Briefe
Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten
Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen
[…]
Hier die Verse des Oktober: ich werde immer sicherer in meiner Aussage. Bild und Wort und Gedanke verschmelzen sich mir immer stärker. Desto mehr bedrückt mich, Du kannst es Dir wohl denken, die Resonanzlosigkeit der ganzen Arbeit. In ihr steckt meine eigentliche Aktivität. Aber es nimmt, ausser Dir, kein Mensch Notiz davon. Meinen hiesigen Freunden zeige ich nichts mehr: sie finden Verse zum vorneherein langweilig.
[…]
- Details
- Konvolut: Briefe
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Schreibmaschine
- Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)
[…]
hier einige der Verse vom letzten Jahr in neuer Bearbeitung: es wäre mir gut, wenn man sich bei einem Druck an diese zweite Fassung hielte. Du wirst den Unterschied gleich sehen, ich habe da und dort mehr präzisiert, durch Streichen, oder indem ich einen stärkern Ausdruck setzte. Auch in der Zeichensetzung tendiere ich jetzt eher zur Sparsamkeit. Man darf es hier vielleicht doch mit der Schulkonvention nicht allzu genau nehmen.
02 Wenn ich die Produktion seit letztem Frühjahr, also seit der Zäsur, überblicke, so scheint sie mir doch eine Art Einheit zu besitzen: die gleichen Motive kehren immer wieder. Damit ist die Gefahr der Manier gegeben. Doch gibt es dafür innere Gründe: sie drücken alle die gleiche Grundvision aus. Die Bilder werden sich also im gleichen Augenblick ändern müssen, wo es auch die Welt tut, für die sie zeugen. Und sie ist immer in Bewegung, wie ich hoffe.
[…]
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- Konvolut: Briefe
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Schreibmaschine
- Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)
Sehr geehrter Herr Räber,
01 ich habe Ihre Gedichte mehrmals und zu verschiedenen Zeiten gelesen und habe zwei davon zurückgelegt zum Abdruck. Auf diesen legen Sie ja das Hauptgewicht.
02 Mir scheint, Sie haben recht: weiterhelfen können nur Sie allein sich; auf dieser Stufe bringt Bereden kaum mehr Förderung. Ich bin erstaunt, wie Sie Niveau und Klang rein durchhalten in diesen Gebilden, die aus gewollter Entfernung tönen oder antönen. Als Findlinge und Fremdlinge darin fielen mir Begriffe auf wie: Mitte, das Reinere, Wesensgebilde – die ohne Kraft daliegen; auffiel mir auch die menschenleere Landschaft in ihrer mythischen Vereinfachung, selten mit einem eigenen schauenden Blick angegangen.
03 Soviel Verhaltenheit, die immer wieder ansetzt, eine Botschaft durchscheinen zu lassen, deren Kern noch mehrdeutig flimmert! Wie durchgehend dicht // stehen die Zeilen beieinander; keine flaue Stelle. Die Lektüre aller Gedichte auf einmal wirkt freilich etwas gleichförmig; ich glaube, es wären noch andere, schwierigere Formen zu versuchen, um selbst diese angewandte lebendig zu erhalten.
04 Aber das alles wissen Sie wohl auch. Ich freute mich, Ihren Versen zu begegnen und hoffe, dass das künftig immer wieder der Fall sein werde.
Mit freundlicher Begrüssung
Ihr
Max Rychner
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- Konvolut: Briefe
- Besonderes:
Beidseitig beschrieben; Briefkopf: REDAKTION / DIE TAT / LIMMATSTRASSE 152 - ZÜRICH / Telephon 27 12 55
Betreffend Die Tat, Nr. 197, 22. 7. 1950, S. 5 (Du näherst dich und Willst du ganz enthüllen jener Gottheit) - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: B-4-c-GEDI_001 (Schachtel 71)
- Textverweis: Du näherst dich , Willst du ganz enthüllen jener Gottheit …*
Lieber Peter,
hier der Vineta-Druck einiger meiner Gedichte: er ist nur zum Teil nach meinem Geschmack, das Exlusiv-Bibliophile erscheint mir bei einer Erstausgabe nicht ganz sachgemäss. Aber ich muss Rosenberg dankbar sein, dass er mir den Druck überhaupt angeboten hat: Wenig ist doch immer noch mehr als nichts!
Da es nur vierzehn Gedichte sind, fiel die Auswahl einseitig aus: ich wählte möglichst gleichartige, einigermassen im Zusammenhang stehende Stücke, so ergab es sich, dass anderes, dessen Veröffentlichung sich ebenso gut rechtfertigen liesse und diesem oder jenem nicht weniger gefallen würde, zurücktreten musste. Das liegt in der Natur des Unternehmens.
Soviel ich weiss, kommen in der nächsten Renaissance-Nummer weitere drei Stücke. Sie sind vielleicht doch etwas verschieden vom Ton des Bändchens: diese Mitteilung nur für den Fall, dass Du noch anderes zu sehen wünschest. Denn – hartnäckig, wie ich bin – habe ich die Hoffnung, dass ich doch einmal in Deiner Reihe die Ehre haben könnte, noch nicht aufgegeben. Obwohl die Lektüre von Silja Walter eher bedenklich stimmen muss: diese leicht fliessenden Verse verkaufen sich wohl ganz anders, als es meine umständlichen Produkte je könnten. Sie sind zu reflektiert, mit viel zu grosser Anstrengung geschöpft und geformt, als dass sich hoffen liesse, sie würden sich irgend einmal in absehbarer Zeit zu einigermassen sangbarer und damit auch leichter verkäuflicher Lyrik entwickeln.
Nun, ich vermute auf dem rechten Weg zu sein und glaube, dass uns heute nicht eine spätromantische, aus dem Urgeist des Volkstums oder ähnlichem gespiesene Manier verbindlich sein kann, sondern dass in unserer Lage, wo jeder auf den Kern seiner geistigen Wirklichkeit zurückgeworfen ist, nur die Tradition bestimmen // kann, die uns zur reinsten Darstellung des Geistigen auffordert: die Tradition der Antike, des Barocks, die unter den Neueren vielleicht am ehesten George und Borchardt aufgenommen haben. (Womit ich ja nicht etwa die Bedeutung eines Trakl z.B. herabmindern möchte: solche Figuren stehen zu weit ausserhalb jeder Reihe – aus reiner Gnade unmittelbar gleichsam – als dass sie hier angezogen werden könnten.)
Mit allen guten Wünschen für Weihnachten und das Neue Jahr der Deine
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- Konvolut: Briefe
- Details: Renaissance] Renaissance, Dez. 1950 (vgl. Textverweis)
- Besonderes:
Absender-Adresse: Oberer Rheinweg 19, / Basel
Betr. Gesicht im Mittag 1950 - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Schreibmaschine
- Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)
- Textverweis: Engel des Lichts …* , Was ist im trüben Moor das Reinere …* , Wo denn anders ist dieser Strauch …*
Herrn Kuno Räber
Basel / 16. 4. 51
Sehr geehrter Herr Räber,
01 Vielen Dank für Ihre Manus; ich habe sie inzwischen "grob" gesichtet und folgende m.E. schlackenreinsten zurückbehalten:
Wo denn anders ist dieser Strauch
O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit
Das heraufstieg in den Wald
Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer
Obgleich die Tore dröhnen
999999999999999999999
02 Diese sind sozusagen frei von lyrischen Clichébegriffen und allem zuviel. Das Zuviel und die abstrakt philosophischen Begriffe im Sinn der unausstehlichen Niet<z>sche"lyrik" (Scheinsteg und Scheinfluss!) tun einigen Abbruch.
03 Ich habe ein paar feine Bleistiftstriche unter die betreffenden Stellen gesetzt, nicht in dem Sinn, dass ich Sie korrigieren möchte, sondern immer im Gedanken, dass man sich gegenseitig helfen sollte und zwar vorneherum.
Mit freundlichen Grüssen
Ihr
R Konrad
Beilage: Rest des Manuskripts
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- Konvolut: Briefe
- Besonderes:
Typoskript, mit vielen Mängeln (z.B. der Notbehelf für die Unterstreichung); Briefkopf: ESSENCE * witikoner handpresse buchzelg 10 zürich 53 / telefon 343097 postcheck konrad VIII 43290
Vgl. Raebers Reaktion: an Markus Kutter, 17.4.1951 und die Antwort an Robert Konrad, 1.5.1951 - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: B-4-c-GEDI_002 (Schachtel 71)
- Textverweis: Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer …* , Das heraufstieg in den Wald …* , O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit …* , Obgleich die Tore dröhnen in die Pfosten …* , Wo denn anders ist dieser Strauch …*
Basel, 17. 4.51
Lieber Markus,
01 eigentümlich, an Deinem römischen Aufenthalt fühle ich mich immer beteiligt. Das merke ich daran, dass ich so oft daran denke, dass ich Bekannten oft davon erzähle […].
02 Was Du sagst von der Schwierigkeit, die eigene Arbeit umfassend zu beurteilen, spiegelt auch genau meine Erfahrung. Anderseits kommt es doch sehr darauf // an, wer einen kritisiert. Nicht jeder ist kompetent. Das ist mir gegenwärtig, weil ich heute einen Brief vom Essence-Konrad erhielt, worin er sich zu Gedichten, die ich ihm sandte, kritisch äussert. Ich kommen nicht drum herum zu glauben, er habe das Entscheidend[e] darin nicht erfasst, er habe ein Stil-Gefühl, das ihm einen Zugang zu meiner Art zu sehen, zu denken, zu gestalten, verbiete. Vielleicht ist das bloss meine verletzte Eitelkeit, ich weiss es nicht. Aber eine gewisse Kritik lehne ich undiskutiert ab: sie kommt mir nicht an die Sache. Sie trägt Kategorien an meine Arbeit heran, die mich gar nicht interessieren, z. B. wenn man von „abstrakt philosophischen Begriffen im Sinn der unausstehlichen Nietzsche‚Lyrik‘“ spricht und mir die Kernbegriffe einklammert und mit Bleistift unterstreicht, wenn man mir gewisse Häufungen, die ich bewusst mache (Häufung ist ein Stilmittel wie ein anderes) als „Zuviel“ ankreidet usw. Da versöhnt mich die Schlussbemerkung, „dass man sich gegenseitig helfen sollte und zwar vorneherum“ nicht: ich kenne vorläufig diesen Herrn Konrad nicht und interessiere // mich nicht dafür, was er von meinen Gedichten hält. Ich würde mir nie anmassen, an den seinen herumzustreichen. Ich bin sehr für gegenseitige Kritik. Aber da muss man sich klar sein über eine Ebene, die man gemeinsam bewohnt. Man muss voneinander wissen, was man will. Sonst sticht man in der Luft herum, zwingt dem andern sich selber auf und erreicht nichts damit. – Genug mit dieser Expektoration: auf jeden Fall geruht er, fünf Gedichte in seine Zeitschrift aufzunehmen, das ist mir schliesslich die Hauptsache. Und so werde ich mir Mühe geben, um ihm in meiner Antwort deutlich aber höflich meinen Standpunkt darzulegen. Dieselben Verse übrigens, die ich ihm schickte, lege ich diesem Briefe bei: ich bitte Dich sehr, durch meine Auslassungen gegen Konrad Dich nicht abschrecken zu lassen und mir Deine Ansicht zu sagen, sei das nun ablehnend oder zustimmend: in jedem Falle ist es mir wichtig zu wissen, wie die Produkte auf Dich wirken.
[…] //
03 Meine äussere Lage hat sich insofern verändert, als wir nun zwei Zimmer, wovon das eine sehr gross ist, die in einander gehen, bewohnen. Wir haben Platz in Hülle und Fülle. Mein Arbeitstisch ist ein Schmuckstück: eine gute Louis Quinze-Imitation mit eingelassener dunkelgrüner, schwarz gemaserter Glasgussplatte. So schreibe ich wie auf einem schimmernden Wasser. Ich bilde mir ein, das inspiriere mich. Sonst ist alles gleich: ich suche eine Stelle ohne Erfolg. Vorletzte Woche habe ich das luzernische Sekundarlehrerexamen ganz anständig bestanden. Das wird sich hoffentlich auf die Dauer auswirken. Ich bemühe mich hier um ein Volontariat: auf der Bibliothek sind sie schon überfüllt. Vielleicht gelingt es am Historischen Museum. Dort ist zwar der mir nicht ganz // sympathische Reinhardt. Aber so im Kirschgarten alle Uhren und Öfen zu katalogisieren, wäre für eine Zeitlang eine erheiternde und lehrreiche Beschäftigung. Ich würde dann versuchen, mir den halben Tag frei zu halten. So gelänge es leichter, zwei Göttern zu dienen.
04 Meine Frau hat Deinen Brief mit ebenso grosser Freude gelesen wie ich: sie lässt Dich sehr grüssen.
Dein Kuno
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- Konvolut: Briefe
- Details: 4 1/2 Seiten; Namen durch Hrsg. z.T. anonymisiert
- Besonderes: Briefzitate aus: R. Konrad an Raeber, 16.4.1951
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: E-03-B-02-RAEK_003
- Seite / Blatt: 01, 02, 03, 04, 05
- Textverweis: Von Robert Konrad, 16.4.1951 (Essence)
Rom, den 20. April 1951
[…]
Zu Deinen Gedichten: Ich hätte im einzelnen dies oder jenes auszusetzen; Du vernachlässigst manchmal Dinge, die man nicht vernachlässigen darf. Aber das hat wenig Bedeutung neben dem andern, für das ich Dir nur meine ehrlichste Freude aussprechen kann: // Es ist eine volle, schöne und ganze Welt, die über diesen Gedichten steht und als deren tragende Säulen sie erscheinen. Du wünschest, dass Dir Penelope den Schlüssel zu meinem Garten gebe; nun – in Deinen Gedichten liegen Deine Gärten offen da. Du bringst Deiner literarischen Arbeit im Leben viel mehr Opfer als ich, der ich immer mit einem Fuss in der „Welt“ stehe und in mancher Beziehung wohl ein unkünstlerischer Mensch bin; aber ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, dass sich Deine Opfer gelohnt haben und wirklich lohnen, als da ich diese Gedichte ansah. Alle Deine Bilder stehen in einer heimlichen Kongruenz, sind alle von ungenannten Punkten her zusammengehalten und von dort aus auch sinnvoll, und das machte für mich, der // ich schwer genug um die Einheitlichkeit meiner Aussage kämpfe, ihren unnachahmlichen Wert aus. Daneben sind, wie gesagt, einzelne Desiderate unwesentlich; wenn Du es aber wünschest, so will ich sie Dir einmal aufzeichnen, nur nicht gerade jetzt, da ich sie erst zwei Tage angesehen habe.
[…]
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- Konvolut: Briefe
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: B-2-Kutt_002
Kuno Räber,
Socinstrasse 1a,
Basel
1.5.51
Sehr geehrter Herr Konrad,
01 für Manuskript und Brief danke ich Ihnen. Es wird mich freuen, von meinen Versen in Ihrer schönen Zeitschrift zu finden.
02 Zu Ihren Einwänden gegen meine Arbeit nur dies: Kritik kommt wohl immer nur schwer zum Ziel, wenn der Kritisierende auf einer andern Denk- und Empfindungsebene zuhause ist, als der Kritisierte. Und Sie und ich bewohnen offenbar doch recht verschiedene Länder. So, um offen zu sein, kann ich mit dem, was Sie unter ‚schlackenrein‘, unter ‚lyrischen Clichébegriffen‘, unter ‚zuviel‘ verstehen, keine Vorstellungen verbinden. Meine Normen beziehe ich aus der Antike, wohl noch mehr aus der Barocklyrik und Calderon, von den Modernen am ehesten aus Borchardt und George. Freilich Originalität müssen Sie bei mir nicht suchen: sie interessiert mich überhaupt nicht.
03 Dies nur im „Gedanken, dass man sich gegenseitig helfen sollte, und zwar vorneherum“.
Mit allen guten Wünschen bin ich Ihr
- Details
- Konvolut: Briefe
- Besonderes: Antwort auf den Brief von Robert Konrad, 16.4.1951
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Schreibmaschine
- Signatur: B-1-DIVE/09
Rom, 6. Mai 1951
[…]
Deiner Aufforderung, etwas über Deine Gedichte zu sagen, komme ich nur unter der einen Bedingung nach, dass Du meine allgemeine Einstellung ihnen gegenüber, wie ich sie im letzten Brief erwähnte, nicht vergissest. […]
03 Wir haben ja in Basel schon einmal davon gesprochen, wie einzelne termini, die bereits // eine gewisse Bedeutung haben, nicht leicht neu verwendet werden können. Du musst es mit Dir selbst ausmachen, welchen Grad von Authentizität Worte wie: Unterwelt, Engelheer, gnadenglänzende Taube, der vom Siechtum ausgesparte Knabe, Lebensgärten, Väterhallen etc. besitzen. Ich halte sie nicht für unmöglich oder entwertet; ich glaube aber, dass sie nur mit dem höchsten Bewusstsein auch ihres überkommenen Wertes angewendet werden dürfen.
04 Vielleicht dass es Dich noch wunder nimmt, welche Gedichte ich als ein verantwortlicher Redaktor zur Publikation annähme. Es wären:
"Wo denn anders ist dieser Strauch"
„Schwemmt der Fluss“
„Irrgeworden vor dem Ueberhellen“
„Was ist im trüben Moor“ //
„Auf der Insel gehn“
„Vor dem offen auf den Strand“
„Das heraufstieg in den Wald“
Verschlossen blieben mir die Gedichte:
„“Wirr fährt hin und her“ (obwohl gerade in ihm einige Verse seltsam klar aufleuchten)
„Vergänglich ist auch dieses Bildnis“
„Kühle tropft“
„Dem der heimlich aus von Tänzern“
„Von den Gipfeln ist die fremde Taube“
05 Beim wiederholten Lesen ist mir auch etwas aufgefallen, was zwar überhaupt nichts gegen die Qualität Deiner Verse sagt, aber vielleicht ihre Annahme bei Redaktoren (erstaunlicherweise auch bei einem Streicher!) erschwert: Sie beziehen sich vielfach auf eine Welt, die in der deutschen Literatur eine geringere Rolle spielt als in romanischen Literaturen. Ich meine // eine katholisch – geschichtliche Welt. Man hat sich nach meiner Meinung nicht oft genug Gedanken darüber gemacht, wie protestantisch im Grunde seit Lessing und Herder die deutsche Literatur ist. Du musst verstehen, dass ich das nicht im Sinne eines Credos meine, sondern in der Beschaffenheit, der Substanz der dichterischen Welt. Deine Welt aber ist etwas anders; als Beispiel nenne ich die Gedichte:
„Die Taube trägt die heilige …“
„Wer da Gold wirft“
„Obgleich die Tore dröhnen“
und andere mehr. Sie atmen alle eine andere Luft. Und vielleicht sind sie auch mir fremder.
Im Grunde aber sind dies alles Dinge, die man im Gespräch bereden sollte, in einem Brief lässt sich derlei schwer sagen. // Ich habe Deine Gedichte hier auch einem Deutschen, Baron Bock von Wülfingen, der an der Münchner Pinakothek arbeitet, vorgelegt. Auch er hat manches als ausgesprochen schön und echt empfunden, sodass Du also die Kärtchen à la Streicher nur bedingt ernst zu nehmen hast. Ich will sie auch noch einem andern Deutsch-Römer vorlegen und gebe Dir dann wieder Bericht.
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- Konvolut: Briefe
- Besonderes: Was ist im trüben Moor… usw. in Typoskripte spez. / Sammlung Kutter
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: B-2-Kutt_002
- Textverweis: Irrgeworden vor dem Ueberhellen …* , Schwemmt der Fluss aus hohen, kaum gefurchten …* , Was ist im trüben Moor das Reinere …* , Wäre dieser Strom doch schon erhoben …*
Sehr geehrter Herr Räber,
ich habe gelesen und dreimal gewählt:
Eine schwere Dolde,
Wäre dieser Strom,
Nimmer fand ich die Rose.
So fand ich es am besten für Leser, die zum erstenmal den Zugang zu Ihren Versen finden müssen.
An einem Gedicht habe ich einen Zusammenlauf von Abstrakta angezeichnet, die mich in dieser Häufung nur als Schall erreichten. Sonst fand ich in der Verbindung von Straffheit und Schwebe wohlgeglückte Gebilde, erfreuend gekonnt. //
Als Gefährdung sehe ich:
α) Monotonie;
β) Nicht individualisierte Bilder (Strom, Berg, Wald), die den Leser zu keiner Vorstellung zwingen, sondern ihn aus der nur idealtypisch vorgestellten Welt entlassen; daher denn auch:
γ) Gewählte, aber kraftlose Worte, die in andern Dichtungen ihre Würde gewannen, sie aber in jeder neuen neu gewinnen müssen. Sie sollten zuoberst in einer spürbar gemachten Hierarchie stehen, nicht allzu demokratisch unterschiedslos nebeneinander.
Darf ich Ihnen das zu bedenken geben? Ich glaube, dass man rundum schauen muss, um ungefährdet dort zu stehen, wo man stehen soll. Hat Konrad Weiss bei Ihnen eine Rolle gespielt?
Mit freundlichem Gruss der Ihre
Max Rychner
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- Konvolut: Briefe
- Besonderes:
Beidseitig beschrieben; Briefkopf: DIE TAT / Redaktion / ZÜRICH, LIMMATSTRASSE 152 / Telephon 27 12 55
Abdruck der 3 Gedichte in Die Tat, Nr. 188, 14.7.1951 - Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
- Textart: Brief
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: B-4-c-GEDI__002
- Textverweis: Eine schwere Dolde lässt …* , Nimmer fand ich die Rose …* , Wäre dieser Strom doch schon erhoben …*