Kirchberg, am 27. 12. 57.
Lieber Kuno,
Nimm meinen Dank für Deine Gedichte und meine herzlichen Segenswünsche zum neuen Jahr, ohne dass ich beides mit viel Worten zu Deinen Gedichten begleite. Was Du auf den Umschlagsklappen des Bändchens über Dichtung sagst, halte ich für überaus gut. Dass es mir nicht leicht gelingen will, den Zusammenhang des Vielen in Deinen Gedichten mitzuvollziehen, mag daran liegen, dass ich nicht an dem Punkt stehe, von dem aus alles sich dem Erleben öffnet. Dass für Dich dieser Zusammenhang besteht, bestätigt mir der sprachliche Eigenbezirk, den jedes Gedicht ganz eindeutig bildet. Ich muss die Existenz Deiner Gedichte anerkennen; aber ihr Lebensgesetz ist mir fremdartig. Es wäre mir wertvoll zu erfahren, was Du denkst über Esoterik und öffentliche Verpflichtung der Lyrik. Deine Gedichte sind ja nicht subjektive Stimmungslyrik. Sie schaffen eine kleine objektive Welt für sich. Liegt das Zentrum dieser Welten am selben Ort, wo das Zetrum des "wirklichen" Kosmos liegt, so dass sich der unpoetische Kosmos ins Gedicht hinein nehmen liesse und umgekehrt?
[…]