Inhalt: Notizen, 47 Entwürfe zu 39 Gedichten (5 Endfassungen)
Datierung: 5.3.1949 – 7.12.1949
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 130 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (6 Gedichte)
Signatur: C-2-b/02 (Schachtel 79)
Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50
Kommentar: 14 Texte rhythmische Prosa, 24 reine Prosanotate und Briefentwürfe
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (19 private Prosanotate nicht erschlossen)
Öde sind öde die Ränder der Stadt, die Bannmeile mit den kleinen Häusern, die Baracken und die blinden Wände mit bunten Plakaten. Aber leicht senken sich die Strassen, die Gassen, die schmutzigen Steige nach innen. Die Glocken klingen von den fernen Türmen der Mitte. Wenn ich ganz steige hinauf, auf jenes hässlichen Hauses Dach, die brüchige Stiege empor, vorbei an den vielen engen Kammern der Armen: dann darin seh’ ich die strahlende Kuppel, weiss, mit dem goldenen Schutzbild schwebend über der Laterne.
Am Rand der Stadt die ärmliche Wohnung, Baracken der Armen, Kinder schmutzig spielend in der Strassenrinne. Doch die Strassen alle nach der Mitte gesenkt, nach dort, woher kommt der Klang von den Türmen und die Winde der Gärten am Fluss: ja, wenn ich steige hinauf die vielen Treppen, steile und verfallne zum Teil, die Treppen steige hinauf dieses schmutzigsten Hauses voller enger Kammern der Bettler: leuchtet auf dem Dach und zwischen zum Trocknen gehängter Wäsche herüber die weisse Kuppel, Insel des Himmels, und von der Laterne das goldene Schutzbild der Mutter.
Reine Wälder
Weissagung bargt ihr seit alters
das gültige Schutzbild // 005
in euren Grotten verborgen.
05 Die lange suchen finden es nicht
die Söhne des Prunkes,
die mit dem Schmucke der Väter
der mahnend verschiednen
frevlerisch gehen:
10 Sie sehn nur äussere Blendung
Die Kinder sind es der zugewanderten Pächter
beim Sammeln von Reisig und Laub
von süssen Beeren:
hören sie den Ruf des fremden Vogels
15 Woher dieser Ton im vertrauten Geäst?
und folgen dem weisenden Tier
dem Lauf des Bachs empor.
Weh vor unsäglicher Lust
in der heimlichen Höhle
20 wird ihnen die heilige Schau:
weil sie nur ihnen erlaubt.
Und Liebe reisst sie hinab
des Gesichtes gesandte Propheten.
Reines, stilles
letztes Gedächtnis:
aufsteigenden Turmes
ungestillte Empörung
05 wider Beharrung
wider das träge Bleiben im Erbteil.
Denn er ist gross
und lädt ein zum Genusse.
Aber die Firste rings
10 stehen in Flammen schon
der zischende Sturz der Gebälke
spiegelt wider in den Wässern des Landes
leuchtet rot durch die Büsche,
wo die Liebenden noch sich verbergen.
15 Sie als Einzige entkamen
in die flammendere Mitte
und achten nicht des Untergangs
der Stätten der Kindheit:
weit führen die Wege // 007
20 in die blühende Heide
in den Duft des herben Frühlings.
Sie tragen die Ikonen der Väter
unter Gewändern verborgen
auf der Flucht von Rast hinweg zu Rast
25 verstecken sie in dürrem Geäst
in der morschen Höhlung des Baumes,
wo die glänzende Eidechse
tröstlich wohnt.
Das ist das grosse das glückliche Dasein unter dem tönenden Himmel der ewigen Vorzeit. Ewig? Ist sie bewahrt trotz allen Stürzen des Aions? Gegenwärtig noch immer in der Stunde zwischen Schlafen und Wachen, im seligen Wachtraum, wo schon des Tages Frage bedrängt. Aber schön, schön ist dann noch das Delta, die grüne Steppe mit den windgebogenen Bäumen und dem Grabmal // 008 des alten Fürsten, der von ferne hierher kam, die heilige Erde zu schauen, wo die Götter wandeln mit Menschen. Denn die Trennung ist neu und brennt auf den Stirnen der Spätern. Sie aber pilgern hinab zu den Häfen des Glückes, wo die Schiffe aus Osten fahren beladen herein, stets hoch, voller Früchte von den zwei Strömen, voller Schätze aus dem Land der Brahmanen. Eine ist hier die Welt, fern ist ihr Trennung. So wollte der Fürst hier ruhn im Schatten der älteren Fürsten, der hoch wandelnden der Söhne der Sonne, die unbesieglich geht und das Ganze erleuchtet: hoch aus der Öffnung der Kuppel schwebt ihr Bote herab in Gestalt einer Taube, weiss, dem Innern verwandt und keinem der Menschen verborgen.
Leuchte, leuchte, über den Wassern entflammt und steigende Flut. Rauschen das übertönt den Gesang der Priester, der ganzen gläubigen Menge begeisterte Antwort: Kyrie eleison. Der Mond finster und die Sonne fahl wie in Verschleierung der Trauer. Woher denn dies Licht, diese ungeheure drohende Fackel im Zenith des Himmels? Die Gräber erbrochen und wandelnd die Toten. Aufschrei der vielen, Lauter: Kyrie eleison. Wenige gehn in den Hainen des Ufers und schaun. In ihrem Herzen die wahrere Deutung. Geduld zum neuen Äon der da herauf kommt. Tot sehn sie die Götter der Alten. Sie bleiben über die Wetterstürze hinweg<.> Trotz der Missgunst im Blicke des weihrauchstreuenden Priesters<,> trotz den Steinen, geschleudert von der hassenden Menge und dem Ruf: ihr seid schuld, dass uns der Gott schon vernichtet. // 010 Sie bergen das uralte Bild fern vom Ufer in unbetretenen Wäldern.
Finsternis und Baum und alles Dunkle hell
und über jenen Weg kommt schon der Jäger schnell
er liebt das Zwielicht wohl:
es ist den schönsten Tieren
05 ein rätselreich Gespinst
darin sie sich verwirren.
Es ist die frühe Zeit
da noch die Kohle glüht
und jenes Horn noch mild
10 dem Tage bläst Geleit
doch bald der Mittag tönt
uns zornig wild.
Zur Lage: Sämtliche Ausgänge scheinen versperrt. Mein Geld wird etwa in zwei Wochen zu Ende sein: Ob mir dann Tante Luise wieder etwas geben wird, oder vielleicht Tante Martha, ist unsicher. Und selbst wenn: mit der // 013 Universität bin ich innerlich völlig zerfallen, ich sehe nicht, wie ich die Ausarbeitung einer so umständlichen und langwierigen Diss wie es die meine ist, zustande bringen soll. Hätte ich, wie es klug gewesen wäre, eine leichtere Arbeit – etwa in der Art der Bonjour-Thesen – genommen, so könnte alles glatt ablaufen. Es hätte sich dann nur um eine kleine Disziplinübung gehandelt: ein halbes, höchstens ein Jahr durchzuhalten. Die Kägi-Arbeit aber, die ich übernahm, ist unübersehbar. Ich sehe nicht, wie grosse Ansprüche sie noch stellen wird und vor allem, wie lange – selbst wenn mir das Geld zur Verfügung stünde – es dauern würde, bis ich sie vollendet hätte. Sie verlangte auf jeden Fall, auf Jahre hinaus Ablenkung meiner zentralen Energie auf etwas mir gänzlich fern Liegendes // 014 (nicht dass der Stoff mir fern läge, aber die wissenschaftliche Methode, ihn zu bearbeiten), auf etwas, was mir täglich ferner rückt. Diese Leistung aber kostet mich mein ganzes Gleichgewicht, die mühsam genug errungene relative innere Harmonie. Unterdrückung meiner zentralen Produktivität auf längere Zeit macht mich gemütskrank. Ich verliere meine ganze Sicherheit, kann nicht mehr stehen: die Seekrankheit der Seele, mit ungeheurer Anstrengung überwunden, beginnt von neuem.
02 So sieht das Ganze von innen her aus. Aber: ohne akademisch regulären Abschluss ist es sehr schwer, eine irgend ihren Mann nährende Stellung zu finden. Die Gesellschaft verlangt unerbittlich das Examen. Und ohne Stellung zu sein, kann ich mir nicht leisten. Schon darum nicht, // 015 weil ich ein volles menschliches Leben führen will, darauf kann ich noch nicht, ja immer weniger resignieren: ich möchte eine Frau lieben und von ihr geliebt werden, ich möchte Kinder haben. Und das kann ich nur mit einem wenigstens kleinen Einkommen. Die Ehe ist für mich eine notwendige Lebensform, das Zentrum des Ausgleichs und der Behütung gegen die schroffen Angriffe der Welt, die Wehr, die hält, wenn das Individuum für sich allein ins Schleudern gerät. So wenigstens sehe ich das heute.
03 Die ganze Problematik reichlich verknotet. Ich sehe nicht, wie sich das alles lösen soll. Gleichwohl, trotz aller Bedrückung und allem Nichtwissen, ich zweifle nicht, dass ich mich durchsetze. Die Erfahrung lehrt mich dass ich am Ende stets // 016 stärker bin. Es gilt nur, auszuharren. Zu übereilen gibt es da nichts. Man kann sich nicht genug der Geduld befleissen.
10.4.49
Ihr seid grosse vergängliche Blumen und Bild des Daseins ohne Ende, ohne Ende des Daseins. Wie dies hallt in der riesigen Öde: es bleibt, das Göttliche bleibt. Und es ist immer noch Morgen. Noch tanzen die Jünglinge dort am Rande der Felsen<,> jauchzend im Feuer halten sie in Armen die Mädchen, die heraufgekommen aus den Wäldern: die wachsen stets in den Wäldern unten in den grünen Schluchten an den kalten Wassern geschmolzenen Schnees. Sie steigen herauf zu den Jünglingen an die hohe Lehne des Berges. Welch // 017 Jauchzen beim Empfang, bei der Ankunft der Botschaft des Lebens. Das ist das ewige Leben. Das bleibt. Glut der Blumen auf einmal wirklich glühend. Und die Bläue des Himmels öffnet ihre sinnenden Wimpern nach der Zukunft der Sterne. Tanz im Morgen an dem nochmals flackernden Feuer in der Röte des neuen Lichts. Die Jünglinge schwingen weit die Tänzerinnen hinaus über den Abgrund. Töchter des Abgrunds, jubelnd dem Lichte gesellt. Dem Morgen der endlich herabgezwungenen Woge neuer Bewegung. Herbei von den Jünglingen gelockt. O neues Leben, auf der Lehne am Berg über den Schluchten.
Feuer, wachsende Feuer an der Lehne des Berges. Tanz im Morgen, bei Sternen im Schwinden. Bleiches Licht vereinigt mit den Lohen des Festes. Klarheit der Frühe reinigt den Rausch der Jünglinge, die toben im Reigen. Aus den Schluchten gelockt steigen die Töchter herauf, die Mädchen der Tiefe von den kalten Bächen der Schlucht, den schneeigen Bächen. Jauchzen der Ankunft, Rausch des Empfangs, Steigen des Festweins in aller Glieder: es schwingen die Söhne des Gebirgs die Mädchen hinaus über den Abgrund, halten sie hoch hinaus mit den Armen über den Grund, daraus sie gekommen. Und schon ist kühles Silber überall hin, reine Klarheit des Morgens, erflehtes Leuchten des neuen reineren Morgens
Das sind die Einzigen,
die Träume des Wandels
des grünen Flusses
unsterbliche Nymphen
05 Töchter der Tiefe
o rein noch Geschautes
des inneren Lichtraums
der gläsernen Kugel
mitten in der
10 faulenden Frucht
noch stets das heilige Haus
jenseit der Winde
jenseit der Sterne
in der heiligen Sphäre
15 wo unendlich dauern Gestalten.
Es harrt dort noch
auf goldenem Bette
das Lamm
auf ungeöffnetem Buch.
20 O Siegel der Wahrheit // 020
nie noch erbrochen.
Wo geht der Weg
entlang den Flüssen
hinauf zu den Quellen:
25 Kristallenes Haus.
Und nicht ist der Raum
unsrer Gewöhnung;
denn das Tiefste
Tiefste in Wassern
30 ist jenseits der Sterne.
Beim ruhenden Lamm
den Dauer Gestalten.
Wer hätte die Wandlung
notwendig begriffen
35 begriffen Entblättrung des Baumes:
denn nur das Reinste
kann bleiben,
das Makellose allein
dringt ein in die gläserne Kugel // 021
40 dringt in das heilige Haus
der Gestalten
in den Wassern zutiefst
der Töchter der Tiefe
in den Lichtraum
45 jenseits der Winde
jenseits der Sterne.
Reinigt von Eppicht
reinigt von Efeu
ganz die Ruinen:
50 sie sind dem Gotte
entrückt und verpflichtet
und auf dem Wege
ins heilige Wasser
in kristallene Kugel
55 weit schon verwandelt.
Städte uns Wirren
träumend verhüllten
zum voraus bereitet // 022
als endliche Wohnung
60 zum voraus bereitet
im einzigen Lichte.
Schnelle Wasser, schnelle Regung. Zug der Tiefe. Grüner Zauber. Wogen ist und weiter Schimmer. Tag des Aufgangs, Tag der Funken. Gluten in Grotten. Und es gehn die wechselnden Schatten. Fliehn nach dem Traumbild. Morgen-Erscheinung. Schon ist die Nacht, schon Schimmer verloren:
Morgen ist rot
glüht die Erwartung
Berge empört
05 wider das Zaudern der Dämmrung
rufen dem Licht.
Alles will Mittag.
Wo aus den Flächen
tritt die Gestalt. // 023
10 die Tanzenden werfen die Hüllen
im Feste des Daseins:
Durst sichtbar zu sein
genau sichtbar und ohne Zweifel
Bäume im März
15 in den ersten warmen Tagen
doch noch kahl
und ohne Verwischung
oder dann anders im hohen Sommer:
in der Fülle gerundet des Laubs.
20 Reife Klarheit der vollkommnen Rundung.
Kronen der alten Kastanien.
Wirbel, Wirbel der frühen Stunden
des Märzen, Aprils
endlich geklärt:
25 ruhiger Fluss
(wie schon einmal klar und eisig im Winter )
jetzt mit der Fülle der Wasser
hochrauschend und gross // 024
besonnenen Gangs.
30 Diese Kugel ist anders
des Lebendigen ist die Menge darin:
Fische und Vögel und in Wäldern die Tiere,
Elefanten in grossen Herden
still ziehn sie durch das Gebüsch
35 den Wassern zu,
der grünen Kühlung
des heiligen Waldes
Und nah überall
die Liebenden stets:
40 Bilder des Alls ohne Makel.
Nach den Stürzen
bleibt der Gott noch in ihnen.
Sie sind der Gott.
Und das Reine
45 glänzt über ihnen
die vollkommene Kuppel
des Daseins
unverletzte Rundung. // 025
Lange ersehnt
50 lange erharrt
ist wieder da
der rauschende Kommer
in den Locken die Reben
und in Händen
55 den Leben lösenden Stab:
auf den Bergen die Feuer
unsterblicher Feste.
Höhe reicht der Höhe
die neue Freude
60 Hier ist der Raum der Versöhnung
Und der Hader bleibt tief
den Bächen der Schluchten:
von überall her
ziehn die Wunden herauf
65 die in Kämpfen Zerschlagnen.
Heilender Tanz
der sie erneut
gesund ist die Höhe
gesund ist der Wein
Das Haus ist fremd
hinter geschlossenen Türen
wird das Eine entschieden
hier ist nichts not.
05 Rote Bäume
hinter grünen Bächen
die Büsche des Lebens
der wallende Flieder
Brunnen, Brunnen
10 doch sie und alles entführend
fern lenkend von den geschlossenen Türen.
Hinter ihnen wird das Eine entschieden.
Dies alles aber ist fremd und nur
Vielfalt der Lockung
15 Lockung des Rausches.
Der gehissten Segel (der gelichteten Anker)
und Sang der Matrosen:
die sich täuschen.
Über dem Meer suchen sie // 027
20 auf Palmeninseln
was sich lange entschied
in dem fremden verschlossenen Haus.
Es zu öffnen, das ist, was lohnt.
Einzudringen in die geheime Sitzung
25 neidischer Götter.
Sie zu stürzen durch höhere Klarheit.
Hinaufzugehn auf die
höchste Terrasse:
wo offen liegen
30 die letzten Falten des Landes
und sichtbar
die ferne Stadt.
Sie zu sehn
die so nahe
35 und nie noch erreicht.
Denn sie war es nicht,
die man erfocht
nach langer Fahrt durch feindliches Land
in syrischem Sommer. // 028
40 Sie war es nicht, sie war es nicht
deren Gold man entführte
und deren Mädchen genoss.
Dort noch ist sie, klar, klar
und nur der härteste Geist
45 der schneidendste
durchsticht ihre Mauer.
Väter gehn
und heilige Söhne
durch die Öde
die ist ohne Wasser ohne Tier:
05 und reichen sich – einer dem andern –
Vermächtnis des Lebens:
abgeschieden zu sein
stets im Einen zu weilen
langsam zu brennen im
10 unmerklichen Licht
lange Tage hindurch // 029
lange Sommer
der Verlassenheit
der grausamen Verlassenheit,
15 nur zuweilen gelabt
wie von einer plötzlichen Quelle
unter seltener Palme entsprungen,
nur zuweilen gelabt
von einem einzigen Nu
20 einem Augenblick
der Einheit mit Gott
der flammenden Schmelzung des Eignen
in dies Grenzenlose
das immer nahe gewusst wird
25 und nimmer nahe gefühlt.
O Labsal, Labsal
der Quelle
entsprungen zu Mitten der Nacht
dem der fastet und harrt
30 und flieht den Schlaf // 030
weil er nicht will
betroffen als Feigling
vorüber lassen den Herrn
der kommt und geht wann es ihn gut dünkt
35 Weil er fürchtet den Morgen,
wo in ödester Öde
ihn erschlüge das Wissen:
er war da und ich hab' ihn verfehlt.
So besteigt er denn
40 allnächtlich die Säule
hoch schauende über die Dünen:
hier muss er wachen
sie straft kleinste Minute des Schlafes
mit ewigem Tod.
45 Er aber kniet und breitet die Arme
und wartet der Stunde
– vergeblich zumeist –
der seltenen Stunde
die einmal kommt des Jahres // 031
50 oder zweimal:
da ihn die Flamme zerreisst,
da er sich eins weiss
mit dem Geliebten
zum unsäglichen Leben getötet.
55 Was sind gegen solche Minute
Jahrzehnte der Mühsal:
Im Ursprung zu sein allein
ist Leben.
Trümmer sind hier
über die Halde
des Tempelberges
verstreut
05 von Büschen verwuchert:
hier noch war die Quellengrotte
der Göttin dunkle Zelle.
Weit kam sie her // 032
über Meere
10 und sieht hier den Sturz
der jüngeren Götter.
Sie bleibt wie sie war
gegenwärtig im wuchernden Frühjahr:
täglich zieht
15 der Hirt mit den Schafen herauf
und schläft auf der
unverletzten Schwelle.
Die Tiere zutraulich
geschmiegt an die uralte Brust
20 lecken von tropfenden Zitzen
freudig sich Kühlung.
Die Berge sind in Lichtern und in Farben
erstorben bald: das Tiefste wird Gesicht
aus Wolken schauend, spiegelt sich in Seen
in Höhlen aber dem Flüchtling vorm Mittagsstrahl // 033
05 erscheint unerwartet das ewig verborgene Bildnis
wenn er zum Schlafe bereit sich endlich verlässt
Die Berge sind aus Lichtern und aus Farben
erstorben bald: das Tiefste wird Gesicht
aus Wolken schauend, spiegelnd sich in Seen
Den Flüchtling aber in Höhlen vorm Mittagsstrahl
05 wenn er zum Schlaf(e) bereit sich endlich verlassen
verzückt auf einmal das ewig verborgene Bild
Das ist die Nahrung die uns immer nährt
das ist der Traum den keiner müd wird auszuträumen:
die immer gleiche Stille aller Sommer, // 034
die Ströme tief und ohne Arges klar.
05 Wo ist es das hinweg uns droht zu reissen,
in diesen neuen Gang des übergrossen Seins?
Wo ist der Mut, der uns zu gehn berechtigt
den Ruf zu hören aus der neuen Welt?
Nicht ist es Leben mehr, was ihr bis heute lebtet,
10 ein andres heissen fortan Zeugung und Geburt.
Die Lust der ersten Welt lag lange schon im Sterben
und lang verflackert schon die Qual der ersten Welt.
Wie ist Gestalt der neuen Stunde klarer
ihr Frühling blüht vom Geiste rein befohlen,
15 die Blumen sind des neuen Gottes Kinder
die Bäume sind und stehen winterlos.
Der grüne Strom, er war schon lang geahnt // 035
von eurer Ahnen reinerem Geist:
smaragdengleich wird er euch ewig ziehen
20 im gleichen Gang fern von der Ebbe Drohung
und fern vom Überfluss der Schmelze.
Die neue Zeit wird sein, bedarf nicht mehr des Werdens
ihr werdet anschaun und stets neu gestalten
aus Glas die Vögel formen und aus Erde Tiere
25 und euer Hauch wird allem Leben sein und Kraft.
Die Macht wird euch endgültig zugeeignet
des ersten Gotts, die euch am ersten Tag
die Schlange den Kindern allzu früh versprach.
Nah sind die Götter die im Stillen kämpfen
in unsern Schlaf droht schon ihr weh Geklirre. // 036
Dass sie an unsern reinen Stunden zehren
dies ist's allein worob wir sie zu schelten
05 worob wir sie zu hassen wagen:
Denn reine Stunden sind uns Sündern selten
da wir im Reich der Liebe gehn und uns Umarmung
an jedem Kreuzweg glänzt. <Das liess sich dort verbannen,
was euer Höchstes ist und euren Adel macht?
10 In jenem nächtens nur betretnen Tal
lässt ihr was euch dem Anfang ähnlich macht?
Ihr seid die Sklaven eines untern Gottes,
des höchsten Söhne ihr> Erinnre nicht
uns an den trauervollen Abstieg, den zu gehen // 037
15 der Vater aus dem Licht zu gehn uns zwang.
Wir waren Kinder und doch schon Befleckte
eh wir es wussten war das Glück verscherzt.
War unser Heimatrecht im Einen nichtig
in bunte Vielfalt uns der Spruch verwies.
20 <Wollt Wendung ihr nicht fliehn da euch der Tod
entzückte? Das Reine ist doch glimmend noch in euch.
Und wenn ihr anfacht dieses Geistes Funken
so öffnet sich am dunklen Ort das Tor
wo ihr es nimmermehr vermutet, die Pforte
25 auf geht sie plötzlich in das grosse Licht.>
Nah sind die Mächte die im Stillen kämpfen
nah sind sie uns noch in der Nacht. // 038
Wie trügerisch ist doch der Friede, da des Tages
wir gehn in Ketten dieses untern Gottes.
05 Dass es ihm also möglich war uns Lichtere zu fesseln
in seine Dunkelheit! Es schüttelt euch
der fremdeste der Schmerzen, wenn ihr des Nachts
kehrt auf geheimem Weg in jenes Tal zurück,
wo an der Kreuzung noch die Liebe wartet
10 noch die Erinnerung an euren ersten Tag
Mahne nicht uns an jenen toten Tag,
nicht uns an das verlorne Reich. Es ist uns
lang im jähen Tag begraben. Die
Sonne stahl was uns die Nacht gewährt.
15 Das was ihr Tag nennt ist noch tiefste Nacht.
Die wahre Leuchte trägt ihr schon mit euch. // 039
Ihr werdet heute noch das Wahre bilden
und jenes Gottes Thron wird stürzen eure Hand.
Die mächtigere Kraft ist euch seit je versprochen.
20 Heut ist der Tag, da ihr sie kühn ergreift.
Wie liesse sich nicht schärfer stets erkennen
der helle Raum der [der] durch die Wirrnis stösst:
der Wolken Teilung schenkt das erste Leuchten
der Nebel Schwinden schenkt den neuen Glanz
05 Und Sterne sind und Monde überwunden
von diesem grossen niegekannten Stern.
Vollkommen ist die Ruhe in dem Wirbel // 040
des überschnell sich drehenden Gestirns.
O endlich ist gefunden in der Hitze
10 die sanfte Kühlung immer schon ersehnt.
Die wandelten in Wechsellicht und Schatten
sie sind im Mittag gänzlich abgeschieden.
Sie schauen Licht und wandeln sich in Licht,
unmerkbar wandelt sich ihr innerst Wesen.
Es ist der Tag der Abend schon verflossen
des ungeheuren Rauschs der uns umfing.
Gedenkst du noch der Lichter in den Hainen
der Boote in dem schnell bewegten Strom,
05 es ging dies alles mit der Kugel Drehung // 041
da uns entschwand das Glänzen dieser Seite
und eine dunklere vor unsre Augen trat.
Nicht ist's an uns zu klagen dass das Ganze
wir leben müssen statt des schönern Teiles:
10 wie würde die Gestalt die wir verehren
wie würde aus dem Vielen denn der Gott
wenn uns zu leben ganz es nicht gelänge
wie könnten wir im Ganzen jemals ruhn?
Schon ist der Morgen der die Stolzen triebe
doch ist die Nacht noch stärker die sie hält // 042
sie träten in die aufgebrochne Welt
im Drohn und Stöhnen ihrer ersten Liebe.
05 So bleiben sie geschmiegt in dunkler Schale
geklammert an die Brust die sie ernährt
die fort und fort den Wiegerausch gewährt
bis heller wird und silberhell das fahle
Geleuchte überm ewigen Mutterhaupt:
10 dann brechen jäh hinauf die jungen Söhne,
es bebt die Welt: ob sie sich schnell gewöhne
an Geistersturm den sie in Schlaf geglaubt?
Dort ist und hier
über Plätze verstreut
der Wille zum Meer // 043
der Wille zum einen
05 im vielen verstreut
ob er sich löse
vom Locken der Plätze
vom Locken der Weite
die dorthin verfliesst
10 und hierhin:
Horizont ohne Grenze
Horizont ohne Berge.
Es gibt nicht mehr Berge
Nur Läuten kommt herein aus dem Meer
15 dass es gibt Meer
jenseits dieses Streifens – kaum sichtbar
dass es gibt das Eine
zeigt allein dies Läuten.
Löst die Schiffe
20 löst die schwarzen Gondeln
zur Heimfahrt ins Meer // 044
zur Fahrt nach der Insel
mitten im Meer
wo läutet der Turm überm Friedhof
25 und rings in den Hallen
im herben Duft unsterblicher Sträucher
die Abgeschiedenen wandeln
bedenkend das Geheimnis der Heimkehr.
Wehe Dehnung dieses Überganges
übern Absturz schwankt die Brücke lang.
Reich ist wohl die bunte Karawane
mit den Purpurtüchern perlenreich behängt
05 und der Kräuter kommt der heilenden die Fülle.
auch die Früchte alle saftig und erquickend.
Doch stets noch geht der Zug auf schwanker Brücke // 045
auf weher Dehnung dieses Übergangs.
Es bleibt Gefahr, dass er die freudig bangend
10 die jenseits lang schon warten nie erreicht.
Wehe Dehnung dieses Überganges
übern Absturz schwankt die Brücke lang.
Reich sind wohl der bunten Karawane
Purpurtroddeln mit den Perlgehängen
05 in den Kräutern kommt der Heilung Fülle
Saft der Früchte will den Durstigen letzen.
Doch solang der Zug auf schwanker Brücke
geht, auf dieser wehen Brücke Dehnung,
bleibt Gefahr dass er die freudig bangend
10 jenseits lang schon warten nie erreicht.
Fällt der Abend schwer in diese stete Stille
fällt der Traum in lichterlose Nacht
wachsen ganz zutiefst schon Leuchtesträucher
flattert ganz zutiefst der Leuchtevogel auf
05 Leuchtevogel auf dem glimmenden Gezweige
singt und wirft sein Lied in stete Stille
Liedes Wachheit tief in Traum und Nacht.
Ist das Erste nicht, was wir verwunden,
ist das zweite nicht, das uns gebricht,
hat ein Gott uns heiliger entbunden,
gab ein Gott uns strahlenderes Licht. // 047
05 Gingen wir bislang auf Düsterwegen
diese letzte Wendung war uns gut
da ein neues Licht uns gross entgegen
scheinend uns in diese Helle lud.
Schluchten sind wir, Ängstliche, entrungen,
10 Klippen die uns überdrohten kalt
Fels bewehrte Schattenniederungen
sind nicht mehr vor dieser Lichtgewalt.
Die Wege sind aus Bachesniederungen
hinangebäumt den buschigen Bergeshang
wo Echse und, die Farben feurig wechselnd,
der Käfer eilt im grün gebannten Licht.
05 Da wehen wohl aus Gartenblust herüber
der gelbe Staub und selbst der Schmetterling
Fremdlinge bunte in die Sinnesstille
die rein den Wanderer auf den Berg umschweigt.
Er will das andere nicht das ihn verwirre
10 steht er doch lang an Städte netzendem Wasser
und auf den Strassen welche Vielgestalt
der Güter führen in die Weiten. So erblickt
sein fest gezieltes Auge nicht den Falter
und nicht den goldnen Staub, ja selbst den Käfer // 049
15 die Echse, der Sinnesstille Hüter, grüsst er kaum.
dem schattenlosen Gipfel eilt er zu
wo kein Strauch mehr klare Sicht beengt.
Und das Getier bleibt flüchtig unterm Felsen.
Scharf ist der weisse Strahl
in fahler Niederung
der donnerhelle Fall
in vage Dämmerung
05 Es springen übern Damm
die Tiere neu herein:
das silberne Lamm
schwimmt durch den Wein.
So fährt in Berauschung
10 der Schläfer empor
den Sang seines Gottes
im sausenden Ohr: // 050
die neue Maschine
nächtlich erwacht
15 fertigt Platine
mineralische Pracht.
Alles geschärft
im gebannten Gebot.
Anfänglichen Gottes
20 Tempel sind tot.
Euch ist, euch ist
Schwebenden in den lauteren Räumen
alles wirklicher sichtbar
fern unerreichbar
05 (wie durch ein umgekehrtes Fernglas)
doch ganz sichtbar ohne jede Verwischung:
der Baum wie ein seltener Kristall
wie glänzende Kiesel die Häuser
und der Mensch wie ein Gott
10 ruhig wandelnd // 051
um seine Werke
er selber das höchste
das vollkommenste Werk.
Ihr kennt nicht die Träume
15 nicht die Schlangen im Abgrund
sie erscheinen nicht in dem Bild,
denn sie sind anderer Herkunft
und das wahre Dasein
das eigentliche Dasein
20 kennt nimmer das Finstre,
es sei denn die scharfen
Schatten des Mittags
wo die Müden ruhn
es sei denn die silbernen
25 Schatten des Mondlichts
wo die Liebenden sich umfangen.
Euch ist, euch ist
das Wirkliche sichtbar // 052
fern sichtbar
im vollkommenen Einen
30 das alles trägt
als Sonne in sich und
unsterbliches Urbild
sichtbar, was überall ist
und nur in jener Kugel
35 zum voraus ganz und vollendet.
Glücklich seid ihr,
Sehende Engel
Schwebende in lauteren Räumen.
Wer will denn noch Vollkommenes errichten
und Tempel bauen überm wirren Forst
der auf den Felsenschroffen jenes Bergs // 053
die letzte Höhe unersteigbar hält?
05 Die grösste Tat zu tun ist stets unmöglich.
Es seien uns die stillen Lichter Trost,
die übern Abgrund Schritte lenkend grüssen
Sie anzuschauen ist den Harrenden gut
und ist genug, bis jener Steg geschlagen
10 der mit den Äxten für den Baumschlag sie
und mit den Blöcken sie hinüber führt
zum lang geplanten höchsten Tempelbau.
Wer kann denn bauen schon Vollkommenes
und Tempel richten überm wirren Forst
der auf den Felsenschroffen jenes Berges
die letzte Höhe unersteigbar hält?
05 Solang die grosse Tat zu tun unmöglich
gewähren uns die stillen Lichter Trost // 054
die übern Absturz grüssen, Wandrern wehrend
Sie anzuschauen ist den Harrenden gut
und ist genug, bis jener Steg vertäut
10 der mit den Äxten für den Baumschlag endlich
und mit den vorbehaunen Quadern führt
zum eitel lang geplanten Gipfelbau.
Das Gegensatzpaar des Ethischen und Ästhetischen wird je länger je gegenstandsloser<.> Zeugt von Unfähigkeit, die Erscheinungen als ein Ganzes zu nehmen. Leute, die in jedem zweiten Satz mit den Begriffen Entscheidung, Wagnis, Sprung um sich werfen, sind zum vorneherein verdächtig: dass sie in einem wesentlichen Punkt // 055 unreif geblieben sind, sich stets selber bespiegeln müssen und für jede Handlung und jedes Verhalten eine Rechtfertigung vor sich selber suchen müssen. Statt, wie es doch natürlicher scheint, spontan aus innerem Antrieb zu leben und zu handeln. Statt von innen nach aussen leben sie von aussen nach innen. Es fehlt ihnen auch nur schon der Wille zur Freiheit und Grazie des Daseins, zu jener Sorglosigkeit, die den Menschen überhaupt doch erst adelt. Sie haben kein Vertrauen in sich selbst, in das göttliche Gesetz, das in ihnen wirkt. Sie leben in panischer Angst und steter Sorge (worauf sie so stolz sind) das Eigentliche zu verfehlen. Statt sich doch diesem Eigentlichen zu überlassen. // 056 Es ist ja in ihnen oder nirgends<.> Ist es Aufgabe des Menschen, seine Gebrochenheit und Zerrissenheit – das gibt es fraglos – zu überwinden und in neue Ganzheit zu wachsen, so ist es im Gegenteil ihre Bemühung, sich selber immer mehr zu zerfleischen, das Gebrochene immer wieder zu zerbrechen. Darin besteht für sie die Verantwortung, die ethische Existenz und wie immer sie das nennen.
02 Die Vermutung liegt nahe, dass den Ethischen wirkliche existenzielle Tiefe, wirkliche Berührbarkeit und Erschütterbarkeit fehlt; denn sonst würden sie längst nicht mehr leben. Sie spielen mit Gefahren, weil sie sie nicht kennen, an einem Abgrund, von dessen Vorhandensein // 057 sie keine Ahnung haben. Darum reden sie immer davon. Wer um die ungeheure Gefahr der Selbstzerfleischung, um die uns allen eingeborne Neigung zur mörderischen Selbstreflexion weiss, der wird immer wieder und immer mehr versuchen, hinaus- und hinaufzukommen über sich selber und sichtbare, objektive Gestalt zu setzen. Etwas, das nicht kommt und geht mit den Nöten und Ängsten des Individuums. Das Individuum ist soviel, als es mehr ist als bloss Individuum. Alles andere ist bloss Spielerei mit Seifenblasen, unentrinnbar in einem geschlossenen Kreis gefangen.
03 Es liesse sich überlegen, woher, historisch, dieser Zerrissenheitskult kommt: // 058 unmittelbar wohl vom Christentum, und hier verschärft ihn die Reformation ganz stark, das Prinzip der Reformation, ihre verhängnisvolle Innerlichkeitswut, vollendet und erneuert sich dann in Kierkegaard und all seinen Schülern und Varianten bis heute.
04 Die ganz grossen Epochen und die ganz grossen Geister waren aber alle „ästhetisch“ gerichtet. Das heisst, sie hielten letztlich die Harmonie des Ganzen für entscheidend. Und das Ethische figurierte für sie als ein Sonderfall des Ästhetischen, d.h. als Ausdruck des Vollkommenen in einem bestimmten Bereich. Über diesen Punkt waren sich Platon, Augustinus, Dante, Michelangelo und Goethe wohl // 059 einig. Dass unsere „Ethischen“ sie deswegen als oberflächlich und unverantwortlich verachten, dürfte sie kaum sehr anfechten. Denn es dürfte wohl nicht zweifelhaft sein, wer hier Mass gibt und wer gemessen wird.
30.5.49
Aber schon kommen herauf diese lichten Erbauer, die Herren der Tiefe, die Ampeln tragen aus dem Berge herauf, den schimmernden Schluchten. Sie tragen die Steine herbei, die unsichtbaren seit den Stürzen des Anfangs, die unsichtbaren seit der Sintflut, sie tragen sie herauf in dieser Nacht auf den Gipfel zum Bau des Tempels der Göttin, der klaren mit dem Schild und mit den weisheitstrahlenden Augen. Dort soll // 060 sie wohnen in der innersten Kammer, die aus den Steinen des Erdkerns gefügt, dort soll sie wohnen, die ganz geistige, deren Heimat über dem höchsten, feurigen Himmel. Heilig ist uns das Ganze, vollkommen, aus beiden Sphären geeint: Tempel sind nur auf den Gipfeln, dieser Gottheit, der geistigen, nur auf dem Gipfel, wo aus dem Haus der Titanen, ihrem uralten Gelass, stossen die Mauern als Klippen empor als ewige Berge empor durch die Äcker und Triften der Erde empor in den reinen Himmel der geistigen Mächte.
Manche Blume ist noch Glut, eh sie noch in diesem Tag erfror. Manches Feuer ist noch Flamme, eh es in diesem Mittag erstarrt: grosses Gestirn ohne jede Drehung.
02 Aber hier hier bricht das neue Herz auf, dies Gestirn der Liebe inmitten der unbewegten Massen, inmitten der Mauern aus Tod das glühende Herz, die blühende Blume. O purpurne Wunde, klaffend ins unerschlossene Innre, wo noch die Vulkane glühen Vulkane der Zeugung. Die bersten hervor Gluten des ewigen Lebens, Gluten der lebenspendenden Liebe.
Abend lau im Sommer, wo sich die Schönen gatten, die Schönen in den Gärten unter Düftebüschen, wo sie der Mond – der Hüter allen Rausches – freudig sieht: dies ist stets alles gleich. Und was denn kann sich ändern, solang die Schönen noch sich lieben in der Nacht? Und stets die Wege lang geht noch der wache Geist, der Seher aller gültigen Dinge: aus ihm gewinnen sie die Wohlgestalt, in ihm sind sie Musik; Musik die bleibt.
02 So ist der Gänger da, der Fremdling auf den Wegen, auf den Wegen der Jahrtausende, immer noch geht er und sieht die Schönen // 063 und das Gestirn, das sie beglückt: So sind die Schatten und das Licht bezeugen sich noch ihre Gegenwart, das stets das eine ist, wenn auch das andre blieb.
Dort türmt aus Weltentrümmern sich das Felsgebirge
und hält verwahrt den vollen Schein der Sonne.
Das Klare meidet diesen Grund
die blassen Blumen, die Vergängnis und
05 Verwelkung in den feuchten Sümpfen sinnen:
o wolln wir nicht noch heute fliehn von hier
und steigen über diese dunklen Klippen? // 064
Es harrt der Mittag derer, die ihn suchen
die tiefen Farben und die starken Düfte
10 sie wehn den Kömmlingen erheiternd ins Gesicht.
Da kommt der neue Wind das überlaute Leben
die Tage sind wie Finsternisse wirr verkommen
im Tand des müssigen Drehns des Hin- und wider Gehens.
Der letzte Weg den Weinberg hoch im Schatten der
05 Oliven gibt uns Kühlung, unverletzte Sicht
auf jenseits überbunter Gärten Wucherung am Ufer // 065
des Stroms mit unvergessnen Tempeln auf den Inseln.
Nichts zweifelhafter im Grunde als unsere Beziehung zum Göttlichen: es mag sein, dass wir uns im vollen Eingang wähnen, in der stets grösseren Annäherung an die Mitte, in zunehmender Verwesentlichung, dass unser Gefühl es so sagt, dass wir aber im Grunde gerade jetzt aus der Einheit fallen, dass uns der Gott verworfen hat und zu dieser Verwerfung die sicherste und grausamste Methode wählte: indem er uns Sicherheit gab, uns im Vertrauen in uns selber in unsere Möglichkeit wachsen liess. Darum sind die Zeiten des Glückes, des vermeinten Glückes, die Zeiten der Freiheit // 066 so gefährlich. Was wissen wir schon um unsern wahren Stand? Vielleicht waren es solche Empfindungen, solche Erlebnisse, die die Gnadenlehren Augustins, Luthers, usw. bestimmten. Was nützt uns höchste Wirksamkeit, drängende Produktivität, wenn der Glutkern in uns erlischt, wenn der Geist Gottes das Heiligtum verlässt?
02 Hier vielleicht eine Funktion des Trübsinns, der stets wiederkehrenden Melancholien des Lebens denkbar: sie rufen uns an den Ausgangspunkt zurück, sie zwingen uns zur Einsamkeit in uns selber, zur Überprüfung der wahren Lage. Jetzt, da wir ganz bloss sind von allem, was uns von aussen zukommt, von Gedanken und Bildern, die doch stets ein Sekundäres sind, jetzt, da wir ganz bloss sind, // 067 ist uns die Möglichkeit gegeben, dass wir unsere Nacktheit erkennen.
03 Wohl, es ist ein Spiel, das mit uns getrieben wird, wir erkennen seinen Sinn nicht, was aber nicht heisst, dass es keinen hat. Uns bleibt nichts, als fest auf beiden Füssen zu stehn und uns zu wehren, damit wir nicht untergehen. Und wenn wir die ganze Nacht gekämpft haben, kann es sein zwar, dass uns der Engel schlägt. Aber vielleicht segnet er uns auch. Weil wir taten, was wir konnten. Handeln können wir nur nach Mass der Erkenntnis. Oder ist verlangt, dass wir sehen, was wir nicht sehen? Das wäre möglich und furchtbar.
16.6.49
Ausgeworfenes Netz, ausgeworfen in die trübe See dieses Zwischenbereichs wo nicht Morgen ist und nicht Abend. Und nicht ein wirklicher Traum. Denn Träume sind farbig. Farbig, farbig sind Träume, Inseln mit Muscheln am Strand und mit farbigen Blumen. Doch dieser Traum ist trübe und ohne Gestalt. Das aber ist Tod. Traum ohne Gestalt ist Tod. Dort drüben erscheint, am Rande, auf der Kimme der See die Lanzenspitze der Göttin und bald ihr blinkender Helm:
02 Sie ist es, sie kommt, purpurn erblüht die Flut und in Vielfalt der Blumen die Insel. Aus dem Schatten treten hervor die anderen Götter ans Licht, die // 069 bisher verborgnen: Sie streifen den Schlaf von der Stirn und kommen und sind Freunde der Menschen, sie führen den Fischer ans Ufer und locken ins Netz ihm grüne und goldene Fische, die Früchte der schimmernden Tiefe. Licht, Licht entzünden sie überall, wo bisher Finsternis war, die trüben Höhlen des Dunkels sind nun Quellen des Lichts, das überall bricht aus den Tiefen: es gibt nur noch Sonne, alles ist einzige Sonne
Der dunkle Herr
bricht wild herauf,
er kennt die Furcht nicht
vor dem heiligen Licht.
05 Sein Gesetz ist dunkel // 070
und sehend ist nur
das Auge des Lichtes.
Er aber sieht nicht,
ihn treibt es
10 wie die Lava empor
dumpfen Willens.
Er will alles
unersättlich.
Und nicht weiss er
15 was da ist
was er zerschlägt
mit der Faust
was sein eherner
Schädel durchstösst:
20 plötzlich ragt sein Haupt
über die glückliche Insel:
die Tanzenden sehn
die arglosen Wohner
den Furchtbaren ragen
25 aus dem Abgrund hervor, // 071
sie schreien und fliehn
starrt doch grässlich
sein Auge.
Die Tiere verstecken sich
30 und verenden in Höhlen
die Blumen
sind grau und die Blätter
der Bäume rollen sich
bleich
35 unter dem tödlichen Schatten.
Wie trübe auf einmal das Land
von dem furchtbaren Haupt
überragt.
In schrecklicher Pest
40 wimmert hier noch ein Mensch
und dort einer
mitten unter starrenden Leichen der Freunde.
Bergung der Toten aus diesem Sturm an der lieblichen Küste; wie sie kommen: alle vom Fest und schaun diese schrecklichen Züge, furchtbar betroffen von dem, was niemals sie ahnten: hinter dem Meer, dort muss es Zerstörung geben und etwas wie Tod, das sie, Unsterbliche, nicht kennen. Herauf, von dunklen Riffen im Meer, aus unterseeischen Höhlen kommen wohl Leichen, kommen die toten Najaden, die schönen, ehmals schönen, nun blau erwürgten Nymphen. Wer hat sie furchtbar getötet, wer ihr schönes Dasein zerstört: hier liegen sie alle und mit ihnen der Wassermann, der grüne Herrscher mit dem Schlammbart, // 073 das Haupt von Schlinggewächsen umwunden: welche Trauer im gebrochenen Auge. Von draussen aber kommen schon die Schiffer herein und melden: dort treibt auf den Wellen, auf dem ruhigen, glatten, glänzenden Wasser, der grosse Gott selbst mit dem Dreispitz, ungeheurer Kadaver, schwarz, schwarz, von den Vögeln der See, den schreienden Vögeln. Schon Geruch der Verwesung in allen Häusern. Trauriger Mittag.
Wogen, wogen die Reinen herauf die sich in der Tiefe gehalten die klaren Götter der Meere, von welchem Beben vertrieben, von // 074 welcher Empörung? Was denn bleibt noch uns, noch uns in den oberen Ländern, wenn das Tiefste erbebt und die Säulen wanken der Welt. Der Getöteten Söhne sind wir, der Vertriebenen Kinder. Blüte und Frucht unsrer Gaue ist von ihrem Segen genährt, und dass sie uns duldeten hier an der oberen Sonne. Was denn was droht herauf für neue gefährliche Macht, die tobend bricht in die Paläste der Tiefe, in die reichen Felder der Nymphen? Wird sie der unseren schonen, unsrer getrübteren Würde, da sie die reine zerschlug, die Klare gebietender Götter?
Insel der Erwartung herauf geschwemmt aus Tiefe des Klanges, Tiefe der tönenden Bänke. O wehendes Dasein, Dasein der Fische, der leuchtenden Schleier: die aus der Nacht, dem Abgrund wehen und wehen herauf. Ist nicht Gesang von der Insel, Gegengesang, den Töchtern der Tiefe gebracht. Berg, rauchend inmitten, Mond auf den Gipfel gestellt, räuchernde Pfanne: diese Kinder sind einsam, die Wartenden an den Hängen. Noch ist still die See, auf die lang sie schauen. Noch kommt nicht das Schiff, das den Verlorenen bringt mit den Schätzen der Fremde. Und sie singen allein. // 076 Wenn sie wüssten, wie schwarz das Segel und dass es nur trägt Tote, vom letzten Fahrer gesteuert, der bleich ist und das Schreckliche ewig zeigt in den wirren Augen.
Meine Verse Ausdruck eines Spiegellabyrinthes, allerdings stets versuchend zum Objektiven aufzusteigen: das Objektive ist darin als Postulat, aber noch nicht erreicht als Realität. Die Trennung von der menschlichen Umwelt darin so stark, dass der Kristallraum bald sich selber sprengt. Es kann nicht mehr weiter gegangen werden, ohne dass die Wände zerbrechen. Vor // 077 diesem Bruch aber scheine ich Angst zu haben, ich weiss nicht, wie ihn vollziehen. Die positive Bedeutung solcher Dichtung mag sein, dass sie ein wesentliches Erleben der Generation, eine wesentliche Not und einen Versuch, sie zu gestalten, ausdrückt, den Versuch, das Gefälle der Auflösung in Dienst zu nehmen. Also etwas wie heroischer Realismus. Nur, die Leere ist bald so vollkommen, dass sie nur noch schweigen kann.
Vor Jahren war es, vor Äonen
dass wir uns in dem ersten Garten trafen.
Will uns nur Tücke diese Sehnsucht lohnen,
dass wir, so ganz anders, heut uns wieder trafen? // 084
05 Jetzt sind ringsum Öden, Höhlen, Klippen
Sonne birgt sich hinter Wolken streng,
und fremd sind deine einstmals süssen Lippen
Liebende warn wir als Kinder, heut trennt uns Wissen streng.
Noch an der Steilung geh ich [ich] mit dir hin
10 dieses Tages schroffe Trübe tragend.
Aus Deinen Augen bricht mir neuer Sinn,
den Weg zurück in jenen Garten wagend.
Die Pilger steigen, jenem Leuchtebild
der wirren Herzen Wünsche aufzutragen,
als ob die fremde Macht erretten könnt'
ein innerlich Verlornes: Rettung ist
05 allein in reinen Höhlen nah, die Liebende
mit ihrer glühsten Glut aufschmelzen mählich:
da strömt mir Seligem, die Lebens-Quelle
vom wesentlich erhellten, einzigen Stein.
Die Pilger steigen, jenem Leuchtebild
der wirren Herzen Wünsche aufzutragen,
als ob je fremde Macht erretten könnte
ein innerlich Verlornes: Rettung ist // 086
05 allein in reinen Höhlen nah, die Liebende
mit ihrer glühsten Glut aufschmelzen mählich:
da strömt Beseligten die Lebensquelle
vom wesentlich erhellten ewigen Stein
Wenn ich dich, Blume, finde noch im Dickicht,
geblendet wende ab das nachtgewohnte Auge
die Sinne, schwindend vor dem süssen, süssen Duft:
so weiss ich neu, dass mir im tot geglaubten
05 erloschnen Innern noch die Blume wohnt,
die Gegenblume aus Verborgnem heilend // 087
die überall die eine Schwester sucht.
Voller Honig sind die Waben.
Die Durstigen erreichen sie nur schwer
und immer schwerer regen sie die Flügel,
die süsse Labung einzuholen.
05 Denn jene, die sich regen bleiben.
Das Unbewegte nur geht immer fort. // 118
und ist stets stiller in der stillen Höhe.
Es ist der Glanz des Lichts und Süssigkeit der Beeren
der Wandrer Teil, die durch das Spätjahr gehn.
Und alles ist schon ferner und seine Freiheit grösser:
Der Zwang versinkt, Geschenk wird der Besitz.
05 Genuss, Genuss ist Fülle zu verlieren
Der Most rinnt hell zur Erde
ab vom Rand der Trotte.
Die Fülle ist den Achtlosen gegeben.
Und o, die Fülle führt zum // 119
10 Allerreinsten hin, wenn es die Gunst gewährt,
dass wir es frei verlieren.
Die Wälder färben glühender die Blätter
und schmücken sich dem Übergang
zur einzigen, zur deutlichen Gestalt:
15 der reinen Kahlheit schwarzer Zweige,
die vor des Winters klarer Bläue steht.
Noch schwillt die Flut, des Lichtes und der Früchte.
Die Ebbe wartet im neuen Tag verborgen,
auf ihrem Grunde harrt, wird heller immer // 120
20 im Sinken trunknen Stroms der nackte reine Gott.
während der Lektüre von Heliopolis:
01 der Stil Jüngers der eines Menschen, der nur sieht, auch wenn er denkt, sieht, aber für das Gesehne keinen angemessenen Vergleich findet in der Welt der sichtbaren Dinge. Für ihn sind alle Dinge Chiffren für etwas, was er aber nur durch diese Dinge sagen kann. Er ist auf die Welt angewiesen, aber sie kann ihm nicht genügen. Daraus sein eigentümlich farbig-abstrakter Stil, die übersinnliche Farbigkeit seiner Sprache. Er ist Platoniker. Wie der Platonismus in verschiedenen Formen sich ja heute immer mehr verbreitet: das Ungenügen an den irdischen Dingen nimmt zu. Man sucht // 141 wieder ihre Beziehung zu einem Jenseitigen. Auch Jüngers Christentum ist platonisch, gnostisch. Dieser Zug in Heliopolis noch stärker als in den Marmorklippen. Die Lektüre der Bibel wirksam.
02 Auffällig ist mir in diesem Buch, wie die Herkunft des Verfassers aus militärisch-aristokratischen Lebensformen im ganzen Weltgefühl und in vielen Einzelheiten erscheint. Er kann sich offenbar eine Gesellschaft wie die französische des 19. Jhdts. nicht wirklich vorstellen und er will es hier wohl auch nicht. Seine „Freiheit“, von ihr ist hier immer die Rede, ist stets eine gewährte, in der // 142 Art eines barocken Hofes oder eines antiken Stadtfürsten, der in seiner Umgebung Künstler und Gelehrte hält und von ihnen will, dass sie frei seien. Es scheint mir gegen diesen Freiheitsbegriff nichts einzuwenden, ja, ich finde ihn höchsten Ranges und einer eigentlich menschlichen Ordnung angemessen. Nur wird Jünger damit Mühe haben durchzudringen in Kreisen und Ländern wo man Freiheit sich nur als die völlige Gleichberechtigung autonomer Individuen erfahren kann. Im liberalen Sinn autonome Individuen gibt es in Heliopolis nicht. Es