Inhalt: Prosanotate, Briefe, 88 Entwürfe zu 75 Gedichten (15 Endfassungen)
Datierung: 12.11.1950 – 14.12.1951
Textträger: Rotes Notizbuch, liniert, Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/04 (Schachtel 79)
Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1948-50, Kutter
Kommentar: 29 Texte rhythmische Prosa, 20 gereimte Gedichte, 14 reine Prosanotate und Briefentwürfe
Deckblatt oben: Kuno Räber, Mitte: Begonnen am 12.11.50
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften
Sie zu finden, die Rose,
die Rose im Garten, innerste Rose am Wasser,
unmöglich ist es: denn am Weg lauert der Geist, Erdgeist, der sich nach dem Besitz verzehrt der ihm gänzlich entblühten, der Rose, die aufwuchs und in ihrem Duft wandelte die Kraft seines Reichs in ein Neues und Fremdes: in einen Himmel aus Düften und aus Purpur, der den Gefilden entstammt seliger Geister, die er hasst, der Geister der oberen Sphäre, die nahe wohnen // 004 dem einen Licht; und sie spiegelt das Licht, die Rose spiegelt das Licht und bildet es ab.
02 So reckt sich der Geist der Erde, hier am Eingang zum Hain und sucht mich zu hindern, mich Sehnsüchtigen nach der Blume des Himmels: reckt sich auf, Schlange, züngelnd empor an meiner ängstlichen Wendung; und wie mich ermanne und dringe vor, da brüllt er mir als Löwe ins bebende Antlitz, dem Wiederaufgerafften stürzt er als Adler ins Auge. Auch dies Trugbild schwand // 005 vor dem neuen Mut (er stammt nicht von mir, er ist Mut des tieferen Herzens, des Herzens in mir zutiefst und so ausser mir, des Herzens, das mich mit dem Ursprung des Daseins vereint):
03 und ich kam und sah und roch die ewige Blume, die stets blühende vor jenen, die mehr sind als sie selbst, die kennen die Zelte des Königs, die hören den Ruf zum Heerbann; in seinem Thronzelt hat er die Rose, über die Krone geehrt, ihr Anblick ist // 006 Leben; wer sie pflückt aber, stirbt; denn er ist nicht mehr ausser dem König: in der gefundenen Rose
Zum Roman:
es müsste ein Symbol gegeben werden, das aber auch als Ganzes Symbol wäre, nicht in einzelne schöne Episoden auseinanderfiele. Und dies Ganze müsste zwingend sein, da sein, nicht nur gewollt sein, sozusagen durch geistige Organisation zusammengefügt, dass ihm // 007 von oben ein Sinn gegeben würde, der am Schluss oder an einzelnen wichtigen Punkten bloss zum Vorschein käme: sondern er müsste sich aus der ganzen Geschichte von selbst ergeben, sie müsste ihn von ihrem Zentrum her darstellen.
Mondscheinzwielicht, milchiger Dämmerung wachsende Klarheit gen Mitternacht ist am hellsten im Forst, wo es nur einmal einfällt auf den Teich, an dessen Rand die Rose blüht, um diese Stunde nur // 008 blüht, wunderbare Nachtblume, täglicher als alle andern. Sie allein macht Tag mitten im nächtlichen Forst. Wenn der Mond aufgeht, milchig im Forst, niederrinnt so geistig fern, blüht sie auf, silberne Rose am Wasser im Forst, heller als der Mond, heller als die Nacht, Tag in der Nacht.
Reinen Herzens Erfahrung
wo denn anders ist solcher Strauch
mit silbernen Blättern
glänzend denn in den herbstlichen Gärten,
05 Gärten der vollsten Gegenwart,
über denen die Kuppel steigt,
Kuppel des Pavillons galanter Spiele?:
wo sind sie anders als hier
am Ende des Jahrs, in der Fülle,
10 die süss schmeckt,
zu süss schon, in der
Süsse den Abschied?
Hier ist reinen Herzens Strauch
mit den silbernen Blättern,
15 Strauch der kindlichen Erfahrung, // 010
die da nicht weint im Abschied,
die weiss um den Abschied,
schon wusste, als die Taube,
die weisse Gefährtin dem
20 Kind aus der Hand entschwebte,
hoch wegflog, still glänzend, über
die Kronen der Bäume,
die roten und gelben Kronen am Abend.
So auch lächelt sie jetzt und geht hinein in
den Pavillon mit der Kuppel,
schliesst die Türe, entglänzend,
25 wie die Sonne sank eben und
die Kühle weht aus den Bäumen.
Hier geht wie ein Vogel die Wolke und enteilt der reinen verfolgenden Bläue. Da drängt sich das Rote dazwischen des Abends, Glanz, der die Schwärze der Wolke verhüllt. Wenn der Prinz mit dem Pferd aus Ebenholz sich aufhebt und kommt und vor dem Roten noch reitet, dann ist das Blaue verzaubert und vergisst die Verfolgung, trachtet nur noch den Reiter zu halten, den Reiter zu ziehn in die reine Wollust der Klarheit, der immer grösseren am Abend, // 012 der ganz grossen, wenn alles schwand und grün ist und am Rand aus düsterem Gold der Himmel, aus ausgewalztem Gold: darin schwebt das Pferd, wiegt in der Glut und jauchzt der Reiter, weiter hinein in das Bett des sinkend gekühlten Taggestirns hinter dem goldenen Vorhang.
02 Wie einsam bleibt zurück mit seinen spärlichen Lichtern der Palast und auf den Zinnen die verlassene Braut, nimmer getröstet von den Nachtsternen, die heraufkommen nun einer nach dem andern. Sie // 013 geleiten den Mond, stillen silbernen Jüngling, der herüberkommt, auch er verlassen entflohn dem jenseitigen Reich. Und er kommt und nimmt die Verschmähte, fährt sie weg von der Insel, zum Kuss, zur Hochzeit auf den Wogen des Ozeans, im Boot, das Keiner findet, in die Grotte unsagbaren Glücks.
Gegründet ist die Stadt am Berge und ihre Bürger gesammelt, doch ist sie öde und nicht Stadt noch, solange sie bleibt ohne das Haus für // 014 den rettenden Gott, dem alle brennen, dem ihre Seelen gehören seit dem Augenblick, der hellen Stunde, die sie auf einmal erleuchtet. Und als der Wüstensiedler, heiliger Schauer des Ewigen vorbeigeht an ihren Gemarken, fassen sie ihn, der sich weigert, und führen ihn auf den Platz am Fusse des Bergs: hier am Hang über den Häusern der Bürger[n] sei uns das Haus, der Tempel des Gottes. Sei uns Hirte, segne den Bau.
02 Der heilige Mann hebt die Arme und sieht gen Himmel, wo ihm Licht bricht herab, und alle hören das Dröhnen // 015 der Erde: der Berg ist nicht mehr da, ist in die Ferne entrückt und begrenzt den Horizont jenseits der Ebne: hier baut eure Kirche spricht er und mich lasset frei. Spricht und wendet sich, durchschreitet die Menge, eilt fort in die Wüste.
Rinnsal vorbei an den goldenen Pforten der Geheimnisstadt mündet ins Meer unerfahren[,] der klaren Bäche, zuströmender aus der goldenen Pforte. Immer mit Fracht, mit dem Geröll aus der // 016 Stadt: Diamanten, nie von der Strömung verzehrten, nimmer gleichen im Glanz, in der lichtspendenden Reinheit: Bäche aus heiligem Wein, von der Tafel des Königs geflossen, vom Tisch der versammelten Grossen, denen er naht, ein Diener und wäscht die Füsse.
Erkenntnisflamme strahlend ohne Wärme, den Gesteinen zu im Kern der Erde, den klaren gleichfalls kalten Mineralen. Entrückung hinein in diese tiefe Mitte. Die andre Flamme, höherer Erkenntnis, // 017 sie fällt herab dem Opfernden auf den Altar und schlägt empor dem grossen Lichte zu, der heissen Rose über allen Kreisen entflammend All und sich dem All verströmend.
Erkenntnisflamme strahlt ohne Wärme den Gesteinen zu im Kern der Erde, den klaren gleichfalls kalten Mineralen. Entrückung spendend nach der tiefen Mitte. Da doch die andre Flamme höherer Erkenntnis dem Opfernden herab fällt auf den Altar und schlägt zurück empor dem grossen Lichte zu, der // 018 heissen Rose über den Kreisen, All entflammend und sich dem All verströmend.
Grünes Licht strömt herauf dem Gänger auf den Gründen, über den Schluchten und den schmalen Gräten, lichter Dampf süsser wallend in die gebannten Sinne. Bis es den alten Mann dort trifft auf dem Gipfel, der den gezeugten Sohn auf dem Altare opfert: da jene andre Leuchte, die von oben des nachts ihm schien, ihn stärker lockte und jene Stimme, die ihm raubte, // 019 was sein Fleisch am meisten liebte. Er gab es hin und erhielt den Sohn geweiht zurück, als Feuer hell und heiss ihm fiel vom Himmel.
Nur aber hinwandeln eben die Heiligen über die Erde, und selbst wenn sie Gold werfen durch die ärmlichen Fenster und mit erdebewegender Kraft Berge versetzen,
02 so sind sie doch im Gemach betend und ihrem Ursprung nahe, Leben saugend an der ewigen Brust, dem Bräutigam vermählt, schwebend // 020 über dem Boden und von Gnadenlicht umflossen.
Die fremde Taube ist noch von den Gipfeln herab in das Tal gekommen, wo sie die Wandrer selten achten am Fluss, selten die aus der Hitze fliehn in die Flut; nur dem, der weiss vom Dämon des Mittags und dem die Angst presst das // 021 Salz aus den Augen, nur ihm schwebt sie in stillen Kreisen, wenn er, entkleidet, die Mitte der Flut erreicht, gnadenglänzend aufs Haupt.
Kühle tropft herab
selbst hier herab in den Glutsee,
wo die Blume schwimmt,
wie Kohle, nur selten geletzt
von diesen Tropfen,
05 wenn sie zufällig
der Brodelkreis hinausträgt
an den Felsen,
von wo sie fallen.
Schön noch wieder // 022
lebt sie farbig auf für den Augen-
blick der Berührung.
Dann ist sie alsbald wieder glut-
getötet im Glutsee,
10 bis, von neuem gespült an den
erlösenden Felsen,
sie das Leben empfängt, ewigeres
Leben denn ewiger Gluttod.
Ich schalle vor dem, der kommt als eine laute Stimme
02 durch die öde Wüste ist meine Stimme Fruchtwind allein, bindend den trockenen Sand in feuchte Erde, wo Quellen springen und // 023 Getreide wächst, von diesem lauten Ton erweckt, der Weg bereitet dem der kommt: dem Fürsten, der aus dem Berg hervorgehn wird und einziehn in das ihm bereite Reich. Auf reiner Muschel kommt er mit der Sonne.
Eine grosse Dolde hängt das Schicksal herein in unser Dasein, Düfte verströmend den Spielenden auf dem Rasen, die greifen mit kindlichem Finger in die Blüten und bewegen hin und her die schwankende: Bis sie, schwer und immer schwerer // 024 zieht herab den Zweig, der sie nimmer trägt und sich senkt unwiderstehlich nieder, die Betörten begrabend unter Blüten, in tödlichen Düften erstickend.
Da ich in dem Berge gehe jahrlang, scheint mir doch immer wieder durch die Spalte, unvermutet, die rote Scheibe, von den kahlen Gabeln der toten Bäume hochgehalten, stumpfe Steine zu Glut entflammend, entflammend selbst mein Herz: denn es ist Morgen.
Aus dem Haus zu gehen in den Garten heimlich, wenn die Tänzer alle laut im Saal: wie so dunkel sind die Wege und Gebüsche wuchernd das Verborgne. Noch tönt her der Ruf der suchenden Genossen, aber schon vergangen in dem Singen der Zikaden in den Bäumen und das Licht des Festes in dem Glanz, der heraufbricht aus dem unauslotbar tiefen Quell, der noch reinigt leuchtend übers neue Morgenlicht.
Schon trug der Vogel die
heilige Ampulle ins Gewölbe
wo aufgebahrt der unerkannte
König ruht neben Leichen derer, die
05 die Pest entraffte:
die Düfte strömen aus
dem am Haupt zerschlagenen Gefäss
und füllen mit Wohlgeruch die Kammer,
sodass der Bischof in der
10 Pfalz, geweckt von diesem Zeichen,
schwankt mit letzter Kraft
und mit der Krone in den blauen Händen,
sie aufzusetzen halbverwestem Haupt.
Schon trug der Vogel die heilige Ampulle
ins Gewölb, wo neben Leichen
der Pestentrafften aufgebahrt
der unerkannte König:
05 Düfte strömen aus dem
am Haupt zerschlagenen Gefäss
mit Wohlgeruch die Kammer füllend:
sodass der Bischof, geweckt von diesem Zeichen,
schwankt aus dem leeren Haus,
10 die Krone in den blauen Händen,
(mit letzter Kraft) sie aufzusetzen halbverwestem Haupt.
Tritt hinab nun, nach den Frühern
der Verwünschte aus der obern Welt
der duftenden Blumen und der Wasser,
mit den von Rudern rein gelenkten Nachen:
05 in den kalten Glanz der toten Minerale,
wo der Dämon unbesiegbar wohnt:
weiss er, dass in kurzem ihm noch alle folgen
die hochatmend lieben, alle
sind verwünscht zu folgen
10 durch die Felsentüre in die Unterwelt,
wenn die obre hier verblasst, wird dort unten // 029
totes Bild an totem Bild vom Licht des
Erdendämons innerlich erglänzen.
Lieber Thomas, an dem Brief unsres Vaters, den ich gestern erhielt, erschien mir, aus mir selber wie ein Ekel aufsteigend, die ganze furchtbare Fragwürdigkeit und Vieldeutigkeit useres Da- und Soseins: gerade auch unseres geistigen Lebens und unserer geistigen Aspirationen. Wie muss einer innerlich proportioniert sein, damit sein Tun, sein Wort und sein Verhalten, sein Stolz nicht einfach Eitelkeit, Arroganz, // 030 Hybris. Wo fängt das sich selber Ernstnehmen an grotesk zu werden. Wie aber kann einer sich selber nicht ernst nehmen, ohne die ganz besondere Gnade einer inneren Leichtigkeit, die mir offenbar versagt ist – wie kann einer sich selber nicht ernst nehmen, ohne daran zugrunde zu gehen
Die am letzten Tag verliessen den
Tempel,
Priester aus dem heiligen Haus,
da es war Abend und die Sonne
05 niedersank durch die entleerten Hallen: // 031
standen sie still am Strand,
und ach, wie sie schauten zurück
traten die Diener schon ein,
wegzutragen das Bild der Göttin,
10 wie es der neue Kaiser befohlen.
Die am letzten Abend verliessen den Tempel,
da die Sonne sank in den entleerten Hallen,
flohen heimlich hinaus in den Strandhain,
zu begraben das Bildnis der Göttin,
05 bevor noch kämen die Knechte
des Kaisers: unverrichteter
Dinge sollten sie wieder verlassen das
heilige Haus, wenn das,
was zu schänden sie kamen, verborgen
10 läge im Erdschoss
Wie diese Sonne flieht über die gelben Hügel der Angst, die falben Hügel der Angst. O Kugel des Lichts, erleuchtend einstmals die Hallen und die Kuppeln der Stadt:
02 Wie grau sind sie jetzt alle, die unser Herz geliebt. Wir lieben sie noch jetzt da sie erlöschen die Lichtgebirge am Himmel. O wie wir sitzen und nur noch ahnen die Fülle, die die erloschne Wölbung umfasst!
Wie diese Sonne flieht über die gelben Hügel der Angst, die falben Hügel der Angst: entrollende Kugel, einstmals erhellend die Kuppeln // 033 der Stadt.
02 Die jetzt so grau sind alle und dennoch geliebt von uns, erloschene Lichtgebirge am Himmel, darunter wir sitzen in Finsternis, nur noch ahnend die Fülle, die einstmals diese Rundung umfasst.
O Reinheit dieses hohen Gartens
auf dem Vorgebirge,
dem Lichtengel entrungen von
welcher Leidenschaft:
05 dass du noch diesem Äon
blühst
voller Wein und voller violetter
Dolden
wie Rauschen der Flügel und // 034
10 Glanz der von den Knien nieder-
stürzenden Gewänder
der Knienden vorm makellosen Licht:
wie geht es unter hinter dem
Gebirge und
15 lässt das Meer
als einen Teppich voll bestickt
mit Träumen,
die schrecken den abgestumpften
Schläfer hinaus
20 in fahlen Schein des Mondes,
wo ihm offen da liegt
plötzlich des grausen
Todesfelsens Absturz.
O Reinheit dieses hohen Gartens
auf dem Vorgebirge,
entrungen dem Lichtengel von
welcher Leidenschaft:
05 dass du noch diesem Äon blühst
voller violetter Dolden
und voller Wein im Flügelrauschen,
Glanz der Gewänder, die
von den Knienden vor dem makellosen
10 Licht niederstürzen:
wie geht es unter hinter dem Gebirg und
lässt das Meer als Teppich // 036
mit Träumen voll bestickt zurück,
schreckend hinaus den Schläfer
15 in Schein des Mondes jäh hinaus
wo ihm liegt offen
des grausen Todesfelsens Absturz
heute unentrinnbar.
Aber dies Spiel entschwände von den Stufen des verödeten Hauses und die Fontänen sänken kraftlos zurück ins Becken der Brunnen, ja, die Götter vergässen des Raubes der Griechin, ihres heiligen Zorns und der Frevel Niobes:
02 an jenem Tag, wo alle, fliehend den Schlaf, ihren // 037 eigenen Tag höben empor in die Nacht und neue Riesen verschöben Berge und entleerten das Meer, den Erdball verändernd rastlos. Der Rast nicht bedürfend:
03 Alsdann flöhen Menschen und Götter und Wüste wäre, Licht, Licht ohne Schatten, wenn der Tod, letztes heiliges Bild, selbst gefällt im entweihten Forst, stürbe.
Nächtlicherweile Schlafende im Tempel unterm blassen Glanz der leise auf- und niederschwebenden Sonnenscheibe, der vom Magneten gehaltenen, hoffen Heilung.
02 Heilung werde aus dem Schlaf, sie stehen auf des Morgens, da der Priester öffnet das geheime Fenster und hernieder von Osten Strahl der Sonne die Lippe küsst des heiligen Bildes.
Vom Magnet an der Decke
angezogen und wieder folgend
eignem Gewicht
schwebt auf und nieder die
05 dünne Scheibe, die
leise schimmert im
Schein der Leuchter:
wider scheint ihr Licht
matt an den ehernen Wänden.
10 Stöhnt der Schläfer zuweilen,
weil ihm im Schlaf der heilende
Gott erscheint,
bis dass des morgens
durch die Luke nach Osten
15 Strahl der Sonne
küsst die Lippe des heiligen Bilds.
Der Schwimmer über den Teich legt Kränze auf den Altar inmitten
02 Aus dem Felsen kommt beschwichtigt der Jüngling und stösst den Dolch in den bekränzten Hals des Stieres
03 von dem Hunde gefolgt, und von den Trägern der Fackeln:
wie da glühen die Rosen und wie da versinken die Feuer im Wasser,
04 das gerötet vom Blut wallt des Stiers: // 041
05 wie da lächelt dem Schwimmer der Sieger und ihm den Mantel leiht, dass er ihn trockne und ihm weist die Treppe zur vergeblich gesuchten Öffnung, wo der Himmel blaut herein, schon mild leuchtend vom eben entflammten Morgenstern.
Noch nicht, noch nicht
fällt diese Sichel
durch die goldene Luft
hier herab
05 in den runden Saal:
zu beenden dies Spiel
das Weiden der Schafe // 042
und das Fächeln
mit den seidenen Tüchern.
10 Noch nicht, noch nicht
fällt diese Sichel,
blutige Sichel,
o blutige Sichel,
Zeichen des Mords,
15 hoch am Himmel:
rot wird die goldene Luft,
purpurn die goldene Luft.
Dann erst verstummen die Spiele,
betropft von Blut
20 die Bänder, betropft von Blut die seidenen Tücher,
rot die Lämmer und plötzlich // 043
sind reissende Tiere die sanften.
Lieber Markus, das Lehrerspielen auf dem Dorf – ich arbeite seit letzter Woche in Dagmersellen – ist weniger beschaulich als auf der Mittelschule: ich gebe alle Fächer, die nur einigermassen in die Fakultät einschlagen und nächstens vielleicht noch andere. So bin ich den ganzen Tag beansprucht, schon weil ich zwei Mal hin- und herfahren muss. – Dies diene Dir als Erklärung, dass ich Dir – // 044 ohnehin ein sehr unregelmässiger Briefschreiber – bisher für Brief und Gedichte noch nicht gedankt habe. Zu den Gedichten will ich mich äussern, sobald ich den guten Augenblick gefunden habe, sie zu lesen.
02 Was mir heute noch auf dem Herzen liegt, ist die Kritik von L. B. an Mohlers Buch: sie ist so frappant gescheit, der Einwand gegen die Haltung, die darin erscheint, so richtig, ja notwendig, dass es desto bedauerlicher ist, dass L. B. durch seine // 045 eigene Begrenztheit, durch eigene Überheblichkeit seine ganze Argumentation in ihrer Wirkung entkräftet: Die Überheblichkeit, die ich hier meine, die unverständliche Begrenztheit, werfe ich nicht L. B. persönlich vor, sie ist leider unter den jungen Schweizern recht verbreitet und ist desto bedauerlicher, je klüger und geistiger ihre Vertreter sind.
03 Ich meine: es geht nicht an, man erweist jeder guten Sache einen schlechten Dienst, wenn man in einer deutsch geschriebenen Zeitschrift // 046 den Deutschen kollektiv eine Haltung vorwirft und sich betont als Schweizer auf das hohe Ross setzt. „Es wäre hier am Platz usw.“
04 Verstehst Du mich, man darf wohl denken, das und das sei eine besonders deutsche Neigung, aber man darf es niemals so sagen. Das wirkt sehr peinlich und man bringt sich, mag man noch so gut schreiben<,> um die ganze Wirkung bei jenen, die es angeht. Man wirft den andern nationale Fehler vor und bezeugt, dass // 047 man selber einem der schlimmsten des eigenen Volkes unterworfen ist, der selbstbespiegelnden Überheblichkeit. L. B. soll ruhig alles tadeln, er soll sagen, was er sagt, ich gebe ihm sachlich mehr als recht, er darf auch als Schweizer an den Deutschen Aussetzungen machen. Aber das muss der Leser merken, das darf er nicht sagen! Es ist betrüblich, wie auf dem Gebiet des geistigen Gespräches in unserem Zeitalter des Hypernationalismus die Kultur abgesunken ist. Und das Betrüblichste ist: dass alle mitmachen, ob sie nun Kaegi // 048 oder L. B. heissen. Sie haben alle ein Talent, ihre besten Gedanken in einer Form zu bringen, dass sie nicht diskutiert werden können, weil sie den andern stets in seiner nationalen Empfindlichkeit brutal angreifen und ihn so zur Abrede, zur Verteidigung zwingen.
05 Muss man denn immer das Plakat „Schweizer“ auf der Brust tragen? Kann man es nicht einfach sein, ohne es immer wieder neu aller Welt expressis verbis zu versichern? und mit menschlichen Worten // 049 zu Menschen, mit europäischen Worten zu Europäern sprechen?
06 Ich mag dieses Einanderzurufen aus den Luken der Festungen je länger je weniger. Vor hundert Jahren hätte man das mit Recht als barbarisch empfunden. Nun, ich glaube das geht nicht mehr lange so weiter. Jeden Tag wachsen die Kräfte, die uns schliesslich zwingen, die Zugbrücken hinunterzulassen und uns unter freiem Himmel ohne Panzer und Visier ins Auge zu sehen, ganz einfach // 050 und ohne alle nationalistischen Vernebelungen.
Sehr herzlich Dein
Februar 51
Dichtung als Kunstwerk im eigentlichen Sinn aufgefasst. Die Trennung von Form und Inhalt nicht vorhanden: aus dem Material der Sprache bewusst herausgearbeitete Gestalt. Gestalt im Sinn der in Distanz vom Beschauer aufgerichteten Erscheinung. Ihre Magie besteht in der Intensität, mit der sie auf d. Beschauenden hinüberwirkt, ihn ansieht, ihn in ihre // 051 Kreise zieht, aber doch stets als ein anderes, ein im Grunde Fernes, unbewegt, oder besser: in sich bewegt, nach aussen: ruhend. So entzündet sie das Entzücken, so will sie es entzünden. Als Zeugnis eines reinen Daseins: das es hier für uns nur so gibt, das unsere gewohnte Lebenssphäre übersteigt. Das Gedicht durchsichtig auf eine göttliche Realität, indem es diese Realität andeutet. Damit im Gedicht eine Analogie der mystischen Schau. Eine Analogie, nicht mehr. Es nimmt seinen Sinn aus derselben // 052 Notwendigkeit. Mit dem Unterschied: dass der Schauende nicht tut, nur empfängt. Der Dichter formt. So ist er in der Richtung auf die Magie. So sehr er ander<s>eits um die Grenze weiss: er wandelt nicht um, er erweckt nicht dämonische Kraft wie der Magier. Er schafft nur ein Bild höherer Realität, er zwingt sie nicht.
Wo denn immer wandeln
herein Helden und Fürsten des
Lebens in den Tiefen,
wo sie wandeln herein über den
05 Golf des Nachts und aus
der Blauen Grotte unten unter
der Insel.
Sie nur sehn trauernd am Fusse
des schneeigen Throns lie-
10 gen zerschellt den Leichnam
des Fürsten, den herein schlug
vom Ozean, den er frevelnd be-
fahren<,> die Woge zur War-
nung zurück ins heimische
15 Meer. O du Vermächtnis des
Tags an diesem Abend, wo die
Essen dröhnen im Innern der
Werkstatt: Wie eine vergesse-
ne Sitte, wie ein abgerissenes // 054
20 Blatt, eine abgefallene Blüte,
schwemmt die grüne Leucht-
luft herauf den Mond an den
Himmel in diese gereinigten
Gärten,
20 wo denn immer wandeln herein
Helden und Fürsten des Lebens.
Bräutliche Blume des Aufgangs,
herabgeschwemmt nach Westen,
herabgeschwemmt nach dem glücklichen Land,
das in der Wüste, das im Sand
05 birgt Gold, birgt die Schätze
eines verschollenen Königs.
Aber über dem Grabe wohnt
der einsame Mann // 055
in den bröckelnden Mauern und
10 denkt der ewigen Dinge,
wenn am Morgen purpurn wogt
die Sonne über die Dünen,
und am Abend violetten zurückfliesst:
denkt der ewigen Dinge unter den Sternen.
15 Da hervor aus dem Grabe kommen
die Geister der Toten, des Königs
und seines getöteten Trosses. Und
die Bewohner schrecken den Mann,
locken hinab in ihr älteres Reich,
20 in ihr Reich das sonnenfern prangt,
bestrahlt vom flackernden Licht
der glühenden Gründe. // 056
Er aber weiss von den Höhen,
wo der Wein wächst und wo der
25 Strahl durchdringt des fremden Gestirns,
das im Herzen des Menschen nagt
und nagender täglich
ihn anverwandelt dem Fremdling:
sodass er flieht die Gespenster
und mitten in ihrem Toben
30 einsam kniet unberührt und den
Thronenden anfleht und sieht.
Weiss ist an dem ungebärdigen Himmel die Sonne der Mitternacht, an dem Himmel wogend im Föhnwind des März, wie doch bläht sich die blaue Seide: und daraufhin rollt hin und her dieser flimmernde Ball. Da die Kinder erwachen alle, da sie stehn auf den Dächern, zu haschen den Ball. Sie hüpfen und springen hinab in den Himmel, der sie emporwirft und wieder auffängt. Wie sie jauchzen, selber Gestirne, Gestirne der Märznacht über all den Grabmälern // 058 an der dunklen Strasse, die durch die öden Hügel führt mit den wenigen Zypressen. Die Toten der Jahrtausende auch stehn auf ihren Zinnen und lächeln schweigend den Kindern, den Geschwistern. Die Toten und Kinder sind eins in der Nacht, Kastor und Pollux gehn in der Höhe, Knaben und grüssen die Mutter, die auf ihrem attischen Grabmal steht im wehenden Schleier und lächelt, lächelt, die Tote den Kindern.
Schnell rollen die Gestirne über die Wipfel dahin,
schaukeln die Winde über der Flur,
wenn die Seherin sitzt nach langer Irrung am
Eingang der Grotte,
wo sich der Berg senkt zum Ufer des Flusses,
05 und überschaut ruhigeren Herzens die glänzende Tiefe,
die aus der Ebene fern ragenden Klippen,
leuchtend wie Segel der Schiffe tröstender Zukunft.
Tröstender Zukunft Verheissung kommt durch die Lücke der Wolke // 060
auf grün samtenem Grunde,
10 die weisse Sichel in farbigen Dünsten,
und in den Sternen die flüchtig in den wogenden Wolken
spielen, Dienerinnen, die prangende Herrin.
Noch einmal, nochmals bebt das innere Zelt,
das verschlossene Heiligtum des Herzens der Frau
am Eingang der Grotte,
15 nochmals, aber leise wie die Saite sich regt,
wenn der schlafende Spieler sie zufällig mit dem Ärmel berührt. // 061
Ihr Auge blickt gross, blickt freudig, das einst so viele
Tränen geweint,
blickt freudig hinaus zum Strom, zu den Klippen wie Segel,
zur Sichel empor in farbigen Dünsten,
20 zu den tanzenden Sternen,
blickt freudig auf all die Weite, die sie lange durchfahren,
ruft dann den Vogel vom Wipfel, dass er sich nähre aus ihrer Hand,
dass er sie nachher begleite, sitzend auf ihrer Schulter,
an ihre Wange das Köpfchen geschmiegt,
hinein in die bläuliche Grotte, bevor die Ränder sich röten.
Wie die Segel finden am Abend hinein
über die goldgrüne Tiefe, steht auf
den Stufen der blinde
Greis, von den Dienern gestützt,
und empfängt die Ochsen, weisse,
mit Kränzen geschmückt,
zur Sühne bestimmt,
– Sie kommen über die knarrenden
Bretter aufs Land –
05 empfängt die Schätze, Dreifuss
und die Amphoren
voll Öl, süss duftendem.
Doch den Kuss der Tochter, die
Tränen, die die wiedergegebene
weint an seiner Wange,
nimmer erträgt ers und sinkt // 063
nieder, wie der Baum, der die Früchte
seines geduldigen Sommers
jetzt, da der Herbst ihn lohnte,
nimmer erträgt.
10 Starr wie Schilder sind
die Segel, da sie wieder entschwinden,
wie eine Schlachtreihe, die
fechtend zurückweicht.
Hilflos steht das befreite Mädchen,
erschreckt unter all den Gaben:
wer soll sie jetzt opfern?
15 Bald aber tröstet die Nacht,
die die Toten nicht
weckt, aber einhüllt, dass sie wie
die Schlafenden sind.
Denn in dem einsamen Turm
nahe den Pyramiden
– weit ab sind da die Wege von
Oase zu der Oase –
nährt die verbannte Frau das
Kind an der Brust
05 sammelt der Mann, glücklich
im Elend, Kräuter Beeren.
Einmal bringt er den Teppich,
den die Karawane vergessen,
von der fernen Zisterne zum könig-
lichen Lager der Frau,
wenn die Leuchte der Nacht
ist der kalte Mond der Ödnis.
10 Aber der zerfallende Turm,
nahe den Pyramiden,
abseits des Wegs der führt von Oase
zu den Oasen // 065
nährt die Königin auf dem
Purpurgewebe den Sohn, der da ist
wie die Sonne.
Wandelnd ist das Gleiche stets noch da,
wandelnd ist der Stern herabgeklungen,
hat der Sänger wandelnd stets sein Lied gesungen:
ob er auf den Bergen ging und Wälder dort verrückte, // 066
05 ob er Tiere ihrer Not entrückte,
ob er zerrissen stürzt in Stromes Fluten,
ein singend Haupt, von überall gerufen,
geweckt und schlagend auf die Augen aus dem Tod:
unsterblich ist, wer der Stummheit aufgerissnen
Munds sein Lied entbot:
10 Gesang, der stille, dringt herab die Schluchten
und dringt zum Meere stärker als der Ruf der Mänaden,
erreicht die fernsten Menschenbuchten
und dort so tief wie Korn und Öl gepflanzt,
schwindet er nicht und nährt, des toten Hauptes Lied.
Dort aber, dort aber glüht
deines Gedächtnisses innige Reinheit,
wo du am Tor des Gewölbes
hebst den Schleier und Wogen von Flieder,
05 und der Weiden hängende Zweige
hemmen nimmer den Freund
Nachmittages, da er niedersteigt,
Unbezwungener, zu dir, die nicht hält der Sarg,
nieder zu der Unbezwungenen,
10 Bruder zur Schwester,
jetzt in der Stunde, wo die Bewohner des
Vaterhauses täglich sich treffen,
wenn es der Wächter nicht sieht
heimlich im Hain,
15 der da wird grösser als alle Hallen des Todes:
Jetzt, jetzt ist die Leuchte schattenlos, // 068
zeitlos diese flüchtige Stunde.
Kommt der Schimmer dieses Tages
noch herab, der grosse Glanz des unberührten Ostens,
wie ein Pfau, der herauf
schlägt sein Rad im Gebüsch am Schattenrand des Weihers,
05 wie da sprühn die farbenbunten Augen,
wenn er schreitet unter
Fichten, die reich ausstreun ihre
Zapfen und unter dem Granatbaum,
der von kernenreichen Früchten strotzt:
10 reich ist Pfau und reich ist Fichte, reich Granatbaum: // 069
doch der Glanz, der auf im Osten steht, ist reicher:
o der Gott, der fährt so reich an Rossen,
fährt mit vielen glänzenden Beschlägen
und den Pfau, der an dem Weiher
15 schläft erweckt, erhellt das Grün der Fichten
und Granaten rötet in die volle Süsse:
wenn der Schimmer dieses Tages
kommt herab, der grosse Glanz aus unberührtem Osten.
Einsamkeit: Unmöglichkeit mit jemanden ins Gespräch zu kommen. Aus Mangel an innerer Bedürftigkeit. Zugeschlossen. Leben aber ist Osmose: Verstummen nicht nur des Mundes, sondern der ganzen Seele. Wie weit ist das ein augenblicklich subjektiv Empfundenes? Wie weit Zeichen eines objektiven Zustandes?
Und der Engel fällt wie eine
grosse Blume von dem Himmel,
von dem Purpur in Smaragd
so doch glänzt die grüne Woge,
05 wo in Zelten auf dem Floss
schlief der König.
Dem Erwachten schlägt die grosse
blutige Fahne hell ins Auge,
dann erkennt er neben sich
10 diesen schönen, ganz erbrochnen Blumenkelch,
weisend ihm das neue Zeichen
übern Drachen, der auf den Fluten // 072
schon heranschwimmt Sieg verheissend:
oben von dem Goldgebälke
15 giessen weisse Engelrecken
aus die Kelche Todesblutes
auf den Drachen,
den die schwarzen Wirbelschlünde
jäh verschlingen,
20 wenn die Blume neben Königs Lager
Wogen Dufts verschwendend sinkt.
Öffnet jetzt die Stadt den Hafen,
wenn er einzieht als der Sieger,
längst erwartet,
25 längst erbangt
und die Krone aufsetzt // 073
in der Pfalz auf der Estrade,
wo das Volk ihn sieht und huldigt
unterm güldnen Baldachin.
Wirrnis, geht in grauen Lüften
geht im Wirrwarr
gegenströmend
in dem Kampf der schweren Äste,
05 toten Sommers,
dieses toten Sommers,
dem der Dämon raubte
alles Licht,
alles Licht, wegrollend
10 jene goldenen Kugeln
hinter graue Gebirge der Melancholie.
Der Melancholie,
alter Frau // 074
im fahlen Kleid
15 mit dem nie vom Morgen,
nie vom Abend
farbigen Saume.
Nimmer, nimmer
blüht in der Beuge,
20 matten Beuge
ihres Arms ein
Blumenstrauss der Sommerwiesen,
nicht Erinnerung einmal
an den Strauss der
25 Sommerwiese.
Denn ihr Bruder,
dunkler Dämon
rollt hinweg die goldnen Kugeln
hinter Gebirge grauer Wolken, // 075
30 wo sie matt sitzt
trübe Frau Melancholie,
deren Lasten kaum noch
tragen diese Säulen,
Säulen dieser niedern Halle,
35 wo wir wohnen,
und die leben
im Gedröhn der goldnen Kugeln,
wenn sie wegrollt
dunkler Bruder,
40 dass sie nimmermehr erblicke
trübes Aug der mürrischen Alten,
deren Arm in
matter Beuge
nicht mehr hält den
45 Strauss der Wiesen,
nicht Erinnerung einmal // 076
an den Blumenstrauss der
Sommerwiesen.
Wie die aufgebrochne Rose
brennt die Liebe nicht einmal
wie die Wüste, quellenlose, darbt die Seele nicht einmal.
Urbild überwindet Abbild, dessen Rühmung Prahlerei
05 wie die Nacht, die makellose, leuchten Tage nicht einmal
welche laute Taten tragen, die dem Nachtsinn fortgeschwemmt: // 077
ihm brennt wie die eine Rose schönster Garten nicht einmal.
Wenn er tunkt das
Haupt ins untere Wasser
sieht er dort die ganze Welt
um Gebirg und Bäume stehn,
05 um Gebirg und Bäume wandeln
dort die Kämpfer, Lorbeer pflückend,
und am Wasser stehn, die sich umarmen,
wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser.
Wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser,
10 sieht er hoch den ganzen Himmel
um die Sonnen und die Monde stehn.
Um die Sonnen und die Monde wandeln // 078
dort die Sieger mit den Silberzweigen,
und im Lichte schauen dort die Weisen,
15 wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser.
Wenn er taucht das Haupt ins untere Wasser,
sieht er dort die ganze Welt,
sieht er dort den ganzen Himmel,
einen Glanz der Sonnen und der Monde
20 wandeln um Gebirg und Baum,
sieht den Sieger mit dem Silberzweige
jenem lächeln, der den Lorbeer pflückt
und den Weisen über der Umarmung,
sieht er Klares widerscheinen in der Woge,
25 wenn er taucht das Haupt ins grüne, untere Wasser. // 079
Wenn er hinschwimmt auf dem untern Wasser
unterm obern Himmel schwimmt dahin,
ist er aller Grüsse stiller Kenner,
weiss er jedes Bild und Spiegelbild,
30 selber unbekannt der Höh und Tiefe,
bis in letzter Stunde in den Uferbüschen
bricht aus weisser Brust, was stets er sah,
weher Sang den Winden übergeben,
wenn er hinschwimmt auf dem untern Wasser
35 unterm obern Himmel schwimmt dahin.
Wenn er taucht das Haupt ins untere Wasser,
lockt der Abgrund ihn, dass er sich niederlasse
ruhend nieder auf Gebirg und Bäumen.
Wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser,
05 lädt der Himmel ihn zu lichtem Flug,
dass er um die Sonnen kreise und die Monde.
Für die Tiefenfahrt fehlt ihm der starke Atem // 081
für den Aufflug aber Schwingenkraft.
Wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser,
lockt Gebirg u. Baum, dass er sich niederlasse.
Wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser,
locken Sonnen, Monde, dass er sie umkreise.
05 Aber schwachen Atems kann er nimmer tauchen,
schwacher Flügel trägt ihn nicht empor.
Noch immer wächst,
noch immer auf der Hand die Dattelpalme,
auf der Hand des Bräutigams:
Frucht trägt sie dem Bräutigam,
05 der hineingeht, hineingeht zu der Braut:
wenn der Bote geht durch wohlverschlossne Türen
ins Gemach und sie weckt:
Euer ist das Königreich, wenn ihr hingebt,
hingebt diese Welt.
Nicht erlitten wird mehr dieser widrige Löwe, der dem Diener, da er heraustritt, die Hand abbeisst und sie hineinträgt vor den Thron des erschreckten Königs, und auf Bitten des Boten gibt er sie dem Manne zurück, der sich hinwirft vor dem Propheten, hinwirft vor dem Propheten.
02 Aber der andere Mann steht vor dem Haus und küsst die Tochter des Königs und lädt sie zur Fahrt übers Meer. Nimmer gedenkt sie, dass schon um eine verlockte Frau Reiche stürzten<.> Sie folgt ihm, während drinnen der Vater vor // 084 dem Propheten sich neigt und auf der Hand ihm wächst die Palme – o Wunder – schwer von der Süsse der Datteln.
Die Bedrängnis und das Glück
und das Glück des gekühlten
Lebens an dem Fuss der Ulme,
wo der Schatten
05 dunkler steht gegen Nachmittages Feuer,
wo die Burg scheint her von dem Berg,
weiss Gemäuer aus den silbernen und stachligen Gewächsen:
zwingt das Aug zu sehen, das sich müde schloss,
müde schloss: und zwingt den // 085
10 Ruhbegehrer stets in diesen scharfen Anblick,
da die Burg sagt: ich bin stärker
als die Stille und die Bacheskühle,
willst du fliehn, willst du schlafen:
zwingen will ich dich im Traum,
15 aufzusteigen her zu mir,
dich zu ritzen an den stacheligen Blättern.
Jede Wunde soll Begierde meine Höfe anzuschaun,
und vergessener Gefangner Seufzen anzuhören,
dir befeuern.
20 Leer ist Sinn und ausgedörrt von Süchten
mir die Seele beim Erwachen:
nur Bedrängnis noch im Abend,
wo das Glück, wo das Glück des gekühlten // 086
Lebens an dem Fuss der Ulme?
Thron und Gipfel dieses Lebens
jenseits schon dem Untergang
an dem Rand des Weltenbebens
in den Gärten mit Gesang,
05 welche diese Ufer kränzen,
welche dieses Land begrenzen:
ruht im glänzenden Gezelt
noch auf steigender Terrasse
Herrin dieser ganzen Welt.
10 Lächelnd sieht sie die Barkasse
Wimpel hell auf Mast und Rahen
mit dem Schatz der Reiche nahen. // 087
Was noch blieb von Ninive,
Babylons Eroberungen
15 kommen wie der pure Schnee[,]
silbern stürzt, Gebirg entrungen,
dass er zeuge und umarme
in der Ebne blühnde Arme.
Fluss drängt in den Gegenfluss
nieder, ringend nach der Lust des Sturzes,
stiebt empor am strengen Stein,
dass er jedes übersteige, was ihn hindert
05 hinzufallen, hinzustürzen wie der Steppenreiter,
der da ohne Zaum und Zügel in die Schlacht fällt:
durch die Gärten, wo die Bäume,
wo die Blumen diesen hellen Helden schauen,
braust er in den Abgrund,
10 der, ob dunkel, mehr als Glanz der
Bäume, mehr als Blumen und der
reine Vater Himmel lockt.
Wer das reine Brot hier bricht
und sein Glas hebt mit dem Wein
sitzt ob einsam nicht allein
auf dem schwebenden Altan:
05 Wissend ist er untertan
Himmels hoffnungsreichem Licht,
das herabströmt alle Sage
über geistbewohnten Baum,
alten Turm, der an dem Saum
10 heller Stunden immer war,
goldbedacht, kristallenklar:
dass der Trinker nimmer zage:
Brot ist Speise auch der Nacht,
Wein jedoch, wenn jene Leuchte // 090
15 unter dem Altan in Feuchte
schmilzt, erglimmt in ihm des Turmes
Gold und Reine, wenn des Sturmes
Wut dies Licht zur Ruh gebracht.
Gleich dem Adler lässt der Stern, überschüttend mit dem Licht, dem sonst unsichtbaren Licht der Nächte, Gipfel, Hang und staunend aufgewachte Täler kreisend nieder sich auf dem Felsengipfel: // 091
02 und der König tritt aus dem Gemach in Garten, wo die hohe Zeder, die höher steht als alle Hügel, den Wipfel glänzend regt unterm Vogel, der sich wiegt und singt ersehnte Botschaft (vom geborenen Heil) von der Geburt des Heils.
03 In der Kammer doch der Königin ruft das neu geborne Kind.
In die Tiefe, wo das Chaos brandet,
fällt vom Stern, der auf dem Gipfel landet // 092
wie der Adler aus den höchsten Bränden
nicht ein Schimmer; nur im einen Tal
05 wiegt er sich auf schöner Zeder Krone:
Magier, begierig nach dem Sohne,
kennt des Zeichens offenbarte Zahl,
rüstet, um als Gabe zuzusenden
Herden für den Gott und reich gewandet
10 Diener dort hinab, wo Chaos brandet
und der helle Adler nimmer landet
Reiner, reiner ist heut dieser Lohn,
den wir ehdem zagend nur empfangen:
Mond ist in der tiefsten Stunde schon
hinter Meer und Inselwelt mit Prangen
05 hingesunken. Und das Heer mit Flügeln
blinkend kommt von blühnden Hügeln
Heiles Schilder mächtig in den Händen,
helfend nieder: grunderregte Welle
drängt, die falschen Lichtes trüglich blenden,
10 Todesfürsten nach der Felsen Schwelle
und die Pforte donnert überm Drohn.
Nicht fällt Himmel, der uns reinigt,
wie ein eherner Schild auf unsre Häupter nieder,
nicht steht Woge fürchterlich uns auf:
Himmel scheint, ein sanfter Baldachin,
auf unsre Häupter nieder,
05 und der Fluss schlingt wie ein Blumen-
band sich um den Fuss.
Auf dem Felsen in der Schleife freilich
steht der alte König am Altar,
und er opfert seinen Sohn dem Himmel,
dass er nicht auf Volkes Häupter nieder
falle wie der eherne Schild,
10 und er opfert seinen Sohn dem Fluss,
dass nicht Woge stehe schrecklich auf. // 095
Doch der Fluss schwingt wie ein Blumenband
schon besänftigt sich zu Füssen;
Himmel scheint, ein güldner Baldachin,
fällt nicht wie der Schild der Reinigung,
15 schon versöhnt, auf unsre Häupter nieder.
Der du wie der ehrne Schild,
reinigend herniederfällst,
Himmel schone dieses Bild:
schone diese Sommerflur.
05 Der du wie der Drache wild
reinigend empor dich reckst,
Woge, schone dieses Bild,
schon die erntereife Flur: // 096
wenn der König am Altar
10 Sohnes schuldlos Blut vergiesst,
wird euch schrecklich offenbar
dass sein Tod euch Leben gibt.
Der du wie der ehrne Schild
reinigend herniederfällst,
15 nur aus dem vergossnen Blut
Himmel, deine Macht erhältst.
Der du wie der Drache wild
reinigend empor dich reckst,
nur aus dem vergossnen Blut,
20Woge, Todes Zähne bleckst. // 097
Himmel, Woge, schont dies Bild,
schont des Sommers Ernteflur
Blut, das reinigt, stimme mild
Toddämonen der Natur.
Gleitend erhascht,
flüchtend entbrannt:
zurückgewandt
und überrascht
05 ruht Hand in Hand // 098
Jäger betört
hat schon der Jagd
vom Wild erhört
mittags entsagt
10 Was er gewagt
trieb in den Wald
zum Ufer hinab
war nur Gehalt,
den die Gestalt
15 ruhend ihm gab.
Dieses scheidenden Tages tröstlicher Abschied am Himmel: wenn nieder blinkt in dies felsige Tal der Vogel aus dem brennenden Kreis, der die Rose sah fein in der Kuppel sich drehen. Drum trägt er Glanz auf den Flügeln und bleibt Licht in diesen Klippen, wenn ich schon allein mit Dunkel kämpfe, das aus den Schlüften kommt und mir das schwer gehütete Lämpchen hämisch aufzehrt. Ob ich auch halte den Mantel vor den Feind, der immer grösser die Öde füllt, er dringt in die Glut: in das reine Gebet, das // 100 ich mühsam, das ich bebend hinauf sende, dort woher der Vogel herabkam, der jetzt neben mir, leise sprühnden Gefieders bis zuletzt mich ermuntert: dort hinauf zu der Rose, die sich dreht in der Kuppel: o über dem Abschied des Tags, über den Schluchten, über verflackernder Lampe und über des Abgrunds Versuchung.
Aber Jagd der Wolken über das sammelnde¿ Tal ist ihm das einzige Leben, wenn er harrt in der Felsen Tiefe und das Gewand zerriss, dass ihn nichts trenne von den heiligen Lüften, nichts sei zwischen ihm und den wechselnden Fluten des Himmels.
02 Erst aber wenn in den Spalten der Wolken der Glanz erlischt und der dunkle Vogel, obgleich mit leise glänzenden Federn, herabkommt, bricht die Blume des Trostlichts auf ganz in der Mitte und silberne Samen fallen auf seiner Nacktheit bereiten // 102 Acker: wie er sich aufhebt da und geht mit Schmetterlingsflügeln ohne Schwere durch den Stille läutenden Raum, zu trinken den Honig im Grunde der Blume, vom ermunternden Vogel geleitet, der ihn dunkel umschwebt, mit leis Licht sprühenden Federn.
O des Daseins wechselnder Himmel, wechselnde Wolke, die da herabstürzt auf den erschreckten Garten: Blitzende Macht auf den schlafenden Hirten: wähle dieses, diese Schau in den aufgerissenen Himmel und die Erkenntnis der Höhe oder bleib in // 103 den Weiden Hüter der Herde! Wie denn soll ich dies sagen: ist doch was ich liebe zu schwer, was mich in den Träumen ruft nach der Mitte. Aber das andere auch ist nicht das meine. Nimmer wär ich daheim bei den Herden. Also bin ich hier und dort, immer zerrissen: Aber doch immer, immer wieder über die Schwäche meiner Seele getröstet, wenn mich zuweilen ein Sturm, Macht aus der Höhe besucht.
Die Hingabe an das mystische Zentrum sollte allein mein Leben und Handeln bestimmen: augenblicklich // 104 bin ich daran zu tun, was ich stets für gefährlich hielt: mich in das Karussel der Ämter zu setzen, mich an der Jagd nach Stellungen und bürgerlichem Ansehen zu beteiligen. Es kann dies natürlich schnell an der Beschaffenheit meiner Natur scheitern. Dann ist es gut. Es kann aber auch die Belastung mit äusseren Pflichten, das Erreichen äusseren Ansehns die Empfindung für das Eigentliche und die Kraft zum Eigentlichen, als Reaktion gleichsam, stärken, Konzentrationsfähigkeit wachrufen, die ich bisher nicht kannte. Dann ist es auch gut. Schlimm wäre es nur, wenn ich im Äussern // 105 aufginge, meine innerste Bestimmung darüber verlöre. Dann hätte ich mich falsch bestimmen lassen. Und auch der Zwang der Umstände, der mir nichts anderes lässt, wie es scheint, als diese Aufgabe zu übernehmen, könnte mich alsdann nicht entschuldigen.
Neu da ist die Kuppel wie die dröhnende Trommel, dröhnend von Sonne, die da schlägt den Ton auf die vollkommene Rundung.
Dichtung als Ort der Begegnung: die Aufgabe der Dichtung ist, in der höchsten Helligkeit zu stehen, dem, der sie anschaut, den Zusammenhang des Ganzen in der Gestalt klar zu machen, soweit dieser Zusammenhang überhaupt erkannt werden kann. Die Grösse seines Anteils an dieser Erkenntnis und die Evidenz, mit der sie in ihm erscheint, entscheidet den Wert des Gedichtes.
02 Im Gedicht muss die vollkommene Kommunikation erscheinen, die Aufhebung der Grenzen, das grosse Postulat der neuen Phase der menschlichen Geistes- und Seelengeschichte, muss in ihm geschehen. Das vollkommene Gedicht // 107 wäre das, worin diese Aufhebung restlos durchgeführt würde. Es wird nie geschrieben. Im Augenblick, wo das geschähe, wäre jede weitere dichterische Bemühung überflüssig. Der Dichter müsste eigentlich alle Wissenschaften kennen, Natur- und Geisteswissenschaften: vom Wissenschafter unterschiede er sich dann dadurch, dass er von der Ebene der Erkenntnis in seinem Werk hinüberginge auf die Ebene der Gestaltung, dass in ihm das Erkannte zur anschaubaren Gestalt würde, jenes höchste Licht ausströmend, das ihr nun zuflösse, weil sie in den Zusammenhang gesetzt, dem inspirierenden // 108 Geist ausgesetzt wäre.
Mein Verhältnis zum Christentum ist offenbar das des Gnostikers: für mich ist der Glaube eine Welt anschaubarer und zu verehrender Bilder, die gleichsam unsere sichtbare Welt von einem jenseitigen Sitz her durchdringt. Es ginge mir nun darum, diese Welt immer reiner zu erkennen, ihr Geist und Seele immer mehr entgegenöffnend.
02 Die Krise des Glaubens besteht für mich darin, dass sich mir in einem bestimmten Augenblick der Glaube von einer andern Seite, ein anderer Aspekt des Glaubens aufdrängte, der mir fremd und // 109 unvollziehbar war: der Glaube als eine gleichsam inhaltlose Haltung, als ein Ausharren im Leeren, Erwartung der Begnadung, Erhellung durch ein Unbestimmtes, Unbeschreibliches, von jeder Weltbeziehung Abgetrenntes. Auf den die Bilder gar nicht mehr zutreffen, der an sie nicht mehr gebunden ist. Es handelt sich um einen Glauben ohne Gestalt, der mir plötzlich als „der Glaube” erschien<,> aber zugleich als unvollziehbar, ja absurd. Während zugleich der Glaube als Gnosis, als Ruhen in der Anschauung des Göttlichen sich von mir entfernte, aufhörte, mein ganzes Wesen zu tragen und zu beleben, ohne freilich aufzuhören, Gegenstand geistiger Betrachtung, // 110 geistigen Spieles zu sein. Aber er ist nun gleichsam weggerückt, fern sichtbar, ich kann ihn in Augenblicken an mich heranholen, aber er ist nicht mehr einfach da, wie er früher da war, ich bin nicht mehr einfach darin, wie der Fisch im Wasser, wie ich früher darin war.
Die im Traum häufige Situation, dass man aus aller Kraft schreien möchte und den Mund aufreisst, aber es kommt kein Ton heraus, so ist die Lage, in der ich mich augenblicklich befinde, ich möchte schreiben, müsste schreiben, aber ich bringe keine vernünftige Zeile aufs Papier. Aus der inneren Beschaffenheit, // 111 die im extremen Fall so sich äussert, kommt wohl auch die Eigenart vieler meiner Gedichte, von denen man mir schon gesagt hat: sie blieben stumm, kämen nicht zum Klingen. Diese Eigenschaft fällt mir übrigens in vielen Versen von Konrad Weiss auf. Darum habe ich grosse Mühe, sie zu lesen.
„Wilhelm Meister“ als die Ergötzung und Ablenkung in meinem augenblicklichen Tief. Die vollkommene Einfühlung in jede Figur verbindet sich mit der Kenntnis, der Beherrschung jeder vorkommenden Situation. // 112 Und immer ist genug Distanz da, nie identifiziert sich der Erzähler mit einer Figur oder einer Lage, sodass stets alles offen bleibt, dennoch gelenkt nach der vorbestimmten Richtung.
Er aber spricht vom Fenster herab in die Tiefe, aus der leuchtenden Öffnung leuchtet sein Aug auf den schattigen Platz, diesen Anger der Leiden (Tal der Tränen, daraus wir flehen, Verbannte): dass ihr kommet herauf, zu schaun mein dreieinig Geheimnis, euch verborgen jetzt und gegenwärtig zugleich allem Klang und aller Figur, Blume aus Wirrnis immer dreifach // 113 leuchtend, Staubblatt und Stempel sind Zeichen. O was uns entfiel, entstürzte ins Nichtige ab. Immer aber kommt das leuchtende Antlitz, sprechender wieder. O Auge, O Blume.
Narziss sieht im Wasser sein Gesicht plötzlich verschwimmen, versinken, die Klarheit des Spiegels ist getrübt durch eine Bewegung, deren Ursache er nicht weiss. Und es hängt alles daran, dass er das reine Gesicht wiedergewinnt. Furchtbar ist nur die Entfernung, das sich verlieren ins undefinierbare andere. Oder ist das notwendig? Ist das die Entäusserung, das Engagement, von dem // 114 man immer spricht? Doch was soll das? Man kann nur das Eigentliche haben oder es verlieren, sich ihm annähern, oder sich von ihm entfernen. Alles andere ist unwichtig im Vergleich dazu.
Aber dieses auszudenken,
was uns bitterlich beraubt,
Wagen aus dem Weg zu lenken,
Masten in die Flut zu senken;
05 wer nur hätte früh geglaubt:
dass des Mittags Gold beschiene
dieses Schloss nur als Ruine
und den Garten ganz entlaubt.
Wie eine leuchtende Muschel umfängt mich die innere Wölbung, runde Höhlung voll des fruchtigen Tones, Tones der Stille, der da ist ewig immer gleich und kaum verändert steigt auf und nieder auf goldenen Sprossen: Engel in immer klareren Ordnungen sind die Wand – o Überraschung – des Raumes bei näherem Zusehn. Diese lebendig gelöste, beflügelte Mauer, unendlich singend, die sich zur Stille vereint, wie doch fasst sie mich, enthebt mich, schützt mich in dieser Entrückung nach innen, die da ist wie die Wiesen des Nachmittags, darauf ich schlief in den Knabensommern: ganz vertraut dem Gras und den Hummeln, ungetrennt von der Höhe, der mein // 116 Antlitz geöffnet, und arglos im Herzen. Das sind die Stunden der Engel.
Treibt ihr doch am niedern Ufer
kümmernd hin,
hell ist wie die Wasserrose
nimmer euch der Sinn:
05 wo sie schwebt auf dunklen Fluten
fest zugleich darin,
schwankt ihr wirr um Angstgebüsche
ohne Weltgewinn.
O der Schlinge entwunden, dem Netz entflohn
und losgerissen von der klebrigen Rute
flieg ich hinaus, hinweg aus dem summenden
Gespräch (da unten fern summt noch die
Rede des Paares an jenem Tisch
und ganz am Rand nur noch kaut der weisse
Kellner an seinen Nägeln<)>:
wie sie sich mühn, mich in das Ihre zu ziehn,
mich in der Schlinge zu halten.
05 Aber schon bin ich zu hoch und seh das
Meer hinter der Stadt,
das Gestirn lockt und zieht mich in
seinen andern Wirbel,
dieser Wirbel ist stärker:
und wär ich nicht glücklich, wenn // 118
es mich versengte
glücklicher in seiner Flammer zu sterben
als weiterzuzappeln dort in der Schlinge,
10 im Netze verwirrt mich zu regen und
an der Rute sklavisch zu kleben?
Wer das Fleisch noch duldet
kennt Begierde nicht,
wer noch Pferde reitet
kennt den Delphin nicht:
05 der ist noch verschuldet
Waldes Zwischenlicht,
wer nicht hellen Meeres
Fluten lieber bricht
und im Schaume fahrend
10 Himmeln sich ergibt. // 119
Auf dem Seile wandelt,
wer die Spiele liebt,
Heilsgeschienten Heeres
Gang und Regung handelt:
15 nicht ist der verschuldet
Waldes Zwischenlicht:
Wer das Fleisch noch duldet
kennt Begierde nicht.
Lieber Thomas,
01 ich fühle mich durch nichts so zum Eigenen ermuntert wie durch Deine Briefe: ich muss mich augenblicklich fast gewaltsam aus meiner Normalathmosphäre entrücken, wenn ich etwas tun will. // 120 Dabei leistest Du mir einen grossen Dienst.
02 Auf Hopkins kam ich durch Werthmüller, der mir die neue deutsche Ausgabe (Hamburg 1948) schenkte. Rychner schrieb mir dazu, ich solle ihn ruhig lesen, aber das Gegengift Horaz nicht vergessen. Da besteht, glaube ich, keine Gefahr.
Heileskräftig kommst du aus dem
Felsen hervor, der dich ein Jahr-
tausend bewahrt:
Bezwinger, Töter des Stiers:
05 Dir diene der Hund,
mit Speicheltriefenden Lefzen,
dir der Skorpion, als er ins Weiche
ihm biss. // 121
Du aber rittest als Sieger auf dem
10 brechenden Tier mit der roten Mütze,
wie heut du trittst aus dem Fels:
flammend im Zorn das Ant-
litz und zu Füssen bricht dir,
fruchtbar heraus, die leuchtende
Quelle.
Was bedarf ich noch, um nieder-
schwebend zu sehen
Denkmale heiliger Stadt und le-
benspendende Brunnen,
dieses Fluges hinweg und dieser Gefahr
der Entrückung?:
alles ist hier, wenn ich nur die Wirrnis
durchwandre,
05 löst sich alles in Licht, das von // 122
erhabenen Orten
Keller und Gosse bespült:
hier ja gibt es nicht Niedres
und das Gemeine bleibt nur ein
Anschein,
verwirrend das dämmernde Auge.
10 Nur wer schaut, den ereilt im Chor
der Jungfrau Maria
leuchtenden Bildnisses Macht, das zeugt
vom himmlischen Thron;
ihn nur zwingt vor der Treppe, die
hinab zur Strasse stürzt
von den vier Brunnen
15 seiner Bewegung Fall dass er sich der
Engel erinnre und ihres Tanzes
auf ewigen Stufen:
wie sie schon Jakob gesehn.
Nahe krächzt,
nahe das Schöpfrad,
hebt aus der Tiefe,
hebt aus dem innersten Herzen
05 der Erde den Eimer,
schwankenden Eimer,
voll noch, voll überfliessend dort unten,
aber im Steigen am Seil
gab er den Reichtum zurück,
10 lässt ihn fallen zum Schatz,
dem er entwunden.
O dass nur noch ein Tropfen
bliebe zur Letzung der Lippe
schmachtenden Pilgers,
15 den der Abendstern nimmer
tröstet und nicht des Mondes lächelnde Sichel:
wenn er dies reine // 124
aus der Tiefe mühsam geschöpfte
Wasser nimmer empfinge,
20 auch nicht einen Tropfen empfinge.
Allzu leicht nicht,
allzuleicht sei die Erfüllung,
wenn uns der Weg durch die Halden
voller Schotter und Bruch
05 leitet zur Lichtung des Gipfels:
wo die Beeren
tief in den Herbst noch süss
ruhn zwischen den Adern
der Blätter,
10 und noch an Weihnacht
glühen im Schnee. // 125
Finden wir doch, Verwöhnte,
dieselben Beeren
an Wegen des Tieflands,
15 aber nimmer verlangt unsre Sattheit
nach ihnen,
bis wir, ernüchtert im Schweiss,
mit in hoher Luft gekräftigten Sinnen,
uns bereitete Süsse
20 Süsse gütig verstreut,
wie die Eier den Kindern im Garten,
versteckt und geboten,
Gabe beseligt erfahren,
kostend nahe dem Himmel
25 Glück verschwendrischen Mahls.
O dem Bogen
sanft entschimmert
stösst der Pfeil
Gottentzücken
05 in das Herz, das ganz erhoben
schmerzend Teil
auf der Flammenspitze wimmert.
Die beglücken,
ach wie sind die Wiesen kahl
10 an den dürren Seelenrändern,
mag kein Kelch die Sonne loben.
Wie doch wimmert über den Zinnen der Geist eben vorüber gelassener Toter, eben vorüber gelassner an den dunklen Alleen, wehn sie in die Zypressen: sie ächzen und beugen sich unter dem Ansturm. Kommen sie höhnend herab und ruhn auf den Steinen, ihnen gewidmet Gedächtnis.
Aber es bleibt nicht, bleibt nicht
Reinigend herabgetrieben
steigt das Kind in diesen Wein,
Lächelnd rot im Kelch geblieben,
Feuer, durch das Blut getrieben,
05 trennt es liebenden Verein // 128
herrscht nur über Totenbein
Einem umgestürzten Kelch gleich,
ausgetrunken glänzt der Himmel
noch mit letzter Spur des Tages
in den Platz, der weg sich weich
05 flüchtet nach dem Mauerbraun,
sich verbrennt in roten Lichtern
des Theaters, feig sich klammert
an die Wagen: nicht zu schaun
Nachternüchterung und sprödes Morgengraun.
Wie doch fallen jäh die Flammen
Wanderern aufs Haupt hernieder,
stürzen gleich in allen Breiten
Vögel in das Aug hernieder:
05 In der Wüste zückt den Strahl,
Dürstenden, die nächste Sonne
peinigt jeden ohne Wahl.
Doch in Nächten steigt sie auf,
wie der Strahl aus Brunnentiefe,
10 steigt dem Heger ob sie schliefe,
Feuerschlange heiss herauf:
aus dem Herd in Leibesmitte,
Dass sie nimmermehr entglitte.
Aus den Klüften schlägt das Haupt
Geierflügel, lässt nur ziehen
Tappenden, des Lichts beraubt.
Doch in kahle Kammer schwebt
05 hell der Vogel aus dem Dunkel,
schlägt die Schwingen, streut Gefunkel,
das den Trauernden belebt
über allerkühnste Bitte:
Dass er nimmermehr entglitte!
Bringt mir Geier, trägt mir Flamme
in der Ödnis Tod hernieder,
findet in der Nächte Kammer
Taube, Schlange stets mich wieder.
Lieber Thomas,
dieser Abend ist wieder einer jener beängstigend hell-warm-feuchten, die es hier bei Schirokko gibt. Wir waren in San Clemente: die Mosaiken im Chor sind beleuchtet, in den Blumenranken reiche¿ Fruchtkörbe, Pfauen, Hirsche und menschliche Figuren in frischen Farben auf reinem Gold wie am ersten Tag. Zum ersten Mal war ich // 132 in den unterirdischen Gewölben der alten Basilika und im Mithrastempel: der Altar mit dem Relief des stiertötenden Gottes<,> dem Hund, dem Skorpion, den Fackeltragenden Jünglingen und der Schlange ist mitten in der Höhle aufgerichtet, ganz in der Apsis das Kultbild des Mithras: ein aufrechter Jüngling mit phrygischer Mütze. Die Heiligtümer dieser Religion seien immer in Höhlen gewesen, so wie ja auch die überall fast genau gleich wiederkehrende Szene mit dem Stiertöter in einer Höhle zu denken ist. (Eines dieser Bilder sah ich auch auf einer Terracotta im Basler Museum) // 133 Diese Weisheit habe ich aus Burckhardts „Konstantin“. Hier kam mir das wieder in den Sinn. Du musst das Buch einmal lesen, es bedeutet doch wohl die Entdeckung der Spätantike.
02 Hier macht man überall auf Plakaten Propaganda für und gegen den Atlantikpakt. Erstaunlich ist für uns Schweizer, wie erbittert die Prinzipien der Aussenpolitik umstritten sind. Dies und die offenbar sehr unausgeglichene soziale Lage lassen – trotz De Gasperi – hier das uns gewohnte politische Sicherheitsgefühl schwer aufkommen.
03 Das ist aber altkluges Gerede. Hast Du den Jünger-Artikel Kutters gelesen und das zugehörige Buch „Waldgang“. // 134 Jünger fröhnt seiner Neigung zum Äussersten, interpretiert die augenblickliche politische Lage auf d. pathetisch-Katastrophale hin. Das ist sehr unangenehm, eine Art verspätete Pfadfinderei: Waldlauf und Nummernspiel.
04 Grüsse die lorbeergeschmückte Vreni von uns beiden und komm zu Weihnachten nach Rom. Ob Du bei uns wohnen kannst, steht dahin, denn die Wohnung will und will nicht fertig werden.
Dieser Schrein birgt süssen Duft,
den die Winde herbewegen
Perserlandes Balsamluft,
Huldigung, sie Dir zu legen // 135
05 webend um den frischen Kranz,
dessen Farbe, trägt der Schrein,
lorbeerfarben muss er sein:
kleiner Gabe grosser Glanz
sei die Freundschaft, neu beglückte,
10 als Apollons Zweig sie schmückte.
Wölkt den Himmel leichter Schleier,
weiss ich, dieser Herbst ist schön,
sanftes Licht im grünen Weiher
weckt im Blinken jäh der Föhn.
Wölkt den Himmel leichter Schleier,
weiss ich dieser Herbst ist schön,
sanftes Licht im grünen Weiher
weckt im Blinken jäh der Föhn.
05 Rote Astern, letztes Bluten
reichen Jahrs, das nun verging,
reissen dreiste Silberfluten
nach dem Schlamm der Tiefe hin,
Kahle Welt will nicht verraten
10 Trauer weil sie Schmuck verlor,
zeigt ihr doch, <was> Sommer baten,
Winter dort Geschmeide vor. // 137
Spendet schon den Mitternächten
seiner Sterne Zaubersprühn,
15 eint aus sandverwehten Schächten
Flammen dem Gewölbeglühn.
Die Ruine scheint uns in den Hag,
in Gespräche, Wein am Nachmittag.
Was ists, das uns fernher übermannt,
in das Innre rückwärts Worte bannt,
05 die noch flossen wie der Brunn im Laub?
Ist Genuss der Stunde denn ein Raub // 138
am Denkmal, das uns alte Reiche liessen
ins Herz gebrannt, wenn jenes Bild zerfällt,
des letzte Quadern uns verstummen hiessen.
Die Ruine leuchtet in den Hag,
in Gespräch und Wein am Nachmittag.
Was ist's, das uns fernher übermannt,
nach der Quelle rückwärts Worte bannt?
05 Die noch sprangen wie der Brunn im Laub?
Ist Genuss der reifen Stunde Raub
frech am Mal das jene Reiche liessen
ganz im Herzen, wenn das Bild zerfällt
des geborstne Quadern schweigen hiessen?
Rötet nicht dieser neue Mond das Antlitz des Tages?
02 Schon mitten am Tag kommt er über den Bäumen, die ruhig die Gräber auf dem Hügel umstehen, rötlich empor.
03 Und entfacht in den Menschen dies mühsam verschüttete Feuer, dies vergessne, das sie erloschen geglaubt: Feuer der Angst, dass alles sich wende, dass morgen die Sonne nimmer den Garten erwecke und empfange der Vögel huldigend Singen,
04 dass nimmer der Wind bewege die Blätter und die Haare des Wandrers fächelnd spiele über die perlende Stirn:
05 dass einst nicht mehr sei dies Licht und die Ruhe, bestätigt vom // 140 schneeigen Gipfel des Bergs:
06 Dass nur noch bleibe der rötliche Mond und die gelben Wolken, die er anzieht böse um die letzte Stunde, die tiefste der Nacht, nur noch ihre Drohung über den Schläfern und dann der Donner furchtbaren Schalls von Süden nach Nord, von Westen nach Osten der Blitz, der Himmel ein Feuer,
07 und Sturz der Gestirne und Bersten der Erde, Wut des befreiten Stroms, des ufervergessenen Meers und Fall alles Festen, das Land von innen entzündet, Feuer und Wasser vereint zum Sturz in die Nacht aller Nächte. // 141
08 O dies Feuer, wie schlägt es empor aus der Asche, das wir verschüttet geglaubt, das heimlich glimmende, wenn dieser neue Mond rötet das Antlitz des Tages,
09 kommt auf dem Hügel hinter den Bäumen empor, die ruhig die Gräber umstehn.
O Betrübnis ist die dunkle Delle
wohin Tag und Stunde fliesst,
seit ich treibe mit der trüben Welle,
wo der Regen seine Schleier giesst
05 Wenn verschwimmen Felsen in der Feuchte // 146
Trümmer der Gebirge erster Zeit,
quält mich Frage, welchen Sturm es bräuchte,
welches Dämons wilde Herrlichkeit,
Trübsal dieses Winters wegzufegen,
10 neu zu schenken trocknen Uferpfad
Wachstums Kraft im kahlen Strunk zu regen,
grüne Krone unterm Sonnenrad.
Die Frauen sind zwar auf die Triebhaftigkeit des Mannes angewiesen, sie leben in einem gewissen Sinn von ihr, aber das <ist> ihnen oft, vielleicht normalerweise nicht bewusst, so ertappt man sie auf dem Wunsche // 143 gelegentlich nach einem Eheleben ohne Äusserung der Triebe. Das mag uns Männern unsinnig scheinen, aber es erklärt sich aus der andern Beschaffenheit der Frau: sie lebt stets so nah dem, was man beim Mann Trieb nennt, dass sie sich stets wieder vergegenwärtigen muss, dass der Mann keinen andern Zugang zum Leben hat als die Leidenschaft des Augenblicks, die ihn wieder und wieder zum Weib hinreisst. Ohne den männlichen Trieb wäre die Beziehung zwischen Mann und Frau sehr viel spannungsloser, ja, man kann sich fragen, wie oft überhaupt es noch zu einer solchen Beziehung käme.
Trennung trägt, die reichgezierte Barke
zu den Lampen<,> leuchtend Wiedersehn
Aus dem grünen Wasser die Delphine
rufen Lockungen, die schillernd wehn:
05 Blasen nahen Glücks ins Helle steigend,
dass ich doch vergässe dein Gesicht,
dass ich doch zur reinen Stunde neigend,
höbe auf im Delphin mein Gewicht.
Aber mich trägt, ob sie lecker schiene,
10 Hoffnung fort, die reichgezierte Barke.