
Nichts zweifelhafter im Grunde als
unsere Beziehung zum Göttlichen:
es mag sein, dass wir uns im vollen Ein-
gang wähnen, in der stets grösseren An-
näherung an die Mitte, in zunehmen-
der Verwesentlichung, dass unser Gefühl
es so sagt, dass wir aber im Grunde ge-
rade jetzt aus der Einheit fallen, dass
uns der Gott verworfen hat und zu die-
ser Verwerfung die sicherste und grau-
samste Methode wählte: die er¿ er in-
dem er uns Sicherheit gab, uns im
Vertrauen in uns selber in unsere Mög-
lichkeit wachsen liess. Darum sind
die Zeiten des Glückes, des vermeinten
Glückes, die Zeiten der Freiheit //

so gefährlich. Was wissen wir schon
um unsern wahren Stand? Viel-
leicht waren es solche Empfindungen,
solche Erlebnisse, die die Gnadenlehren
Augustins, Luthers, usw. bestimmten.
Was nützt uns höchste Wirksamkeit, voll¿
drängende Produktivität, wenn der Glut-
kern in uns erlischt, wenn der Geist
Gottes das Heiligtum verlässt?
02 Hier vielleicht eine Funktion des Trüb-
sinns, der stets wiederkehrenden Melan-
cholien des Lebens denkbar: sie sie
rufen uns an den Ausgangspunkt zu-
rück, sie zwingen uns zur Einsam-
keit in uns selber, zur Überprüfung
der wahren Lage. Jetzt, da wir ganz
bloss sind von allem, was uns von aus-
sen zukommt, von Gedanken und
Bildern, die doch stets ein Sekundä-
res sind, jetzt, da wir ganz bloss sind, //

ist uns die Möglichkeit gegeben, dass wir
unsere Nacktheit erkennen.
03 Wohl, es ist ein Spiel, das mit uns
getrieben wird, wir erkennen seinen
Sinn nicht, was aber nicht heisst, dass
es keinen hat. Uns bleibt nichts, als
fest auf beiden Füssen zu stehn
und uns zu wehren, damit wir nicht
untergehen. Und wenn wir die gan-
ze Nacht gekämpft haben, kann es
sein zwar, dass uns der Engel
schlägt. Aber vielleicht segnet er uns
auch. Weil wir dataten
auch. Weil wir das getan haben,
was wir konnten. Handeln können
wir nur nach Mass unserer der Erkennt-
nis. Oder ist von uns verlangt, dass wir
sehen, was wir nicht sehen? Das wäre
möglich und furchtbar.
16.6.49