Notizbuch 1961-65

Inhalt: 118 Entwürfe zu 103 Gedichten (10 Endfassungen)
Datierung: 18.1.1961 – 27.9.1965
Textträger: Braunes Notizbuch, liniert; ab S. 98 (Gebüsch) perforierter Innenrand; Bleistift;
S. 95 (Teich) - 142 (Treppen) violett, einzelne mit blauem Stift
Umfang: 186 beschriebene Seiten
Publikation: Flussufer (35 Gedichte), Verstreutes (18)
Signatur: A-5-e/06 (Schachtel 29)
Spätere Stufen: Manuskripte 1961, 1962, 1963, 1964-65, Typoskripte 1961, 1962, 1963, 1965
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften
Die Kohlenhalde wächst,
die Palmblätter sind schwarz.
Sie nehmen fächelnd Abschied vom Wind.
Die Kohlen rinnen zwischen den Blättern
05 hin und her. Nur noch die Spitzen
einiger weniger Blätter
stehen, staubige Dolche,
aus der Kohlenhalde.
Die Kohlenhalde wächst
10 immer herein in den Palmhain.
Die Kamele
scharen sich um die Stämme.
Eines klimmt auf die
Kohlenhalde. Nur die
15 Esel drehen das Schöpfrad
unermüdlich. Sie sehen
nicht, dass die // 004
Kohlenhalde den Kanal
verschüttet. Sie sind blind.
20 Die Kohlenhalde wächst.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Details: 07 stehen] vgl. Fassung (B): stechen
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 003, 004 (oben)
Die Kohlenhalde wächst.
Der Staub bestäubt
die Blätter der Palme, die
noch im Winde fächeln.
05 Nun sind sie nur noch schwarze
Dolche, die aus der
Kohlenhalde
stechen. Sie stiebt
den ganzen Palmhain ein. Die Hirten // 005
10 und die Kamele drängen
sich um die letzten Stämme.
Nur die Esel laufen
und drehn das Schöpfrad unermüdlich weiter:
Sie sind blind. Erst, wenn an ihre
15 Hufe Kohlen rollen, merken
als letzte sie: die Kohlenhalde wächst.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 004 (unten), 005
In die letzten
Winkel verkriechen
die Vögel, der helle
Sandschleier
05 lässt sie nicht sehen.
Ein Regen
rinnt nieder, zerreisst
den Schleier und klebt
die Körner an die
10 Erde. Die Vögel
sind überm Wind
wieder und wiegen
sich auf den Drähten,
den Blick frei ins bewölkte
15 Gelände, mit triefenden Flügeln.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: FLUSSUFER 1963
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 006
Absoluter
Himmel,
eklatante
Bläue.
05 Aber wir alle
geduckt in unzugängliche
Winkel, ins Laub,
in feuchte
Halden. Der Mond
10 lässt seine Schleier
auf einmal
fallen. Wir winden
uns hoch aus dem
Dösen. Ab-
15 solute, ek-
latante
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 007
Nie mehr zurück
kommt der schwarze
Abend, das Schlagen
des Meers an den Felsen,
05 das ängstliche
Singen der Zikade im Baum.
Nie mehr zurück
kommt das Irren
der Taschenlampen über
10 den Weg, den der Sand
fast verwischt hat.
Nie mehr zurück
kommt das Rascheln des braunen
Katers im Weinlaub,
15 das schamlose Glimmen der Birne, // 009 // 010
die an der entschuppten
Schlange
schaukelt und züngelt. // 011
Nie mehr zurück
20 kommt im Kreischen
der Gittertüre der weisse
Tiger, bedrohlich das harte
Gold unter den schweren
Vorhängen, nie mehr
25 kommen die bleckenden Schneiden.
Nie mehr, nie mehr zurück.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Besonderes: Fortsetzung 17.7.1961
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 008, 009, 010, 011
Durchsichtig die Türme,
bis in die Spitzen voll Wasser.
Dennoch die Steppe
trocken ringsum:
05 Die Rohre sind alle verstopft.
Ein Schwan mit
Rosaflügeln. Die Federn
fallen ihm aus, sie schwimmen,
Seerosenblätter, im Teich.
10 Die weissen
Schwäne, wissend die Norm ihrer Schönheit,
vermeiden sie schaudernd. // 013
Ich habe meinen Mörder gefunden,
er lässt mir Zeit, mich zu fürchten,
15 zu flüchten, wie es sich schickt.
Er wird mich fassen
mit seinen Händen und würgen,
wenn es Zeit ist,
wie es sich schickt.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Details: Titel in Klammern; ev. ursprünglich als erste Zeile
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 012, 013
Warum
fürchte ich mich vor dem Sterben?
Antinoos konnte, owohl er
sich im brackigen Wasser
05 ertränkte, dem Freund
das Leben nicht einmal auf hundert Jahre verlängern.
Der Freund war der Kaiser der Welt.
Ich aber schaute nur immer die innere Landschaft.
Schon lange erlischt ihr Himmel, die Flüsse
10 stocken, vertrocknen. Kein Wind.
Warum
fürchte ich mich vor dem Sterben?
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 014
Weise Bäume
vermeiden hinab
in den Himmel zu tauchen.
Sie ducken sich an die
05 spröde Erde. Ein Vogel
mag irre, ikarisch
stürzen und tauchen.
Ihn fängt das Goldnetz¿
auf und erwürgt ihn
10 zwischen brennenden Maschen.
Weise Bäume vermeiden.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Details: Titel vermutlich nachträglich eingefügt
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 015
Schmutzig die goldene Platte,
darauf der Kopf
mit dem klaffenden Mund
und mit den blutigen Strähnen // 017
05 schwimmt mitten im alten Papier
und im gelben
Abschaum der Fabriken.
„Nescafé schmeckt besser“
Unterm von Wolkendünsten betäubten
10 Himmel verbieten
uns zornige Autos, zu winken, zu küssen.
Hör nicht, hör nicht
auf das Schreien der Wipfel am Flussrand, // 018
schau nicht,
15 schau nicht hinab auf den Strom,
wo der Kopf mit dem klaffenden Mund,
der Kopf mit den blutigen Strähnen
schwimmt mitten im alten Papier
und im gelben
20 Abschaum der Fabriken,
„Nescafé schmeckt besser“
Unterm von Wolkendünsten betäubten
Himmel verbieten uns zornige
Autos, zu winken, zu küssen, // 019
25 schreien die Wipfel am Stromrand.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Besonderes:
Notat S. 186:
Der Kopf, abgeschnitten, auf der Schüssel, liegt zwischen den verfallenden Häusern, hinter dem Palast. Die Rückseite schon schmutzig. Das Meer, bei Flut spült schmutzig herauf, in den offenen, blutigen Mund. - Letzter Druck: FLUSSUFER 1963
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 016, 017, 018, 019
- Werke / Chronos: Dieses enorme Gedicht, 140
Du kannst dich,
unter dem Gitter sitzend,
nicht wehren, wenn David
drüber hinweggeht mit schmutzigen Füssen
05 Du kannst dich nicht wehren
wenn aus
klebrigen Fingern
niederbaumelt Goliaths Haupt.
Du kannst unter dem Gitter,
10 du kannst dich nicht wehren:
wenn Goliaths Blut
dir heiss ins Gesicht tropft.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: FLUSSUFER 1963
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 020
Einbrechen Schwärme
verwilderter Vögel,
bedecken
die geschnittenen Hecken mit Kot.
05 Seitwärts
duckt sich die Fontäne. Allein
ein höchster,
uralter Wipfel sucht
in seiner Erinnerung nach
10 einem vergleichbaren Ereignis.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 021
Engel fahren im Regen
kläglich mit nassen
Flügeln knapp nur über
den Hügeln. Bis einer,
05 April eine sonnige Stelle
findet, sich niederlässt.
Seine Federn,
flaumig schäumen sie auf. Mächtig
bewegt er das Haupt
10 und die Arme, getrocknet
plötzlich zu Kräften erwecktes
Rieseninsekt.
Engel fahren im Regen
kläglich mit nassen
15 Flügeln.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1961-65
- Letzter Druck: FLUSSUFER 1963
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-e/06
- Seite / Blatt: 022