Samstag, 05 Dezember 1953

Von Paul Huber, 5.12.1953

Lieber Kuno,

von Deinen Gedichten, die ich in einem lang ersehnten Moment relativer Ruhe nochmals gelesen habe, gefallen mir am besten „Die Blume“, „Die Fische“ und „Der Flüchtling“. In den beiden ersten lebt in einer mich völlig überzeugenden Aussage ein bedeutendes Schicksal, das mehr als privaten Charakter hat. Im „Flüchtling“ wird eine geballte sinnlich-aesthet. Kraft glücklich zusammengehalten durch die Wiederholung der Anfangszeile. Es ist spannend, wie bei Dir das Thema der Esoterik, des Fremdseins, (Flüchtlings etc.) immer wieder aesthetisch anschaubar wird in ruhenden Bildern. Es wird dadurch von einem möglichen romantischen Verströmen des Ichs zu einem objektiv immer wieder darstellbaren Motiv. „Die Blume“ hat mich eigentlich erschüttert durch im Gedicht ausgesprochene Situation: in höchster Statik, der gegenüber die Gedichte des westöstl. Divans noch fast wie frei strömender Sturm + Drang anmuten, wird hier der Verlust der stabilitas anschaubar gemacht. Wie lange wirst Du es hier aushalten? Auf der einen Seite sehe ich die nicht sehr spannende Möglichkeit des quietistischen Anachoreten, der das Wasser in irgend einem Krug jenem Wasser vorzieht, in dem sich das unendliche Licht spiegelt: ihm ballt sich offenbar das freie Element nicht mehr zur Kugel! (Schöpft des Dichters reine Hand, Wasser wird sich ballen.“ (Divan)).

02 So gelungen auch „der Gang“ ist, das Gedicht steht mir auch etwas auf dieser Seite des im Kruge gereichten Trankes. // Auf der andern Seite sehe ich neues dichterisches Abenteuer, basierend auf immer neuem Erfahren. Vielleicht führt das neue Erleben zu immer wieder anders gestalteter Aussage der gleichen Zwischenstelung. Ich bin gespannt auf das weitere.

03 „Votivbild“ und einige andere reizen den Leser; aber ich frage mich, ob hier nicht der Verzicht auf ein spontanes Publikum, auf „Oeffentlichkeit“, wie sie Winckelmann etc. an den Alten gerühmt haben, nicht zu sehr einfach hingenommen wird.

[…]

  • Besonderes:

    Absender-Adresse: Zeppelinstr., 8 / Tübingen

    Vgl. Typoskripte 1953

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: B-1-SCHNPE (Schachtel 50)

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten

Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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