Inhalt: Notizen, Prosa, 71 Entwürfe zu 54 Gedichten (8 Endfassungen)
Datierung: 7.12.1949 – 10.11.1950
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert; Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (7 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/03 (Schachtel 79)
Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50, Kutter
Kommentar: 9 Texte rhythmische Prosa, 21 reine Prosanotate, 1 Briefentwurf
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (3 private Prosanotate nicht erschlossen)
Heliopolis (Forts.)
gibt nur Hierarchie.
03 Eher zopfig wirkt es, wenn manchmal allzu deutlich Gesellschafts- und Lebensformen des deutschen 19. Jhdts, des Kaiserreichs der Hohenzollern insbesondere durchschimmern: so in dieser Jagdgesellschaft Orion oder in dem Herrendasein der Offiziere mit ihren Burschen und Dienern. Solche Dinge können das Buch nicht entwerten. Sie zeigen nur, wie selbst ein so hoher Geist wie Jünger an die Bedingungen seiner Herkunft gebunden bleibt, selbst wenn er sich in eine symbolische Höhe begibt, wo ihn das Alltägliche // 004 kaum mehr zu berühren scheint. Gerade dieser reine Raum, den er errichtet, birgt ihm¿ anscheinend die Gefahr, dass er zuweilen die Massstäbe für das Angemessene, für den ganz einfachen guten Geschmack verliert: so ist die Szene mit dem Greis auf der Freitreppe zwar sehr sprechend für das, was gezeigt werden soll, sie ist aber geschmacklos, geradezu kitschig, sie kann im realen Zusammenhang des Geschehens nicht begründet werden.
04 Gerade solche Dinge freilich lassen die Einzigartigkeit dieses Kunstwerks deutlich werden: sie zeigen, an welch äusserstem // 005 Punkte es errichtet ist. Die grossen Stücke bisher scheinen mir vor allem: im Symposion bei Halder das Gespräch über den Wein und die Malerei, das Gespräch zwischen Serner und Ortner über den Menschen, die Vorträge über das Glück, der Vortrag Ortners über die Dichtung und den Roman. Dann die Tagebuchaufzeichnung des Lucius aus dem hydrobiologischen Institut, sein Abend mit Melitta auf der Insel.
Walter G. sprach mir gestern von meinen Gedichten. Insbesondere über jene Aufstiegszene, die endet // 006 mit den Worten: „… und unverletzte Gärten auf den Inseln“. Es schienen ihm gerade diese letzten Worte bezeichnend für meine Versuche, von denen er meint, sie seien bedeutend. Sei dem wie immer mit Walter G., meine Stellung zu ihm ist mir doch noch sehr unklar, auch weiss ich noch nicht, was ich von seinem Geistigen zu halten habe. Seine Ausbildung scheint, wie die vieler begabter Mediziner, sehr hinter seiner Sensibilität zurückzustehen. Doch dies scheint er, das glaubte ich immer, zu haben: Gespür für das Eigentliche. Insofern ist mir seine Sympathie für meine Verse doch sehr wertvoll, sehr erfreulich, Ausweitung // 007 des Raumes, darin man lebt und gehört wird.
02 Er sprach mir auch über die Labilität des Selbstbewusstseins, die stete Gefährdung des Glaubens an die eigene Produktivität als eine der wichtigsten Bedingungen dieser Produktivität. Eine Problemstellung, die bei ihm zu finden mich sehr erstaunte, freudig erstaunte. Da sie mir bestätigte, dass er zu meinen entscheidenden Anliegen einen Zugang hat. Das ist ja unter Menschen sehr selten auf den ersten Anhieb. Er war imstande, auch dies aus den Versen zu lesen. Und dazu, scheint mir, braucht es doch einen überdurchschnittlichen // 008 Grad der Einfühlungsgabe.
Du stehst, so hoch,
du reine Göttin des Gelingens:
ob Du zu mir die Schwinge jemals senkst?
Du lang Vertriebene aus den Hallen des angestammten Reichs, des von Dir gross¿genährten, dem Du der Siege Kränze botest lang? Wirst Du den späten Erben, dessen, was es war, wirst Du den späten Erben dulden wie Du die starken Ahnen liebtest? Er trägt das ihre siehst Du es, mit andern Waffen, er trägt das ihre, zitternd auch, Gestalt!
02 Lang gingen sie an Deinem // 009 Bild vorbei und suchten in den Höhlen der wilden Väter einen eignen Geist. Doch fanden sie nur stets der eignen Seele Wirren und gaben Dunkleres den schon zu dunkeln Brüdern.
03 Du bliebst allein im hallenden Palaste. Und warest ohne Ungeduld allein: nicht bedurftest Du der Menge. Sie, vielmehr bedurften Deiner. Lange gings bis sie es endlich wussten. Sie suchten den Weg zu Dir. Es fanden ihn nur die hellsten. Die Deines alten Volkes Art am reinsten wahrten.
04 Die unsern irrten weiter in den Forsten und irren noch, ob wohl auch dieser schon und jener durchs Tor fand und // 010 die Stufen hinauf zu Deinem Altar: die reinsten Kinder Deiner Grösse sind von den unsern. Doch sie sind gar selten.
05 So komm denn ich, ein schwacher Spätling mit meiner kleinen Gabe und hoffe, dass, Ewige Du, mich gnädig krönst.
Du stehst so hoch, o reine Göttin des Gelingens, ob mich deine Schwinge jemals streift? Du Vertriebne aus dem angestammten Reich, dem du die Siegeskränze botest ein Jahrtausend lang: wirst du den späten Erben derer dulden, des starke Ahnen du so ohne Mass geliebt? Er trägt das ihre, siehst du, wenn auch ohne Waffen, er trägt das Ihre, // 011 zitternd, die Gestalt.
02 Die meisten gingen seit an deinem Bild vorbei und suchten in den Höhlen der wilden Väter einen eignen Geist. Doch fanden sie dort nur verdorbnen, wilden Honig und gaben Saures den schon zu sauren Brüdern. Du bliebst allein in leerer Halle, doch ohne Ungeduld. Du bedurftest ihrer nicht, wie deiner sie bedurften (ob sies auch wussten nicht). Nur wenige fanden zurück den Weg zu dir, die hellsten, die wahrten deines alten Volkes Art.
03 So komm auch ich, ich wag es, zager Spätling, mit kleiner Gabe und bitte, dass du mich einmal nur mit deiner Schwinge streifst, so hoch du stehn auch magst, o reine Göttin // 012 des Gelingens.
Sonst dämmert alles noch erblindet hin,
bis auf die lichten Züge grosser Vögel,
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln // 013
hernieder auf die Kuppel, wach erhöhte,
05 über die Stadt, die blind im Dämmer liegt.
Sonst dämmert alles augenlos dahin
bis auf die lichten Züge grosser Vögel
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln
hernieder auf die Kuppel, wach erhöhte,
05 über die Stadt, die blind im Dämmer liegt.
Sonst dämmert immer augenlos die Stadt,
bis auf die lichten Züge grosser Vögel
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln,
hernieder auf die Kuppel, wissend hohe
05 über der Stadt im Dämmer ohne Augen.
Die reine Konzentration als Mischung aus Anregung von aussen und Ruhen in der eigenen Mitte. Eindrücke, die bewegen und bestimmen, aber nicht erschüttern. Das Zentrum, das aufnimmt, aber nicht wankt. Dieser Status darf wohl nie erreicht sein. Aber stets erstrebt. Die Gefahr der Erschütterung muss stets gespürt sein, drohend empfunden. Die fruchtbare Situation ist die eines bestimmten [des] Ausgleichs der innern und äusseren Kräfte, die stets wieder entschwindet und stets wiederkehrt. Das Ende wäre die monumentale Erstarrung, die Erreichung des Zieles. Das wäre der Tod. Vielleicht gibt es das einmal. Dann müsste man alles // 015 von der Erschütterung, vom Zusammenbruch hoffen.
Der Gang im Traum ist wachsende Erhellung,
Erhellung, die uns in der Gruft umfängt
Die Augen öffnen sich und sehn die reinen Schätze
gehäuft dem glücklich hier Gefangnen.
05 Entrückung aus dem Trug der obern Länder
ist höchste Gnade, dem der Gnade will
und dieser Sonne sich getrost entwendet:
dort unten leuchtet jede Wand von innen:
es leuchtet Wein aus stets gefülltem Krug.
Zu Heliopolis:
Lucius ist Jünger selber, oder auch in einem weitern Sinne, der Typus des modernen Menschen, wie er sich in Jünger darstellt. Er erkennt, dass er den Weg, der von Nietzsche kommt, nicht zu Ende gehen kann, ohne im Nichts, in der mechanischen // 022 Starre eines ganz entmenschten Daseins zu enden. Dass die Beziehung zu den Tiefen auf diesem Wege verloren gehen muss. Und so gibt er sich denn in der Lorbeernacht ganz auf, lässt seine hohe Haltung fallen, um Mensch zu sein: er gewinnt den Mut, seine Bedürftigkeit zuzugeben! Das gelingt ihm freilich nur mit der Hilfe der Frau. Ihre Liebe ist imstande, seine Seele aus ihren Hüllen auszuschmelzen. Mit Budur Peri tritt erstmals die Frau handelnd, entscheidend handelnd in das Werk Ernst Jüngers. Das ist ein Zeichen tiefer Wandlung, das man kaum genug beachten kann.
02 Durch den Eintritt in die // 023 Sphäre der Grundmächte, in den Zusammenhang des einfachen menschlichen Daseins entwächst Lucius zugleich dem Machtkampf zwischen Landvogt und Prokonsul. Er wird frei für eine höhere Aktivität, für das Werk des Regenten, der das Ganze bilden will, der die Realisierung des Vollkommenen unternimmt. Das liegt ausserhalb des Historisch-Politischen. Das liegt wohl auf der Ebene der reinen Anschauung des Göttlichen, das in allem gebrochen erscheint. So entrückt ihn denn das Schiff des Regenten aus der Stadt der Kämpfe, mit ihm die geliebte Frau: Das einfach Menschliche ist es, die hingebende Liebe, die in das neue Land hinüberdauert.
Weiter zu Heliopolis:
auffällig das mystisch-neuplatonisch-christliche Element, das in Haltung und Gespräche des Romans hereinspielt: diese Überlieferung scheint Jünger seinem jetzigen Status und dem Status der heutigen Phase der Geschichte vor allem angemessen. Die Distanzierung vom Irdischen, die Anschauung des Jenseitigen scheint ihm die dringende Aufgabe zu sein. Dies der Grund, warum man vielfach den Vorwurf der Passivität, des Rückzugs aus dem Handeln gegen ihn erhebt. Damit erhebt sich die alte Frage, ob die vita activa oder die vita contemplativa höheren Ranges sei? Ob sie sich heute endgültig lösen lässt, ist wohl zweifelhaft.
Der Gang im Traum ist stets ein Gang zu Dir: Das reine Dasein, reines Bild des Seins. O, kommst Du wieder.
02 Ist Dir des Traumes Zauber gegenwärtig? Dir ganz nur Nähe mir, Du süsser Leib, Du süsse Frucht des grenzenlosen Gottes, der sich uns gibt in Speise und in Klängen: in Dir, in Dir fand er die volle Dichte, die süsse Dichte und die reine reine Schau.
03 Denn dies ist der Ort, wo sich dies findet, was wir sonst nur in Trennung kennen: die Fülle und der Geist. Eins sind sie in dir, Du Licht und Flamme. Du heisse Frucht, die mir zu pflücken jetzt verstattet. Mir stets verstattet wird. Da wir sind eins. // 026
04 Denn was ist des Einsamen Leben? Es ist das Leben eines Halben! Die Fülle, die ist eines¿: der Mann ist fern und auf den Rändern, an den Klippen des öden Meers, geht in den Gestrüppen und unter den armen Föhren: Erst das Weib gibt Eingang ihm in die innern Länder, wo Reichtum ist des Kornes und der Früchte. Wo der Wein ist und die bunten Blumen. Zu diesem Land hat nur das Weib den Schlüssel.
05 O du bist nah und ich in deinen Armen. Ich bin der Fürst, und alles ist jetzt mein.
In dir ist alles mir zuteil geworden:
ich ging zuäusserst an den Küsten unter
den armen Föhren und im Gestrüppe, suchend
vergeblich Eingang in die innern Länder:
05 dem Mann sind sie verschlossen, dem befreiten,
den nichts mehr hält am alten Reichtum fest.
Doch du hast mir das weite Tal geöffnet
die Früchte und die Blumen mir gebracht,
den hellen Fluss<,> Getreide unermesslich.
10 Der Bettler ist der Schöpfung Fürst in deinen Armen
In dir ist alles mir zuteil geworden:
ich ging zuäusserst an den Küsten, unter
den armen Föhren im Gestrüppe suchend
vergeblich Eingang in die innern Länder.
05 Dem Mann sind sie verschlossen, dem befreiten,
den nichts mehr hält am alten Reichtum fest.
Da brachtest du mich heute in dies Tal
des Sommerflusses, der Getreide spiegelt,
der Blütendolden und der saftigen Früchte.
10 Und alles ward des Bettlers, unverhofft.
Morgens Wachstum neuerer Gesichte
auf der stillen Höhe fällts uns an.
Doch merkt ihr nicht, wie schon von unten brausen
die bunten Wiesen und die saftigen Hügel
05 o, jene, die bedrängt die Menschenlust,
der süssen Seele und des jugendlichen Leibes:
O Jünglinge, es sind in euch zwei Alter
vereint; die Mönche rufen aus der alten Zeit,
die Eremiten locken aus den Höhlen
10 der Wüste in die geläuterte Verzückung,
ins Schweigen, dass das Innerste erblühe. // 030
Und es rufen die ältern noch, die
Schiffer von den Küsten, die unschuldigen
Hirten und hinaus aus den fruchtbarn Ländern,
15 den reichen Inseln in dem Zwischenmeer:
in die Wonne des allerersten Lebens,
der glühenden Umarmung und der irdischen Zeugung.
Den beiden seid ihr, Enkel, noch verpflichtet,
und eure Ehrfurcht neigt sich beiden zu.
20 Nehmt alles Mass aus euch, sitzt bei den
Mönchen des Morgens und geht zum Hirten, wenn der Abend kommt:
betrachtet die sieben Sphären, dringt // 031
zur äussersten, darin der Eine alles stets bewegt,
und gebt euch dann der menschlichen Liebe,
25 darin allein der Gott dem Menschen eigen wird.
Gehört den einen und gehört den andern:
den beiden fremd zugleich, die euch misstrauen.
Bewegt mit immer neu erkanntem Mass
nach hier und dort um eure eigne Mitte,
30 die schwache, die Mitte nur allein ist, weil ihr seid,
nichts ihr und darum alles, seid.
Aber gross ist noch und trotz allem
rein und glänzend das Dach des heiligen Hauses.
Das der Gott besucht, das der Vollkommne besucht,
wo sie wartet, die wartende harrt, die Seele,
05 die Geliebte, die Frau, die gläubige Seele.
Jahre warn es zuvor, Jahrhunderte,
so schien ihr, dass sie wartete,
bis er da war unter dem reinen und stets noch glänzenden Dach.
Und zugleich stieg er auf in ihr,
10 und sie wusste, dass immer er dagewesen. // 033
In ihrem Innern, unten, verborgen.
Nun stieg er auf, hoch schoss er empor:
wie die entrollte Schlange, die wittert
das lang gesuchte Opfer: sie ist Opfer des Gottes.
15 Sie ist nicht mehr da, sie ist in der Schlange,
in der aufschiessenden Glut.
Und jenes erfüllt sie, das stets in ihr war,
klein und glühend. Davon glüht sie nun ganz.
Und so fand denn der Gott, wie er kam,
20 wie immer, nur noch sich selbst, fand
die hoch züngelnde Schlange. Und er war
traurig, wie er sie sah, die seit je er gesehen.
Konzentration der gesamten inneren Kraft auf den sexuellen Eros, von einer Dauer, wie ich sie noch nie erlebte. Daran wird meine Neigung zur Monomanie wieder besonders deutlich. Alles wird stur durch die Mitte ertragen, durch das Zentrum erlebt und nur immer eines auf einmal. Diese Artung dem, was man Lebenstüchtigkeit nennt, nicht allzu günstig. Denn die Tüchtigkeit besteht doch wohl in der aktiven Erledigung des gerade Notwendigen, des im handgreiflich, gesellschaftlich-ökonomischen Sinne notwendigen. Nun, diese Tüchtigkeit lässt sich entbehren, wenn // 035 eine innere Aktivität an die Stelle tritt, das Bilden der geistigen Gestalt, wie ich es als Forderung mir stelle. Doch auch dies versinkt in der jeweiligen Woge der Leidenschaft. Und hier ist die Frage: wie wird mich diese Woge zurücklassen? Für jetzt bin ich entschlossen, mich nicht mit dieser Frage herumzuschlagen, mich der Woge zu überlassen auf jede Gefahr hin. Sich in das ganze Erlebnis hineinzuassen, das schliesslich nur gibt das stete Einverständnis mit den Grundkräften, davon man allein wirklich lebt. Daraus die echte Produktivität kommt. Geht sie daran zugrunde, ertrinkt sie // 036 endgültig in die Woge, so heisst das nur, dass sie ohnehin erstorben war, dass ich etwas wollte, was meinen Kräften nicht angemessen war. Dass es für mich nur das einfache Leben des ganz gewöhnlichen Menschen gibt. Ohne jede geistige Prätention. Es wäre dies das Ende alles Bisherigen für mich, der Anfang eines ganz Neuen auf neuer Ebene müsste versucht werden. Für den Augenblick ist alles offen.
02 Geschichte meiner Sexualität: zuerst dunkle Kraft auf dem Grunde, beängstigend, in ihrer Natur ganz unbekannt. Dann rasende Leidenschaft, wilder Trieb, gegenwärtig, aber stets im // 037 Innern verschlossen, heimlich einsam befriedigt. Dann jahrelang Versuche, die Mauer zu überwinden, Beziehung nach aussen, zu einem Partner zu finden. Zunächst ohne Erfolg, weil die Prinzipien der Erziehung, die Gegenkräfte einer andern, asketischen Moral noch zu stark sind. Endlich reisst der Damm weg, der Trieb überfällt, was ihm gerade in Reichweite kommt. Langsam nur stellt sich die wirkliche Beziehung her, die geschlechtliche Einheit im umfassenden Eros. Das kann nur in der Ehe sinnvolle Gestalt finden. Ich kann ihr nicht ausweichen. Selbst auf die Gefahr hin, // 038 dass mir nichts übrig bleibt ausserhalb. Ob ich auch vermuten darf, dass sich schliesslich ein Gleichgewicht herstellt und gerade in dieser neuen Lebensform wieder Kräfte frei werden, von denen ich zuvor nichts wusste.
03 Auf jeden Fall: hatte ich die Kraft zur Askese nicht, zur Enthaltung vom Geschlechtlichen, bekannte ich mich zum Naturtrieb und zu seiner Lust, so muss ich wohl auch die Verpflichtung auf mich nehmen, die daraus folgt, die Verpflichtung, dem Trieb eine Gestalt zu geben. In diesem Sinne muss ich die Ehe bejahen und sie versuchen, wie sehr mir auch meine Be-// 039 gabung zum Familienvater zweifelhaft sein mag.
Traumtag, Entfernung aus dem Wirklichen, das nicht wirklich ist. Wirklich nur ist die Weide am winterlichen Wasser. Die Urweide und das Urwasser. Gibt es das? Jenen Ort, wo die Dinge eins sind im Eigentlichen und zugleich unterschieden. Die Möwen und der Rauch. O das ist einsam, das ist die Entfernung des Traumtags des Traumtags von dem Wirklichen, das nur Schein ist. Aber schöner Schein. Darin alles Wahre erscheint. In der Weide am Wasser die Urweide. Und im Winter dieser Winter, der am Anfang steht, der in der Mitte ist. Wo immer Winter ist. Der Winter ist das Reine Die Enthüllung // 040 und die Starre der Enthüllung. Dass da ist nichts mehr, das ablenkt, das einen Zweifel liesse, wie unwichtig alles ist, was wir sehen. Denn das Unsichtbare wird ahnbar in der ödesten Landschaft. Denn das Unsichtbare wird ahnbar, wo wenig mehr ist. Was hilft es reden von Bäumen und Früchten, von den silbernen Bergen, von den Flüssen: wenn das alles nicht ist, nicht ist im Vergleich zu dem Einen, das schweigt und sich nicht bewegt, das nicht ist, weil es keine Eigenschaft hat und keine Strebung. Dieser unendliche, überseiende Grund, das unzugängliche Licht.
Die Leidenschaft, die völlig dahinreisst, alles aufsaugt, sodass nichts bleibt, ausserhalb. Es ist dies wie eine Lähmung. Jeder Gedanke, jede Vorstellung, die sich auf anderes beziehen soll, muss diesem Einen entrissen werden. Und die Leidenschaft rächt sich; denn die Wunde ist blutiger als der Erfolg der Anstrengung je sein könnte. Es scheint, dass uns nicht erlaubt ist, im reinen Raum der geistigen Klarheit zu verharren. Dass die Triebe des Untergrundes immer wieder einbrechen und alles, was wir mühsam errichtet, wegschwemmen müssen. So ist die Gefahr stets gegenwärtig. Es gibt keinen Ort, wohin man ihr ausweichen // 042 könnte. So bleibt mir im Augenblick nichts, als die Sehnsucht nach der Klarheit. Aber ihr selber war ich noch niemals so fern.
Paris: Die Liebe ist Erkennen des Vollkommenen im Unvollkommenen. Der verborgenen Götter in dem Natürlichen (wenn man das Natürliche als das Ungöttliche voraussetzt!) Reinigung der Sexualität in der wachsenden¿ Liebe. Ob es auch die Reinheit im ganz Tierhaften geben mag, in der Naivität. So gibt es sie für den bewussten Menschen doch nur in der Askese oder in der ganz grossen Liebe: Die Bejahung des Andern als eines Ganzen, ohne Idealisierung, wenn die // 043 Verklärung der ersten Verzückung wegfällt, dann erst beginnt die gültige Liebe.
Aus der Woge der Trübnis stets wieder aufsteigend die umfassende Gestalt, als Imagination // 047 nur vorerst, als Vorstellung einer Möglichkeit. Nicht ohne den Flor der Erinnerung an die Jugend, wo es dies zu geben schien, als fraglose Gegenwart, das Innere füllend, was jetzt nur noch den hellsten Stunden gehört und sonst Sehnsucht ist bloss, Ahnung eines Jenseitigen, jenseits alles Erfahrbaren. Dennoch, dies bleibt, diese aus der Ferne rührende Gestalt des Reinen, Gestalt, die nach Bildung, nach Realisation verlangt in der ihr feindlichen Materie: im Menschlichen, das in seinen Tiefen schwebt nach seinen Begierden weint¿ und nichts mehr fürchtet scheinbar, als enthoben zu werden.
Es kann sich im Gespräch doch nicht nur um ein Aufstapeln von Paradoxen handeln, es sei denn man mache den Widerspruch der Erscheinungen so deutlich, dass sie, zwangsweise, den Blick, die Richtung des inneren Auges auf eine Gestalt hinweisen, die jenseits alles vereinigt, die den Widerspruch vollkommen aufhebt im unsäglich Klaren, im geläuterten Reinen. Aber jenseits: das will sagen: die Gestalt (man könnte es auch anders nennen, das Reine, vielleicht auch, wenn ich recht verstanden habe, das Heitere Heideggers, oder, das ist schon kühn: Gott, insofern er uns begegnet), die Gestalt kann nie // 049 theoretisch definiert, philosophisch oder theologisch irgend zureichend umrissen, sie kann nur geschaut werden. Schau aber lässt sich nur im Bilde annähernd ausdrücken, mitteilen. Hier ist doch wohl die Beziehung der Kunst zur Mystik, zu jenem Ort darin, den man Ekstase heisst. Denn es handelt sich darin wohl um eine Art Ekstase, wenn auch, in der höchst reflektierten Dichtung der Gegenwart z. B. oder auch der hohen Antike, des Horaz, des Vergil, um eine weithin bewusste Technik des Schauens, eine Methode der Annäherung an die Gestalt – dies mag immerhin zweifelhaft sein, es ist mir noch nicht klar – um eine Methode // 050 auf jeden Fall, eine immer genauer ausgebildete Technik der Wiedergabe geschauter Gestalt, der Wiederholung der Gestalt im Ausdruck.
02 Wenn dies annähernd gelingt: das Nachbild der Gestalt im Stoffe (des Wortes z. B.) dann ist wohl ein ebenso Wichtiges erreicht wie eine theoretische Erklärung, eine Theologie irgend einer Art jemals erreichen könnte. Das Paradox muss gesehen werden, bis zum letzten, bis in den Zynismus des Bekenntnisses scheinbarer Sinnlosigkeit von allem: erst dann wird der Glanz der höchsten Wölbung, der Klang der siebten Sphäre offenbar!
Vom Westen drängt das Reinere herüber,
das Schwindende ist stark im ersten Traum
zerspellt die Trübnis jenes schwarzen Soges
der jede Kraft in Mitnachttiefe zieht,
05 wo ist das Kommt noch stärker als Vergehen,
die Tiefen sind in Wolkenspalten licht,
dem Zug der Wetter klarheitwärts enthoben
Die Blitze fallen vor den Regenschauern,
noch unterhalb der Bergesgipfel die,
10 noch so hoch, nicht rühren an den tiefsten Himmel.
Dieses Dürsten nach den ältsten Quellen
und Sucht nach Kräutern in des Waldes Mitte:
die Wege führen hin von allerwärts.
Wo an den offnen Wassern unbekannte Beeren
05 wachsen, entdecken einige die fremde Kraft,
die ihren Ursprung Furchtlosen verrät,
die selbst die Wandlung an den Rändern überdauern,
das Nachtgeschrei der Vögel nicht erschreckt,
ihr nahes Flattern in dem Dörnicht.
10 Es gibt, die eine Säule leitet, der Göttin vorlängst
aufgestellt. Die andern aber fol- // 053
gen jenem Bildnis, das je näher zielwärts,
glühender in ihrer Seele steht.
Nun ist Trübnis noch hier, die Höhen
bewölkend, nun im Tale der Dust den Bächen entlang.
Den Fahrenden sind die stillen Gespräche zur Tröstung,
da ihnen wandert der Gott
05 geistiger leuchtend dabei.
Herberg suchend am Abend sind sie den Schwellen bereitet,
die den heiligen Gast nehmen in Frömmigkeit auf.
Nicht ist jeglichem Haus solche Empfängnis versprochen, // 054
aber der düstere Tag bringt oft das Heilige ein.
10 Bringt oft der Wanderer zwei, die sich am Wege gefunden
und mit dem leuchtenden Blick
kommt noch der Dritte zugleich.
Ob auch die Höhen betrübt der grauliche Nebel
und im Tale der Dust wölkt sich den Bächen entlang
sind den Fahrenden noch die stillen Gespräche zur Tröstung,
da ihnen wandert der Gott geistiger leuchtend dabei.
05 Herberg suchend am Abend finden sie Schwellen bereitet,
die den zufälligen Gast, nehmen in Frömmigkeit auf. // 055
Nicht zwar jeglichem Haus ist solche Empfängnis versprochen,
aber der düstere Tag bringt oft das Heilige ein:
bringt der Wanderer zwei, die sich am Wege gefunden
10 und mit dem leuchtenden Wort kommt auch der dritte zugleich.
Und hält der Schiffer
des Bootes Last
nur über den Tiefen
nur über der Nacht
05 so kommt zu dem Fange
dem reichlichen ein
von selbst an die Angel
der heilige Schatz:
die Muschel der Tiefe // 056
10 verhülltes Licht
enthüllt sich dem Schiffer,
der nie es gesucht.
Wer der Erde Fährlichkeit entrönne,
den fasste doch die Flut, der er bestimmt,
der starke Sog, dem der Verlorne nur entrinnt,
damit er seine Tiefe nicht gewönne:
05 Das Tosen reisst den Unbewahrten nieder,
mit seiner letzten Klarheit in die Gischt
bis aus der Hölle rettungsloser Mitte, wieder // 057
beschwichtigt unerhört¿, aufscheint das ungesehene Licht.
Und wer der Erde Fährlichkeit entrönne
den fasste doch die Flut, der er bestimmt,
der Sog, dem der Verlorne nur entrinnt,
damit er seine Tiefe nicht gewönne:
05 Das Tosen reisst den Unbewahrten nieder
und seine letzte Klarheit in die Gischt
bis aus der Hölle Mitte jäh das Licht
das ewig vor geschaute aufglänzt wieder
Flieht der Tag,
der die reine Natur,
die wandelnde, in Wäldern geborgne,
an Bächen geduckte
05 bog und zerbrach:
dann kommt die Nacht zurück
mit klarer Dämmerung
und mit den Schatten der Sanftmut,
die heilen die Verletzte
10 und der Verwundeten
ziehen den Dorn aus dem Fuss,
den sie schmerzend nachzieht.
In der Höhle ist ihr ein Lager bereitet
für den Schlummer
und geheimen Weg
15 in jenen anderen Tag,
der nicht aufgeht und endet.
Die Beziehung zum Vergangenen:
01 Da im Grunde nichts vergeht, es keine Abscheidung gibt von irgend einem wesentlich Zugehörigen, muss der Punkt erreicht werden, wo alle vergangenen Situationen zugleich erlebt werden können und zwar ohne dass sie sich Abbruch tun oder widersprechen, sondern so, dass sie alle zusammen erst ein ganzes Erlebnis bilden, die ganze erlebte Realität darstellen. Annäherung an diesen Punkt wäre praktische Annäherung an die Gestalt. Überflüssig zu sagen, dass auch dieser Punkt nicht erreicht werden kann, was die Leidenschaft der Annäherung nicht mindern, sondern steigern soll: es kann immer noch ein Mehreres erreicht werden. // 060
02 Die Gefahr der Erstarrung mit dem zunehmenden Abstand von der Erschütterung: die Erschütterung als Quelle einer sich fortpflanzenden Bewegung. Sie muss also stets wieder in der Erinnerung reproduziert werden. Auch hier muss sich eine Beherrschung der Mittel immer mehr ausbilden, die Verfügung über den in der Tiefe ruhenden Erinnerungstoff: alles Vergangene muss potentiell stets gegenwärtig sein.
Die Glut, die ich jenseits sehe
und das Getümmel der Schrei-
aufgebrochenen Nacht, wie zuckt es
nicht in meine hoch gelegene // 061
Kammer. Durch die offenen Fenster. Die Burg ist nicht fest, und dies allein wäre schrecklich, wenn sie mich hielte in undurchdringlichen Mauern. Wenn die Schlacht sich fern zöge hinter die Wälder und ich, untauglich zum Krieg, nicht mehr säh an der Decke roten Widerschein und den Schrei und das Klirren der Helden. Dies nur lindert den Schwachen, dass ihm die Mitte gewährt ist, wo die volle Rundung erscheint und die Bruderschaft unter den Streitern: denn das Reinste wird im Beschauer.
Dem Gänger auf der Hügelstrasse
sind die vier Götterbilder
rein am Saum entlang: der erste,
dem die klare Stirne leuchtet,
05 die zweite, die Verborgnes unberührbar schützt,
die dritte, die des Lebens Mitte öffnet,
der vierte, der die Traube dann gewährt.
So führt der hell Besonnene bis hin zum Rausch-Entrückten,
indes die Gärten sich zu Tale senken,
10 wo von der Kaisersäule bis zur Kaisersäule
der Tänzer geht auf bebend hoch gespanntem Seil.
Dem Gänger auf der Hügelstrasse sind
vier Götterbilder rein am Saum Geleiter:
der erste, dem die klare Stirne leuchtet;
die zweite, die Verborgnes unberührbar schützt;
05 die dritte, die des Lebens Mitte öffnet;
der vierte, der die Traube dann gewährt.
So wird Besonnener zum Rausch-Entrückten,
indes der Weg durch Gärten steigt zu Tale,
wo von der Kaisersäule hin zur andern
10 der Tänzer geht auf hoch gespanntem Seil.
Die ausgegossne Fülle liegt auf dem Teppich
mitten in Markts Getriebe: der
Teppich trug sie her, die seltnen Früchte.
Aus Madagaskar Datteln, Pfirsiche
05 aus dem Iran und andalusische Mandeln.
Doch niemand sieht, was her
der Teppich trug. Doch niemand
kauft die Schätze. Der Teppich ist
schon selbst ein fernes Land.
10 Was auf ihm liegt, ist niemals in der Nähe.
Bis dass der Zaubrer kommt und
mit der Flöte die Käufer lockt:
dann hört ein jeder aus seiner
Brust den eignen Osten singen,
15 des eignen Ostens Antwort an den zauberischen Jüngling.
Ausgegossne Fülle mitten in Markts Gepränge,
Teppich trug sie her, die seltenen Früchte:
aus Madagaskar Datteln, Pfirsiche aus dem Iran
und andalusische Mandeln.
05 Niemand aber sieht die Schätze, die her der Teppich trug
oder kaufte sie gar: Der Teppich
schon selbst ist ein fernes Land.
Was auf ihm liegt, ist niemals in der Nähe.
Bis dass der Zauberer kommt und mit der Flöte die Käufer lockt:
10 dann hört ein jeder aus seiner Brust
den eigenen Osten singen, des
eigenen Ostens Antwort an den Zauberjüngling
Wanderung des Wissens durch die Pforten
des Tags, der Nacht und ihres Überganges
führt endlich in die hellste Halle
die steht im Zenith alles Unsichtbaren:
05 dort hängt smaragdnes Ei hernieder aus der Kuppel,
bis einst in Scherben es zerstösst des Vogels,
des göttlichen, Erwachen und mit Kreisen
des heilenden Fluges füllt verwunschene Räume.
Die Wanderung nach Wissen durch die Pforten
des Tags, der Nacht und ihres Überganges
führt in die lichte Alabasterhalle,
die steht im Zenith alles Unsichtbaren.
05 Das smaragdene Ei hängt nieder aus der Kuppel,
bis einst bei Vogels göttlichem Erwachen
es stürzt in Scherben und das tönende Kreisen
des Fluges füllt und heilt verwunschene Räume.
Willst du dieses Bildnis ganz enthüllen,
Bildnis, das der Schatten noch bedeckt:
die Gefangnen weichen an den Eingang,
scheun den Grund noch mehr, den stets sie scheuten:
05 weil das Furchtbare, das in der Tiefe blieb bisher,
erwachen will, des Gefängnisses Gefängnis
bricht auf es heute? Fürchterlicher Freiheit
Abgrund öffnet er sich und verschlingt
in taube Tiefe die die Nacht schon drückte?
10 Schaut Gefangne an das abertote Auge // 069
weiss dann einer noch, dass je es Leben gab?
Ruf frei über der Öde,
Wachstum der Einsamkeit, die ihn mehrt,
der Wüste mehrt das Lied, das
die Früchte trägt, die Früchte
05 der Inseln. Sie kommen herein
auf den Schwingen des Liedes,
die Blumen der Inseln:
auch die Liebenden hier sind
eins mit jenen andern der reichen Ufer.
10 Die Erschütterten alle sehen das Licht,
sehen die kreisende Sonne
wo sie auch seien; sie ist ihrem // 070
Lichte verwandt, in ihm
grüsst sie Gesicht der uralten Zeit,
15 jener Helden Gesichter, und der uralten Könige,
die alle das Eine geschaut.
In ihm sind sie alle gegenwärtig,
sind sie alle, die Fernsten ver-
gangnen und jene von heute,
20 vereint, kreisend in dieser Kuppel,
diesem geöffneten Kelch,
dessen Staubblätter glühn, drei Staubblätter,
getragen von der schwebenden Kraft,
die kommt aus dem mittelsten Punkt.
25 Blätter der Blume, Gestirne // 071
kreisende Musen der Sphären.
Singende Schwestern: Geleiterinnen der Seelen,
im Aufstieg, im Aufstieg nach der Mitte der Blume,
im Abstieg nach der inneren Mitte,
30 denn jeder letzte, jeder glühendste
Punkt ist mit dem andern identisch.
Aus der gestürzten Schale fällt
der Tropfen nieder, glühender
Tropfen des Weins,
ihm folgt Tropfen für Tropfen:
05 weil der Gott, wie er hob den Becher zum Munde
jenen Schrecklichen sah, der // 072
aus der Öde hereinkam, übergewaltig
und fürchterlich blickend.
Aus der gestürzten Schale
fallen die glühenden Tropfen
letzte glühende Tropfen,
weil der Gott,
05 da er hob den Becher zum Munde
vor jenem Fürchterlichen erschrak
der aus der Öde hereinkam,
ungeheuer und mit seinem Schatten
die Halle verdunkelnd.
Aus der gestürzten Schale rinnen letzte glühende
Tropfen, weil den Gott, da er hob den Becher zum Munde // 073
jener Ungeheure schreckte, der aus der Ödnis,
mit seinem Schatten die Halle verdunkelnd, plötzlich hereintrat.
Aus der gestürzten Schale rinnen Tropfen, glühend,
weil den Trinker, da er hob den Becher zum Mund,
jener schreckte, der Ungeheure, der aus der Ödnis,
mit seinem Schatten die Halle verdunkelnd, plötzlich hereintrat.
O der schöne, der noch verständliche Himmel:
bald ist er geschlossen und jene Schale
von neuem darüber gefügt, die ihn einstmals verdeckte.
Speise wird die Erinnerung sein an die gnädige Öffnung,
05 leuchtenden Blick aus der Bläue herab,
Flutung des Hellen herab in die Ödnis.
Jener Augen, die nicht schliefen inmitten der Nacht,
die sinnend ruhten im Staub, wie
aufging die Freudenerscheinung:
10 immer dringt aus ihnen auf die anderen ein
Wissen um die Gestirne, die Lenker, die herzerschütternde Freude des Anblicks.
(Wieder ist er, der schöne, der noch verständliche Himmel // 075
ganz geschlossen und jene Schale von neuem
darüber gefügt, die ihn einstmals verdeckte.)
15 Hinter der Hülle verborgen, dem ehernen Helm
sind sie sonst nun, und jene andern
wissen nichts von dem Himmel, da sie schliefen,
Nahrung der Steppe musste ihnen genügen zuvor und genügt ihnen heute.
Käme ihnen nicht der Hunger nach reiner Speise, nach der Labung des Himmels,
20 nach der Schauung des enthüllten höchsten Gewölbes, // 076
käme ihnen nicht dieser unbezwingliche Hunger,
Kenntnis vergessner Verwandtschaft,
aus jener Augen, aus jener Seelenworte die sahn,
kosteten Glück und des ungeschwächt Wirklichen Dasein.
Entlassenes Licht, das noch in der Hölle schwebt,
Fackel flackernd durch die Räume wieder.
Warum die Sonne dies aus ihrem Kreisen sandte:
sie besitzt alles und kann nichts verlieren,
05 soviel sie schenkt auch. // 077
So reist sie über den Gängern auch in der dunkeln Wölbung.
Geheimnisvoll bewegt und von innen nirgends ruhig.
So begegnen drin die Söhne der Götter,
verbannt und doch verstossen nicht:
10 sie leben in der Flamme, die unsterblich ist.
Sie haben vom Gestirn geraubt, was es ihnen schenkte.
Und Raub und Schenkung bleiben gültig.
Jenen andern bleibt es, auf dem Berg zu warten,
bis eins der Feuer im Vorüberfahren
15 ergreift und mit sich trägt, // 078
doch fasst es nur den, der irdischer Hülle
sich ganz entschlägt und nackt
auf der Höhe harrt, im stürmischen Wind und Regen:
den fasst es einst vielleicht und trägt ihn durch die Kerkerräume,
20 bis einst vielleicht der übergrosse Sturm
ihn heimweht in die Sonne und die Versammlung der befreiten Brüder.
Spiel ohne Ende, vom Hereinklang genährt
aus dem grossen Lauf der seienden Dinge, // 079
schön für die Sitzenden in den Wiegenetzen
in den an Seilen wiegenden Gittern,
05 die von den Kräften, den
Strahlen die ausgehn von hier und kommen von dort
Getragenen Spieler.
Vorrat an Bällen ist gross, ist unendlich,
und noch nicht, lange noch nicht
10 sind alle ergriffen.
Noch nicht ist der Spieltanz vollendet
von Gitter zu Gitter und der Schritt über die
Kraft-Seile alle,
was denn schadet der Fall und
ein Versehen des Fusses? // 080
Den Stürzenden fängt ein anderes Netz,
15 ein anderes Gitter, an Seilen sicher
schwankend befestigt, bebend auf.
Und schaukelnd liegt er unter andern,
bunteren Bällen.
Treuer Tag, der mich herübertrug
in Deine Arme und an Deinen Mund,
des Kuss versengt und mich versengend heilt.
Du kommst mir aus der Höhle Tiefe
05 entgegen, wo ich eben noch raffte Schätze, // 081
Gesteine, Gold und die gewirkten Stoffe.
Und alles sinkt dem Raffer aus der Hand,
er schämt sich, ertappter Dieb,
bei Deiner Ankunft aus der Höhle Tiefe,
10 und sieht nur Dich, Dich reinen Lebens Boten,
geheimer Fülle Botin, da verblasst, was Reichtum schien:
Du bist der edle Stein und leuchtendes Gewebe,
und Deine Flamme sengt und sengend heilt sie.
Du kommst, o Lichte, aus der dunklen Tiefe,
15 des Lichtes über allen Lichtern Strahlenbotin.
Wesensbild, aus Schwaden, ganz verschlungen,
immer wieder leuchtend, der Rettung Zeichen,
immer hiesiger und dennoch rufender von neuem stets
nach Bezeugung …
Die Bezeugung rufst du, Wesensbild,
leuchtend aus den hohen Tänzerchören,
durch die Wolkenschwaden nieder
in den lehmigen Schlaf der Glanzentblössten:
05 immer hier und dennoch rufend
wie bedroht auf deinem Botengang: // 083
dass auch das Gehör erstarre,
letztes Tor
Die Bezeugung rufst du, Wesensbild,
aus den hohen Tänzerchören durch die
Wolkenschwaden in den lehmigen Schlaf
nieder, ständig hier und dennoch rufend
05 weither, wie bedroht in deiner Botschaft:
wenn den Blinden auch das Ohr erstarrte.
Fallen in Kaskaden wogend nieder
Blüten, in der Färbung zeigend an
andre Reiche jenseits dieser Berge:
hergewehter Blütenstaub des Lenzes,
05 Staub von jenem aufgegangnen Fest:
Fest der alten, alten Gottestänze
und der Blütenwohnung, die nicht bleibt:
Dennoch einzig Glück für den der weilte
einmal dort; ists einer von den unsern
10 der erzählte? Aber die Kaskaden // 085
Blütenstaubes, wallend, wallend nieder,
sie bedecken des leeren Tempels Dach
und unsre hohlen Hütten
mit dem farbigen Duft
15 Trost, den letzten Tagen
oder der ersten: wer mag dies schon wissen?
Wir fahren an den Grenzen
in den Kähnen voll schlechtem Hausrat,
treibt nicht schneller der Fluss,
20 und es wehn Kaskaden wogend nieder,
Blüten, auf das Verdeck, aus jenen Reihen.
Lust hergewehte, wohinein wir fahren:
steht dort bereit die reiche Stadt der Toten?
Tod, inständiger Bruder hinter die Hügel
die Gereinigten leitend, nachdem
zuvor sie gingen lang mit Fremden,
mit Gaunern der Strasse,
05 mit den Kupplern der gemeinen Wege:
jetzt sind sie dir, dem liebenden Bruder gehörig,
dem Winterboten, der durch die Wälder führt
hin zu der gläsernen Kugel,
die alleinige Durchsicht,
10 wo die Stille empfängt,
ruhige Taube und diese Flüsse sind
fern verrauscht und die Städte ferne Umrisse nur, // 087
Bilder aus Büchern: Du bist,
leuchtender Freund, bleibender Bruder
15 und stehst freundlich immer neben dem Erstaunten,
Beglückten unter der Rundung.
Neue Wolke wie ein dunkles Boot,
jeden Augenblick bedrohend
die zerrissenen Fetzen des Daseins,
nur noch Stücke sind da,
05 immer kleinere Stücke,
des Mittagshimmels.
Und er war einstmals ganz.
Einmal unverletzt
und die Säulen sangen, // 088
10 ungestört von den freundlichen Vögeln:
jetzt aber schweigen die Säulen,
die Vögel schrein und irren
wie Fledermäuse durch die schwankenden Lüfte,
verstörten Flügelschlags:
15 fernhin, fern ist die hohe
Wölbung entrückt. Nicht zwar
bersten die Kuppeln, wie Törichte glauben.
Aber oft sind sie hoch und über die Wetter entrückt,
ja, über die bösen Gestirne.
Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel,
der reiner ist als diese klaren Ufer?
Die Türme sind, die göttlichen
im Grunde erst hoch und klingend,
05 wo sie keiner hoffte: dass
klare Gewächse, die Blätter darin die Geister wohnen,
nur in den Schlinggewächsen gedeihn.
O Gärten sind, o Städte gegenwärtig
nur hier, und diese obern sind nur Schattenbilder, // 090
10 geworfen an die Decke dieser streng verschlossnen Höhle,
wer spürte nicht die Decke, die hier ewig drückt,
und Freiheit ist, der Ausgang
nur in den Grund der widerlichen Lache,
da aus der toten Fische aufgeblähten Leichen,
15 aus fauler Pflanzen Resten steigt die Stadt
ins Auge uns und Gärten ins Gemüt.
Der Vogel fällt, der schwankende vor Licht,
der irrgewordne vor dem Überhellen,
fällt immer fort nach innen, innen, innen:
und nirgends gibt es Pause diesem Fall,
05 er ist unendlich, jedem Innenort
findet des unentwegten Falls Spirale
noch einen innen-inneren: wie das
im Walde lockende Licht, das Trostlicht für
den Abendgänger stets nach vorne flieht
10 durch dicht Gehölz und über tiefe Schluchten // 092
stets neu enthoben an einen neuen Ort
der angebotnen und unmöglichen Zuflucht:
so fällt der Vogel, willos niederkreisend
dem Grunde zu, der übermächtig zieht
15 und immer tiefer ist als der erreichte Ort.
Vergänglich ist auch dieses kaum Enthüllte,
auch dieses Bildnis, das hinab in dies
Gewölbe stieg: wo sitzen alle andern
auf goldnen Thronen schon: sie leuchten
05 und füllen das Gemach mit lebendigem Glanz. // 093
Und sind sie tot auch gegen dieses Wunder,
dies neuen Bildes wirklicheres Leben,
und ist dies Bild auch Braut und höchstes Gut
der schmachtend lang in Tiefen irrenden Seele:
10 so hört sie doch das Beben, wie die Höhle
im Berg schon wankt, wie sich die Felsen spalten
und aus den Donnern steigt, den keiner wagt
zu sehnen: der Fürst, der stillt und Sonnenspender
Das heraufstieg in den Wald
an der Bergeslehne, flüchtig Tier
brach den Schlaf mir unterm Schattenbaum,
einzigem auf der sonnigen Kuppe:
05 wie es mich erschreckte, Knacken
schützenden Gehölzes, das den
Abstieg birgt: und wieder wusst ich,
dass die Gründe da sind ringsum,
Schluchten ungestümer Bäche.
10 Wie ich gern sie vergesse in der Sommerstille
und im Summen samtner Hummel.
Wieder drangen sie mir aus der Seele
schreckend auf, die nie gedämpften,
als heraufstieg in den Wald
15 an der Bergeslehne, flüchtig Tier.
Schwemmt der Fluss aus hohen kaum gefurchten
Tälern in die alten tiefen mich
dieser Lust zurück: und stets noch duften
Wiesen, wo der Fallende nicht tiefer,
05 vom hohen Ort gestürzt, nicht tiefer fällt:
immer hält ihn dieser Täler schlummernd
Leben, Kraut und bunter Garten und der
breite, inselreiche Spendefluss.
Sehr verehrter Herr Professor,
01 unser Gespräch von gestern liess // 096 mir die Vieldeutigkeit und Mehrseitigkeit jeden Ausdrucks, den man seinem Inneren gibt, neu und fragwürdig erscheinen:
02 wenn in der Arbeit über Sebastian Franck ein zweifellos vorhandenes Misstrauen, eine Distanzierung von ehrwürdigen Formen, die aber dochwohl irgendwie in einem bestimmten Augenblick ihre unbedingte Herrschaft über die Seele verloren hatten, denen sie an einer bestimmten Wendung ihres Weges entfiel, wenn ein solches Misstrauen, eine solche Distanzierung darin sichtbar wurde, so ist mir anderseits seither, in den letzten zwei bis drei Jahren – als einen Wendepunkt möchte ich hier, // 097 wenn es Wendepunkte überhaupt gibt – meine erste Fahrt nach Rom im Frühjahr 1947 bezeichnen – noch bestimmender, verpflichtender klar geworden:
03 dass die grossen Gestalten, in deren Anschauung wir Europäer aufgewachsen und gebildet sind, wohl schlechterdings den einzigen übergreifenden, verbindlichen Wert darstellen, den wir zu vertreten, und darzustellen haben. Und in [in] diesem Zusammenhang erinnere ich mich gern des Wortes von Hofmannsthal, dass die katholische Kirche das einzige grosse Altertum sei, das uns in Europa übrig geblieben ist: in ihr ist die Einheit von Antike und Christentum, in Gestalt und // 098 Innerlichkeit, von Wort und Kunst, mit einem seltenen Glück vollzogen.
04 Insofern und genau insofern würde ich mich katholisch nennen: das mag wenig sein den Eiferern, mir aber, der ich etwas vom Zerstörenden, vom gänzlich Verneinenden der Revolte, des Nihilismus zu ahnen glaube, mir ist diese Entdeckung, die Sicht auf diesen Verlust wertvoll und eigentlich entscheidend.
05 Man muss sich nun fragen, was der dies Erkennende für eine Aufgabe hat: es ist doch wohl die: dass er das Ganze konkret sichtbar zu machen // 099 sucht, dass er die hohe und gültige Gestalt dem Zeitalter, den Empfänglichen und irgendwie Offenen des Zeitalters vermittelt: das wäre mir der Sinn der Dichtung, die Rechtfertigung meiner eigenen dichterischen Versuche.
06 Damit aber kommt zugleich noch ein anderes: das mystische Prinzip der reinen Innerlichkeit, des innerlich gebietenden Gottes, das, was doch das Grosse scheint an der Reformation, das ist immer da. Und es muss da sein, wenn nicht das Leben ersterben, wenn die Gestalt erfüllt und leuchtend bleiben will. Es muss also im Ganzen drin erscheinen, es muss // 100 die Verehrung der Gültigen durchleuchten, ohne sie revolutionär zu sprengen. Und hier liegt die Schwierigkeit, aber auch die Verlockung: dass diese Haltung gelingt, die Verehrung der Gestalt und der innere Gott müssen eins werden. Dies Postulat scheint mir entscheidend. Wie ich es erfülle, weiss ich noch nicht, ich bin am Anfang: aber dass mir diese Mitte zu erreichen, in dies Zentrum vorzudringen gelingt, daran entscheidet sich mir alles, in Leben und Kunst.
Wie das Gespinst des Lichtes, Scheinlichtes wächst und zieht Irrefäden über diese verborgene Flamme, wie diese Stadt wächst, diese künstlichen Häuser über die Wiesen und den Schrei, den reinen Schrei der Grillen und das Rufen des Kuckucks: dieses glücklichern Vogels: der andere Vogel ist verworren und fährt hin und wieder im Netz im Gespinst falschen, verwirrenden Lichtes, Scheinlichtes, das überspinnt die wahre Flamme: die er sucht, der Vogel, jenseits darüber im betäubten Himmel der Nacht, jenseits der Stadt, über den Wiesen im Gesang der Grillen, diesem tönend bergenden Haus: // 102 und die Rufe des Kuckucks sind die lockenden Fenster in den Wald der geöffneten Stille: Wald, wo die Dunkelheit wächst bis nach der Mitte, wo strahlt das wärmende Feuer Rast den Müden und endlich Licht dem Irrschein entflohenen Vogel.
Über die Unwirklichkeit: die Schattenhaftigkeit unserer geistigen Strebungen, soweit sie individuell sind. Was nur das Unsere ist, ist auch das Gefährdetste. Die Religion als die gesicherte Heimstätte des Geistes. Sie überdauert das bloss Individuelle. Gibt ihm jedenfalls // 103 Anteil am Allgemeinen.
Wirrsal der gestrandeten Träume, die hier gehn und rufen auf der Insel: die schweigt und schön ist im Meer, mitten im Meer; und sie wissen nicht, wo sie gehn. Sie ersehnen das klüftige Gebirg und gehn doch im Garten der Götter, wie in die Verbannung Verschlagne: Ja, ihnen ist der Garten Verbannung: was ist ihnen Duft, wehend her von den blühenden Bäumen, was der Gesang der Zikaden und das hohe Rauschen der Flut: solange begehrt ihr Herz und das Gewaltige will, // 104 solang es nicht weiss vom Glück der reinen Schau: der Ruhe im Einklang des Meers, des Himmels, der lebendigen Quelle, der Ruhe, darin geheim tönt das Ganze:
Denn nach Stillung der Sucht erhellt sie die Liebe zur Insel.
Der sich losriss, Gefangner der Tiefsee, riss sich los und hinauf in die obern Wasser: wie war es da licht, wie war es da licht, nur noch licht endlich, überlicht, das tötete den Gefangnen, den jäh befreiten von den tiefen Wassern des Lebens, die waren sein Leben.
Herzgesang, der aus dem Innern schwirrt
und sanft die Seele aus den Fesseln wirrt,
der wie die Taube auf den Gipfeln girrt:
wie hätte auch ein reinerer gefunden
05 das Tor, den wilden Wächter überwunden
nach ach so vielen kerkerdunklen Stunden?
Wenn nicht der tiefste Brunnen, aufgespart,
gesprengt die Schlösser und die Mauern hart,
aufschiessend Licht und Licht geoffenbart?
Der Schlummer, der in der Tiefe heilt,
wie abgeschüttelt ist er, abgefallen,
so jäh, und aus der Höhle
stehn die Schläfer, die letztem blutigen Kampf
05 entronnen, auf: wie steht das
kahle Feld von Blumen überwuchert:
sie gehn mit Kronen glänzend
und grösser wird bis an die Küste hin die Prozession.
Die Gefahr als Rettung vor dem Tod der Seele: als Zerreissen des Vorhangs vor dem Allerheiligsten. Der Blick ins Eigentliche wird in der äussersten Situation wieder gewährt: // 107 Anderseits muss erreicht werden: dass auch in der scheinbaren Sicherheit das Bewusstsein von der Wirklichkeit dessen, was ausserhalb liegt, bewahrt bleibt. Überhaupt: die innere Tiefe muss die stets offene Zisterne bleiben, offen auch und spendend, wenn der Regen ausbleibt. Auf nichts angewiesen sein ist der Anfang eines ganz neuen Lebens, eines Lebens, das ohne fiebrische Erregung dennoch lebt, aus sich selber sich lautlos erneuert.
O Gang an Firmamenten und auf Türmen
bist Sternen nur und Vögeln noch gewährt.
Wie steht der Traum im Morgen öde, wie Kulisse nur noch da: das Fest ist leer und seine Gäste sind für ihr Lächeln, für die grosse Geste und für das Tragen dieser alten Kleider bezahlt.
02 So wird denn der, der aufbrach in die Freiheit des Ungewissen, der gefährlichen // 111 Versuche, geneigt sein, hieher zurückzukommen, wenn er, ermüdet, wieder ein Gegebnes sucht, eine begründete Gestalt, wird die Gewänder erneuern und die Posen der Alten: rührender Versuch ist das, doch nicht ohne Sinn und Schönheit: denn unter der Manier brennt die Wunde des Unheilbaren und die Sucht der unstillbaren Frage, Gewand und Pose trägt der, der längst von allem sich entfernt hat, dem nichts mehr gehört und der das Fremde nimmt im heitern Spiel des Weisen, dem alles gut ist, weil er weiss, dass alles doch nicht zureicht, das Unsägliche zu sagen.
Wenn du nicht vermagst das Unlenkbare zu lenken
so sei dir zur Tröstung stets das Gewitter des Himmels:
sei dir das Toben der Lüfte, Donner und tötende Flamme,
die die verschlossenen weckt, und sprengt in die starren Gebirge
05 fördernde Stollen
öffnet wieder Quellen der Heilung, springend
aus den Sockeln uralt verschollener Bilder:
so bringt Schrecken Heiliges immer wieder
Mächtiges wirkend.
Wenn du nicht vermagst das Unlenkbare zu lenken,
sei zur Tröstung dir immer das Gewitter des Himmels:
sei dir das Toben der Lüfte, Donner und tötende Flamme
die die verschlossnen öffnet, weckt die versiegten Quellen
05 aus den Sockeln uralt verschollener Bilder, so bringt
Schrecken Heiliges wieder hervor, Mächtiges wirkend.
Ist das heutige nicht,
schmerzlich entrissne Lied,
jenen früheren gleich,
Liedern der Jugend einst?
05 Jene Ströme nicht mehr
leuchten hinab die Schlucht,
auch die finsterste Kluft
füllend mit Silberstaub,
tönend, tönend hinein
10 in den geheimen Ort
wo den künftigen Gott
schweigend die Nymphe stillt // 115
Doch der Weiher ist voll
hier an dem Fuss des Bergs
15 reinen Wassers und auch
trübes Gewässer wird
rein im lauteren Schoss,
wo unterm Laub bewahrt
auch im heissen August
20 Schattenbesinnung bleibt.
Wipfellichtung gewährt
spiegelnden Einfall wohl
heller Wölbung: doch auf
flammt sie furchtbar im Herbst.
Aus dem Gebirge
stürzen Donner heraus
stürzen Bäche unbändigen Tosens,
wirren Lichtes hinab
05 in die gelassenen Täler
Immer wieder jedoch
fahren, bedeutend,
dass das ewige Licht
immer noch jenseits
10 scheint und leuchtet zu innerst;
(denn uns allen ist das Jenseitige
innen, o welches Wissen, dass
uns das eigene Herz
schon fast verliess, nie uns gehört,
15 schon dem Ursprung anhängt, der
ewigen Sonne)
fahren die Blitze herüber
von dem Gebirge dort
her zu der heiligen Höhe; // 117
20 von den Donnern gefolgt,
die erschüttern, wahrlich
Land und Gewässer:
wie verstummen die Bäche,
still wie sind sie und dunkel,
25 lichtlos vor diesem Licht,
vor diesem Donner,
nur noch Widerschein
glänzt in ihrem Stieben,
Widerschein des Strahls,
30 aus dem unsichtbaren
fern und zu innerst gewussten
Licht entsandten Blitzes:
o wie wirklicher ist, was
nie das Auge geschaut,
nur die Seele gewusst,
nur¿ dem Geiste wahrlich verkündigte Wahrheit.
Ungestillt immer ist
der vergebliche Traum
an der Mark des Gehöfts:
Hundegebell
05 hält den Wanderer hier
fest im Geheimnis
unvollkommner Verwandlung:
wo das Gebirge
sendet Wasser herab
10 ruht der wartende Hirte
glücklich im Busch:
nicht aber vermag er
den Erschreckten
einzulassen in die Friedung,
15 dieser Frucht und Vieh
nährenden Wiesen:
Immer bedrohen den
Fremdling die Wächter, // 119
dass er doch weiter gehe
20 und auch andern
Hirten bringe
Nachricht vom Nahen
röhrenden Wildes,
das vor sich her treibt
25 rasender Wirbelwind.
Mit der Reformation kam eine Bewegung ins Rollen, die wohl nicht wieder zur Ruhe kommt und sich immer mehr beschleunigen wird, als bis die Gestalt überhaupt restlos aufgelöst ist, bis zum // 120 Triumph der reinen Innerlichkeit: bis die Welt das Reich des Bösen geworden ist und die Gegenwart Gottes nur noch in bestimmten begrenzten Bezirken geglaubt und erfahren wird.
02 Es gibt wenig Furchtbareres als die Überhebung dieser Spiritualisten, die sich allein Offenbarungsträger glauben, in jeder Gestalt aber den Antichrist vermuten. Der grossen Menge der Unerleuchteten begegnen sie mit der beleidigenden Liebe des Wissenden, der ja auch weiss, dass selbst die Torheit und Bosheit der grossen Mehrzahl von Gott zum Guten gelenkt wird.
03 Eigentümlich: diese Reduktion des Christentums auf einen biblischen // 121 Glauben der Urgemeinde, dieses Ausspielen der Bibel gegen die kirchliche Überlieferung, als ob man nicht die Bibel von der Kirche überliefert bekommen hätte, als ob es ohne Kirche überhaupt noch eine Bibel gäbe. Soll mir das Christentum noch etwas bedeuten, so kann ich doch darunter nur den in der Kirche überlieferten Glauben und die in der Kirche überlieferten sakramentalen Geheimnisse verstehen. Lehne ich diese lebende Autorität ab, so sehe ich nicht ein, warum ich aus dem ganzen Schatz nur ein Stück, die Bibel nämlich, behalten soll. Im Augenblick, wo ich willens bin, mich von jeder sichtbaren Autorität zu abstrahieren, // 122 kann ich auch von der Bibel abstrahieren und mir eine eigene Welt errichten und sie nach eigenem Gutdünken ausstatten; es gibt da genug Mobiliar in den religiösen und philosophischen Überlieferungen aller Erdteile, die dem autonomen Individuum genau so hochwertig und leuchtend erscheinen können wie die christliche, in die gerade wir nun hineingeboren sind.
04 Aber auf diesem Wege kommt man nirgends hin: der christliche Glaube kann, wenn überhaupt, nur so mich verpflichten, wenn ich ihn von der Kirche, in der der Herr, der menschgewordene Gott, weiterlebt und in den Sakramenten wirkt, gehorsam annehme. Andernfalls, // 123 als blosser Buchglaube, ist er eine Lehre, die nirgends Gestalt gewinnt, beziehungslos über dem Menschlichen schwebt und nur den verpflichtet, der ihn sich intellektuell aneignet. Es handelt sich dann nur noch darum, welches Buch mir am meisten Eindruck macht, wenn ich Christ, Buddhist, Mohammedaner oder Konfuzianer werde.
Es spiegelt sich in Teichen Winterhimmel,
der steht als Klarheit über dem Gewimmel
der Kommer und der Geher, dem Gebimmel
von feilen Glocken aus dem Schlittenhimmel // 124
05 Die Festen treiben, schneller noch die Losen
vom Markt zum Wald, wo jene reinen Rosen
auf ihre Brücken leuchten u. das Tosen
bestrafen still, die schneeigen Willenlosen. // 125
Denn ungekränkt von geil gereckten Armen
10 des Zwischenreichs wo jeden Morgen ohn Erbarmen
an Neid und Sucht die Sorgen neu erwarmen
ist Himmel hell und Eisesrose da den freien Willens Armen.
Wie ist das Tier verwandelt an dem Morgen,
der diese Nebel endlich trennt:
sobald das grause Kleid im Forst verborgen
eilt es vors neue Firmament.
05 Vors wieder feste dem, den Grenzenloses
erschreckte, Höhle heissem Tier,
das schweifend findet andres ruheloses
in Wanderers nächtiger Begier. // 127
Wie diese düstre Frucht mit Stank der Schande
10 das wurmzerfressne Herz gesteht
und sühnend Schmetterling entlässt dem Lande
sei für die andre gleich erfleht.
Die Tore dröhnen in die Pfosten
und durch die geheime Halle, // 128
die Greise heben das Haupt nicht
auf vom Mahl: o Speise voller Duft und Süsse Gottes,
05 wenngleich die Säulen wanken,
heilige Pfeiler der ererbten Ordnung:
Speise ist mehr als Ordnung, Gott
selbst¿ ist
Brot und Wein, auch in
den fremden Ländern ist er
den Verbannten geheimnis-
voll und wirklich immer da.
Diese Hülle ist noch vor dem Saal
vor dem herrlich vorgestellten Mahl
Nun die Speise den Gästen allen geistig gemundet
und der Wein befreit ihren verschlossenen Sinn:
stand der Meister auf und blickte, der König, das Heer an
wie der Erbe des Volks Grosse zum Treuschwur empfängt:
05 In dem Brot bin ich euch, entrückt schon, immer zugegen // 130
nie, solang ihr es esst, seid ihr verlassen beim Mahl.
Stets erhellt euch der Wein die schwarz verschatteten Tage,
flammt so oft ihr ihn trinkt, hellere Sonne, mein Blut
Die trauerreiche Zeit des trüben Traumes,
das sinnenlose Spiel von Strom und Nebel:
wie alles ungestaltet
erscheint nur mühsam angedeutet.
05 Und lechzt doch nach Gestalt, nach festem Um-
riss: sind die Häuser noch so unbestimmt?
Sind sie nicht viel eh Gespenster: // 131
abgezogner Schein des einst wahrhaft gewollten Bildes
Und die Brücke wie eine Lockung zum Sturz ins Leere,
10 Scheinsteg hinüber den Scheinfluss:
wie sind doch diese Bilder dünn und fliessend,
bald täuschender bald schwindend hin ins Wesenlose:
O, wenn sie gänzlich schwänden, wäre dann auf einmal da
das Ganze wirklich, der wahre Strom, die Brücke und das Haus
15 und ohne Furcht ging über Sicherem der Fuss?
Einleitung zum Helblingabend:
01 Dichtung ist Übermittlung einer Schau: die verborgene Realität wird dem Leser oder Hörer mitgeteilt. Da sie Schau und wiederholende Gestaltung der Realität ist, hat sie Existenz – einmal da – ganz unabhängig vom Dichter. Darum die Person des Dichters von durchaus zweitrangiger Bedeutung.
02 Diese Gedichte bedeuten nichts als sie selbst. Ihr Sinn soll in ihnen selber gesucht werden: Es gibt keinen Gegensatz von Form Inhalt, sodass etwa der Inhalt, die Bedeutung hinter der Aussage gesucht werden müsste. Der innere Sinn erscheint in der // 133 Gestalt, der Sprachgestalt des Gedichtes.
03 Es ist vielleicht nicht immer möglich, diese Verse mit einmal Hören ganz aufzunehmen, sie z. B. intellektuell zu realisieren. So muss ich wohl empfehlen, dass man versuche, sich ihnen einfach ganz arglos zu öffnen, das aufzunehmen, was eben eindringt; dieser Weg mag wohl weiter führen, als wenn man sich bemüht, in das Halbdunkel des nicht Einleuchtenden grübelnd vorzudringen. Die Gedichte, als Ganzheit empfangen, beleuchten sich gegenseitig, wenn nicht vollständig, so doch genügend, um ihre tiefste Absicht zu // 134 verraten.
Die Klarheit selber ist verderblich, wo die grosse Not sie herstellt als eine Wand, die Finsternis verdecken soll.
02 Hinter einer dünnen Wand bin ich: es schimmert durch ein Lichtes, das ich nur ahne, nimmermehr erkenne. Das ist meine Krankheit: das Nichterkennen dessen, das ich vorhanden und erkennbar weiss. O Gefängnis ohne Ausgang: Ausgang ins Wort ist da. Doch ist das Wort erlaubt, wenn es nicht Wort der Erkenntnis ist?
03 Ich gehe in einem kleinen Zimmer // 135 stets auf und ab, als ob es keine Tür gäbe, keine Treppe in den Garten hinaus und in ein grosses Land.
Wäre dieser Strom doch schon erhoben,
diese Tiefe schon bereut
wäre der Feind vorm Engelheer zerstoben
und das Leben aus dem Licht erneut
05 schwände Zwielicht von den Abendhängen
wäre jede Pflanze rein benannt
und in seinen unversehrten Fängen
trüg der Vogel weg uns aus dem Brand.
Die Muschel offen ausgeleert die Schätze des Meeres, die lichten Steine auf dem Strand gebreitet: da kommen die vergessnen Inselwohner, die vor Jahren von Schiffbrüchigen Gebornen, die nie noch sahen andres Reich, sie kommen zu den Schätzen des Tiefenreiches, das sind¿ die ersten ihnen; und Begierde fasst sie, dies zu schaun, dies Reich der Meerbewohner davon sie ihre Eltern glauben; und sie gehn hinaus in die Tiefe, und wenn auch ihr Atem schwindet, sie gehn vom Strande immer // 137 tiefer, von Ferne schimmern die Korallenballen, sie, die Kinder, zu empfangen.
Was ich jetzt tue, das sind alles Versuche, in jeder Hinsicht Versuche: sowohl im engern Sinn als poetische Unternehmungen, wie auch im weitern Sinne geistiger Aktivität überhaupt: es sind alles einzelne Elemente da, die ich allmählich sammle, die mir von mancher Seite her zukommen. // 138 Aber ich sehe sie noch nicht zusammen. Sie bilden wohl schon irgendwie eine Einheit, aber eine völlig spontane, vorgeistige. Es kommt darauf an, dass ich sie vereinige zu einem System, zu einer geistigen Welt. Erst auf dieser Grundlage kann meine Dichtung jene Eindeutigkeit und jenen Reichtum, jene vollkommene Durchbildung eines Ganzen in alle seine Aspekte und Glieder erreichen, die sie erreichen muss. Ich besitze vielleicht nummerierte¿ Blöcke, aber sie sind noch kein Gebäude. Ich muss einen Kosmos bilden, d. h. den erkannten gestalten, den seit immer seienden erkennen // 139 und im Kunstwerk bilden. Das ist die Sache geistiger Anstrengung, steter geistiger Wachheit, unablässiger Bemühung, eine unabsehbare, aber unbedingt notwendige Arbeit.
O all der Druck der ungeheuren Atmosphäre: es klammert sich der Mensch an das Gestirn, das rast ins All, das seinen alten Schutz, die Sicherung des Gleichgewichts verweigert. Fern sind und in die Tiefe irgendwo entschwunden die Schmerzen und des Menschenlebens Gefühle: innen brennt das Herz wie eine Kohle durch die Brust, // 140 nur Glut ist noch dem Gott entgegen, der auf den Wolken von weitem sichtbar in den Tod, ins Bergesbersten, in den Sturz der Brücken, in geifernden Emporquall tiefer Wasser und schmutziger Lava niederkommt.
O fürchterliche Glorie
Die Notwendigkeiten literarischer Äusserung sind verschieden: es gibt jene innerste, spontane, die einfach in die Finger drängt, die Gestalt sucht um jeden Preis. Es gibt auch die andere aus dem Bewusstsein // 141 unbedingter Verpflichtung unter gesammelter Anstrengung mit Beschwörung aller Kräfte auszusagen, den Stoff zu durchformen wie ein Handwerker seinen Stoff formt. Dichtung ist hier Kunsthandwerk, das freilich fragwürdig wird, wenn der Anteil des spontanen Elements darin unter ein notwendiges Minimum sinkt. So treffen hellenistische Vergleiche von Gedichten mit geschnittenen Gemmen durchaus zu; es bedarf das Gedicht wie die Gemme eines Bildes, eines Ursprungsbildes oder zumindest einer Ursprungsempfindung im Geiste des Künstlers, // 142 dann aber vor allem auch des Stoffes, daraus das Bild geschnitten wird, des Wissens und grossen technischen Könnens. Dazu sehr gut Curtius über T. S. Eliot.
Zu schlagen
an die ehernen Pforten,
bis springt geheimes Schloss
und dann am inneren Tor
05 umzudrehen das Schwert
in der Hand des bronzenen Reiters:
welche Lust,
wenn dann plötzlich
tönt Musik
10 wie von den Wachen des Sultans,
wenn sich die Pferde // 143
drehn um den Platz
und aus dem Innern
ziehen heraus
15 bunte Scharen,
schöne Puppen
mit Seide staffiert,
gelben und roten und grünen Turbanen,
auf dem weissen Elefanten
20 aber hoch auf dem Elefanten
reitet das Kind
wie lebendig aus Wachs,
mit dem goldnen Putz
und die Händchen bewegend im Takt.
25 Eine Spieluhr die ganze Stadt,
und alle Säulen
mit den goldenen Wächtern
singend.
Alles bewegt // 144
30 durch den Schlag auf das Schloss
durch das Drehen des Schwertes:
tote Spieluhr ist diese Stadt
und einsam
lachend der Wandrer.
Das Kind allein ist es, das
leben könnte,
so sprach der Karawanenführer
zu den Gefährten und lud
05 sie mit der Hand herein in
die Messingstadt,
die glänzte mitten in der roten Wüste:
wie der Saal sich auftat,
Zauberraum inmitten all der Spielfiguren, // 145
10 all des Gesangs
und Tanzes mit den künstlichen Gliedern,
wie er sich auftat
lag das Kind auf hohem Bett
und zwei Wächter davor mit den Keulen:
15 vergreift euch nicht, sprach der Karawanenführer,
es lebt allein, dies Kind allein,
das unerweckbar schlummert,
es lebt, wenn es erwachte, wärs der Tod.
Als einer aber vorsprang, ungedenk der Warnung,
20 zu greifen nach den
Juwelen, nach dem Schmuck der Kleider:
da schlug die Keule ihn von // 146
links, die Keule ihn von rechts:
Die Säulen schwiegen, der
25 Zug der bunten Puppen steht still
und zu schlagen die Tore: die Wandrer verwesen
verwesen sterbenden Leibes,
der Glanz der Metalle ist blass:
nur das Kind, geweckt, geht
30 durch die Strassen, vorbei
an den Leichen,
nur das Kind vorbei an den
Puppen,
lächelnd in Neugier
klatscht in die Händchen