3.6.50
Sehr verehrter Herr Professor,
01 unser Gespräch von gestern liess //
mir die Vieldeutigkeit und Mehrseitigkeit
jeden Ausdrucks, den man seinem
Inneren gibt, neu und fragwürdig
erscheinen:
wenn duin
02 wenn durch dieer Arbeit über Sebastian
Franck ein zweifellos vorhandenes Miss-
trauen, eine Distanzierung von
ehrwürdigen, aber Formen, die aber
dochwohl irgendwie in einem be-
stimmten Augenblick ihre unbeding-
te Herrschaft über die Seele ver-
loren hatten, denenen die sie
an einer bestimmten Wendung ihres
Weges entfiel, wenn wenn ein sol-
ches Misstrauen darin sichtbar wurde,
so würde ich doch, eine solche
Distanzierung darin sichtbar wurde,
so ist mir anderseits seither, in
den letzten zwei bis drei Jahren – als
einen Wendepunkt möchte ich hier, //
wenn es Wendepunkte überhaupt gibt –
meine erste Fahrt nach Rom im
Frühjahr 1947 bezeichnen – noch
bestimmender, verpflichtender klar
geworden:
03 dass die grossen Gestalten, in deren
Anschauung wir Europäer aufge-
wachsen und gebildet sind, wohl
schlechterdings den einzigen über-
greifenden, verbindlichen Wert dar-
stellen, den wir zu vertreten,
und darzustellen haben. Und in in
diesem Zusammenhang erinnere
ich mich gern des Wortes von
Hofmannsthal, dass die katho-
lische Kirche das einzige grosse
Altertum sei, das uns in Europa
übrig geblieben ist: in ihr ist
die Einheit von Antike und
Christentum, in Gestalt und //
Innerlichkeit, von Wort und Kunst,
mit einem seltenen Glück vollzogen.
04 Insofern und genau insofern
würde ich mich katholisch
nennen: das mag wenig sein
den Eiferern, mir aber, der
ich etwas vom Zerstörenden,
vom gänzlich Verneinenden
der Revolte, des Nihilismus
zu ahnen glaube, mir ist
diese Entdeckung, die Sicht
auf diesen Verlust wertvoll
und eigentlich entscheidend.
05 Man muss sich
nun fragen, was der dies
Erkennende für eine Aufgabe
hat: es ist doch wohl die:
dass er das Ganze konkret kon-
kret konkret sichtbar zu machen //
sucht, dass er die hohe und
gültige Gestalt dem Zeitalter,
den Empfänglichen und
irgendwie Offenen des Zeit-
alters vermittelt: das wäre
mir der Sinn der Dichtung,
die Rechtfertigung meiner ei-
genen dichterischen Versuche.
06 Damit aber kommt
zugleich noch ein anderes: das my-
stische Prinzip der reinen Inner-
lichkeit, des innerlich gebietenden
Gottes, das, was doch das Grosse
scheint an der Reformation, das
ist immer da. Und es muss da
sein, wenn nicht das Leben er-
sterben, wenn die Form Ge-
stalt erfüllt und leuchtend
bleiben will. Es muss also im
Ganzen drin erscheinen, es muss //
die Verehrung der Gültigen
durchleuchten, ohne sie revolu-
tionär zu sprengen. Und hier
liegt die Schwierigkeit, aber
auch die Verlockung,: dass die-
se Haltung gelingt, die Ver-
ehrung der Gestalt und der
innere Gott müssen eins
werden. Dies Postulat scheint
mir entscheidend. Wie ich es
erfüllte, weiss ich noch nicht,
ich bin am Anf Anfang:
aber dass mir diese Mitte
zu erreichen, in dies Zentrum
vorzudringen gelingt, daran
entscheidet sich mir alles, in
Leben und Kunst.