Sonntag, 01 Januar 1950

Konzentration der gesamten inneren Kraft …*

Konzentration der gesamten inneren Kraft auf den sexuellen Eros, von einer Dauer, wie ich sie noch nie erlebte. Daran wird meine Neigung zur Monomanie wieder besonders deutlich. Alles wird stur durch die Mitte ertragen, durch das Zentrum erlebt und nur immer eines auf einmal. Diese Artung dem, was man Lebenstüchtigkeit nennt, nicht allzu günstig. Denn die Tüchtigkeit besteht doch wohl in der aktiven Erledigung des gerade Notwendigen, des im handgreiflich, gesellschaftlich-ökonomischen Sinne notwendigen. Nun, diese Tüchtigkeit lässt sich entbehren, wenn // 035 eine innere Aktivität an die Stelle tritt, das Bilden der geistigen Gestalt, wie ich es als Forderung mir stelle. Doch auch dies versinkt in der jeweiligen Woge der Leidenschaft. Und hier ist die Frage: wie wird mich diese Woge zurücklassen? Für jetzt bin ich entschlossen, mich nicht mit dieser Frage herumzuschlagen, mich der Woge zu überlassen auf jede Gefahr hin. Sich in das ganze Erlebnis hineinzuassen, das schliesslich nur gibt das stete Einverständnis mit den Grundkräften, davon man allein wirklich lebt. Daraus die echte Produktivität kommt. Geht sie daran zugrunde, ertrinkt sie // 036 endgültig in die Woge, so heisst das nur, dass sie ohnehin erstorben war, dass ich etwas wollte, was meinen Kräften nicht angemessen war. Dass es für mich nur das einfache Leben des ganz gewöhnlichen Menschen gibt. Ohne jede geistige Prätention. Es wäre dies das Ende alles Bisherigen für mich, der Anfang eines ganz Neuen auf neuer Ebene müsste versucht werden. Für den Augenblick ist alles offen.

02 Geschichte meiner Sexualität: zuerst dunkle Kraft auf dem Grunde, beängstigend, in ihrer Natur ganz unbekannt. Dann rasende Leidenschaft, wilder Trieb, gegenwärtig, aber stets im // 037 Innern verschlossen, heimlich einsam befriedigt. Dann jahrelang Versuche, die Mauer zu überwinden, Beziehung nach aussen, zu einem Partner zu finden. Zunächst ohne Erfolg, weil die Prinzipien der Erziehung, die Gegenkräfte einer andern, asketischen Moral noch zu stark sind. Endlich reisst der Damm weg, der Trieb überfällt, was ihm gerade in Reichweite kommt. Langsam nur stellt sich die wirkliche Beziehung her, die geschlechtliche Einheit im umfassenden Eros. Das kann nur in der Ehe sinnvolle Gestalt finden. Ich kann ihr nicht ausweichen. Selbst auf die Gefahr hin, // 038 dass mir nichts übrig bleibt ausserhalb. Ob ich auch vermuten darf, dass sich schliesslich ein Gleichgewicht herstellt und gerade in dieser neuen Lebensform wieder Kräfte frei werden, von denen ich zuvor nichts wusste.

03 Auf jeden Fall: hatte ich die Kraft zur Askese nicht, zur Enthaltung vom Geschlechtlichen, bekannte ich mich zum Naturtrieb und zu seiner Lust, so muss ich wohl auch die Verpflichtung auf mich nehmen, die daraus folgt, die Verpflichtung, dem Trieb eine Gestalt zu geben. In diesem Sinne muss ich die Ehe bejahen und sie versuchen, wie sehr mir auch meine Be-// 039 gabung zum Familienvater zweifelhaft sein mag.


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01 Konzentration der gesam-

ten inneren Kraft auf den sexuel-

len Eros, in einem Grade, wie ich

sie noch nie erlebte und von ei-

ner Dauer, wie ich sie noch nie

erlebte. Daran wird meine Nei-

gung zur Monomanie wieder

besonders deutlich. Alles wird

stur durch die Mitte ertragen, durch

das Zentrum erlebt und nur

immer eines auf einmal. Diese

Artung dem, was man Lebenstüch-

tigkeit nennt, nicht allzu gün-

stig. Denn die Tüchtigkeit be-

steht doch wohl in der aktiven

Erledigung des gerade Notwen-

digen, des im handgreiflich,

gesellschaftlich-ökonomischen Sinne

notwendigen. Nun, diese Tüch-

tigkeit lässt sich entbehren, wenn //

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eine innere Aktivität an die Stel-

le tritt, das Bilden der geistigen

Gestalt, wie ich es mir als For-

derung stellen mir stelle. Doch

auch dies versinkt in der jeweili-

gen Woge der Leidenschaft. Und

hier ist die Frage: wie wird mich

diese Woge zurücklassen? Für

jetzt bin ich entschlossen, mich

nicht mit dieser Frage herumzu-

schlagen, mich der Woge zu über-

lassen, auf jede Gefahr hin.

Sich in das ganze Erlebnis hin-

einzulassen, das schliesslich nur

gäbe¿ gibt die das stete Einver-

ständnis mit den Grundkräf-

ten, davon man allein wirk-

lich lebt. Daraus die echte

Produktivität kommt. Geht sie

daran zugrunde, ertrinkt sie //

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endgültig in die Woge, so heisst

das nur, dass sie ohnehin er-

storben war, dass ich etwas woll-

te, was meinen Kräften nicht an-

genmessen war. Dass es für mich

nur das einfache Leben des ganz

gewöhnlichen Menschen gibt.

Ohne jede geistige Prätention.

Es wäre dies das Ende alles Bis-

herigen für mich, der Anfang ei-

nes ganz Neuen auf neuer

Ebene müsste versucht werden.

Für den Augenblick ist es das

Besist
Beste, alles offen zu lassen.

02 Geschichte meiner Sexa Sexualität:

zuerst dunkle Kraft auf dem

Grunde, beängstigend, in ihrer Na-

tur ganz unbekannt. Dann

rasende Leidenschaft, wilder Trieb,

stets gegenwärtig, aber stets im //

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Innern verschlossen, heimlich

einsam befriedigt. Dann jahre-

lang Versuche, die Mauer zu

überwinden, Beziehung nach

aussen, zu einem Partner zu

finden. Zunächst ohne Er-

folg, weil die Prinzipien der Er-

ziehung, die moralischen Gegen-

kräfte einer andern, asketischen Mo-

ral noch zu stark sind. Endlich

reisst der Damm weg, der Trieb

überfällt, was ihm gerade in Reich-

weite kommt. Langsam nur

stellt sich die wirkliche Bezie-

hung her, die geschlechtliche Ein-

heit in der im umfassenden

Eros. Das kann nur in der

Ehe sinnvolle Gestalt finden.

Ich kann ihr nicht ausweichen.

Selbst auf die Gefahr hin, // 

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dass mir nichts übrig bleibt aus-

serhalb. Ob ich auch zu vermu-

ten ldarf
ten wage, dass sich schliesslich ein

Gleichgewicht herstellt und gera-

de in dieser neuen Lebensform

wieder Kräfte frei werden, von de-

nen ich zuvor nichts wusste.

03 Auf jeden Fall: hatte ich die

Kraft zur¿ zur Askese nicht, zur

hatte ich die Enthaltung vom Ge-

schlechtlichen, bejahte bekannte

ich mich zum zum Naturtrieb

und zu seiner Lust, so muss

ich wohl auch die Verpflichtung

auf mich nehmen, die daraus

folgt, die Verpflichtung, dem

Trieb eine Gestalt zu geben.

In diesem Sinne muss ich die

Ehe bejahen und sie versuchen,

wie sehr mir auch meine Be-//

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gabung zum Familienvater zwei-

felhaft sein mag.

1.1.50

  • Besonderes:

    Gleicher Text wieder im Tagebuch, 1.1.1950

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Prosanotat
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: C-2-b/03
  • Seite / Blatt: 034, 035, 036, 037, 038, 039 (oben)

Inhalt: Notizen, Prosa, 71 Entwürfe zu 54 Gedichten (8 Endfassungen)
Datierung: 7.12.1949 – 10.11.1950
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert; Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (7 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/03 (Schachtel 79)
Bilder: Ganzes Buch (pdf)

Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50, Kutter
Kommentar: 9 Texte rhythmische Prosa, 21 reine Prosanotate, 1 Briefentwurf
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (3 private Prosanotate nicht erschlossen)

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