternenwüste

Sonntag, 10 Februar 1952       )

Keiner kennt die Pinie wieder …*

Keiner kennt die Pinie wieder,
die der frühen Liebe schattend,
die der unverhüllten Flamme
schattend warf die Schleier nieder. 
05 Keiner kennt den Staubbach wieder,
welcher hoher Liebe schimmernd,
welcher hoch gehegter Flamme
schimmernd warf Geschmeide nieder.
Keiner kennt die Sonne wieder,
10 die der toten Liebe sengend, // 014 
auf die Aschenspur der Flamme
sengend stieg zum Tanz hernieder.

Montag, 25 Februar 1952       )

Wer doch liehe das Ohr …*

Wer doch liehe das Ohr
dem Rauschen des unteren Brunnens,
der vom verschütteten Haus
im Garten quillend geblieben:
05 nur hörbar dem Schläfer im Kraut. 
Er stiege hinab in die Kammer, 
vom alten Durste gezogen, // 015 
den er erst heute erfuhr 
und tränke und tränke 
10 aus den moosigen Brüsten 
des Bildes, das heute noch lächelt: 
die Freunde aber erfänden 
tot den Gefährten, der lebt 
und trügen den lächelnden Leichnam 
15 hinein in die Höhle<,>
nicht ahnend, dass hier ist das Tor 
wo endet der Gang zum Brunnengewölbe<.>
Schon kommt der Gestillte // 016 
und holt die verbrüderte Hülle 
20 ins Rauschen des unteren Brunnens: 
wer doch ihm liehe das Ohr!

Donnerstag, 28 Februar 1952       )

Diese Blume …*

Diese Blume
blauer Blätter
wächst nur abseits von dem Garten,
ganz versteckt in Buchs und Dorn,
05 wo die Mauer, wo die Hecke auch dem heissen Mittag wehrt.
Doch sie füllt mit ihren Düften
auch des Gartens helle Weite,
überduftet alle Rosen, aller Lilien // 017 
Duft verweht vor dem süssen
10 süssen Ruch,
der verborgnem Ort entströmt.

Donnerstag, 28 Februar 1952       )

Nicht dass ich den Morgen vergässe …*

Nicht dass ich den Morgen vergässe,
kaum veränderter Himmel,
Säule Gedächtnis erhebt sich
mir auf Trümmern des 
05 Kirchleins, das auf dem  Berg 
ich einst wallfahrend besuchte, 
einst, da mein Gebet, ver-
schleiert Fromme, 
mühte auf Knien sich zum Altar: // 018 
10 überschwemmt ist er noch heute 
von Blumen der Sucht nach Verehrung. 
Aber die Stelle des göttlichen Bildes ist leer: 
Nun wallen die Düfte empor: 
ob sie wohl betören die Taube 
15 dort am Gesims, dass sie schwe- 
be herbei und mit 
Gurren hüte den Altar?

Montag, 17 März 1952       )

Wer stürzte hinab die Treppe …* (a*)

[ Wer stürzte hinab die Treppe,
die unlängst geborstne,
nicht fand er den Garten 
in der Tiefe, den erhofften. 
05 Nein, ihn quälte Geruch des Moders, 
ihn quälte der Schlamm 
verfaulter Gewächse: 
und trug auch die Kröte das Krönlein, 
so war ihr doch Herrschaft ]

Mittwoch, 26 März 1952       )

Nächtens fällt der Fluss …*

Nächtens fällt der Fluss und
strömt Getier auf lauer Woge
in dies Gemach
und flutet auf an modrigen // 022 
05 Tapeten, reisst weg den schweren 
Vorhang von der Tür, 
vom Bilde Davids mit dem 
abgeschlagnen blutigen Haupt in Händen.
Was da schwimmt ist alles 
10 das Geziefer, das von dem Waldrand 
kam ins Sonnenlicht, sind Spinnen 
sind die Käfer, hell gepanzert. 
Das schwimmt nun tot herein, 
vielleicht noch regt sich ein Flügel 
15 hier, ein Fühler. Aber der 
nächtige Strom trägt sie hinweg 
in diese Kammer und hängt sie, 
eklen Schmuck an seidene Tape- 
ten, an den Vorhang, wenn er stürzt, // 023 
20 und sieh, sie krabbeln verendend 
auf dem blutigen Rumpf des Riesen, 
die Raupe kriecht über Davids 
siegesrosige Wange: 
Fluss in der Nacht, lauer Fluss, der 
25 trägt und umwirft, alles reisst im 
Strömen. Überflutend, flutend dies Gemach.

Donnerstag, 27 März 1952       )

Moder hängt an Rosenkränzen …*

Moder hängt an Rosenkränzen,
die noch schwanken her und hin,
her und Hin von Säul zu Säule,
welche Obelisken geben 
05 Götterbildern Zweifelduft, 
Zweifelduft von Tod und Leben. 
Tempel hier und Tempel dorten 
werfen von den Zinnen sich 
modrig süsse Rosenkränze 
10 tröstend zu: 
hier sind Züge, Opferzüge, 
Weihrauch steigt und Vasen bringen 
uns die Knaben in der Nacht. 
Kränze bringen uns die Mädchen, 
15 modrig süsse Rosenkränze, 
Kränze, Kränze Moderkränze.

Morgen wird nach dieser Nacht, 
nach gewissem, süssem Dunkel: 
jetzo sind die Blütenränder, 
20 sind die Rosenränder weiss. 
Weiss warum sind Rosenränder? 
O die Kränze Rosenkränze 
sind vom fauligen Moder weiss, 
weiss vom Zweifelduft am Morgen. 
25 Zürnend schaun die Götterbilder, 
zürnend von den Säulen nieder, 
von den Zinnen heiler Tempel: // 021 
dieses sind wohl Rosenkränze, 
aber sind nur Moderkränze. 
30 Rosenkränze, Zweifelduft, 
die da schwanken her und hin, 
die wir hin einander werfen, 
schwanken in der Frühe grau, 
weil nur Nacht die Rosen zeitigt 
35 und die Dämmerung sie fällt, 
schwanken immer her und hin, 
her und hin von Säul zu Säule 
moderige Rosenkränze.

Donnerstag, 03 April 1952       )

Dreht empor die Säule aus Porphyr …*

Dreht empor die Säule aus Porphyr
und endet in dem gipsernen Torso:  
unwürdig höhnt die Bekrönung
starken Tänzer, der immer bleibt 
05 am selben Ort und Räume besitzt 
an dem einen Punkt ohne Zahl, 
Grotten hineingedehnt in 
dies blaue Gebirge: schweres Gebirge 
gelockert, doch ein wenig erleichtert 
10 durch diese Grotten, deren tropfende 
Wände mancher noch nur ahnt. 
Und hier tanzt die Säule, bewegt 
sich immer am selben Ort, wunderbar // 023 
dreht sie sich nach der Musik 
15 der Mädchen am Quell, der Sän-
gerinnen dort hinten. 
Immer gehöhnt von dem Torso, der 
gipsernen Krönung. Hämisch bleibt 
er zuhöchst, weiss jeder Drehung 
20 schnell sich zu schmiegen und fängt 
vom Licht des Morgens, das 
durch eine winzige Luke fällt // 024 
überraschend herab, stets den ersten 
Strahl mit seiner schäbigen Blösse. 

Mittwoch, 09 April 1952       )

Wendest du dich, schmerzende Kaskade …*

Wendest du dich, schmerzende Kaskade,
diesem Garten zu
wenn er perlenträchtigem Gestade
längst entsagte und dem reinen Bade
05 sich entriss der Bergesöde zu?

Schwemmst du ins Geröll die Trostagaven 
strahlend überm Sturz, 
wenn sie unter deinem Donnern schlafen 
und Orakel ihre Unschuld trafen, 
10 finden sie den zauberreichen Wurz. 

Freitag, 11 April 1952       )

Brach das Füllhorn, das uns ganz genügte …*

Brach das Füllhorn, das uns ganz genügte,
giessend Balsam in das Haus,
duften aus den klaren Scherben 
jener Gärten Blumen aus,

05 jener Gärten, wo der Zaubrer züchtet 
aus der Nacht verlorner Qual 
wenn der First des Heiligtums sich lichtet 
neuer Blumen Wahl. 

Aus der neuen Blumen einer 
10 presst er hochentzückt verheissnen Saft, 
stark wie Wein und als der Honig reiner 
herrscht er, Hornes Mittelkraft. 

Mittelkraft des Horns allein genügte, 
brach es, brach mit ihm das Haus 
15 Folterblume in den Scherben 
reicher stets zu spenden Düfte aus.

Sonntag, 13 April 1952       )

Tag, wo Himmel mit der reinsten Röte …*

Tag, wo Himmel mit der reinsten Röte,
Tempels metallne Wandung niederfällt, 
wo die Kämpfer aus Gemächern dringen 
Zufallston der Tuben in die Kammer 
05 dröhnt verloren her, und Sieche werfen 
ihre Linnen aus den Fenstern weg. 
Aber auf den Stufen sitzt der Sänger, 
hebt Gesang, den ungetrübten Kelch 
in den Flammensturm empor, und 
10 alle werfen ihm den Sold, ja alle, 
schlagend, selbst gefällt vorübertaumelnd, 
werfen Sold dem getreuen Bettler hin.

Dienstag, 15 April 1952       )

Was aber ist …*

Was aber ist,
dass mir die Glut dieser Wanderung  
schmerzte im Auge. 
Doch riss ich mir aus dieses Auge, 
05 wäre nicht Glut 
immer noch 
und immer noch Mühsal der Wandrung? 
Jetzt noch dringt mir das Bild 
der Büsche am Hang 
10 und der Schleier der Nymphen, 
Sibyllenwort aus den Höhlen, 
Tanz der gestaffelten Vögel, 
über Blüten und Schleier und dem Wort in den Höhlen, 
über dem kahlen Gipfel regerer Schmuck, 

15 dringt mir noch in das Auge 
und in die Glut der Wandrung. 
Ruhe nur in der Nacht 
steigt mir ins Fenster 
und Wort der Sibylle entsiegelt 
20 kündet den künftigen Altar.

Dienstag, 22 April 1952       )

Sonne, Monde gleiten in den Schlund …*

Sonne, Monde gleiten in den Schlund
glühen Drachens am Himmelsrand:
wilder späht er übers Band,
das der Hirte zog ums reine Rund 
05 wo die Lämmer weiden blindlings in der Nacht 
Trug bedrohter Fülle, Flockenwolle Fracht 
still hinweg das Schiff, im strengen Rund 
findend Strasse durch das Band, 
birgt es hinter Himmelsrand 
10 mehr als Sonnen vor dem glühen Schlund.

Donnerstag, 08 Mai 1952       )

Der süsse Brunnen steigt und quillt ins Bild …*

Der süsse Brunnen steigt und quillt ins Bild,
das auf dem regen Spiegel zweifelnd schwebt,
hinab mich lockt, zwar schön doch unbelebt, 
es will des Blutes Feur und Pulse wild, 
05 vermählen sich im wogenden Gefild. 
Wend auf den Rasen zu den Freunden mich 
und trinke Lichts und Lachens starken Wein. 
Und stärker quillt der Brunn. Das Bild allein, 
der Spiegel bricht, in Stücke teilt er sich, 
10 weil vor dem Flehn um Blut ich schaudernd wich

Samstag, 10 Mai 1952       )

Mond ist gross, als Lampe uns entzündet …*

Mond ist gross, als Lampe uns entzündet,
Glocke giessend lichten Klang ins Ried
wo die Vögel aus dem Schlafe plätschern, 
dröhnt uns Wachen volles Licht ums Haupt.
05 Endlich Tages Klingelzaum beraubt 
mögen selbst wir in der Quelle plätschern, 
da wir liessen für Gebirg das Ried 
und sich jäh der nackte Busch entzündet. 

Seine Flamme, Mond verdrängend kündet 
10 jenen Vogel, der sich selbst verbrannt, 
seine Ankunft mit entblössten Füssen 
wir erflehen, dass uns selbst er harrt 
Phönix, sammelnd Glieder, die zerstreut // 031 
rings aus Asche, mit behenden Füssen 
15 dass wir, wenn uns Haut u. Haar verbrannt, 
nahn der Ödnis, die den Gipfel kündet.

Hier nun erst sind Hang und Tal verbündet, 
dünstet tief das Ried mit mancher Brut 
und die Quellen rauschen, abwärts wachsend, 
20 in den Pausen, wenn der grosse Mond 
abschwillt, hinter sanfter Wolke wohnt: 
dann steigt Vogel in die Flügel wachsend, 
tot noch eben, Feuerbusches Brut, 
heisse Loh dem sanften Glanz verbündet.

Donnerstag, 15 Mai 1952       )

Wo sind die Tore, die sich klar eröffnen …*

Wo sind die Tore, die sich klar eröffnen, 
trotz trübem Ton 
den Tuben von Emporen niederbrechen? 
Wer zählt den Lohn 
05 in Gold und Steinen, den die Räuber trügen, 
die frech dies Haus, 
das lechzt nach Raube, endlich leerten? 
Vergessnen Baus 
Gerät und Schmuck der langverschollnen Toten? 
10 erhöben neu 
aufs Haar der Frauen, die aus den Lumpen kröchen, // 033 
das Kind im Spreu 
mit schneeiger Wolle und Damast bedeckten: 
Den Tuben von Emporen niedersingen: 
15 beim hellen Ton 
des Fests die Tore nimmer klar sich öffnen.

Dienstag, 20 Mai 1952       )

Steiler Thron aus Prunk der Wolke hängt …*

Steiler Thron aus Prunk der Wolke hängt, 
Hände halten ihn der vier, die sehen: 
tragen sehend, dass der Sturm des Blicks 
schweren Stuhl erleichtert: ja er schwebt 
05 herabbeschwornes 
himmlisches Geschmeide über sie. 
Keiner wagt mehr, ob sich jeder auch 
im Herzen Herrscher dünkt, ihn zu ersteigen. 
Fürchtend, dass er an so hohem Ort 
10 wandelte die Welt in Himmelssphären, 
Stabes Träger, und so, taumelnd, 
stürzte der Palast in Schutt ohn Antlitz.

Montag, 26 Mai 1952       )

Hängt des Waldes Schattenschleier nieder …*

Hängt des Waldes Schattenschleier nieder, 
suchen Hunde geifernd nach dem Reh, 
dass es fall in falbe Kräuter nieder: 
glüher Nüstern Beute endlich, reines Reh, 
05 das sie auf den Fährten manches Wildes rochen, 
glüher Mäuler, die nur stillt das Reh, 
fallend ihrer Gier zur Beute nieder, 
Hundegier, verbrennend nach dem Reh, 
irre, wenn die Schatten hängen nieder.

Dienstag, 27 Mai 1952       )

Quelle springt dem Meere kindlich zu …*

Quelle springt dem Meere kindlich zu 
spricht geschwätzig in den schweren Sang 
weiter Woge, die zum Felsen brandet. 
Zarter Schwester plätscherndes Begrüssen 
05 reizt den Mächtigen zum hohen Griff: 
dass er, jauchzend, übersteigt das Riff 
stürzt hinan, so krankend nach der Süssen, 
zu der Überraschten Füssen landet 
Muschelgabe reich und feuchten Tang, 
10 fasst sie dann und küsst den Mund ihr zu.

Mittwoch, 28 Mai 1952       )

Nächtens fallen Königsbrüder …*

Nächtens fallen Königsbrüder 
aus des Waldes Mitte aus 
fallen in die Jägerlager 
stören Jägerabendschmaus; 
05 wo die Flammen gleisnerisch 
lecken Schwein und toten Hirsch.

Treiben jauchzend Königsbrüder 
Herrn und Knechte feldhinaus, 
wandeln in dem Jägerlager 
10 opfernd um den eklen Schmaus: 
dass auf steinern hohem Tisch 
kehr nach Haus der heitre Hirsch

Mittwoch, 28 Mai 1952       )

An Peter Noll …*

An Peter Noll:
ich kann bei dieser Art Dichtung, wenn man Dein Stück dazu zählen darf, nicht mit, weil mir das dialektischePrinzip darin, die paradoxale Theologie, oder also meinetwegen: der Protestantismus allzu stark aufgetragen, zu einem bewussten Theatereffekt verwendet, zur Manier geworden scheint. Man kann jede echte innere Haltung tadellos und künstlerisch überzeugend aussagen. Hier aber ist es Dir nicht gelungen. Das Stück ist im unangenehmen Sinn ideologisch. Den Schluss // 039 mit dem „Kreuziget ihn, denn er ist unschuldig” finde ich geradezu unerträglich. – Ich gebe ohne weiteres zu, dass das Christentum eine dualistische Religion ist, dass wir alle so oder anders Dualisten sind. Aber, und das ist bezeichnend schon für das Evangelium und die ganze grosse Tradition, dieser Dualismus ist stets Tendenz, Leitmotiv, aber er ist nie rein, und darauf beruht, scheint mir, die Mühe des christlichen Lebens: Gott und Welt sind ein Gegensatz, aber kein absoluter. Gott wirkt in die Welt herein, ist in ihr, der Schöpfung gegenwärtig, // 040 durchwirkt sie in allem und jedem. Aber zugleich übersteigt er sie, hebt sie und ihre Werte auf, während er sie anderseits bestätigt. Hier liegt für mein Empfinden die Spannung, die sich nicht lösen und durch keine „klare Lösung“ weder in der einen – humanistischen – noch andern – dialektischen – Richtung glatt erledigen lässt. Das aber versucht Dein Stück und darum ist es eine Simplifikation, die allenfalls im ersten Augenblick frappiert, niemals aber überzeugt. Als Beispiele von Dramen, die realistisch // 041 sind, indem sie das ganze komplexe Verhältnis Welt-Gott zeigen: dass Gott in der Welt ist und zugleich über ihr, sie bewohnt und zugleich aufhebt, Dramen, die dies zeigen, sind die schönsten Stücke Shakespeares und der herrliche Calderon. Wenn ich mich imstande fühlte, für die Bühne zu arbeiten, ich hielte mich an diese Beispiele. –

Verzeih mir, ich will Dir nichts aufdrängen. Ich sage Dir nur meine Empfindung: wenn Du weiterkommen willst, musst Du mehr Fülle, mehr Welt aufnehmen. Dein heutiges Schema ist zu einfach und führt Dich auf die Dauer unweigerlich // 042 in einen langweiligen Monolog, der immer dasselbe, woran Du selber nur halb glaubst, abhandelt und nirgends ein Publikum findet. Denn man weiss nachgerade, wie es da zugeht: Die Wahnsinnige ist die Weise (Giraudoux), die Hure die Reine (Tennessee Williams), der Sünder der Heilige (Langgässer) usw. Einmal ist das ganz schön. Aber immer wieder, das ermüdet. Lies mal den „Wundertätigen Magus”, „das Leben ein Traum”: es gibt doch wahrhaft noch viele und reichere, glücklichere Möglichkeiten zu einem christlichen Drama. Überhaupt, misstraue // 043 dem allzu Frappanten. Es verbraucht sich sehr schnell.

Freitag, 30 Mai 1952       )

Fliehen, die sich neu umarmen …*

Fliehen, die sich neu umarmen 
tiefenwärts, wo sonder Licht

Dienstag, 03 Juni 1952       )

Riefe nicht, wo wir noch immer fielen …*

Riefe nicht, wo wir noch immer fielen 
tief, ins Genist und tief, tief ins Gebirg, 
die Flöte sichernd zu, dass wir den rechten Fall 
gestürzt, dass wir getrost ihm liessen, 
05 ohn all Gefahr, mit Leib und Seel. 
Wenn auch der Flügel schwarzen Nestlings // 044 trügt, 
als Dämonsschwinge schrecklich uns bewegt: 
so rinnt der Sand doch, lauterster Gesteine,
rinnt im Kristallstaub selbst das blanke Gold
10 von Wänden her im untersten Gewölb
und jene Schwinge schwindet unterm Glanz.

Samstag, 07 Juni 1952       )

Wer doch fiel am Säulenstumpf der Nacht …*

Wer doch fiel am Säulenstumpf der Nacht 
wirft Netz und Rute nach dem roten Fisch, 
nach dem Polypen, der nach Westen wegschwimmt: 
Traurig hält er schliesslich nur den sanften, 
05 blassen Mondfisch und die Sternenfischchen. 
Tröstet ihn, der sich gewendet dem Fange zu,  
nicht schnell des klaren Schwimmers 
Hingang ohne Flossenregung und der 
Geleiter schimmernd Wimperschlagen, 
10 gesammelt all am Säulenstumpf der Nacht

Mittwoch, 30 Juli 1952       )

Überstanden ist dies …*

Überstanden ist dies 
wenn uns die Flamme trüge, 
nächtlich leuchtende weg 
über den brauenden See. 
05 Hob sie uns auf aus der Angst, 
kauernde am felsigen Ufer, 
fürchtende, dass auf die Insel 
nimmer wir fänden zurück. 
Überstanden ist dies, 
10 wenn uns die Flamme erfasste, 
die aus dem Himmel mit eins 
fuhr und uns rückte hinweg. 
Glühend ist dieser Weg, 
und aus der Flut ragt die Heimat, 
15 Gipfel, der uns gezeugt, // 047
Winden und Sternen ein Sitz, 
halten und glänzen sie dort.

Mittwoch, 30 Juli 1952       )

Trinkt der Mond, im Dunst verschwommen …*

Trinkt der Mond, im Dunst verschwommen, 
Abendschein, 
schimmert selbst, von Nacht benommen, 
bleich herein, 
05 lischt Gebirges Schneegeschmeide, 
jählings matt, 
zeichnet scharfe, knappe Kreide 
Fels und Blatt.

Montag, 09 Juni 1952       )

Wechselt nicht der Fischer Floss und Strand …*

Wechselt nicht der Fischer Floss und Strand, 
dass er jenen schönsten fände 
dass er lachend auf die Lände 
zög den Hai, den Traum um Traum berannt? 
05 Bringt das Tau nicht hoch ihn schroffe Wände 
ob ers lang und ächzend riss, 
sich die Zunge blutig biss, 
schafft er’s leicht auf weichem Sandgelände: 
wo das dunkle Maul die Angel griff, 
10 trug der Tiefe Sagenrauschen 
an erstaunten Ohres Lauschen 
Fischers, der nun Träume wachend griff.

Samstag, 26 Juli 1952       )

Eilt herab aus vieler Stille …*

Eilt herab aus vieler Stille 
Läufer mit der Fackel Glut, 
bäumen Felsen, bebt der Busch, 
was denn heut im jähen Schein 
05 hoch vom Berg im Tal sich künde. 

Wachen auf und auf die Strasse 
stürzen alle, fürchtend 
Flut und Steinschlag, die der Bote 
warnend sage. Aber ihm 
leuchtet von der heissen Stirn, 

10 aus dem Schweisse: Gold hab ich 
in dem wilden Bach, im klaren 
eisigen Wasser ich gefunden. 
Reichtum ruht in unserm Land. // 050 

Und sie ziehn noch diesen Abend, 
15 klimmt zu Berg ein langer Zug, 
jeder dass ihm nicht ein andrer 
raube Gold

Donnerstag, 31 Juli 1952       )

Wer hält den reinen Traum …* (A*)

Wer hält den reinen Traum,
der unbeschwert, ein Ballon
streift den Saum:
dort ist die Schale voll,
05 und noch von Frucht beschwert
fährt Tag dahin. – Der Baum
fängt mit den Zweigen schon
den zaudernden, den sinkenden Ballon.

Donnerstag, 31 Juli 1952       )

Den schwebenden, den steigenden Ballon …* (B)

Den schwebenden, den steigenden Ballon,
wer hält den Traum,
der aller Last entbehrt
und streift den Saum:
05 wo noch die Schale voll
und fruchtbeschwert
fährt Tag hinweg. – Der Baum
fängt mit den Ästen schon
den zaudernden, den sinkenden Ballon.

Freitag, 01 August 1952       )

Kennst du mich …*

Kennst du mich,
der ich dich küsste,
kennst du meiner Lippe Brand?
Kennst du, dem die Nacht ich süsste,
05 Haar und duftendes Gewand?

Ja, das ist’s, was ich vernommen,
schönrer Schall als Tamburin;
Deinen Ruf hab ich vernommen,
Mundes Wehn ist angekommen:
10 statt vorm Feuer schnell zu fliehn
such ich Heilung mittendrin.

Sonntag, 03 August 1952       )

Thron mit Baldachin verhangen …*

Thron mit Baldachin verhangen,
schwindet Sonne und Gesicht, 
Feier, die wir kaum begangen, 
löscht der Flor, die uns gefangen, 
05 deines Hauses Halle bricht. 

Ohne deine Zeichen lastet 
Säulenschatten eitel hier, 
wo der blinde Flüchtling rastet, 
ohne Lab und Leitung fastet: 
10 sinnend nur von deiner Zier.

Dienstag, 05 August 1952       )

Wandelt dich das Mädchen in die Muschel …*

Wandelt dich das Mädchen in die Muschel, 
weil es nicht erheiterst auf dem Weg: 
wenn am Myrrhenbusche auf dem Berg, 
weint das Mädchen bist du in der Muschel. 

05 Mit dem Harz doch springst du spät ihm wieder 
aus dem Busch und stillst die Tränen schnell, 
hoher Weiden und der Jagd Gesell, 
bist du ihr als der verlorne lieber. 

Stösst vom Speer gereizt dich in den Rasen 
10 letzter Eber, blüht dein Blut im Kelch 
neuer Blumen. Flügel schafft behend 
sie dem Sohn, den Vater zu bewahren.

Mittwoch, 06 August 1952       )

Schlägt die Augen auf sie an der Insel …*

Schlägt die Augen auf sie an der Insel, 
flieht vor Dorn und Fels sie rückwärts in den Schaum, 
bis sie steigt an ihrer Bleibeinsel 
stillem Strand und Blumen aus dem Schaum.

05 Folgen ihr, da sie, zur Höh gewendet, 
Düne lässt, und Wiesen ums Gehölz, 
Löw und Panther, sanft sich zugewendet: 
herrscht sie heilend schon im Wildgehölz.

Sei sie feindlich auch dem Mond, so doch gewogen 
10 ihrem Werk, steht sie wie jener still: // 056 
dass nicht ende, wenn dem Mund gewogen, 
Mundes Blüte hängt am Munde still.

Samstag, 09 August 1952       )

Stürzt der Sperling vorm Gewitter …*

Stürzt der Sperling vorm Gewitter 
mir in Schoss, 
deck ich ihn mit dem Gewande, 
wächst er gross: 
05 wächst er hin zum heissen Werber, 
unterm Strahl, 
bleibt mir gegen Donnerküsse
keine Wahl. // 057 
Spellt Gewitters letzte Trümmer 
10 jetzt die Nacht, 
schickt gerettete Gestirne 
auf die Wacht, 
trägt der Zitternde, Beschirmte, keine Last, 
stark mich in die Hochzeitsgrotte: 
15 Bräutigam und Gast.

Sonntag, 10 August 1952       )

Flieh du mit dem fremden Stier …*

Flieh du mit dem fremden Stier, 
wind ihm Kränze um die Hörner, 
jenseits am Gestade dir 
lässt er nur den einen Knaben. 

05 Nimmer wirst den Gatten haben, 
und der Sohn im Labyrinth 
zieht in die gefüllten Waben 
Blüten, süss wie du von Duft. 

Fremder Stier führt in die Gruft 
10 Kinder, die Gespielen wären: 
Labyrinthes dumpfe Luft 
fällt sie deinem Sohn entgegen.

Dienstag, 12 August 1952       )

Nicht mehr mag ich Blumen mischen …*

Nicht mehr mag ich Blumen mischen, 
ruft der Pfau mich ins Gebüsch: 
wer mag bleiben vorm Gebüsch, 
wenn sich Tag und Abend mischen. 

05 Wenn aus Dämmer hell bestimmt 
blinkt das augenreiche Rad: 
wer mag schauen Pfaues Rad, 
dämmernd stehn und unbestimmt? 

Länger kann nicht tändelnd mischen 
10 Blumen ich vorm Nachtgebüsch: 
schwind in Tag- und Nachtgebüsch, 
will sich Pfau der Nacht entmischen.

Mittwoch, 13 August 1952       )

Floh die eine in die Weiden …*

Floh die eine in die Weiden, 
dass er sie zur Flöte bricht, 
liess die andre, ihn zu meiden 
nur noch Stimme, das Gesicht: 
05 fandest du, ein lichter Nachen 
furchtsam lächelnd in den Arm, 
bebend in sein wild Erwachen 
fiel der kühle Tränenharm // 061 
Hast du seinen Schrei gestillt, 
10 Herden ruhn am Feuer warm, 
die der Irre wach gebrüllt.

Freitag, 15 August 1952       )

Dort zieht der Schwarm …*

Dort zieht der Schwarm 
der Tauben am Gewölbe lang 
ihr Gurren mehr als Lerchensang 
beschwört den Harm. 
05 Das sanfte Tier, 
trägt allen Himmel in das feuchte 
Gelass, und halb verglommne Leuchte 
entflammt Begier 
wie jener Ball 
10 der Adler Läufe treulich lenkt // 062 
den Reihn zu lenken unversengt 
der Tauben hier.

Freitag, 24 Oktober 1952       )

Federn fliehend, streutest du …*

Federn, fliehend, streutest du 
hier und dort; in heiler Hülle 
ganz gefasst in deinen Glanz: 
blieb mir diese, jene Feder, 
05 aufzuzeichnen deine Worte. 
Deine Worte?: weiss ich, weiss 
nimmer, was Du sagtest, 
diese Schau des lichten Flugs // 063 
war zuviel. Du gingst im Kreis 
10 Deine Flügel Dich umschlugen¿, 
gingst Gestirn, umkreisend wen? 
Dass ich Deine Mitte kännte, 
dass ich Deine Sonne nännte? 
Doch Dein Antlitz sah ich nie: 
15 im Traum¿, im Antlitz fänd ich sie. 
Flügelnd schlägst du wach die Flamme, 
die, zu gross, den Spiegel bricht. 
Blinder stürz ich auf die Erde, 
den ich sah, den Engel schau ich nicht.

Samstag, 25 Oktober 1952       )

O du reiner, einzig glühender Vogel …*

O du reiner, einzig glühender Vogel, 
Asche streifst du schnell 
vom Gefieder 
und aus der Wolke 
05 steigst du hinweg; 
lässt verkohlt, 
lässt schwarz im Nest das Kücklein zurück.

Montag, 27 Oktober 1952       )

Wie, da den Felsen die Sonne entflammte …*

Wie, da den Felsen die Sonne entflammte 
fuhr der Wagen Mähdern und Winzern voran? 
Dort, wo zaudernd er hält nochmals 
über den Büschen der Höhe 
05 hört der Lenker das Fest, 
das aus dem Tale erschallt. // 065 
Diese sind es nicht, Dudelsackklage 
Zirpen der Zither, was geziemt 
dem Fahrenden heim in den Palast. 
10 Ihm ziemt nur der wissenden Musen 
karger Wechselgesang.

Donnerstag, 30 Oktober 1952       )

Wind Eure Flügel trägt …* (a*)

Wind Eure Flügel trägt,
rundet das goldene Zelt 
wo du herrschest und ruhst

1952 * (nicht datiert)       )

Mit dem Iris-Band: Byzantinische Mosaiken (b*)

Engelflügel wölbt das Zelt,
wo der Herrscher ruhig thront,
seine Ruh den Flügel lohnt,
wölbt er wehend auf das Zelt

Donnerstag, 30 Oktober 1952       )

Mit dem Iris-Band: Byzantinische Mosaiken* (c*)

Engelflügel wölbt das Zelt,
wo der Herrscher ruhig thront,
und im Ruhn den Engel lohnt,
wölbt er wehend auf das Zelt.

Donnerstag, 30 Oktober 1952       )

Mit einem Band Stifter-Briefe:

Wenn die klare Quelle strömt: 
tags im Treiben kaum gewahrt 
Spätem Wacher offenbart 
sie mit bittrer Nacht versöhnt 

Vermutlich Neufassung:
Wenn der Quell zum Tage strömt 
wirst ihn lange nicht gewahr, 
bis er rauschend offenbar 
dich der bittern Nacht versöhnt.

Mittwoch, 05 November 1952       )

Brach den Fels die starke Quelle …*

Brach den Fels die starke Quelle 
jung entzückt, 
stieg beglückt
nochmals greisen Flusses Welle, 
05 warf sie Schäume, helle Bälle, 
warf und nahm sie schnell zurück. 

Der den Krug so lang schon leerte 
diesen Tag 
Alter mag 
10 kindisch mit dem Kinde spielen, 
aber abends Blicke zielen 
meerwärts kühn, die gestern zag.

Freitag, 07 November 1952       )

Dieser noch einzig am Himmel lichtere Hügel …* (a*)

Dieser noch einzig am Himmel lichtere Hügel, 
schau doch, wie nun auch er, zaudernd 
zuerst und dann schnell, als fürchte er 
schnellere Reue 
05 am Zipfel das Laken ergreift, das dunkle
und sich verhüllt. 
Zwar dort hoch in der Hütte am Hang glimmt 
die schüchterne Leuchte. 
Zögernd steht ihr Schein im Fenster 
10 und führt dann, wissende Priestrin, 
sicher den Wandrer nach Haus.

Montag, 10 November 1952       )

Der du den strahlenden Himmel …* (b*)

Der du den strahlenden Himmel 
und seine glückliche Glorie 
nicht kennst, 
bleibt dir das Licht in der Höhle, 
05 Rauch der Fackel 
treibt dir den Schmerz aus den Augen: 
den du nicht kennst 
den strahlenden Himmel 
und seine glückliche Glorie. 

Dienstag, 11 November 1952       )

Ansprache an den Prinzen Karneval …*

Ansprache an den Prinzen Karneval: Hochgnädigster, allerverdunkeltster, närrischster Prinz! – Beschämung vor dem zahlreich versammelten, mit Narrheit geschmückten, Narrheit blitzenden Hofstaat – Erledigung eines Auftrages: Bitte um Verzeihung, dass ich nicht ganz der Narrheit zu seiner Erfüllung besitze: Gruss vom Vogel Gryff: angetroffen auf der Rheinbrücke, erinnert mich im Karneval an die Gründung der Stadt, seine Aufgabe, schickt mich, so drohend, nach Tübingen. Ich ängstlich, fürchte mein Rasierspiegel möchte nicht genügen und gehorche: Droht dem Kolleg: wenn es nicht richtig Fasching mache, // 072 werde er nach Tübingen kommen und vom Kaiser-Wilhelmturm herabschauen.

02 Bitte an den Hof der Narrheit, durch diese Bestellung, den Aufenthalt im närrischen Reiche eine Narrenkappe mit Schellchen, soll heissen die Teilnahme an der Fülle der Torheit gescheint zu erhalten und gnädig gewährt. Dafür Schwur, mich jeglicher Weisheit oder Ernsthaftigkeit und auch nur des geringsten Anteils daran mich peinlich zu enthalten.

Montag, 17 November 1952       )

Lampe, zwischen Bäumen schwankt …*

Lampe[,] zwischen Bäumen schwankt, 
leuchtend selber, wirft sie Schatten nieder, 
sieht im Aug, das aus den Ästen schaut, sich wieder: 
Lampe hin und wieder schwankt, 
05 fürchtet Schatten riesengross, 
wachsende von Ast und Bäumen: 
Lampe hin und wieder schwankt, 
mit dem Lichte ruft sie nur 
Schatten her von überall: 
10 Lampe flackert, fällt, erlischt 
Schattens Beute ganz nun ist.

Donnerstag, 20 November 1952       )

Artemis

Kehr ich rückwärts heim zur klaren Aue 
wo der Baum die Wurzeln löst und tanzt: 
kehr ich einwärts zu der ersten Stelle, 
wo der Fels, sich selbst entrückt und tanzt: 
05 trittst du mit dem Köcher aus dem Reigen, 
den der Baum, der Felsen um dich tanzt: 
wenn erstaunt die Sichel in den Haaren, 
Mondes Sichel seh, die überm Tanze tanzt: 
lass mich an der ersten Wiese wohnen, 
10 wo der Baum<,> der Felsen um dich tanzt.

Donnerstag, 20 November 1952       )

Leere Schale, wer sie füllen möchte …*

Leere Schale, wer sie füllen möchte, 
trät er, kühn¿ erhoffter aus dem Meer, 
wo der andre schwand, der 
nie sie füllte.

Freitag, 21 November 1952       )

Dir ist Bechers Blut entzogen …*

Dir ist Bechers Blut entzogen
und der Stein,
der im Grunde glänzt und ruft,
trinkst du noch so lang und durstig,
05 lechzt die Lippe gieriger ihm zu:
schneller ist er dort zerflossen: // 076 
eh dich trankest bis zu ihm.
Weisst nicht, wer er war.
Hat ihn leicht hinabgeworfen
10 Wirtes reicher Scherz?
Oder wuchs er in der Beere,
süsser Sonne Bild,
aus dem Kern die grüne reifend,
(unerbittlich), mild? 

Samstag, 22 November 1952       )

Magst du nackt in nackten Ästen stehn …*

Magst du nackt in nackten Ästen stehn, 
ruhig noch, wo schlägt das Feuer auf 
aus dem Garten, Feuersblumen voll.
Leis die nächste Wolke schwebt vorüber, 
05 fasst es, sengt die letzte Hülle weg 
und erweckt die heisse Säule, dass 
springen Feuerbeetes pralle Blüten 
springt der Schoss inmitten auf und saugt // 078 
heissen¿, ganz entblössten Mannes Körper, 
10 heisse Hoden an und glühen Glieds 
Samen saugen unterm Morgenstern.

Dienstag, 25 November 1952       )

Spiegel zeigt mir …*

Spiegel zeigt mir,
was ich nimmer<,>   
Tor, erkannt: 
dass du ganz, 
05 mit Leib und Sinnen 
an mir festgebannt. 
Dass die Woge, 
die mich brausend 
trägt und hebt<,> 
10 Deinen Mund und deine Brüste 
deinen Schoss mir zubewegt. // 080 
Stürzen wir in eins zusammen, 
dass uns keiner kennt, 
Arm und Beine fest verhangen, 
15 dass das allerschärfste Auge 
nicht mehr trennt 
Mund vom Mund 
und Glied vom Schoss umfangen

Freitag, 28 November 1952       )

Gastmahl endet mit dem Tanz der Kinder …*

Gastmahl endet mit dem Tanz der Kinder: 
die der Gäste Lied und dreistes Wort 
bilden unter Kränzen täuschend vor. 
Was sie tun, ist ihnen fern und fremd, 
05 doch die Gäste schauen, handeln nicht, 
da vom Schaun nur¿ loh ihr Innres brennt.

Freitag, 28 November 1952       )

Trank den Becher schnell ich aus …*

Trank den Becher schnell ich aus,
schmolz schon schneller auf dem Grund
(warf ihn Wirtes Scherz hinein,
oder wuchs er in der Beere,
05 mit dem Kern zur Röte hoffend?)
schmolz zu schnell der Edelstein,
dass ich trinkend nicht erreiche,
dass ich lechzend nie zu ihm,
mit den Lippen nimmer reiche.

Samstag, 29 November 1952       )

Zwischen kahlen Zweigen schlägt …*

Zwischen kahlen Zweigen schlägt
auf das Rad der weisse Pfau;
bis auf kahlem Zweig der Mond
rollt herab zum weissen Pfau.

05 Scheu an kahlen Zweiges End
schliesst das Rad der weisse Pfau,
weil den kahlen Zweig nun mehr
Mond erhellt als weisser Pfau.

Hüpft vom kahlen Zweig hinab
10 still ins Holz der weisse Pfau,
trägt vom kahlen Zweig beschämt
Mondesstaub der Schweif des Pfaus

Dienstag, 02 Dezember 1952       )

Tauend tropfen von den Büschen …*

Tauend tropfen von den Büschen 
Beeren, glänzend überprall.
Süss in Haufen überprall 
rollen sie zu Fuss den Büschen

Mittwoch, 03 Dezember 1952       )

Ausgeleerte Schale …*

Ausgeleerte Schale, 
von dem trüben Saft 
trägt sie noch die Male. 
Reinigt, dass sie prahle 
05 sie des Wassers Kraft: 
glänzend und erwartend 
später Feste Trunk 
zeigt sie geil dem Abend 
ausgeleerten Prunk. 

Donnerstag, 04 Dezember 1952       )

Schiff, das zwischen Inseln führe …*

Schiff, das zwischen Inseln führe 
wogt die heisse See 
hoch von Früchten, hoch von Düften, 
rollenden vom Hain,
05 rollenden von Palmenhainen 
her in heisse See, 
Schiff, das schnell vorüber führe, 
häufte Früchte schwer, 
tränke Düfte, eilte glitte 
10 zwischen Inseln weiss, 
Palmenhain vorüberglitte, 
folgt dem Kranichschrei

Montag, 08 Dezember 1952       )

Zeigt er dir, du Hingegossne …*

Zeigt er dir, du Hingegossne, 
goldnen Pfeil, 
greifst du nach der blanken Spitze, 
willst die Hand 
05 ritzen, dass das Blut, entströmend, 
öffne Königs Herz: 
Aber er, mit Lächeln weigert, 
was du willst: 
„Deine Brust will ich durchbohren, 
10 denk der Nacht, 
wo du ganz mich dir verlangtest. 
Dir gewährt 
ist die fürchterliche Bitte“. 
Und du liegst // 088 
15 gierig Pfeils Geschosse, 
Flamme, Brand 
reisst dich hin zu Königs Gipfel. 
Nur November noch, 
Nebel an den trägen Bächen, 
20 bleibt dir, wenn du kehrst 
nochmals wieder. 
Hier im Elend bist du, fremd, verirrt.

Sonntag, 14 Dezember 1952       )

Licht vom Lichte liegt im Lichte …*

Licht vom Lichte liegt im Lichte, 
Wolke, leuchtend, zieht im Fluss, 
zieht er Nachtlichts Spiegel durch die Büsche Tal hinab. 
Büsche bittet er vergeblich 
05 nimmer bergen ihn vorm Licht
Büsche, und bleibt Nachtlichts Spiegel, 
offner Spiegel Tal hinab. 
Biegen Büsche kahle Zweige, 
liegt der Spiegel ohne Licht, 
10 regen¿ Zweige blinde Wellen, 
peitschen dunkel Tal hinab.

Sonntag, 21 Dezember 1952       )

Blume im Gehölz entfaltet …*

Blume, im Gehölz entfaltet 
Duft im Dorn, 
Schmetterling, der blüht 
und süss gesogen 
05 trägt die Biene Saft im Lichte weg.

Freitag, 26 Dezember 1952       )

Biegt es, schwebt es, schwankt im Licht …*

Biegt es, schwebt es, schwankt im Licht,
auf dem Zweig im Licht,
die Blätter schwanken,
sind es Flügel?
05 Was ist der Duft,
was ist die süsse Wiederkehr:
Rauch und Tanz im Holz.
Sonne sammelnd
auf das Hin und
10 auf das Her und Hin,
Blume, Falter,
auf dem Zweig bewegt. 
Schaue stumm.

Mittwoch, 07 Januar 1953       )

Mag der nie zufriedne Klepper …*

Mag der nie zufriedne Klepper
lange scharren vor der Tür,
isst der Dichter drinnen Plätzchen  
Mutter Millas süsse Plätzchen,
05 mag er scharren vor der Tür.

Donnerstag, 22 Januar 1953       )

Brief an Jens

Die Dichtung als Repräsentation, Vergegenwärtigung eines höchst Allgemeinen. Ihre Bildwelt (für mich) möglichst archetypisch: d. h. sie erzählt Grundvorstellungen der Seele. Die uns gemein sind. In diesem Sinn anerkenne ich keine Verpflichtung auf irgendeine Aktualität. Das Gültige ist immer aktuell. Nun freilich kommt es darauf an, immer mehr, immer unerbittlicher auf das Wesentliche zu kommen. Die Gefahr dieser Methode ist, dass sie, wenn die Konzentration des Dichters auch nur einen Augenblick aussetzt, statt Gestalten Kulissen errichtet, Leere mit Staffagen verdeckt. Sie verlangt also klarste Skepsis des Dichters gegenüber ihm selber. Damit er das heilige Bild errichten // 094 kann. Denn die Kunst ist eine Form der Liturgie: eine sinnfällig gewordene Bewegung des Geistes auf ein Übersteigendes, Vollkommenes hin. Und die Bewegung selbst, und ihre Frucht, das Kunstwerk, ist eine Abbildung, ein Abglanz dieses Übersteigenden, Vollkommenen.

02 Denn das Wesentliche verändert sich nicht: es kann in der Veränderung der Konstellation der Weltelemente verändert erscheinen – darum gibt es immer wieder neue Kunstformen und Kunstmittel – aber die Kunst selbst, ihre Gesetze verändern sich nicht. Das Schwierige nun¿ besteht aber darin, das zuzeiten Verwirrende, dass wir diese Gesetze zwar erforschen müssen, dass uns // 095 die Verantwortung gegen uns selbst, der Zwang, über unser Tun uns klar zu werden, uns immer zu dieser Erforschung bewegt: dass wir aber nie damit zu Ende kommen werden, dass wir diese Gesetze nie ganz kennen werden, solange wir die Übersicht über das Ganze nicht haben, nicht selber gleichsam Gott geworden sind. So bleibt die Diskussion über die Regeln der Kunst immer offen (vor allem heute und in Deutschland, wo es so wenig zwingende Konvention gibt).

Samstag, 31 Januar 1953       )

Die Mauer hoch …*

Die Mauer hoch
tastet die Hand,
ritzt sich blutig,
damit sie erreiche und fasse
05 die hoch vom Rand
zerbröckelnder Quader
sinnende Distel:
fasse und reisse mit hinab
in den Kot die silbern
10 unverletzliche immer glänzende Blume:
glänzender noch im Schmuck
der Tropfen des Bluts von den Händen, // 097 
zum Fest, das sie ihnen
unten im Kote bestellt. 

Samstag, 25 April 1953       )

Her dringt ein emsiger Sommer und summt …*

Her dringt ein emsiger Sommer und summt
laut in das schläfrige Ohr,
in den Traum von der Schlacht, die wir redlich gewonnen.
Lang verloren ist sie und den geöffneten Augen
05 liegen verrostet, zerbeult Helme Wagen, Geschütz:
von dem Summen des Sommers, emsigen Summen bedrängt.

Freitag, 01 Mai 1953       )

Wo der Käfer klimmt den Halm empor …*

Wo der Käfer klimmt den Halm empor
und metallen glänzt des Rückens Kuppe
immer näher zu der zarten Dolde,
beugt der Hirt sich nieder, schaut verhält behende
05 des grossen Hundes Maul, dass er nicht belle,
nicht belle jetzt und treibe auf die Herde.

Samstag, 02 Mai 1953       )

Helle Kugel fällt …*

Helle Kugel fällt
herein in den finsteren Saal
rollt, rollt näher, zerspringt
und schnaubend ziehn aus den Scherben
05 Löwe und Panther den Wagen,
efeubekränzten: ich fliehe
in den dunkelsten Winkel.
Doch schneller, zu schnelle fährst du,
schwingst die Peitsche:
10 ich selber liege schon in den Deichseln
und zieh dich, stürmenden Knaben,
brenne vom Strahl deines Augs: // 105 
Neu wirft es nieder die Kugel
herein in den finsteren Saal
15 rollt, rollt näher, zerspringt
und schnaubend ziehn aus den Scherben
Löwe und Panther den Wagen:
ziehen Wagen um Wagen,
unzählig rauschend Gewimmel

Montag, 04 Mai 1953       )

Lieber Herr Moras …*

Lieber Herr Moras, es ist mindestens zwei Jahre her[,] seit Ihrem letzten Brief, worin Sie mir den Entschluss mitteilten, nun doch nichts von mir in den „Merkur“ zu drucken. Inzwischen war ich ein Jahr in Rom, seit dem Herbst bin ich Assistent für Geschichte am Leibniz-Kolleg in Tübingen. Ob meine Produktion in der Richtung sich entwickelt hat, die der des „Merkur“ entspricht, wie man sie vielleicht aus den Versen Holthusens, Krolows u. a., die darin erschienen, ablesen darf: daran, glaube ich, Grund zum Zweifel zu haben. Aber schliesslich braucht das eine nicht das andere auszuschliessen. Und im Merkur liest man ja gelegentlich auch R. A. Schroeder und F. G. Jünger: nicht, dass ich meinte, diesen näher zu sein als den andern, ich möchte // 107 damit nur sagen: der „Merkur“ besitzt offenbar eine Spannweite, die mehrere, ihren Vertretern vielleicht nicht unbedingt verträglich scheinende Richtungen, nebeneinander zu Worte kommen lässt. – Sollten Sie und Herr Paeschke also vielleicht doch noch sich entschliessen können, das eine oder andere meiner Gedichte abzudrucken, so würde mich das sehr freuen: das Gefühl, dass die Früchte einer Arbeit, die mir wesentlich scheint, jene nicht erreichen, denen sie bestimmt sind, erschwert diese Arbeit sehr. Wobei mir freilich doch nichts übrig bliebe, als sie auch so fortzusetzen. // 108 Freilich, wie wir nun einmal sind, deutlich auf Kommunikation angewiesen: die Ermutigung von aussen würde sie diesem Ziel schneller nahebringen. das Bewusstsein, dass ich der geistigen Nation, der ich mich zugehörig fühle, auch wirklich angehöre: angenommen und abgelehnt, anerkannt und kritisiert werde. – Verzeihen Sie meine Offenheit: ich schade mir höchstens selber damit. Aber soll ich mich schämen, zuzugeben, dass ich Leser brauche, dass meine Verse all jenen Deutschen gehören, die dafür offen sind, und dass mich bedrückt, dass es so ungeheuer schwer ist, zu ihnen vorzudringen?

Gedichte von mir haben u. a. schon abgedruckt: „Wort und Tat“ (Innsbruck-Wien), // 109 „Neue Zürcher Nachrichten“ (Zürich), Max Rychners Literatur-Beilage der „Tat“ (Zürich). 1950 erschien ein Bändchen „Gesicht im Mittag“ im Vineta-Verlag, Basel.

Ich bitte Sie, sich nicht zu entschuldigen, wenn Ihre Zeitschrift nichts drucken zu können glaubt; es würde mich betrüben, aber nicht überraschen. Sie senden mir vielleicht für den Fall das Manuskript kommentarlos zurück.

Ich bin mit den besten Grüssen Ihr ergebener

Dienstag, 05 Mai 1953       )

Das Opfer

Du hast die letzte Mahlzeit genossen, 
bevor die Väter dich hüllten ins Linnen 
des makellosen Gewandes: 
Brot ihrer umsorgten Äcker, 
05 Wein von ihren umsorgten Reben. 
Nun gehst du wie immer am Morgen hinaus, 
doch ohne die Herde wie sonst. 
Heute trägst du ein einzelnes Lamm 
auf der Schulter 
10 und langsam steigst du empor 
auf die Klippe nah vor dem Tor, 
wo der Sturzbach herauf zürnt gegen die Wurzeln der Stadt. // 111 
Schon fasst dich, willigen, ernsten, 
flammenden Auges der Greis 
15 und stösst dich schnell 
hinab in die Schlucht, 
die von weitem, weitem emporbraust: 
das Lamm empfängt in die würdige Hürde, 
und dich, Hirt, in die Trift, 
20 wo du weidest über den Winden.

Donnerstag, 07 Mai 1953       )

Sachte setzte der Pfau …*

Sachte setzte der Pfau in der Nacht einen Fuss vor den andern und schleifte den Schweif knisternd hinter sich auf dem Geländer, bis er an die Stelle kam, wo das blaue Gebüsch in den schwarzen Garten hereinbrach, mit dem Gezweig voller Düfte sich den Eintritt erzwang: bis er dort hinkam, Kopf und Krone hob und zögerte erst, sich barg in den Zweigen und anhielt, sodass sein Schweif, einen Augenblick blinkend, hinabfiel vom Geländer. – Erschreckt nun hob sich ein Wind aus den Zweigen, stob der Falter purpurner Sturm in den Glanz, der aus der // 113 Zweige Überhang aufging: der Pfau schlug das Rad in der Nacht.

Donnerstag, 07 Mai 1953       )

Der schwarze Eingang der Grotte …*

Der schwarze Eingang der Grotte lockte die Mädchen, als er sich vor ihnen auftat, nach dem Gang durch den nächtlichen Garten. Und trotz dem Dunkel, das die Büsche herabschüttelten überall, fürchteten sie sich jetzt, einzutauchen in dies hohe grenzenlose – so schien es – Gewölbe. Aber als sie sich eine Weile vorwärts getastet hatten, standen sie vor der Wand, und der Mond, der // 114 nach langem wieder hervorkam<,> schien hell auf den offen runden Mund, die Ränder der grundlosen Augen, die weh verzogenen Wangen der furchtbaren stummen Maske.

Freitag, 08 Mai 1953       )

Die Blume

Wer die Lade bringt vom Strand zur Stadt,
wilden Auges weicht er, wenn geöffnet
er sie hastig vor der Burg des Königs 
und Geruch ihm steigt der ersten Blume, 
05 Purpur, der das Tal erfüllte, seine Flucht:
wild in Aug und Nüster. – Schreiend flieht er 
vor des Volkes Staunen auf die Klippe, 
vor des Volkes Argwohn; und ein Vogel 
hebt er grosse, ungelenke Schwingen, 
10 taumelt erst und schwebt schon sicher weg. 
Doch die Blume steigt und ziert die Zinne.

Sonntag, 10 Mai 1953       )

Nur zuweilen streifen scheu die Fische …*

Nur zuweilen streifen scheu die Fische 
diese Klippe, wo sie vor als Fischer, 
auf der Angel erste Regung wartend, 
kauten jenes Kraut, das nach dem Wasser 
05 weckte wilde Sucht. Bis dass sie schwammen, 
schön mit Schuppen und die Flossen schlagend, 
weit hinaus: nur scheu zuweilen streifen 
sie die Klippe, wo sie fischend sassen

Mittwoch, 20 Mai 1953       )

Vom fernen Licht hallt wider der Meersaal …*

Vom fernen Licht hallt wider der Meersaal, 
vom Echo des Lichts aus den roten (ruhigen) Riffen, 
aus den wendenden Fischen: 
da eintritt der Flüchtling. 
05 Klagend weht ihm das Weinlaub, 
weht ihm der Efeu vom Haupt, 
und silberne Kugeln vom Mund: 
Gesang seines Grusses, 
wenn ihm der Greis reicht die Hand, 
10 ihn führt in die innere Halle, 
wo wogt in Krügen der Wein, 
wo glühen die blassen Töchter // 118 
im Blick des glühenden Knaben. 
Sie taumeln und fassen die Sträucher der Tiefe, 
15 Sterne der See in den Haaren, 
gehen und schwimmen zwischen den ruhigen Riffen, 
im Licht, das hallt von fern herab in den Meersaal.

Freitag, 22 Mai 1953       )

Vom Felsen hängt ihm am Seil …*

Vom Felsen hängt ihm am Seil, 
läutend die Speise herab, 
als ob er nicht hätte genug 
der Speise drin in der Höhle. 
05 Speise sind ihm die Nächte, 
nähren mit dem täglich neu gebackenen, 
nimmer dorrenden 
inneren Brot. 
Wenn das Wasser ihm kommt herab 
10 im Krug, der hängt an dem Seil, 
dann vergisst er der Wasser des Sees, 
die mühsam er schöpfte. 
Dort spiegelte Licht sich, 
hier ist es. 

Unten den Gang entlang am Fusse des Tempels, 
führt der Sieger seine Beute, 
unter dem Blick der alten hölzernen Bilder. 
Wie fürchtet er sie, die Mutter mit Brüsten und Krone, 
05 dass er die verborgen im Dunkel Wachenden stört: 
selber wandelt als Löwe er nun ohne Ausgang.

Mittwoch, 27 Mai 1953       )

Wer den Gang betritt an Tempels Sockel …* (b*)

Wer den Gang betritt an Tempels Sockel, 
wo die alten Bilder stehn: der Adler, 
die Hindin und die Kuh im Holze faulend: 
ihn bedrängen die, die vor verwandelt 
05 in den Nischen hausen unterm Tropfgestein, 
lecken ihm Gesicht und Hand, bis dass er, 
selbst ein junges Tier die Zitzen saugt der Wölfin.

Freitag, 29 Mai 1953       )

Auf den Tod des Sängers (a*)

Von den Scheitern stiegen empor im Rauch
die singenden Vögel,
stiegst du im Rauch du Schöner, Verbrannter,
singst du weiter, Sänger im Singen unzähliger Vögel, 
05 singst du über dem Meer und über den Bergen 
in den Zweigen des Hains. 
Und warst du früher nur hier oder dort, 
so bist du jetzt allerorten, 
bist nur noch Flügel und Lied 
10 dem Wanderer immer zugegen, 
und am Morgen weckst du den Schläfer, 
wenn du singst auf dem Sims durch das offene Fenster.

Samstag, 30 Mai 1953       )

Sonne hoch an der Wand leuchtet das Bild …*

Sonne hoch an der Wand leuchtet das Bild, 
dies war doch das Werk menschlicher Hände, 
und jetzt fliegt die Taube hervor aus dem Mund 
des plötzlich leuchtenden Bildes, 
05 sie kreist im Gewölb und flieht vor dem Griff 
der Maler hinein in den Mund des 
Bildes der Mutter. 
Wenn uns kentert das Schiff, 
so stehn die goldenen Kuppeln 
10 hoch in ihrem Gewölk. 
Dass sie uns retten hinauf, versprechen wir Kelche und Schalen, 
eh wir am ehernen Berg scheitern, entrückt uns // 124
der Tempel: 
wo aus dem Mund fliegt plötzlich heraus die 
15 kindliche Taube, kreist und flieht vor dem 
Griff des Knaben in den Mund des Bildes der Mutter.

Mittwoch, 03 Juni 1953       )

Über die Bäume des Gartens …* (b*)

Über die Bäume des Gartens
steigt aus der Flamme im Rauch,
verteilt in unzähliger Vögel Stimmen und Flügel
er aus den Scheitern empor. 
05 Endlich nun singt er am Morgen 
auf dem Sims am Fenster des sanft erwachenden Schläfers: 
wenn immer noch unzähliger Vögel Stimme und Flügel 
steigt aus der Flamme im Rauch 
über den rötlichen Wipfeln des Gartens. 

Samstag, 13 Juni 1953       )

Die Bäume

Hängen die Kränze [nicht] hoch in den Wipfeln der schönen, 
der schattigen Bäume<,> so künden sie 
dieser Zweige Entspriessen aus den beiden auf der Stufe des Hauses 
– Vergangnes bedeutenden – Greisen: 
05 Geschenk der Geister, Verwandlung der Hütte 
ins marmorne Haus, dann den Wunsch 
nach gemeinsamem Ende: so wuchsen 
die Beine, die Arme 
in Äste, in Äste die Finger, und ihr 
10 Sinn und Geruch für die Lüfte und 
Lichter[,] wiegt und duftet in Blättern. // 127 
Und wie jeher nehmen sie die Gäste auf, 
unters Dach heute nur ihrer Blätter: 
wo die Kränze nun hängen hoch in den 
15 Kronen, der schönen, der schattigen Bäume.

Mittwoch, 17 Juni 1953       )

Die gefällte Eiche

Wie der Wipfel sinkt der ernsten Eiche,
nahen klagend alle ringsumher,
alle Nymphen klagen, wenn zur Erde nieder
sinkt der Wipfel tief der ernsten Eiche.

05 Wie der Wipfel sinkt der ernsten Eiche,
tropft das Blut, erbleichen weh die Blätter,
seufzt es aus der Krone schluchzend nieder,
wie der Wipfel sinkt der ernsten Eiche:

Mit dem Wipfel sink ich dieser Eiche,
10 Nymphe, die den Schwestern lange Zeiten lieb,
von den Schwestern scheid ich, ihren Spielen,
mit dem Wipfel sinkend dieser Eiche.

Sonntag, 21 Juni 1953       )

Auf dem Felsen treibt er übers Wasser …*

Auf dem Felsen treibt er übers Wasser,
achtets nicht, da lang er Stadt und Strand vergass,
achtlos treibt er über Meer und Meere
bis ihn sichten fern im Osten Fischer,
05 achtlos nah der neuen Stadt und einem neuen Strand.

Sonntag, 21 Juni 1953       )

Der Trauerbaum

Dunkel steht im Trauerbaum gereckt 
Knabe, dessen irrer Speer getroffen 
durchs Gebüsch den brüderlichen Hirsch, 
Schläfer, dem als Liebespfand die Kette, 
05 im Geweih hängt und die Kapsel 
mit dem Bild des Bruders, treu verwahrt. 
Ihn, den früh noch er geritten, 
haltend das Geweih, das schimmert 
auf der Lichtung, 
10 ihn nun traf im Mittag irrer Speer, 
nicht mehr weinend, steht er da, im Trauerbaum gereckt.

Dienstag, 23 Juni 1953       )

Wenn der blühende Berg jäh grünt …* (A)

Wenn der blühende Berg jäh grünt
unterm Gewitter, lass ich das Haus, 
da drunten braust das Tal 
voll von Gewölk, durchwühlt von wenigen Blitzen. 
05 Und wenn ich die Windung des Weges 
ging eine Zeit unterm Regen hinab 
und fürchte die nahende Flamme: 
steht auch schon offen die Höhle, 
wo der Brunnen mir überrauscht 
10 den rauschenden Regen.

Dienstag, 23 Juni 1953       )

Die Windung des Weges am Berg …* (B)

Die Windung des Weges am Berg, 
der jäh aufgrünt im Gewitter, 
geh eine Zeit ich hinab: 
tief das Tal kocht voll Gewölk, worin die 
05 wenigen Blitze wühlen zuweilen, 
und wo mich die Furcht fasst vor dem nahenden Feuer, 
steht mir offen die Höhle, 
drinnen der Quell überrauscht 
den rauschenden Regen.

Donnerstag, 25 Juni 1953       )

Verklärung

Die glühende Kerze, 
Fiale der Blüten, aus den brausenden Blättern 
steigend, Fontäne der Düfte, 
ganz nah vor dem Auge verblasst sie: 
05 da fern die Kuppe des Berges, 
früher Mond, aufbrennt am Nachmittagshimmel, 
heller aufbrennt, als die schleuniger westwärts eilende Sonne: 
unter dem Weissen, das schwebt, unter dem schneeigen, hoch schwebenden // 134
Mann: (wer ists nur?) und den beiden im Abglanz leuchtenden Freunden, 
10 die da sind auf einmal. 
Dunkelt die Blume, dunkelt die Sonne: des Bergs 
Kuppe drüben allein schwebt, ein
früh aufglimmender Mond 
unter dem schneeig, wolkenstill 
15 strahlenden Mann: wer ist es? 
Erloschene Kerze. 

Im Duftgewühl wühlend …

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