Montag, 06 Februar 1956

Das Linnen

Zwischen Russmauern,
eben unterschieden noch vom blauen Klirren
des gefrornen Himmelslinnens hängt Gedankenlinnens
weicher Flanell ein wenig in die Strasse.
05 Durchs Fenster greift des angestrengten Sinnens,
wachen, wüster offnen Träumens geschickter Finger,
zieht den Zipfel an der Zimmerpalme, die
unter der Zierlampe sich der grossen Mutter,
die in der Wüste mit dem starken Fächer im Sandwind
stand 
10 und unter jener grössten, dörrenden und aller Säfte
Widerspruch // 065
verlangenden Lampe,
zieht den Zipfel an der Zimmerpalme vorbei
zum Glastisch, breitet es, das ganze Linnen
auf der Platte aus. 
Auch von ihr ist es kaum unterschieden, durchsichtig
ganz wie sie, 
15 doch weich und wechselnd voll Figuren,
enthält inmitten jenen ganzen Tag,
den Brunnenhof unter den Zypressen,
die sein Strömen, Rauschen, Überfliessen tadeln,
den Faun, der mittagsirre aus dem Becken steigt,
20 sodass der Löwe, bröckelnd schon im Fresko,
neu aufbrüllt und den toten Büsser herauszuscharren
anfängt, // 066
Des Faunes Tanz und Wahnsinn füllt den Hof:
wirft ihn als Bild an die Wand der Höhle, die an
der Wand des Hofs sonst abgebildet war 
und macht das brüderliche Leben des Büssers und
des Löwen 
25 zur nähern Gegenwart: wer will noch unterscheiden.
Der Faun der tanzt, der Faun ist Brunnens 
überflossne Flut. 
– Doch die Frau, die unter der Zimmerpalme die
Pastete isst, 
macht mit dem Ellenbogen die Bewegung,
die ungeschickteste, 
die weg für immer weg das Linnen mit dem
eingwirkten Hof, 
30 des Wassers Wahnsinnsfaun wegreisst.
Er ist entglitten, der letzte weiche Zipfel aus
den Häusern weg. 
Allein klirrt nur das blaue Winterlaken.


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Das Linnen

Zwischen Linnen¿ in Brandmauern¿ Russmauern,

eben unterschieden noch vom blauen Klirren

des gefrornen
des  blauen Himmelslinnens hängt Gedankenlinnens

weicher Flanell in¿ der¿ ein wenig in die Strasse,.

Die Hand ergreift ihn, eine von den

ins Fenster

05 Durchs Fenster greift dens angestrengten Sinnenens,

wachenen, wüster offnen Träumens geschickter Finger,

zieht ihn¿den Zipfel an der Zimmerpalme, die

unter der schwachen Zierlampe sich wieder, schwach,

der grossen Mutter,

mit letzter

die in der Wüste mit dem starken Fächer im Sandwind

stand

10 und unter jener grössten, dörrenden und aller Säfte

Widerspruch //

Seite 065 (A-5-c_10_065.jpg)

ein¿ verlangenden Lampe,

zieht den Zipfel an der Zxximmerpalme vorbei

zum Glastisch, breitet sie es, das ganze Linnen

auf der Platte aus.

Auch von ihr ist es kaum unterschieden, durchsichtig,

ganz wie sie,

15 doch weich und wechselnd voller voll Figuren,

enthält inmitten jenen ganzen Tag,

den Brunnenxxxhof unter ta¿ den Zypressen,

die schwärzlich dies¿ sein Strömen, Rauschen,

Überfliessen tadeln,

den Faun, der mittagsirre aus dem Becken steigt,

20 sodass der Löwe aus dem, bröckelnd schon im Fresko,

neu aufbrüllt und den toten Büsser herauszuscharren

anfängt. //

Seite 066 (A-5-c_10_066.jpg)

Des Faunes Tanz und Wahnsinn füllt den Hof:

ist die Legende an den Wänden

wirft ihn als Bild anx die Wand der Höhle, die an

der Wand des Hofs sonst abgebildet

war

und macht dieas brüderliche Leben des Büsser und

des Löwen

25 zur näherenn Gegenwart: wer will noch unterscheiden.

Der Faun der tanzt, der Faun ist Brunnens

überflossne Flut.

– Doch die Frau, die unter der Zimmerpalme die

Pastete isst,

macht mit dem Ellenbogen die Bewegung,

die ungeschickteste,

die weg für immer weg das Linnen mit dem ein-

gewirkten Hof,

30 des Wassers Wahnsinnsfaun wegreisst.

Er ist entglitten, der letzte weiche Zipfel aus

den Häusern weg.

Allein klirrt nur das blaue Winterlaken.

6.2.56

 

  • Details:

    V. 24 Emendation: Büsser → Büssers

  • Besonderes:

    Transkription z.T. problematisch

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Fassung: Erste Fassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/10
  • Seite / Blatt: 064, 065, 066

Inhalt: Notizen, 42 Entwürfe zu 37 Gedichten (1 Endfassung)
Datierung: 6.10.1955 – 7.4.1957
Textträger: schwarzes Notizbuch (Krokodil, Plastik), Bleistift
Umfang: 130 beschriebene Seiten
PublikationDie verwandelten Schiffe (10 Gedichte), GEDICHTE (5 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: A-5-c/10 (Schachtel 29)

Bilder: Ganzes Buch (pdf)
Spätere Stufen: Manuskripte 1955, 1956, 1957, Typoskripte 1955, 1956, 1957
Kommentar: Die Prosanotate, von hinten her bis S. 117 eingetragen, entstammen der Legenda aurea des Jacobus de Voragine und den religionswissenschaftlichen Studien von Mircea Eliade
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Diplomatische Umschriften (auch von den Prosanotaten)

Weitere Fassungen

Notizbuch 1955-57 (alph.)
(Total: 45 )
Notizbuch 1955-57 (Folge)
(Total: 45 )
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