Inhalt: Aufsätze, Essays, Tagebuchnotate, 7 Gedichte (3 Endfassungen)
Datierung: 26.10.1965 – 10.9.1980
Textträger: Braunes Notizbuch, Bleistift und schwarze Tinte
Publikation: unpubliziert
Signatur: A-4-a/06 (Schachtel 18)
Spätere Stufen: Manuskripte 1964-65, Typoskripte 1965
Kommentar: Beschreibung
Wiedergabe: Edierte Texte der Gedichte
Auf der Fahrt durch die
unterirdischen Hallen stösst
das Ruder immer wieder an eine Säule,
sodass das Boot
05 zittert, als ob
der Palast einstürzen, als ob er
den verborgenen Wasserbehälter
zuschütten wollte. Dabei
wäre es besser, hier
10 anzulegen und das Auge an die
kleine Linse zu drücken:
Sie zeigt den Alten, der oben im verdunkelten Zimmer
sitzt und murmelt, während die Kette ihm langsam // 004
Perle für Perle durch die Finger
15 gleitet und wegrutscht.
Verstohlen
spähten wir dann durch den Türspalt und sahen
das Meerwunder zwischen den Booten
schwimmen und mit dem Spielzeug Dreizack das Wasser
05 ein wenig bewegen. Doch wenn wir den Fuss
nachschöben, schlüge die Türe
zu: Wir sollen // 006
nicht zum Wasser hinunter, das der Dreizack auf einmal
hochrührt, sodass die Boote
10 kentern, und der Gischt an die Berge
hinaufspritzt. Wir sollen
das geschwollene Monstrum nicht schauen
und ahnungslos an der verschlossnen
Tür mit der Erinnerung bleiben.
Des Kentauren Hufe
werfen im Lauf den Sand auf. Eben
erreicht er den Strand noch,
sodass sein Speer das Boot
05 trifft: Wenn er auch von der Wand
abprallt. Aber vielleicht
ists auch ein Walfisch. Wie soll ichs
auf der Gemme in der Dämmerung
von blossem Auge erkennen? Fenster
10 öffnen sich überallhin. Wir schauen
hindurch, es gibt
keinen andren Zugang.
Es sei denn die Nacht, wenn die Gemme // 008
vom Tisch fällt und in der Finsternis nur
15 dem Gedächtnis zurückbleibt.
Strassenbahnwagen und Autos und
Kaffeehausstühle, alles Kadaver
kleben an der dunstigen Scheibe,
stecken, gestrandet, im Eis, das
05 immer dicker, alles einschliesst. Wenn jetzt die
Lötlampe Föhn kommt und die Wand schmilzt, dann fallen
Strassenbahnwagen und Autos und
Kaffeehausstühle hinaus und
treiben frei durch den Himmel Ich sehe
10 genau auch die kleinsten gelben // 010
Blätter am Baum über der Strasse,
ich laufe zwischen all dem Treibgut
durch das himmlische Meer, und wenn ich
mit dem Fuss an die mächtige
15 Walwolke stosse, so sinkt sie, so weicht sie
langsam und schwankend ins Blaue.
Was für ein Ding ist das,
das in die Tiefe
sank und liegen blieb auf dem
Meergrund, wo die Gezeiten,
05 die Bewegung des Wassers
es ganz
glättete, abschliff, sodass es
keiner mehr, der es, tauchend,
fände und sähe, löste
10 aus dem Geschling und Getier,
erkännte, dass auch, der es höbe,
nie mehr erkännte,
was für ein Ding da sank
und liegen blieb in der Tiefe.
Geheimnisse gehen,
ohne
sich zu verletzen, auf seidenen
Füssen über Geröll,
05 sie kommen jenseits im seichten
Wasser an und spritzen,
wenn sie sich den
Wasservögeln endlich eröffnen.
in einem alten deutschen Ton für James Smithgall
Über wasserlosen Schluchten
zittert nicht ein Falter mehr,
aus den sandverschlammten Buchten
floh verschreckt das grosse Meer.
05 Das Gestrüpp, von Vipern trächtig,
wuchert übern Wegesrand:
Droht dem Wanderer, der nächtig
dringt ins unbeseelte Land.
Eitel in Geröll und Trümmern // 014
10 wo sich nur der Eiswind rührt,
mag er bangen und sich kümmern:
Ob er alles auch durchspürt;
ob er spähte und sich bückte
an der schroff verschlossnen Wand, // 015
15 keine Stiege, die ihn rückte
aus dem unbeseelten Land.
Mag ihm Gott den Engel senden,
der ihm das Geheimnis nennt,
und, die Flöte in den Händen,
20 die hellauf von Tönen brennt,
der, voran durch Felsen Zinnen,
wo er Pfad und Stufen fand: // 016
steigt, den Himmel zu gewinnen,
aus dem neu beseelten Land.
25 Totes Tal zum Leben zündet,
kaum dass er den Klang gesetzt,
jäh der Schlucht Erlösung kündet,
wenn er sie mit Blüten letzt.
Was sich in den alten Gedichten, deren letzte ich vor 16 Jahren veröffentlichte, allmählich an Weltstoff angesammelt hatte, sodass sie schliesslich daran erstickten, das ist hier alles wieder abgeräumt. Nichts mehr von dem ganzen Zivilisationsmobiliar, und nichts mehr auch von der Historie. Nur noch die paar Bilder, die seit [jeher] alters in mir lagen und jetzt in diesem poetischen Sommer, nach der glücklichen Vollendung einer grossen und schweren Arbeit wieder heraufdrangen als Musik. Und auch das ganze kunstvolle // grammatikalische Skelett der alten Gedichte ist nicht mehr da – eigentlich nur Grundformen, kaum je Abwandlungen. Eine Musik der einfachen Worte, der schwebenden Assoziationen.
Umschlagtext zu den „Reduktionen“: Diese Gedichte sind Reduktionen, sie halten von den Gegenständen der Welt, die dem Autor jeweils begegneten, nur den entscheidenden Eindruck fest, die Vision, den Klang einer Begegnung, die ihn wie ein Blitz traf. Mythos, Geschichte, Natur sind zurückgeführt auf ein paar Grundfiguren. Konzentriert und allen Beiwerks entledigt, sind sie zuweilen in ihrer Knappheit Rätselsprüchen ähnlich.