So schlägst, so raubst du. Wie ich dich hasse.
Noch als Verwesender hasse ich dich. Wo sich mir alles löst von allem.
Ausspeien will ich dich, was in mir ist von dir. Zu viel hab’ ich getrunken von dir, zu viel. Ich müsste mich selber umwenden, mein Inneres nach aussen. Und selbst dann gelänge es mir nicht, das meine reinlich zu scheiden vom deinen. Ich bin nicht. Des werde ich inne. Ich glaubte zu sein. Doch das gibt es gar nicht: ich. Was bleibt, wenn die Lichter löschen, die grossen Scheinwerfer mit den farbigen Wechselscheiben? Was bleibt von der Bühne ohne das Licht, ohne die Musik? Alte, schäbige Leinwand über Holzrahmen gespannt, klappernde Vorsatzstücke. Vom Balett ein paar geile Mädchen, frech und dumm (dass sie dumm sind macht sie überhaupt erträglich). Die Tänzer alberne Jungen, die nur an den Wein denken, den es nachher gibt, an die Blicke der Verehrerinnen, an ihr Bild in der Illustrierten. Und an anderes, was noch widerlicher ist.
02 Die Bäume waren ja gar keine Bäume, grüne Lappen // 01v warens und ein wenig Holz, die Nymphen, die schönen, geputzte Dirnen. Man wäre verlegen, was man mit ihnen sprechen müsste einen Abend hindurch. Ich würde ihnen Rauch ins Gesicht paffen, aus Langweile, und sie tränken Thee und lächelten, vergeblich wartend auf etwas. Der Fluss ist eine Projektion aus der hintern Galerie. Die Sterne nichts weiter als eine raffinierte Einrichtung, zu kompliziert, sie zu verstehen. Das ist alles.
03 Aber nicht darum hasse ich Dich, dass du mir dies gezeigt hast, nicht darum, nein, weil du mir mich selber gezeigt hast, das ist das Schlimmste. Dass ich nicht da bin. Einen Schönfühler und Dreher von schönlichen Versen, der eben noch schrieb:
für einen Augenblick glänzt smaragdgrün der Fluss,
für einen Augenblick golden die Krone des Baumes.
Zusammengestohlener Wicht, ein Sammelsurium von guter Erziehung, frommen Gedanken, bengalischer Verzweiflung und halben Aufschwüngen die er von der Seite selber ironisch belächelt.
04 Wie das Mädchen an der Bar die kalte Ovomaltine, mit neckischem Lächeln schüttelt, so hast du mich geschüttelt, im Mundwinkel schmunzelnd, ob dem Effekt, den du dir ausgedacht hattest, zusammengeschüttelt aus vielen Gefühlen, // 02 Gedanken, aus den Strebungen der Jahrhunderte, aus ihren Lei<den>schaften und Ermattungen. Und ich, ich bin nun der Hampelmann, der linkische aus Holz, mit dem Purpurmantel, dem pathetischen Haarschopf. Man kann ihm auch noch eine Krone aufsetzen aus Goldpapier, wenn man will.
05 Aber ich will nicht mehr, hörst du, ich will nicht mehr Hampelmann sein, will einer sein und ich selber. Nicht dir will ich gehören, sondern mir. Und bliebe auch nur noch ein Lachen übrig und Verachtung deines Spektakels, das ich nun kenne. Zu lang bin ich in den Schnürböden herumgestiegen, weil ich glaubte, es seien Berge. Zu lange in den Kulissen gegangen, weil ich glaubte, es seien Wälder. Bliebe mir auch nur das Lachen des Verächters. Es wäre gut so, so viel besser. Denn dies Lachen gehört mir, nur mir, ich wäre frei.
Die ersten beiden Zeilen versartig gebrochen
Blätter mit a / b sowie mit 1 / 2 gekennzeichnet. Ev. als Teil eines szenischen Textes konzipiert (?)
Zum Gedichtzitat vgl. Für einen Augenblick glänzt … (Manuskripte 1948-51, Nr. 4)
Inhalt: 430 Manuskripte zu 151 Gedichten (50 Endfassungen)
Datierung: Mai 1948 – 4. 3.1951
Textträger: 280 Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 174 Dossiers, 436 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (14 Gedichte), Verstreutes (6 Gedichte)
Signatur: A-5-b/02 (Schachteln 30/31) / pdf-Liste
Herkunft: Nr. 1-113: gräulich-grünliche Mappe EG 1 (1948/49/50); Nr. 114-174: grüne Mappe EG 2 (1951)
Kommentar: Willkürlich geordnete Konvolute, Zusammengehörendes oft in verschiedenen Dossiers
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen; diplomatische Umschriften nur bei Texten, die in Gesicht im Mittag publiziert wurden.