Montag, 27 Juni 1949

Wogen die Reinen herauf, die sich in der Tiefe gehalten …* (a)

Wogen die Reinen herauf, die sich in der Tiefe gehalten, die klaren Götter des Meeres, von welchem Beben vertrieben, von welcher Empörung? Was denn bleibt noch uns, noch uns in den oberen Ländern, wenn das Tiefste erbebt und die Säulen wanken der Welt. Der Getöteten Söhne sind wir, der Vertriebenen Kinder. Blüte und Frucht unsrer Gaue ist von ihrem Segen genährt, weil sie uns duldeten hier an der oberen Sonne. Was droht denn herauf für neue gefährliche Macht, Macht, die tobend schon brach in die Paläste der Tiefe, in die reichen Felder der Nymphen? Wird sie der unseren schonen, unsrer getrübteren Würde, da sie die reine zerschlug, die gebietende klarerer Götter?

02 Erwartungsinsel, heraufgeschwemmt aus Tiefe des Klanges, Tiefe der tönenden Bänke. O wehendes Dasein, Dasein der Fische, der leuchtenden Schleier, die aus der Nacht, dem Abgrund, wehen und wehen herauf. Ist nicht Gesang von der Insel den Töchtern der Tiefe gebracht? Die Kinder sind einsam, die Wartenden an den Hängen. Noch ist still die See, auf die lang sie schauen: noch kommt nicht das Schiff, das die Verlorenen bringt: Und sie singen stets noch allein: O, wenn sie wüssten, wie schwarz das Segel und dass es nur trägt Tote, vom letzten Fahrer gesteuert, der bleich ist und das Schreckliche ewig zeigt in den wirren Augen.


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a

Wogen die Reinen herauf, die sich in der Tiefe gehalten,

die klaren Götter des Meeres, von welchem Beben vertrieben, von

welcher Empörung? Was denn bleibt noch uns, noch uns

in den oberen Ländern, wenn das Tiefste erbebt und die

Säulen wanken der Welt. Der Getöteten Söhne sind

wir, der Vertriebenen Kinder. Blüte und Frucht unsrer

Gaue ist von ihrem Segen genährt, weil sie uns duldeten

hier an der oberen Sonne. Was droht denn herauf

für neue gefährliche Macht, Macht, die tobend schon brach

in die Paläste der Tiefe, in die reichen Felder der Nym-

phen? Wird sie der unseren schonen, unsrer getrübteren

Würde, da sie die reine zerschlug, die gebietende klare-

rer Götter?

02 Erwartungsinsel, heraufgeschwemmt aus Tiefe des Klan-

ges, Tiefe der tönenden Bänke. O wehendes Dasein,

Dasein der Fische, der leuchtenden Schleier, die aus der Nacht,

dem Abgrund, wehen und wehen herauf. Ist nicht Ge-

sang von der Insel, den Töchtern der Tiefe gebracht?

Die Kinder sind einsam, die Wartenden an den Hängen.

Noch ist still die See, auf die lang sie schauen: noch

kommt nicht das Schiff, das die Verlorenen bringt:

Und sie singen stets noch allein: O, wenn sie wüssten, wie

schwarz das Segel und dass es nur trägt Tote, vom letzten

Fahrer gesteuert, der bleich ist und das Schreckliche

ewig zeigt in den wirren Augen.

27.6.49

 

  • Besonderes:

    Textträger: grünes Flugblatt der Studentenschaft Basel, Mai 1947

  • Letzter Druck: GESICHT IM MITTAG 1950
  • Textart: Prosagedicht
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-b/02_101
  • Seite / Blatt: 01

Inhalt: 430 Manuskripte zu 151 Gedichten (50 Endfassungen)
Datierung: Mai 1948 – 4. 3.1951
Textträger: 280 Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 174 Dossiers, 436 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (14 Gedichte), Verstreutes (6 Gedichte)
Signatur: A-5-b/02 (Schachteln 30/31) / pdf-Liste
Herkunft: Nr. 1-113: gräulich-grünliche Mappe EG 1 (1948/49/50); Nr. 114-174: grüne Mappe EG 2 (1951)

Kommentar: Willkürlich geordnete Konvolute, Zusammengehörendes oft in verschiedenen Dossiers
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen; diplomatische Umschriften  nur bei Texten, die in Gesicht im Mittag publiziert wurden.

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