Notizbuch 1955-57

Inhalt: Notizen, 42 Entwürfe zu 37 Gedichten (1 Endfassung)
Datierung: 6.10.1955 – 7.4.1957
Textträger: schwarzes Notizbuch (Krokodil, Plastik), Bleistift
Umfang: 130 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (10 Gedichte), GEDICHTE (5 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: A-5-c/10 (Schachtel 29)
Spätere Stufen: Manuskripte 1955, 1956, 1957, Typoskripte 1955, 1956, 1957
Kommentar: Die Prosanotate, von hinten her bis S. 117 eingetragen, entstammen der Legenda aurea des Jacobus de Voragine und den religionswissenschaftlichen Studien von Mircea Eliade
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Diplomatische Umschriften (auch von den Prosanotaten)
Gefühlswälder sind süss zu durchwandern,
weil sie einen nie genau die Tageszeit
erkennen lassen
und sie mit ihrem Dämmer grünblau verwischen.
Sie erheitern mit Mondlichtungen,
05 wo das immer gleiche Reh mit den feuchten grossen
Augen uns ansieht und rührt.
Aber erst draussen am Abfall der Klippen,
wo nur noch niedere Macchia in der Salzluft gedeiht
und wo die Nacht kühl und klar unterm Mistral ist,
da erst begreifen wir, warum wir so lang gewandert // 004
10 im genauen Wintergespräch mit dem von der
Woge aufs Höchst gereizten
fernen, schneeredenden Fuji Jama.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Besonderes: Ortsangabe: Hamburg
- Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 003, 004
„Das inwendige Licht, das Gott selbst in uns anzündet,
kann durch die sinnliche Erfahrung der Welt geweckt werden“,
auch durch
die Lichter des Lampenladens
in der Vorstadtladenstrasse.
Durch den Weg zwischen den dunk-
len Gärten komme ich herein
und sehe ihn von ferne in der Reihe der vielen
Läden, die sich, aufgeputzte
05 Flitterkönige, Goldfüllungen in die gefallenen
Fassaden der Villen eingenistet,
eingefressen haben. // 006
Durch die sinnliche Erfahrung dieser
Läden, und vor allem dieses
einen Ladens,
des Flitterkönigs der den Stern trägt,
kann das inwendige Licht,
die alte Gaslampe,
der grell sum-
mende Bienenkorb, geweckt werden.
10 Das tröstet mich vielleicht, aber
hält mich nicht ab,
unfreundlich zur Verkäuferin im
Lampenladen zu sein,
die mir keine hohen roten Schirme für meine // 007
Appliquen verkaufen kann,
die nach oben fast in eine Spitze auslaufen,
sondern nur solche aus gelbem Pergament
mit grünen Zierstreifen und Goldrand,
wie man sie überall findet.
15 „Ich glaubte einmal, dass die Wahrheit im
Dunkeln gesucht werden müsse,
aber sie ruft draussen in den Gassen“
sogar dieser langweiligen Vorstadt, wo die
Hochbahn die Leute, die Geld haben
nach den Strassen im Zentrum trägt zu
Prediger und Co.,
die alle Arten von Schirmen haben, nicht nur rote, // 008
wie ich sie hier nicht bekomme,
sondern sogar solche mit über
die ganze Fläche verteilten Löchern
20 Und im Dunkel der Gärten finde ich
zwar eine alte Gaslampe hie und da
und einen Mann drunter, der nach weiss
ich nicht was ungeduldig ausschaut.
Aber hier finde ich nicht wie an der
Vorstadtstrasse pergamen-
tene Schirme mit grünen Streifen
und nicht wie die reichen Leute an <der>
Hauptstrasse im Zentrum bei Prediger // 009
die hohen roten Schirme, die nach oben
in eine Spitze auslaufen,
25 ja mehr noch, solche mit über die ganze
Fläche verteilten Löchern,
durch die das innere Licht überall durchscheint.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Details: V. 07 Emendation: trägtt → trägt
- Besonderes:
Notizen (S. 130):
Die Bahnhofhalle unter der Milchhaut: Tamino, der die Tiere mit der Flöte anzieht (und wegführt?) „Das inwendige Licht, das Gott selbst in uns anzündet, kann durch die sinnliche Erfahrung der Welt geweckt werden: man muss sich der sinnlichen Beschauung der Schattenbilder nur wie einer Notdurft und eines Werkzeugs bedienen und nicht darin beharren.“
Leibniz, nach Wolfgang de Boer
„Ich glaubte einmal, dass die Wahrheit im Dunkeln gesucht werden müsse; aber sie ruft draussen in den Gassen.“ Nicolaus Cusanus - Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 005, 006, 007, 008, 009
Am Band hält der Knabe das Lamm,
dass es ihm nicht wegläuft und nicht
hinaufläuft den Zickzackweg
durch die Felsen auf den Berg Gauri Sankar,
wo es im Eis sicher erfröre[.] // 011
05 statt hier warm zu bleiben auf den Knien der Mutter,
darauf ihr Sonnenantliz herabscheint.
Du sollst, mein Lamm, nicht ziehen am Band,
denn sicher willst du nur den Zickzackweg
hinauf durch die Felsen laufen,
wo wir im Eis sicher alle beide erfrören
10 auf dem hohen schneeglänzenden Berg Gauri Sankar.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Besonderes:
Darunter ein Pluszeichen und Neubeginn (b*)
Notiz (S. 130):
Maria, Jesuskind, Lamm am Fuss des Gauri Sankar: Das Kind ermahnt das Lamm dazubleiben. Der See oben gefroren, Drache tot. Ausserdem eine Expedition der Universität Kioto (Buddhisten) auf dem Weg - Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 010, 011 (oben)
Du sollst nicht ziehen am Band, mein Lamm,
als wolltest du weglaufen und
hinauflaufen den Zickzackweg
durch die Felsen und durch das
Eis auf den Berg Gauri Sankar, // 012
Sondern hier sollst du bleiben bei mir auf
den Knien der Mutter,
statt weg und hinaufzulaufen den Zickzackweg
durch Felsen und Eis zum See ganz oben.
05Der ist nun zugefroren und tot liegt im Grund
die schuppige Schlange, // 013
sodass wir mit ihr nicht mehr spielen können.
Und auch wir würden sicher bald alle beide erfrieren.
Lass lieber locker das Band und bleib auf den
Knien der Mutter,
mein Lamm am grasigen, blumigen Fuss
des eisigen Bergs Gauri Sankar.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Details: V. 04 Emendation: oben, → oben.
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 011 (unten), 012, 013
Mich reisst ein Schrei aus dem Fenster,
doch meine Flügel verwirren sich in die gespannten
Fäden,
ich hänge über den Gärten,
duch die das Auto herumsucht,
05 herumsucht und seinen Schein überall hin wirft,
in die Gärten und Büsche.
Die alte Dame, erregt, trinkt drüben im
Erker Tee mit ihrem Erretter // 015
Aber im Busch am Eingang der Villa,
steht aus den bitteren Blättern der Strolch auf,
10 der sie geängstigt und grüsst mit seinen Augen
herauf, mich, und entwischt,
der ich in den Fäden, über das Fenster
gespannten, hänge,
gehindert, zu fliegen zur Hilfe hinab,
gehindert zurückzusteigen ins Zimmer,
so gänzlich ins Netz verwirrt.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Besonderes:
Notizen (S. 129):
«Alte Frau, auf dem Heiweg von einem Strolch verfolgt, ruft um Hilfe, ein Auto hält an, sucht mit ihr im Villenvorort, aber vergeblich, wegen der vielen dunklen Gärten. Sie tröstet sich mit Tee in der Villa des Retters.
Ich springe aus dem Fenster, aber meine Flügel fangen sich in die gespannten Fäden. Jetzt hänge ich über der Strasse» - Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 014, 015
Ich bin mit den Flügeln in die Fäden verwirrt
und hänge vor meinem Fenster im Netz
in den Garten
mit schmerzenden Schultern:
Aus dem Auto unten, nachdem die Scheinwerfer
vergeblich die Gärten durchsuchten,
steigt die zitternde Dame und zeigt mit der
Hand: Hier war es,
dass er nach meiner Handtasche griff,
05 mit ihrem Retter und trinkt im Erker
seiner Villa drüben den Tee.
Und im Busch am Eingang steht der
Strolch auf und grüsst mich // 017
mit einem Blick,
der ich fiel ins Netz vor meinem Fenster
und nicht hinab kann zur Hilfe
und nicht zurück in das Zimmer, wo mich
der Schrei traf,
10 gänzlich mit meinen Flügeln und schmerzhaft
verwirrt.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Besonderes:
Wiedergabe: Zeilenumbruch folgt dem Textzeugen
Notizen: vgl. (a*) - Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 016, 017
Das was einem gefällt tun können,
wenn auch immer mit der nötigen Vorsicht,
das ist das Glück, das überhaupt ist der
Sinn dieses Lebens.
Durch die Strassen zu gehen, wenn es einen treibt,
05 von innen her, von einem unbekannten und
undurchschaubaren Zentrum her gesteuert:
darin besteht das Glück und der Sinn dieses Lebens.
Sich irgendwohin zu setzen unter fremden Menschen,
durch die Fenster den Aufgang der Strassen- // 019
lichter zu sehen,
dem Anzünden von Alabasterlampen
in fremden Schlafzimmern beizuwohnen
und dem Gespräch
10 alter verschwatzter Freundinnen über die Einsargung
einer Bekannten,
darin besteht das Glück und der Sinn dieses Lebens.
Einsam sich zu erinnern an Augen und Stimmen der Freunde,
die verloren, verloren und da sind
auf dem Gang durch fremde Viertel und
sitzend in unbekannten Lokalen,
15 einige Verse hinzukritzeln, inwendig lautlos // 020
zu singen:
wenn auch immer diskret und mit der nötigen Vorsicht,
damit mich der feiste Beamte nicht zur Rechenschaft zieht,
weil ich die 40 Wochenstunden vertrödle
und für mein Gehalt statt zu arbeiten dichte:
20 darin besteht das Glück und der Sinn dieses Lebens.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 018, 019, 020
Ich kann das Mädchen,
die im grasgrünen Pijama am Haustor lungert,
nicht fragen, ich kann den alten Pförtner, der
in der Loge alte Lampenschirme flickt
und mir freundlich die Zeitung gibt,
05 und bestätigt, dass sein Sonntag schön war trotz Regen,
ich kann die Bäume am Weg, die mir die Blätter
verdriesslich zuwerfen,
nicht fragen:
ob sie die Perle gesehen, die ich heute früh // 022
beim Erwachen plötzlich hielt in der Geisthand,
10 die mir sogar das Rasieren erträglich
und das Ankleiden leicht gemacht hatte
mit ihrem inneren Glanz.
Ich kann sie nicht fragen,
denn irgendwo auf der Treppe ging sie verloren,
15 fiel hinab unter ein Wahlresultat,
unter ein Gespräch mit der Fürsorgerin über
den Mathematikstudenten aus Wien,
ganz hinab, bis dort, wo ich allein, höchstens, sie finde,
so tief, dass ich ganz aufkratzen muss meine Böden
und alle Pflaster meiner Strassen aufreissen muss // 023
20 und vielleicht auch dann niemals wieder sie finde.
Aber was weiss schon ein Mädchen im Pijama,
was weiss ein Pförtner, was wissen die blattschwachen
Bäume,
was weiss die um alle besorgte Fürsorgerin
von der am Morgen in die Geisthand aus
25 der schon wieder weggeschwemmten Muschel
gefallenen Perle?
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Details: V. 03 Emendation: flickt, → flickt
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 021, 022, 023
Einmal wird die Krise so gross sein, dass wir sie
nie mehr überwinden;
am Tag, wo uns die klare Alluft fast fortträgt
und wo wir uns kaum mehr am Boden zu halten vermögen.
Denn der kleine Spielball steht für einen Augenblick still:
05 Nur um schnell im Nu zurückzurollen in die Kaminglut,
wo er in Asche alsbald zerfällt die wieder wirbelt
um diese Sonne, // 025
vor der wir uns heute zu Mittag so fürchten,
weil sie die Drohung hinter dem dröhnenden
Glanzschild verbirgt,
um die Sonne, die dann endlich lächelt
und die neuen Bälle ermutigt
10 zum kurzen Spiel in der Alluft.
Einst nach der grossen Krise, die wir nimmer, glaub mir
nimmer wie grad noch diesen schon schrecklichen
Mittag, heil überstehen.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 024, 025
Auf die von Lampen von innen erhellte
Säule aus leeren Likörflaschen
mitten im Dreieck des Bartisches stieg ich
mit meinem Unrastbogen und meinem Köcher
voll verbotner Gedanken
und schmolz das Dach weg mit meinem Atem
05 und schoss meinen ersten Pfeil zuhöchst in den
Himmel hinauf
und dann den zweiten ihm nach,
sodass er sich in des ersten bebende bunte
Feder einbiss;
und dann den dritten und vierten:
alle Pfeile reihte ich sicher zur Kette,
10 die herabhing vom Himmel und dann stand
schliesslich, als ich den letzten verschossen hatte,
leicht schwankend auf der leuchtenden Säule
aus ausgetrunkenen Flaschen.
Da kletterte ich, von den letzten schläfrigen Gästen,
die sich nicht allzusehr wunderten,
15 behende hinauf, geleitet und gereizt // 027
von den vielen bunten Gelenken.
Und als mir das lang befürchtete Brüllen
des Stiers immer lauter ins Ohr dröhnte,
da erschrak ich beim Gedanken, dass ich wohl hoch,
zu hoch geschossen.
Aber schon schob er die Sternbälle beiseite
und schnob mir und hob mir die
Hörner ins Gesicht:
wie lange warteten wohl die letzten Leute am Bartisch
auf meine Rückkehr?
20 Am andern Tag musste sich der Wirt, denk ich, eine
andere Attraktion suchen,
am besten ohne den Bogen und ohne Köcher:
einen Pianisten, der sein Tonseil geschickt in den
Himmel hinabwirft
und das Dach damit zerschlägt, sodass der Mörtel
und die Steine
die Säule aus leeren Likörflaschen zertrümmern
25 und sich dann hinablässt und mit den baumelnden Beinen
die Sternbälle beiseite schiebt;
dann erschrickt ihn, auch ihn, das Brüllen des Stiers // 028
und die aufgehobenen Hörner.
Die Gäste warten schon weniger lange, diesmal,
und verlangen den Zuschlag heraus.
30 Was für eine Attraktion soll der Wirt jetzt suchen?
Einen Jongleur mit Kugeln vielleicht?
Aber schon bald träfe auch der, wunderbar virtuos,
durch die beim Anstoss dumpf tönenden Bälle
auf den Hörner hebenden Stier.
35 Versuche, Wirt, es lieber ohne Attraktionen zu machen.
Heute verstehen die Artisten alle ihr Handwerk zu gut.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Details: Strophengrenzen unsicher
- Besonderes:
Notizen (S. 127/128):
Ein in Ozeanien verbreiteter Mythos erzählt, wie der Heros über eine Kette von Pfeilen in den Himmel gelangt sei, indem er den ersten Pfeil in das Himmelsgewölbe schiesst, den zweiten darüber und so fort, bis eine Kette zwischen Himmel und Erde gebildet ist. Eliade S. 137
„Der ostjakische Schamane singt, dass er sich auf einem Seil in den Himmel erhebe und die Sterne, die seinen Weg behindern, beiseite schiebe.“ Eliade S. 141 - Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 026, 027, 028
- Werke / Chronos: Dieses enorme Gedicht, 88-89
Lianen, Sonaten, Tonwurzeln klimmen
winden sich durch die Decken und Böden
vom Klavier, wo der Spieler sie aufwirft,
Schlangen, die der Spieler aus den Tasten aufzucken lässt,
05 mit dem Druck auf die Tasten aufzückt durch
die Decken und Böden,
sodass sie den Alten am Tisch von unten
her an Beinen und Füssen umfangen.
Der erschrickt nur langsam,
weil ihn die Arbeit zu sehr beschäftigt,
10 die Scherben alle, die er im Lauf der Jahre aus
den Strassen und Gossen gesammelt,
die sehenden Scherben wieder // 030
zum grossen Auge, das oben früher über der Stadt
hing, und am Tag des Gewitters herabfiel,
zusammenzusetzen, Schild seines Optikerladens.
Nun würgt schon die Schlinge
der Sonate und die blasse zähe
15 Liane der Tonleiter seinen Leib und seinen Arm
und lässt ihn die Scherben nicht fassen.
Liegt er nicht bald erstickt im Schlinggewächs oben,
während der Spieler unten ahnungslos emsig
eine Sonate beginnt
und das Metronom ihn leise unerbittlich aufhetzt
zur Untat.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 031, 032
Reicht die Leiter zur Olive,
sieben Leitern reicht herauf:
jedes, das in Büschen schliefe,
jedes Tier steigt hier herauf:
05 Und sie alle ihre Augen
tragen auf die erste Leiter,
auf die zweite, dritte Leiter,
bis zur siebten immer weiter:
wo beschwerlich steigt entgegen
10 augenschwach der Sonnengreis.
Sammelt alle ihre Augen,
bis sie seinem Antlitz taugen,
alle Tiere, alle Blumen, alle Bäche¿ an sich saugen: // 032
in sein schimmerndes Geleis
15 steigt zurück der Sonnengreis.
Lasst uns hin und wider gehen,
an den Teichen lauschend stehen,
wo der Frösche kühles Quaken
reisst des Julis schwüles Laken;
20 und die Wüste brennt dort fern.
Wenn wir plaudernd aus Versehn
mit dem Blick sie überwehn.
Wendet euch dann schnell zurück
zu des Gartens Blust und Glück.
25 Zu der Stickerei auf Seide
an des Kindes neuem Kleide,
dass sie an den Rosen wirken: // 033
und es hebt sich Schwesterauge
zu dem andern Schwesterauge.
30 Wie sich spiegeln in den Spiegeln
dieser milden Seelenlust.
Und die Wüste, die bleibt dort
flieht das Auge, flieht das Wort.
Bleiben wir im Kinderkleide,
35 unsrer Blicke, Hände Weide.
Jakobs Leitern tragen wir
auf die Höhe der Olive,
wo das Kind im Astwerk schliefe.
Und das leichte¿ Nachtgetier
40 wundre sich der Kleider Zier.
Spielt am Nachmittag die Flöte // 034
dass sie trage von den Spiegeln
zu den andern reinen Spiegeln
mit des frommen Glaubens Glänzen
45 eingewirkt in Kleides Glänzen,
in des Kindes Wirkkleid glänzen
Schwestern zarte Sympathie.
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1955-57
- Besonderes: Zum nachfolgenden Dramolett (Der offene Garten) gehörig
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung, Letzte Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: A-5-c/10
- Seite / Blatt: 031, 032, 033, 034