Mittwoch, 25 Oktober 1950

Einleitung zum Helblingabend …*

Einleitung zum Helblingabend:

01 Dichtung ist Übermittlung einer Schau: die verborgene Realität wird dem Leser oder Hörer mitgeteilt. Da sie Schau und wiederholende Gestaltung der Realität ist, hat sie Existenz – einmal da – ganz unabhängig vom Dichter. Darum die Person des Dichters von durchaus zweitrangiger Bedeutung.

02 Diese Gedichte bedeuten nichts als sie selbst. Ihr Sinn soll in ihnen selber gesucht werden: Es gibt keinen Gegensatz von Form Inhalt, sodass etwa der Inhalt, die Bedeutung hinter der Aussage gesucht werden müsste. Der innere Sinn erscheint in der // 133 Gestalt, der Sprachgestalt des Gedichtes.

03 Es ist vielleicht nicht immer möglich, diese Verse mit einmal Hören ganz aufzunehmen, sie z. B. intellektuell zu realisieren. So muss ich wohl empfehlen, dass man versuche, sich ihnen einfach ganz arglos zu öffnen, das aufzunehmen, was eben eindringt; dieser Weg mag wohl weiter führen, als wenn man sich bemüht, in das Halbdunkel des nicht Einleuchtenden grübelnd vorzudringen. Die Gedichte, als Ganzheit empfangen, beleuchten sich gegenseitig, wenn nicht vollständig, so doch genügend, um ihre tiefste Absicht zu // 134 verraten.


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Einleitung zum Helblingabend:

01 Dichtung ist Übermittlung

einer Schau: die verborgene Realität

wird dem Leser oder Hörer mit-

geteilt. Da sie Realität Schau

und wiederholende Gestaltung der

Realität ist, hat sie Existenz – ein-

mal da – ganz unabhängig vom

Dichter. Darum die Person des

Dichers von durchaus zweitran-

giger Bedeutung.

02 Diese Gedichte bedeuten nichts als

sie selbst. Ihr Sinn soll in ihnen

selber gesucht werden: Es gibt

keinen Gegensatz von Form und

Inhalt, sodass etwa der Inhalt,

die Bedeutung hinter der Aus-

sage gesucht werden müsste.

Der innere Sinn erscheint in der //

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Gestalt, der Sprachgestalt des Ge-

dichtes.

Es isvielleicht blimmer
03 Es ist  wohl  nicht   möglich, diese

Aussagen Verse mit einmal Hören

ganz aufzunehmen, sie z. B. in-

tellektuell zu realisieren. So muss

ich wohl den Versuch empfehlen,

dass man versuche, sich ihnen ein-

fach ganz arglos zu öffnen, das

aufzunehmen, was eben eindringt;

dieser Weg mag wohl weiter führen,

als wenn man sich bemüht,

in das Halbdunkel des nicht

Aufleuchtenden Einleuchtenden grü-

belnd vorzudringen. Die Gedich-

te, als Ganzheit empfangen, be-

leuchten sich gegenseitig, wenn nicht

vollständig, so doch genügend,

um ihre tiefste Absicht zu ver- //

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raten. 

25.10.50

 

  • Besonderes:

    Vgl. dazu das Tagebuch, 26.10.1950:

    Gestern las ich bei Helbling u. Lichtenhahn aus meinen Versen vor:

    mich ergriff auf einmal die Furcht, ich könnte – sowenig ich doch schreibe, so liederlich wenig ich arbeite – noch immer zu viel schreiben. Zuviel, weil jene Augenblicke, wo ich meinen wahren Standort zu sehen glaube, noch viel seltener sind als die andern, in denen ich mich imstande fühle zu schreiben. Sodass vielleicht der Grossteil meiner Gedichte aus // jenem Alltagsbewusstein herauskommen, für jenes Alltagsbewusstsein zeugen, für das zu zeugen keinesfalls lohnt.

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Prosanotat
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: C-2-b/03
  • Seite / Blatt: 132, 133, 134 (oben)

Inhalt: Notizen, Prosa, 71 Entwürfe zu 54 Gedichten (8 Endfassungen)
Datierung: 7.12.1949 – 10.11.1950
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert; Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (7 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/03 (Schachtel 79)
Bilder: Ganzes Buch (pdf)

Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50, Kutter
Kommentar: 9 Texte rhythmische Prosa, 21 reine Prosanotate, 1 Briefentwurf
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (3 private Prosanotate nicht erschlossen)

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