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Briefe

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten
Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

An Peter Schneider, 2.11.1948

( 02. November 1948 )

[…]
Hier die Verse des Oktober: ich werde immer sicherer in meiner Aussage. Bild und Wort und Gedanke verschmelzen sich mir immer stärker. Desto mehr bedrückt mich, Du kannst es Dir wohl denken, die Resonanzlosigkeit der ganzen Arbeit. In ihr steckt meine eigentliche Aktivität. Aber es nimmt, ausser Dir, kein Mensch Notiz davon. Meinen hiesigen Freunden zeige ich nichts mehr: sie finden Verse zum vorneherein langweilig.

[…]

Details
Konvolut: Briefe
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)

An Peter Schneider, 18.1.1949

( 18. Januar 1949 )

[…]
hier einige der Verse vom letzten Jahr in neuer Bearbeitung: es wäre mir gut, wenn man sich bei einem Druck an diese zweite Fassung hielte. Du wirst den Unterschied gleich sehen, ich habe da und dort mehr präzisiert, durch Streichen, oder indem ich einen stärkern Ausdruck setzte. Auch in der Zeichensetzung tendiere ich jetzt eher zur Sparsamkeit. Man darf es hier vielleicht doch mit der Schulkonvention nicht allzu genau nehmen.

02 Wenn ich die Produktion seit letztem Frühjahr, also seit der Zäsur, überblicke, so scheint sie mir doch eine Art Einheit zu besitzen: die gleichen Motive kehren immer wieder. Damit ist die Gefahr der Manier gegeben. Doch gibt es dafür innere Gründe: sie drücken alle die gleiche Grundvision aus. Die Bilder werden sich also im gleichen Augenblick ändern müssen, wo es auch die Welt tut, für die sie zeugen. Und sie ist immer in Bewegung, wie ich hoffe.

[…]

Details
Konvolut: Briefe
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)

Von Max Rychner, 18.7.1950 (Die Tat)

( 18. Juli 1950 )

Sehr geehrter Herr Räber,

01 ich habe Ihre Gedichte mehrmals und zu verschiedenen Zeiten gelesen und habe zwei davon zurückgelegt zum Abdruck. Auf diesen legen Sie ja das Hauptgewicht.

02 Mir scheint, Sie haben recht: weiterhelfen können nur Sie allein sich; auf dieser Stufe bringt Bereden kaum mehr Förderung. Ich bin erstaunt, wie Sie Niveau und Klang rein durchhalten in diesen Gebilden, die aus gewollter Entfernung tönen oder antönen. Als Findlinge und Fremdlinge darin fielen mir Begriffe auf wie: Mitte, das Reinere, Wesensgebilde – die ohne Kraft daliegen; auffiel mir auch die menschenleere Landschaft in ihrer mythischen Vereinfachung, selten mit einem eigenen schauenden Blick angegangen.

03 Soviel Verhaltenheit, die immer wieder ansetzt, eine Botschaft durchscheinen zu lassen, deren Kern noch mehrdeutig flimmert! Wie durchgehend dicht // stehen die Zeilen beieinander; keine flaue Stelle. Die Lektüre aller Gedichte auf einmal wirkt freilich etwas gleichförmig; ich glaube, es wären noch andere, schwierigere Formen zu versuchen, um selbst diese angewandte lebendig zu erhalten.

04 Aber das alles wissen Sie wohl auch. Ich freute mich, Ihren Versen zu begegnen und hoffe, dass das künftig immer wieder der Fall sein werde.

Mit freundlicher Begrüssung
Ihr
Max Rychner

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes:

    Beidseitig beschrieben; Briefkopf: REDAKTION / DIE TAT / LIMMATSTRASSE 152 - ZÜRICH / Telephon 27 12 55
    Betreffend Die Tat, Nr. 197, 22. 7. 1950, S. 5 (Du näherst dich und Willst du ganz enthüllen jener Gottheit)

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Signatur: B-4-c-GEDI_001 (Schachtel 71)
  • Textverweis: Du näherst dich , Willst du ganz enthüllen jener Gottheit …*

An Peter Schneider, 13.12.1950

( 13. Dezember 1950 )

Lieber Peter,

hier der Vineta-Druck einiger meiner Gedichte: er ist nur zum Teil nach meinem Geschmack, das Exlusiv-Bibliophile erscheint mir bei einer Erstausgabe nicht ganz sachgemäss. Aber ich muss Rosenberg dankbar sein, dass er mir den Druck überhaupt angeboten hat: Wenig ist doch immer noch mehr als nichts!

Da es nur vierzehn Gedichte sind, fiel die Auswahl einseitig aus: ich wählte möglichst gleichartige, einigermassen im Zusammenhang stehende Stücke, so ergab es sich, dass anderes, dessen Veröffentlichung sich ebenso gut rechtfertigen liesse und diesem oder jenem nicht weniger gefallen würde, zurücktreten musste. Das liegt in der Natur des Unternehmens.

Soviel ich weiss, kommen in der nächsten Renaissance-Nummer weitere drei Stücke. Sie sind vielleicht doch etwas verschieden vom Ton des Bändchens: diese Mitteilung nur für den Fall, dass Du noch anderes zu sehen wünschest. Denn – hartnäckig, wie ich bin – habe ich die Hoffnung, dass ich doch einmal in Deiner Reihe die Ehre haben könnte, noch nicht aufgegeben. Obwohl die Lektüre von Silja Walter eher bedenklich stimmen muss: diese leicht fliessenden Verse verkaufen sich wohl ganz anders, als es meine umständlichen Produkte je könnten. Sie sind zu reflektiert, mit viel zu grosser Anstrengung geschöpft und geformt, als dass sich hoffen liesse, sie würden sich irgend einmal in absehbarer Zeit zu einigermassen sangbarer und damit auch leichter verkäuflicher Lyrik entwickeln.

Nun, ich vermute auf dem rechten Weg zu sein und glaube, dass uns heute nicht eine spätromantische, aus dem Urgeist des Volkstums oder ähnlichem gespiesene Manier verbindlich sein kann, sondern dass in unserer Lage, wo jeder auf den Kern seiner geistigen Wirklichkeit zurückgeworfen ist, nur die Tradition bestimmen // kann, die uns zur reinsten Darstellung des Geistigen auffordert: die Tradition der Antike, des Barocks, die unter den Neueren vielleicht am ehesten George und Borchardt aufgenommen haben. (Womit ich ja nicht etwa die Bedeutung eines Trakl z.B. herabmindern möchte: solche Figuren stehen zu weit ausserhalb jeder Reihe – aus reiner Gnade unmittelbar gleichsam – als dass sie hier angezogen werden könnten.)

Mit allen guten Wünschen für Weihnachten und das Neue Jahr der Deine

Details
Konvolut: Briefe
  • Details: Renaissance] Renaissance, Dez. 1950 (vgl. Textverweis)
  • Besonderes: Absender-Adresse: Oberer Rheinweg 19, / Basel
    Betr. Gesicht im Mittag 1950
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)
  • Textverweis: Engel des Lichts …* , Was ist im trüben Moor das Reinere …* , Wo denn anders ist dieser Strauch …*

Von Robert Konrad, 16.4.1951 (Essence)

( 16. April 1951 )

Herrn Kuno Räber
Basel / 16. 4. 51

Sehr geehrter Herr Räber,

01 Vielen Dank für Ihre Manus; ich habe sie inzwischen "grob" gesichtet und folgende m.E. schlackenreinsten zurückbehalten:

Wo denn anders ist dieser Strauch
O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit
Das heraufstieg in den Wald
Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer
Obgleich die Tore dröhnen
999999999999999999999

02 Diese sind sozusagen frei von lyrischen Clichébegriffen und allem zuviel. Das Zuviel und die abstrakt philosophischen Begriffe im Sinn der unausstehlichen Niet<z>sche"lyrik" (Scheinsteg und Scheinfluss!) tun einigen Abbruch.

03 Ich habe ein paar feine Bleistiftstriche unter die betreffenden Stellen gesetzt, nicht in dem Sinn, dass ich Sie korrigieren möchte, sondern immer im Gedanken, dass man sich gegenseitig helfen sollte und zwar vorneherum.

Mit freundlichen Grüssen
Ihr
R Konrad

Beilage: Rest des Manuskripts

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes: Typoskript, mit vielen Mängeln (z.B. der Notbehelf für die Unterstreichung); Briefkopf: ESSENCE * witikoner handpresse buchzelg 10 zürich 53 / telefon 343097 postcheck konrad VIII 43290
    Vgl. Raebers Reaktion: an Markus Kutter, 17.4.1951 und die Antwort an Robert Konrad, 1.5.1951
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Signatur: B-4-c-GEDI_002 (Schachtel 71)
  • Textverweis: Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer …* , Das heraufstieg in den Wald …* , O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit …* , Obgleich die Tore dröhnen in die Pfosten …* , Wo denn anders ist dieser Strauch …*

An Markus Kutter, 17.4.1951

( 17. April 1951 )

Basel, 17. 4.51

Lieber Markus,

01 eigentümlich, an Deinem römischen Aufenthalt fühle ich mich immer beteiligt. Das merke ich daran, dass ich so oft daran denke, dass ich Bekannten oft davon erzähle […].

02 Was Du sagst von der Schwierigkeit, die eigene Arbeit umfassend zu beurteilen, spiegelt auch genau meine Erfahrung. Anderseits kommt es doch sehr darauf // an, wer einen kritisiert. Nicht jeder ist kompetent. Das ist mir gegenwärtig, weil ich heute einen Brief vom Essence-Konrad erhielt, worin er sich zu Gedichten, die ich ihm sandte, kritisch äussert. Ich kommen nicht drum herum zu glauben, er habe das Entscheidend[e] darin nicht erfasst, er habe ein Stil-Gefühl, das ihm einen Zugang zu meiner Art zu sehen, zu denken, zu gestalten, verbiete. Vielleicht ist das bloss meine verletzte Eitelkeit, ich weiss es nicht. Aber eine gewisse Kritik lehne ich undiskutiert ab: sie kommt mir nicht an die Sache. Sie trägt Kategorien an meine Arbeit heran, die mich gar nicht interessieren, z. B. wenn man von „abstrakt philosophischen Begriffen im Sinn der unausstehlichen Nietzsche‚Lyrik‘“ spricht und mir die Kernbegriffe einklammert und mit Bleistift unterstreicht, wenn man mir gewisse Häufungen, die ich bewusst mache (Häufung ist ein Stilmittel wie ein anderes) als „Zuviel“ ankreidet usw. Da versöhnt mich die Schlussbemerkung, „dass man sich gegenseitig helfen sollte und zwar vorneherum“ nicht: ich kenne vorläufig diesen Herrn Konrad nicht und interessiere // mich nicht dafür, was er von meinen Gedichten hält. Ich würde mir nie anmassen, an den seinen herumzustreichen. Ich bin sehr für gegenseitige Kritik. Aber da muss man sich klar sein über eine Ebene, die man gemeinsam bewohnt. Man muss voneinander wissen, was man will. Sonst sticht man in der Luft herum, zwingt dem andern sich selber auf und erreicht nichts damit. – Genug mit dieser Expektoration: auf jeden Fall geruht er, fünf Gedichte in seine Zeitschrift aufzunehmen, das ist mir schliesslich die Hauptsache. Und so werde ich mir Mühe geben, um ihm in meiner Antwort deutlich aber höflich meinen Standpunkt darzulegen. Dieselben Verse übrigens, die ich ihm schickte, lege ich diesem Briefe bei: ich bitte Dich sehr, durch meine Auslassungen gegen Konrad Dich nicht abschrecken zu lassen und mir Deine Ansicht zu sagen, sei das nun ablehnend oder zustimmend: in jedem Falle ist es mir wichtig zu wissen, wie die Produkte auf Dich wirken.

[…] //

03 Meine äussere Lage hat sich insofern verändert, als wir nun zwei Zimmer, wovon das eine sehr gross ist, die in einander gehen, bewohnen. Wir haben Platz in Hülle und Fülle. Mein Arbeitstisch ist ein Schmuckstück: eine gute Louis Quinze-Imitation mit eingelassener dunkelgrüner, schwarz gemaserter Glasgussplatte. So schreibe ich wie auf einem schimmernden Wasser. Ich bilde mir ein, das inspiriere mich. Sonst ist alles gleich: ich suche eine Stelle ohne Erfolg. Vorletzte Woche habe ich das luzernische Sekundarlehrerexamen ganz anständig bestanden. Das wird sich hoffentlich auf die Dauer auswirken. Ich bemühe mich hier um ein Volontariat: auf der Bibliothek sind sie schon überfüllt. Vielleicht gelingt es am Historischen Museum. Dort ist zwar der mir nicht ganz // sympathische Reinhardt. Aber so im Kirschgarten alle Uhren und Öfen zu katalogisieren, wäre für eine Zeitlang eine erheiternde und lehrreiche Beschäftigung. Ich würde dann versuchen, mir den halben Tag frei zu halten. So gelänge es leichter, zwei Göttern zu dienen.

04 Meine Frau hat Deinen Brief mit ebenso grosser Freude gelesen wie ich: sie lässt Dich sehr grüssen.

Dein Kuno

Details
Konvolut: Briefe
  • Details: 4 1/2 Seiten; Namen durch Hrsg. z.T. anonymisiert
  • Besonderes: Briefzitate aus: R. Konrad an Raeber, 16.4.1951
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Signatur: E-03-B-02-RAEK_003
  • Seite / Blatt: 01, 02, 03, 04, 05
  • Textverweis: Von Robert Konrad, 16.4.1951 (Essence)

Von Markus Kutter, 20.4.1951

( 20. April 1951 )

Rom, den 20. April 1951

[…]
Zu Deinen Gedichten: Ich hätte im einzelnen dies oder jenes auszusetzen; Du vernachlässigst manchmal Dinge, die man nicht vernachlässigen darf. Aber das hat wenig Bedeutung neben dem andern, für das ich Dir nur meine ehrlichste Freude aussprechen kann: // Es ist eine volle, schöne und ganze Welt, die über diesen Gedichten steht und als deren tragende Säulen sie erscheinen. Du wünschest, dass Dir Penelope den Schlüssel zu meinem Garten gebe; nun – in Deinen Gedichten liegen Deine Gärten offen da. Du bringst Deiner literarischen Arbeit im Leben viel mehr Opfer als ich, der ich immer mit einem Fuss in der „Welt“ stehe und in mancher Beziehung wohl ein unkünstlerischer Mensch bin; aber ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, dass sich Deine Opfer gelohnt haben und wirklich lohnen, als da ich diese Gedichte ansah. Alle Deine Bilder stehen in einer heimlichen Kongruenz, sind alle von ungenannten Punkten her zusammengehalten und von dort aus auch sinnvoll, und das machte für mich, der // ich schwer genug um die Einheitlichkeit meiner Aussage kämpfe, ihren unnachahmlichen Wert aus. Daneben sind, wie gesagt, einzelne Desiderate unwesentlich; wenn Du es aber wünschest, so will ich sie Dir einmal aufzeichnen, nur nicht gerade jetzt, da ich sie erst zwei Tage angesehen habe.

[…]

Details
Konvolut: Briefe
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: B-2-Kutt_002

An Robert Konrad, 1.5.1951

( 01. Mai 1951 )

Kuno Räber,
Socinstrasse 1a,
Basel

1.5.51

Sehr geehrter Herr Konrad,

01 für Manuskript und Brief danke ich Ihnen. Es wird mich freuen, von meinen Versen in Ihrer schönen Zeitschrift zu finden.

02 Zu Ihren Einwänden gegen meine Arbeit nur dies: Kritik kommt wohl immer nur schwer zum Ziel, wenn der Kritisierende auf einer andern Denk- und Empfindungsebene zuhause ist, als der Kritisierte. Und Sie und ich bewohnen offenbar doch recht verschiedene Länder. So, um offen zu sein, kann ich mit dem, was Sie unter ‚schlackenrein‘, unter ‚lyrischen Clichébegriffen‘, unter ‚zuviel‘ verstehen, keine Vorstellungen verbinden. Meine Normen beziehe ich aus der Antike, wohl noch mehr aus der Barocklyrik und Calderon, von den Modernen am ehesten aus Borchardt und George. Freilich Originalität müssen Sie bei mir nicht suchen: sie interessiert mich überhaupt nicht.

03 Dies nur im „Gedanken, dass man sich gegenseitig helfen sollte, und zwar vorneherum“.

Mit allen guten Wünschen bin ich Ihr

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes: Antwort auf den Brief von Robert Konrad, 16.4.1951
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-1-DIVE/09

Von Markus Kutter, 6.5.1951

( 06. Mai 1951 )

Rom, 6. Mai 1951

[…]
Deiner Aufforderung, etwas über Deine Gedichte zu sagen, komme ich nur unter der einen Bedingung nach, dass Du meine allgemeine Einstellung ihnen gegenüber, wie ich sie im letzten Brief erwähnte, nicht vergissest. […]

02 Doch nun zu Einzelheiten. Bisweilen machst Du metrisch eigenwillige Formen, deren Notwendigkeit mir nicht verständlich ist. Vers 5 in „Was ist im trüben Moor“ (ich zitiere nach Gedichtanfang): warum lässt Du in diesem sonst regelmässigen Gedicht nach der vierten Hebung zwei unbetonte Senkungen stehen? wo Du „sie lastet“ durch „lastend“ ersetzen könntest? Im Gedicht „Irrgeworden vor dem Ueberhellen“, ebenfalls im 5. Vers die rhythmisch hässliche Endung „Trostlicht den“ welche den Ablauf des Gedichtes unterbricht. // (Im dritten Vers stand bei mir „Falle Spirals“ was ich wohl richtig in „Falls Spirale“ abgeändert habe.) Das Gedicht ist mir sonst aber eines Deiner besten. Es ist auf eine Art in sich verschlossen und selbst in einen Kreis verschlungen, die es geradewegs als Architektur erscheinen lässt. Es gehört jener „Kuppelwelt“ an, die eine Grundfigur Deiner Gedichte darstellt, und deren mögliche Verkörperung ich mir hier im Pantheon und anderen Kuppeln ansehe. – Eine ähnliche Geschlossenheit im Gedicht „Schwemmt der Fluss“, dort aber auch im zweitletzten Vers das leere „an dem“, das sich jedoch kaum ändern lässt, es sei denn, man setze den „Spendestrom“ in den Genitiv, wodurch das „an dem“ wegfiele. – Was das „zufällig“ in „Kühle tropft“ betrifft, das Streicher beanstandet, so würde ich // ihm doch beistimmen, vor allem auch aus metrischen Gründen, vor allem, da unsere Sprache bei diesem Wort nicht recht weiss, wo der Akzent liegt, auf zú oder auf fällig. Es ist dies eines der Gedichte, dessen Aussage mir übrigens nicht evident geworden ist. Im Gedicht „Wäre dieser Strom“ kann ich mich nicht abfinden mit dem letzten Vers, der als einziger sechs Hebungen aufweist und so einfach nicht recht im metrischen Schema Platz findet. Auch der Terminus „Brand“ zum Schlusse ist für jenen Leser, der nicht den Kosmos deiner Bilder angenommen hat – oder ihn nicht kennt! – mit zu unbestimmter Aussage erfüllt.

03 Wir haben ja in Basel schon einmal davon gesprochen, wie einzelne termini, die bereits // eine gewisse Bedeutung haben, nicht leicht neu verwendet werden können. Du musst es mit Dir selbst ausmachen, welchen Grad von Authentizität Worte wie: Unterwelt, Engelheer, gnadenglänzende Taube, der vom Siechtum ausgesparte Knabe, Lebensgärten, Väterhallen etc. besitzen. Ich halte sie nicht für unmöglich oder entwertet; ich glaube aber, dass sie nur mit dem höchsten Bewusstsein auch ihres überkommenen Wertes angewendet werden dürfen.

04 Vielleicht dass es Dich noch wunder nimmt, welche Gedichte ich als ein verantwortlicher Redaktor zur Publikation annähme. Es wären:

"Wo denn anders ist dieser Strauch"
„Schwemmt der Fluss“
„Irrgeworden vor dem Ueberhellen“
„Was ist im trüben Moor“ //
„Auf der Insel gehn“
„Vor dem offen auf den Strand“
„Das heraufstieg in den Wald“

Verschlossen blieben mir die Gedichte:

„“Wirr fährt hin und her“ (obwohl gerade in ihm einige Verse seltsam klar aufleuchten)
„Vergänglich ist auch dieses Bildnis“
„Kühle tropft“
„Dem der heimlich aus von Tänzern“
„Von den Gipfeln ist die fremde Taube“

05 Beim wiederholten Lesen ist mir auch etwas aufgefallen, was zwar überhaupt nichts gegen die Qualität Deiner Verse sagt, aber vielleicht ihre Annahme bei Redaktoren (erstaunlicherweise auch bei einem Streicher!) erschwert: Sie beziehen sich vielfach auf eine Welt, die in der deutschen Literatur eine geringere Rolle spielt als in romanischen Literaturen. Ich meine // eine katholisch – geschichtliche Welt. Man hat sich nach meiner Meinung nicht oft genug Gedanken darüber gemacht, wie protestantisch im Grunde seit Lessing und Herder die deutsche Literatur ist. Du musst verstehen, dass ich das nicht im Sinne eines Credos meine, sondern in der Beschaffenheit, der Substanz der dichterischen Welt. Deine Welt aber ist etwas anders; als Beispiel nenne ich die Gedichte:

„Die Taube trägt die heilige …“
„Wer da Gold wirft“
„Obgleich die Tore dröhnen“

und andere mehr. Sie atmen alle eine andere Luft. Und vielleicht sind sie auch mir fremder.

Im Grunde aber sind dies alles Dinge, die man im Gespräch bereden sollte, in einem Brief lässt sich derlei schwer sagen. // Ich habe Deine Gedichte hier auch einem Deutschen, Baron Bock von Wülfingen, der an der Münchner Pinakothek arbeitet, vorgelegt. Auch er hat manches als ausgesprochen schön und echt empfunden, sodass Du also die Kärtchen à la Streicher nur bedingt ernst zu nehmen hast. Ich will sie auch noch einem andern Deutsch-Römer vorlegen und gebe Dir dann wieder Bericht.

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes: Was ist im trüben Moor… usw. in Typoskripte spez. / Sammlung Kutter
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: B-2-Kutt_002
  • Textverweis: Irrgeworden vor dem Ueberhellen …* , Schwemmt der Fluss aus hohen, kaum gefurchten …* , Was ist im trüben Moor das Reinere …* , Wäre dieser Strom doch schon erhoben …*

Von Max Rychner, 7.8.1951

( 07. August 1951 )

Sehr geehrter Herr Räber,

ich habe gelesen und dreimal gewählt: 
Eine schwere Dolde,
Wäre dieser Strom,
Nimmer fand ich die Rose.

So fand ich es am besten für Leser, die zum erstenmal den Zugang zu Ihren Versen finden müssen.

An einem Gedicht habe ich einen Zusammenlauf von Abstrakta angezeichnet, die mich in dieser Häufung nur als Schall erreichten. Sonst fand ich in der Verbindung von Straffheit und Schwebe wohlgeglückte Gebilde, erfreuend gekonnt. //

Als Gefährdung sehe ich:

α) Monotonie;

β) Nicht individualisierte Bilder (Strom, Berg, Wald), die den Leser zu keiner Vorstellung zwingen, sondern ihn aus der nur idealtypisch vorgestellten Welt entlassen; daher denn auch:

γ) Gewählte, aber kraftlose Worte, die in andern Dichtungen ihre Würde gewannen, sie aber in jeder neuen neu gewinnen müssen. Sie sollten zuoberst in einer spürbar gemachten Hierarchie stehen, nicht allzu demokratisch unterschiedslos nebeneinander.

Darf ich Ihnen das zu bedenken geben? Ich glaube, dass man rundum schauen muss, um ungefährdet dort zu stehen, wo man stehen soll. Hat Konrad Weiss bei Ihnen eine Rolle gespielt?

Mit freundlichem Gruss der Ihre
Max Rychner

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes: Beidseitig beschrieben; Briefkopf: DIE TAT / Redaktion / ZÜRICH, LIMMATSTRASSE 152 / Telephon 27 12 55
    Abdruck der 3 Gedichte in Die Tat, Nr. 188, 14.7.1951
  • Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Signatur: B-4-c-GEDI__002
  • Textverweis: Eine schwere Dolde lässt …* , Nimmer fand ich die Rose …* , Wäre dieser Strom doch schon erhoben …*

Von Markus Kutter, 16.8.1951

( 16. August 1951 )

Basel, 16. Aug. 51

Lieber Kuno

ich bin Dir auch noch meine Glossen zu Deinen Gedichten schuldig – hier sind sie und zwar schriftlich, da man schriftlich vorsichtiger ist und doch auch sicherer:

02 Allgemein: Die „schwachen“ Termini, das heisst jene, deren Wert nicht feststeht und traditionell eher abgegriffen ist, kommen weniger zahlreich vor (verzeih den schulmeisterlichen Ton, aber er lässt sich nicht umgehen); ich nenne „Hallen des Todes“ [Dort aber], der Mond, der mit „Prangen“ [Reiner, reiner …] hinsinkt, die „Brände“ [In die Tiefe, wo …]. – Zugenommen haben die „räberschen“ Termini, das heisst jene, die eine ganz spezifische Färbung Deines poetischen Willens enthalten. In diesem Sinne höchst gelungen betrachte ich: „wo der Schatten kühner kämpft“ [Nur Bedrängnis …]; „in der Stunde, wo die Kinder des Vaters täglich sich treffen“ [Dort aber] (einem andern als Dir müsste man freilich den hölderlinischen Klang dieser Verse zum Vorwurf machen!); „unter zapfenreicher Fichte“ [Glanz im unbefleckten Osten]; // und dann besonders schön „der Gespräche stiller Zwischenlauscher“ [Der Schwan]. Der Schwan scheint mir von diesen Gedichten überhaupt mit Abstand das reichste und sicherste; bei ihm wird das Kreisprinzip (Uebereinstimmung des ersten und letzten Verses) zu einer richtigen musikalischen Besessenheit; es ist Dir gelungen, einen Hin- und Rückgesang zu schaffen, dessen Aussage noch mehr durch die Melodie der Worte als ihren sprachlichen Ausdruck, das heisst ihre direkte Bedeutung, getragen wird. Ich meine das so, wie es bei Mallarmé gewisse Gedichte gibt, die schon beim ersten Anhören auf musikalischem Weg eine Aussage vermitteln, die sich nachher bei genauer Betrachtung als dieselbe herausstellt, die von den Worten gegeben wird. –

03 Am wenigsten kann ich mich befreunden mit „In die Tiefe“ und „Reiner, reiner ist heut“. Beim ersten ist der Relativsatz nach „Stern“ bis „Bränden“ bildlich nicht plastisch, in seiner Länge wohl sogar ungeschickt, da das „nicht ein Schimmer“ // zuweit von seinem Hauptsatz abgetrennt wird., In Vers 5 ist man nicht sicher, ob sich hinter dem „er“ der Schimmer oder ein Adler als eigentliches Subjekt versteckt. Ueberhaupt habe ich nicht – es wird auch meine Schuld sein – begriffen, welche Welt und welcher Welt Personen sowie Mächte mit dem Magier, dem Sohne, der offenbarten Zahl etc. angerufen werden. Das Gedicht ist für mich hermetisch und dann doch nicht musikalisch genug. Grammatikalische Schwierigkeiten habe ich auch beim zweiten Gedicht; so ist mir Vers 9 unbegreiflich. Blenden die Todesfürsten trüglich in falschem Licht? Unschön finde ich die Repetition Vers 4 und 5: „mit Prangen“, „mit Flügeln“. Den Heiles Schilden steh ich skeptisch gegenüber; sie erinnern mich ohne böse Absicht an das Strassburger-Denkmal vor dem Bahnhof SBB. Uebrigens fällt mir auf, wie rhythmisch differenziert der erste Vers gestaltet ist: - v – vv – vv -, während die andern // recht harmlos ihr Schema ausfüllen. – „Glanz im“: das „schmetterlingsgleich“, auf das es ankommt, ist nicht geglückt. – „Dort aber“: den Klang des ganzen Gedichtes finde ich gefährlich schön, da er so stark an anderes erinnert. Einzelnes: am „Tor des Gewölbes“ finde ich blass. Nach „Schleier“ muss wohl ein Komma gesetzt werden, wenn man nicht gar, der Verständlichkeit halber, einen neuen Vers anfangen lassen will. Beim Schluss finde ich „die Leuchte schattenlos“ dem „ewig die Stunde“ an Intensität weit überlegen. In „Alter Frau Melancholie“ stört mich persönlich der Einschub mit dem Dämon, dem Gebirge, der Hallen Säulen. Die Verse um das „in Armes matter Beuge“ finde ich unendlich besser, und ich würde versuchen, in diesem Bilde weiterzuschreiben, ohne auf den dunkeln Dämon zu reden zu kommen, der für mein Gefühl sowieso auf einer anderen mythologischen Ebene liegt. //

04 „Wie die aufgebrochne Rose“: ich mache Dir die gewisse sententiöse Knappheit nicht zum Vorwurf; andere werden es schon noch tun. Das „Urbild überwindet Abbild“ hört man nicht ganz ruhigen Gewissens, es ist in einem Gedicht doch etwas gewagt. Dem Schwan kommt nach meinem Gefühl am nächsten „Nur Bedrängnis“. Freilich kann ich dort mit der Burg nicht viel beginnen, vor allem da sie als weises Gemäuer aus dem Silber zu scheinen scheint. („Weise Gemäuer“ finde ich als Versanfang unpassend, da es gegen den Rhythmus verstösst; denn alle übrigen Verse fangen sonst mit eigentlich zwei Unbetonten an und benützen den Rhythmus der Zahlreihe 3-4-1-2, mit Betonung auf 1. (Beispiele bei Goethe: Kleine Blúmen, kleine Blätter; oder: Als ich auf dem Euphrat schiffte!) – Das letzte „Schlafes“ würde ich aus denselben rhythmischen Gründen wahrscheinlich durch ein „Schlafs“ ersetzen, aber das ist nebensächlich. //

05 Dies meine gedanklichen Glossen. Wie gesagt bin ich am meisten vom Schwan getroffen worden und dann von einzelnen Bildern in andern Gedichten. Der Kreisschluss des Gedichtes als Zusammenspiel der ersten und letzten Strophe scheinen mir in Deiner poetischen Welt richtig und schön; Du brauchst Dich seinetwegen noch lange kein Manierist schimpfen zu lassen. Für alle Gedichte gilt sonst, was ich früher schon sagte: ich habe bei Deiner Produktion oft die Vorstellung eines Amphitheaters, dessen verschiedene Plätze und Reihen sich langsam mit einzelnen Gedichten füllen bis ein komplettes theatrum mundi vorliegt. –

[…]

Details
Konvolut: Briefe
  • Details: Verweise in eckigen Klammern von Hrsg.
  • Besonderes: Der Schwan usw. in Typoskripte spez. / Sammlung Kutter
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: B-2-Kutt_002
  • Textverweis: Der Schwan , Dort aber, dort aber glüht ...* , In die Tiefe, wo das Chaos braust ...* , Nur Bedrängnis statt erhofften ...* , Reiner, reiner ist heut dieser Lohn ...* , Wie die aufgebrochne Rose ...*

Von Markus Kutter, 26.1.1952

( 26. Januar 1952 )

Basel, den 26. Jan. 1952

[…]
Nun aber zu Deinen Gedichten, die wichtiger als meine Hypochondrie sind. Mein Urteil wirst Du freilich wieder unter den üblichen Vorbehalten zur Kenntnis nehmen müssen, auch unter dem, dass ich eigentlich für Gedichte nicht recht zuständig bin. – Ich zitiere wieder nach den ersten Worten oder nach dem Titel:

02 Römische Campagna: Je ne saisis pas. Nur die ersten zwei Verse empfinde ich als richtig. – Einzelnes: zu „feig“ (drittletzte Zeile): das ist eine häufige Konstruktion bei Dir, dass Du ein Adjektiv adverbial gebrauchst in einer Konstruktion, die einen solchen Gebrauch eigentlich sehr schlecht erträgt. Im dritten Vers wundere ich mich wieder über den unschönen Wechsel des Rhythmus nach den ersten zwei Versen, die rhythmisch vollkommen sind. Vergleiche klanglich: „Die Ruine leuchtet“ mit „Was ist's, das uns“! Das Gedicht muss meiner Meinung nach neu gemacht werden, und zwar nicht von der Idee, sondern von der bildlichen Anschauung her.

03 S. Maria della Vittoria: Unvergleichlich besser, auch wenn meinem Empfinden recht fern. Raebersche Bilder von vollkommener Prägnanz in Vers 6 und Vers 9. Ich meine immer, dass Du in Richtung solch gewalttätiger Bilder, in denen sich Abstraktes und Anschauliches auf so innige Weise verbündet und verbindet, arbeiten solltest. Zu bedenken wäre hier vielleicht, ob nicht das zweimalige o! durch etwas anderes ersetzt (wenigstens einmal) werden könnte. Vor allem das Nebeneinander von „eh beglückte“ und „O wie sind die Wiesen kahl“ finde ich etwas leer. //

04 Wie doch fallen jäh die Flammen: Ueber diesem Gedicht habe ich lange gebrütet. Seine metrische und gedankliche Konstruktion dünkt mich überaus interessant mit der eröffnenden, mottoartigen Strophe und den zwei parallel gerichteten Strophengruppen. Die Ausführung empfinde ich aber nicht auf der Höhe diese Architektur. Grammatikalisch unerlaubt scheint mir vor allem die zweite Strophe: es ist nach meinem Dafürhalten auch bei freier Behandlung der Sprache nicht möglich, jemandem etwas zu zücken. Zücken bezeichent doch nur die Bewegung des Herausziehens, des Aufblitzens zur Not noch, aber nicht des gezielten Stosses. „Peinigt jeden ohne Wahl“ ist mir zu dünn. Wie dem Gedicht beizukommen ist, weiss ich freilich auch nicht.

05 Allzu leicht nicht: Eines jener lehrhaften (im guten Sinn) besser: sentenziösen Gedichte, in denen Du eine ganz besondere Art der Aussage gefunden hast. Das Poetische entsteht hier immer durch eine bewusst unübersichtlich gehaltene Auffächerung der Grammatik, wie man es bei hölzernen Lehrgerüsten für Betonbrücken sieht, <wo ein Gewirr von Sparren die eingentlich erstrebte Form verstellt.> Es entsteht ein gewisses logisches „dépaysement“ des Lesers, die einzelnen Verse schwimmen beinahe selbständig vorüber, und doch ahnt man einen sicheren Zusammenhang. Unerlässlich ist dabei, dass dieser sichere Zusammenhang tatsächlich auch ganz streng logisch vorhanden ist; in diesem Gedicht scheint mir der zweite Satz (ab Vers 11) nicht vollkommen logisch durchgeführt zu sein; vielmehr nicht vollkommen evident: man erwartet eine Entbehrung, die dann schon durch eine Beere in Erwartung der Fülle gesetzt werden könnte; demgegenüber scheint aber die Süsse, die man lüstern erfährt, schon zu stark. Ich weiss nicht, ob ich mich klar ausgedrückt habe. Schön finde ich den Anklang an Ostern und Weihnacht, sprachlich ist das Gedicht aber schwächer. Mir hat es zuviele abstrakte termini: Erfüllung, Sattheit, Süsse, Gaben, Vorpfand.

06 St. Johann im Lateran: Die Ouvertüre dieses Gedichtes ist eine der besten, die Du je geschrieben hast. „Nahe krächzt, nahe das Schöpfrad“ finde ich sowohl in Bild wie Assoziation wie Vokal- und Konsonantenspiel überaus aufregend und geglückt. Die Fortsetzung ist diesem Anfang nicht gewachsen. Ich höre – wahrscheinlich ganz grundlos – immer Klopstocks Tropfen am Eimer. Kannst Du aus diesem Gedicht nicht noch etwas Grossartiges machen, wenn Du Dich überall so nahe an den poetischen Gegenstand // hälst und klammerst wie in den ersten zwei Zeilen? Du musst von abstrakten Begriffen wie Reichtum, Schatz, Letzung unbedingt weg, sie verderben Dir alles. Lies meinetwegen Rimbaud und trainier Dich ganz zynisch auf übertriebene Bilder, die Dir die Sprache beinahe zerreissen.

07 Trennung trägt: Auch ein Gedichttyp, für den Du so etwas wie Urheberrechte geltend machen darfst. Das kreisförmig in sich selbst zurückgebogene Gedicht. Ich finde es gut, muss aber in Einzelheiten pedantisch sein: der Delphin ist auf dem i betont, delphis heisst er schon im Griechischen. Es geht nicht an, ihn im selben Gedicht verschieden zu akzentuieren. (Ich weiss wohl, dass es als Präzedenzfall Altar und Altäre gibt, doch existiert dort kein griechisches Wort.) Dürfen Lockungen wehn? „Aber mich trägt“ stört in seinem Rhythmus die andern Trochäen empfindlich. (Im selben Vers muss es wohl heissen: leck erschiene, und nicht: lecker schiene, oder nicht? Für den zweiten Fall würde mich die Assoziation zum gastronomischen lecker irritieren.)

08 Wer das Fleisch noch duldet: Gleich beim ersten Lesen schien es mir das beste Gedicht. Hier nehme ich sogar den falsch betonten Delphin in Kauf, weil er nur einmal, und dann unzweifelhaft im Rhythmus eingespannt, vorkommt. Am schwächsten sind Vers 13 und 14. Was bedeutet es sprachlich, einen Gang und eine Regung zu handeln?

09 Den manche Wolke: Ist mir nicht evident geworden. Den Endreim des dritten Verses liebe ich nicht; Heym stellt die Adjektive auf diese Weise nach, aber es ist immer eine Verlegenheitslösung. Die axial-symmetrische Konstruktion des ganzen Gedichtes finde ich reizvoll, darf man aber sucht und Flucht (langes und kurzes u) reimen?

10 Abend auf der Piazza Colonna: Wieder ein unerhörtes Bild zu Beginn, auch sonst ein sehr starkes Gedicht. Desto schlimmer das adverbial gebrauchte nachgestellte Adjektiv „weich“ in dem vierten Vers. Mauerbraun – Benn hat hier vielleicht recht mit der Warnung vor Farben. Kannst Du nicht die stoffliche Beschaffenheit an Stelle der Farbe schildern? Rote Lichter dagegen halte ich für gelungen.

11 O der Schlinge: Irgendwie sind das (Vers 4 und 6) neue Töne in Deiner Lyrik. Mir scheinen sie richtig. Heute muss // jede Lyrik „the waste land“ durchschreiten. Richtig für Dich auch insofern, als sie Dich von den abstrakten Begriffen wegbringen. Sei doch konsequent in dieser Richtung. So wie es jetzt ist, spielt das Gedicht noch zwischen zwei Stilen.

12 Treibt ihr noch: Gelungene lyrische Sentenz. Ich habe nichts dazu zu bemerken. Am besten gefällt mir – trotz seiner Begrifflichkeit – das „fest zugleich darin“. Hier hilft die rhythmische Sauberkeit sehr zur Vorstellung.

13 Ianiculus: Gehört nach meinem Empfinden zu den schwächeren Gedichten Deiner Sendung; ich habe wieder geradezu heftige Assoziationen ans Strassburger Denkmal, wenn ich vom heilen Schilde höre. Auch das Vokabularium ist eher kraftlos.

14 Das wären sie also. Hab ich zuviel genörgelt? Man ist so schrecklich empfindlich, wenn man an die Mühen denkt, mit denen man jedes Gedicht aus seinen letzten Reserven hervorreissen muss. Du hast es nach wie vor in der Hand, meine Kritik nach Belieben herunterzuschrauben, falls Du in Deiner produktiven Freiheit beengt wirst. Für die Sendung an den Merkur musst Du auf jeden Fall aber noch auswählen. Wenn Du willst, bin ich bereit, Dich den Basler Nachrichten einmal aufzuschwatzen; ob es gelingt, weiss ich freilich nicht. Aber ich würde versuchen, Dich mit ein paar Sätzen einzuführen. Versorg mich also weiter mit Produkten.

15 Was die Prosa anbelangt, vor der Du Dich in metaphysische Entschuldigungen zu flüchten beginnst: Vielleicht hat Dein Bruder schon recht, nur übersieht er das Handwerkliche an der ganzen Sache. Eine Wendung zur Prosa vollzieht sich nicht nur in den Hintergründen, sondern muss auch im Handwerklichen erzwungen werden.

[…]

Details
Konvolut: Briefe
  • Besonderes: Römische Campagna usw. in Typoskripte spez. / Sammlung Kutter
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: B-2-Kutt_003
  • Textverweis: Allzu leicht nicht ...* , Römische Campagna , S. Johann im Lateran, Kreuzgang ...* , S. Maria della Vittoria , Trennung trägt, die reichgezierte Barke ...* (A*) , Wie doch fallen jäh die Flammen ...*

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Briefe (Datum)
  • An Peter Schneider, 2.11.1948

    […] Hier die Verse des Oktober:...

  • An Peter Schneider, 18.1.1949

    […] hier einige der Verse vom...

  • Von Max Rychner, 18.7.1950 (Die Tat)

    Sehr geehrter Herr Räber, 01 ich...

  • An Peter Schneider, 13.12.1950

    Lieber Peter, hier der...

  • Von Robert Konrad, 16.4.1951 (Essence)

    Herrn Kuno Räber Basel / 16. 4....

  • An Markus Kutter, 17.4.1951

    Basel, 17. 4.51 Lieber Markus, 01...

  • Von Markus Kutter, 20.4.1951

    Rom, den 20. April 1951 […] Zu...

  • An Robert Konrad, 1.5.1951

    Kuno Räber,Socinstrasse 1a,Basel...

  • Von Markus Kutter, 6.5.1951

    Rom, 6. Mai 1951 […] Deiner...

  • Von Max Rychner, 7.8.1951

    Sehr geehrter Herr Räber, ich...

  • Von Markus Kutter, 16.8.1951

    Basel, 16. Aug. 51 Lieber Kuno...

  • Von Markus Kutter, 26.1.1952

    Basel, den 26. Jan. 1952 […] Nun...

  • Von Markus Kutter, 29.4.1952

    Basel, 29. April 1952 Lieber...

  • Von Paul Huber, 19.6.1952

    Lieber Kuno, […] Also zunächst...

  • Von der Redaktion Deutsche Rundschau, 17.4.1953

    Herrn Dr. Cuno Raeber Tübingen...

  • Von Paul Huber, 19.4.1953

    Lieber Kuno, […] Die Gedichte...

  • An Paul Huber, 28.4.1953

    Tübingen, 28. 4. 53 Lieber Paul,...

  • Von Markus Kutter, 3.11.1953

    Basel, 3. Nov. 53 Lieber Kuno,...

  • An Peter Schneider, 04.11.1953

    Mein lieber Peter, mit den...

  • Von Paul Huber, 5.12.1953

    Lieber Kuno, von Deinen...

  • Von Walter Höllerer, 16.3.1954 (Akzente)

    Sehr geehrter Herr Doktor Raeber, 01...

  • Von Hans Rudolf Hilty, 25.3.1954 (Hortulus)

    Sehr geehrter Herr Doktor Raeber, 01...

  • Von Akzente, 7.4.1954

    Sehr geehrter Herr Doktor Raeber, in...

  • Von Hans Rudolf Hilty, 29.7.1954 (Hortulus)

    St. Gallen, den 29. Juli 1954...

  • Von Hans Rudolf Hilty, 30.8.1954 (Hortulus)

    Zur Zeit auf dem Bodensee, 30. 8....

  • An Thomas Räber, 4.11.1954

    Deine Briefe und Karten aus...

  • Von Hans Paeschke, 30.12.1954 (Merkur)

    Sehr geehrter Herr Raeber, 01 wir...

  • An Hans Paeschke, 5.1.1955 (Merkur)

    K.R.Zeppelinstrasse 8,Tübingen...

  • An Thomas Räber, 29.1.1956

    Zu deiner Grundsatzerklärung über...

  • An Thomas Räber, 22.2.1956

    […] Der „Merkur“ will im Juni...

  • An Thomas Räber, 27.5.1956

    […] Im übrigen habe ich einen...

  • Von Hans Paeschke, 8.6.1956 (Merkur)

    Sehr geehrter Herr Raeber, ich...

  • An Thomas Räber, 11.11.1956

    […] Die Separata des...

  • Von Paul Huber, 24.12.1956

    Lieber Kuno, […] Ich danke Dir...

  • Von Paul Huber, 27.12.1957

    Kirchberg, am 27. 12. 57. Lieber...

  • An Thomas Räber, 30.4.1958

    […] vorgestern Vorlesung hier im...

  • Von Hilde Claassen, 16.11.1962

    Lieber Herr Raeber, 01 Haben Sie...

  • An Hilde Claassen, 17.11.1962

    München, Ainmillerstrasse 1,...

  • Von Hilde Claassen, 23.11.1962

    Lieber Herr Raeber, 01 Für Ihren...

  • Von Hilde Claassen, 20.12.1962

    Lieber Herr Raeber, 01 Haben Sie...

  • An Markus Kutter, 21.3.1966

    8 München 13, Ainmillerstr. 1, /...

  • An Franz Josef Görtz, 28.5.1983 (FAZ)

    Kuno Raeber Ainmillerstrasse 1...

  • An Hans Altenhein, 10.7.1983 (Luchterhand)

    Lieber Herr Altenhein, 01 eben...

  • Von Hans Altenhein, 26.7.1983 (Luchterhand)

    Lieber Herr Raeber, 01 zwischen dem...

  • Von Zytglogge Verlag, 11.8.1983

    […] Leider konnten wir uns nicht...

  • Von Lenos Verlag, 24.10.1983

    Sehr geehrter Herr Raeber mit...

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