Dienstag, 17 April 1951

An Markus Kutter, 17.4.1951

Basel, 17. 4.51

Lieber Markus,

01 eigentümlich, an Deinem römischen Aufenthalt fühle ich mich immer beteiligt. Das merke ich daran, dass ich so oft daran denke, dass ich Bekannten oft davon erzähle […].

02 Was Du sagst von der Schwierigkeit, die eigene Arbeit umfassend zu beurteilen, spiegelt auch genau meine Erfahrung. Anderseits kommt es doch sehr darauf // an, wer einen kritisiert. Nicht jeder ist kompetent. Das ist mir gegenwärtig, weil ich heute einen Brief vom Essence-Konrad erhielt, worin er sich zu Gedichten, die ich ihm sandte, kritisch äussert. Ich kommen nicht drum herum zu glauben, er habe das Entscheidend[e] darin nicht erfasst, er habe ein Stil-Gefühl, das ihm einen Zugang zu meiner Art zu sehen, zu denken, zu gestalten, verbiete. Vielleicht ist das bloss meine verletzte Eitelkeit, ich weiss es nicht. Aber eine gewisse Kritik lehne ich undiskutiert ab: sie kommt mir nicht an die Sache. Sie trägt Kategorien an meine Arbeit heran, die mich gar nicht interessieren, z. B. wenn man von „abstrakt philosophischen Begriffen im Sinn der unausstehlichen Nietzsche‚Lyrik‘“ spricht und mir die Kernbegriffe einklammert und mit Bleistift unterstreicht, wenn man mir gewisse Häufungen, die ich bewusst mache (Häufung ist ein Stilmittel wie ein anderes) als „Zuviel“ ankreidet usw. Da versöhnt mich die Schlussbemerkung, „dass man sich gegenseitig helfen sollte und zwar vorneherum“ nicht: ich kenne vorläufig diesen Herrn Konrad nicht und interessiere // mich nicht dafür, was er von meinen Gedichten hält. Ich würde mir nie anmassen, an den seinen herumzustreichen. Ich bin sehr für gegenseitige Kritik. Aber da muss man sich klar sein über eine Ebene, die man gemeinsam bewohnt. Man muss voneinander wissen, was man will. Sonst sticht man in der Luft herum, zwingt dem andern sich selber auf und erreicht nichts damit. – Genug mit dieser Expektoration: auf jeden Fall geruht er, fünf Gedichte in seine Zeitschrift aufzunehmen, das ist mir schliesslich die Hauptsache. Und so werde ich mir Mühe geben, um ihm in meiner Antwort deutlich aber höflich meinen Standpunkt darzulegen. Dieselben Verse übrigens, die ich ihm schickte, lege ich diesem Briefe bei: ich bitte Dich sehr, durch meine Auslassungen gegen Konrad Dich nicht abschrecken zu lassen und mir Deine Ansicht zu sagen, sei das nun ablehnend oder zustimmend: in jedem Falle ist es mir wichtig zu wissen, wie die Produkte auf Dich wirken.

[…] //

03 Meine äussere Lage hat sich insofern verändert, als wir nun zwei Zimmer, wovon das eine sehr gross ist, die in einander gehen, bewohnen. Wir haben Platz in Hülle und Fülle. Mein Arbeitstisch ist ein Schmuckstück: eine gute Louis Quinze-Imitation mit eingelassener dunkelgrüner, schwarz gemaserter Glasgussplatte. So schreibe ich wie auf einem schimmernden Wasser. Ich bilde mir ein, das inspiriere mich. Sonst ist alles gleich: ich suche eine Stelle ohne Erfolg. Vorletzte Woche habe ich das luzernische Sekundarlehrerexamen ganz anständig bestanden. Das wird sich hoffentlich auf die Dauer auswirken. Ich bemühe mich hier um ein Volontariat: auf der Bibliothek sind sie schon überfüllt. Vielleicht gelingt es am Historischen Museum. Dort ist zwar der mir nicht ganz // sympathische Reinhardt. Aber so im Kirschgarten alle Uhren und Öfen zu katalogisieren, wäre für eine Zeitlang eine erheiternde und lehrreiche Beschäftigung. Ich würde dann versuchen, mir den halben Tag frei zu halten. So gelänge es leichter, zwei Göttern zu dienen.

04 Meine Frau hat Deinen Brief mit ebenso grosser Freude gelesen wie ich: sie lässt Dich sehr grüssen.

Dein Kuno

  • Besonderes:

    4 1/2 Seiten; Namen durch Hrsg. z.T. anonymisiert
    Briefzitate aus: R. Konrad an Raeber, 16.4.1951

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Signatur: E-03-B-02-RAEK_003
  • Seite / Blatt: 01, 02, 03, 04, 05

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten

Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

Briefe (Datum)
(Total: 46 )
Suchen: Briefe