Braunschweig 22.9.50
Zu den Gesprächen mit
Eberhard Zwirner:
01 Mit der Reformation kam
eine Bewegung ins Rollen, die wohl
nicht wieder zur Ruhe kommt und
sich immer b mehr beschleunigen
wird, als bis die Gestalt überhaupt
restlos aufgelöst wird ist, bis zum //
Triumph der reinen Innerlichkeit:
bis die Welt das Reich des Bösen ge-
worden ist und die Gegenwart
Gottes nur noch in bestimmten be-
grenzten Bezirken geglaubt und
erfahren wird.
02 Es gibt wenig Furchtbareres als
die Überhebung dieser Spiritualisten,
die sich allein Offenbarungsträger
glauben, in jeder Gestalt aber
den Antichrist vermuten. Der
grossen Menge der Unerleuchte-
ten brin¿ begegnen sie mit der
beleidigenden Liebe des Wissenden,
der ja auch weiss, dass selbst die
Torheit und Bosheit der grossen
Mehrzahl von Gott zum Guten gelenkt
wird.
03 Eigentümlich: diese Reduktion
des Christentums auf einen biblischen //
Glauben der Urgemeinde, dieses Aus-
splie spielen der Bibel gegen die
kirchliche Überlieferung, als ob wir
man nicht die Bibel von der Kirche
überliefert bekommen hätte, als
ob es ohne Kirche überhaupt
noch eine Bibel gäbe. Soll mir das
Christentum über noch etwas bedeuten,
so kann ich doch darunter nur
dieen in der Kirche überlieferten
Glauben und die in der Kirche
überf überlieferten sakramentalen Ge-
heimnisse verstehen. Lehne ich diese
lebende Autorität ab, so sehe
ich nicht ein, woru¿ warum ich aus
dem ganzen Schatz ihrer nur
ein Stück, die Bibel nämlich, be-
halten soll. Im Augenblick, wo
ich willens bin, mich von jeder
sichtbaren Autorität zu abstrahieren, //
kann ich auch von der Bibel abstra-
hieren und mir eine eigene Welt
errichten und sie nach eigenem
Gutdünken ausstatten; es gibt
da genug Mobiliar in den religiösen
und philosophischen Überlieferungen
aller Erdteile, die, dem
aller Erdteile, die , vom auto-
nomen Individuum aus gesehen,
genau so viel hochwertig und leuchtend
erscheinen können wie die christli-
che, in die gerade wir nun hin-
eingeboren sind.
04 Aber auf diesem Wege kommt man
nirgends hin: der christliche Glaube
kann, wenn überhaupt, nur so mich
verpflichten, wenn ich ihn von der
Kirche, in der der Herr der, der mensch-
gewordene Gott, weiterlebt und
und in den Sakramenten wirkt,
gehorsam annehme. Andernfalls, //
als blosser Buchglaube, ist er eine
Lehre, die nirgends Gestalt gewinnt,
beziehungslos im über dem Bereich
desm Menschlichen schwebt und nur
den verpflichtet, der ihn sich intellek-
tuell aneignet. Es handelt sich
dann nur noch darum, welches Buch
mehr mir am meisten Eindruck
machtwenn
macht, ob ich Christ, Buddhist, Mo-
hammedaner oder Konfuzianer werde.