
Zu einem Gespräch mit G. u. E. Huber:
Dieas Gegensatzpaar des Ethischen
Dieas Alternative zwischen dem Ethischen
und Ästhetischen iswird je länger je ge-
und Ästhetischen ist mir je länger je un-
gegenstandsloser/Zeugt von
begreiflicher. d Als Unfähigkeit, die Erschei-
nungen als ein Ganzes zu nehmen. Was
soll man dazu sagen, wenn Leute, die
in jedem zweiten Satz mit den Begriffen
Entscheidung, Wagnis, Sprung um
sich werfen, sind zum vorneherein verdäch-
tig: dass sie in einem wesentlichen Punkt //

unreif geblieben sind, sich stets selber
bespiegeln müssen und für jede Hand-
lung und jedes Verhalten eine Recht-
fertigung vor sich selber suchen
fertigung vor sich selber suhen müs-
sen. Statt, wie es doch nä natürlicher
scheint, spontan aus innerem An-
trieb zu leben und zu handel han-
deln. Sie leben Statt von innen
nach aussen leben sie von aussen nach
innen. Es le¿ fehlt ihnen auch nur
schon der Wille zur Freiheit und
Grazie des Daseins, zu jener Sorg-
losigkeit des, die den Menschen über-
haupt doch erst adelt. Sie haben
kein Vertrauen in sich selbst, in das
göttliche Gesetz, das in ihnen wirkt.
Sie leb leben in panischer Angst und
steter Sorge (worauf sie so stolz sind)
das Eigentliche zu verfehlen. Statt sich
doch diesem Eigentlichen zu überlassen. //

Es ist ja in ihnen oder nirgends
scheIst
Scheint es Aufgabe des Menschen, seine
Gebrochenheit und Zerrissenheit – das
gibt es fraglos – zu überwinden und in
neue Ganzheit zu finden wachsen, so
ist es im Gegenteil ihre Bemühung,
sich selber immer mehr zu zerfleischen,
das Gebrochene immer wieder zu zer-
brechen. Darin besteht de¿ für sie
die Verantwortung, die ethische Exi-
stenz und wie immer sie das
nennen.
02 Die Vermutung liegt nahe, dass den
Ethischen wirkliche ex existenzielle
Tiefe abgeht, wirkliche Berührbarkeit
und Erschütterbarkeit fehlt fehlt; denn
sonst würden sie längst nicht mehr
leben. Sie spielen mit Gefahren, die
weil sie sie nicht kennen, an einem
Abgrund, von von dessen Vorhandensein //

sie keine Ahnung haben. Darum
reden sie immer davon. Wer um die
ungeheure Gefahr der Selbstzerflei-
schung, um denie uns allen eingeborne
Neigung zur S mörderischen Selbst-
reflexion weiss, der wird immer wieder
und immer mehr versuchen, weg-
hinaus- und hinaufzukommen über
sich selber und irgendwie sichtbare,
objektive Gestalt zu setzen. Etwas,
das nicht kommt und geht mit den
Nöten und Ängsten des Individuums.
Das Individuum ist soviel, als es
mehr ist ist als bloss Individuum.
Alles andere ist bloss Spielerei im
x Kreis mit Seifenblasen, unent-
rinnbar in einem geschlossenen Kreis
gefangen. 30.5.49
Es liesse sich überlegen, woher letztlich,
historisch, dieser ↔ Denkweise kommt: in
historisch↑ethisch-existenzialistische
historische ethisch-Zerrissenheitskult↑//

unmittelbar wohl vom Christentum, und
hier findet dieer Zerrissenheit verschärft
ihn die Reformation ganz stark, das
Prinzip der Reformation, ihre gem-
verhängnisvolle Innerlichkeitswut, voll-
endet und erneuert sich dann in
Kierkegaard und all seinen Schülern
und Varianten bis heute.
03 Die ganz grossen Zei Epochen und die
ganz grossen Geister waren aber alle
„ästhetisch“ gerichtet. Das heisst, sie
hielten letzti letztlich die Harmonie
des Ganzen für entscheidend. Und
das Ethische figurierte für sie als ein
Sonderfall des Ästhetischen, d.h.
als Ausdruck des Vollkommenen in
einem bestimmten Bereich. Über
diesen Punkt waren sich Platon, Au-
gustinus, und Michelangelo und Goet
Dante, Michelangelo und Goethe wohl //

einig. Dass unsere „Ethischen“ sie deswegen
als oberflächlich und unverantwortlich
verachten, dürfte sie kaum sehr an-
fechten. Denn es dürfte wohl nicht
zweifelhaft sein, wer hier Mass zu geben
gibt und wer gemessen wird.
30.5.49