Typoskripte 1945-50

Inhalt: Druckfahnen zu Gesicht im Mittag (Dossier 1) und 124 Typoskripte zu 67 Gedichten (28 Endfassungen)
Datierung: 16.12.1945 – 1950
Textträger: Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 65 Dossiers mit Durchschlägen
Publikation: Gesicht im Mittag (12 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: A-5-b/04 (Schachtel 33)
Herkunft: Gelbbraune Mappe Gesicht im Mittag; Dokumente mit Büroklammern zusammengeheftet (entspr. Dossiers)

Kommentar: Weitgehend deckungsgleich mit Typoskripte1948-50Beschreibung
Wiedergabe: Edierte Texte (ohne Doss. 1)

Montag, 04 April 1949       )

Das Grabmal

Grüne Oede
unter tönendem Himmel der Vorzeit
durch alle Stürze des Aeons
bewahrt mit windgebogenen Bäumen
05 um das Grabmal des Fürsten.
Trennung freilich ist heut
und brennt in den Augen der Spätern.
Er noch wollte hier ruhn
im Glanze der Taube
10 die aus der Oeffnung der Kuppel
schwebt – dem Geiste verwandt
der in allen verborgen –
silbern herab.

Montag, 04 April 1949       )

Das Schutzbild

Vor Häusern der Armen
spielen die Kinder im Kehricht
ob auch die Strassen
alle sich neigen nach innen
05 der Mitte der Stadt.

Wer steigt die Treppen
hinauf dieses schmutzigen Hauses
voll Kammern der Bettler:
ihm auf dem Dach
10 leuchtet aus Flattern der Wäsche
die weisse Kuppel hervor
Burg über Brandung der Firste
und von der Laterne
der Mutter goldenes Schutzbild.
Dienstag, 18 Januar 1949       )

Rom

Taumelnde Maste
Segel im Sog.
Wer schützt vor dem Sang der Sirenen?
Gefährliche Inseln.
05 Du suchst die dauernden Berge:
von oben schaust du
nieder auf Rom
das sicher bemessne.
Rings zwar droht
10 lehmige Weite
in der Ferne noch dunkle
Erinnrung: das Meer.
Hier aber sind
Kuppeln gewölbt
15 über Vages
steigen die Säulen.
Porphyrn leuchtet die Göttin
zu Füssen der Quell
kristallklaren Wassers.

Freitag, 10 Dezember 1948       )

Sofia

Die Weisheit klagt ob ihrem ewigen Spiel
klagt auf der klar umzirkten lichten Scheibe
dass jener Gott vor dem sie Kind war durch
Aeonen schaut mit schattigen Augen über
05 ihr Spiel hinweg und lichter Scheibe Rund
hinausschaut in das undurchdrungene Dunkel.
Die lichten Bälle, spielend ausgesandt
die geistigen Gestirne sieht er nicht mehr:
wohin sie schwinden nur, sieht er, den Schlund:
10 wer fängt sie dort und wirft zurück die Bälle?
Ob er ihn wieder fordert und sein Kind
die lichte Scheibe hart zurückzuschlingen?
Die Weisheit klagt ob ihrem ewigen Spiel.

Mittwoch, 26 April 1950       )

Der Markt

Niemand sieht, was seltene Früchte in Marktes Gepräng
trug der Teppich herein: was auf ihm liegt ist nimmer
Nähe: Bis dass der Zauberer lockt mit der Flöte die Käufer.
Dann aus der Brust singt einem jeden der eigene Osten
05 endlich innen erlauschter tönender Lockung die Antwort.
Donnerstag, 19 Mai 1949       )

Karawane

Weh ist dieser hohe Steg gedehnt:
reich sind wohl der bunten Karawane
Purpurtroddeln mit den Perlgehängen;
in den Kräutern kommt der Heilung Fülle,
05 Saft der Früchte will den Durstigen letzen.
Doch solang der Zug auf hohem Steg
geht, auf dieses Steges weher Dehnung,
bleibt Gefahr, dass er die freudig bangend
jenseits lang schon warten, nie erreicht.

Donnerstag, 27 April 1950       )

Tanz auf dem Netz

Vom Hereinklang genährt der wandelnd seienden
Sterne, schön ist dem Wiegenden auf dem Netz,
auf dem hangend fern befestigten Gitter
immer der Tanz und das Spiel mit dem farbigen Ball:
05 Was denn schadet ein Versehen des Fusses?
Immer ein anderes Netz, ein anderes Gitter
fängt den Stürzenden auf und unter andrer,
unter bunterer, wiegt er, Bälle Geröll.
 

Freitag, 29 April 1949       )

Gelassenheit

Die Berge sind in Lichtern und in Farben
erstorben bald, das Tiefste wird Gesicht
aus Wolken schauend, spiegelnd sich in Seen.
Wer aber flieht vorm Mittag in die Höhle
05 und, kaum zum Schlaf bereit, sich ganz verlassen,
schon zuckt hinweg ihn das verborgene Licht.

Donnerstag, 26 Januar 1950       )

Ins Zwielicht

Vom Westen drängt das Reinere herüber
so stark, ob es auch schwindet, in den Traum,
dass es die Trübnis spellt des schwarzen Soges, 
der jede Kraft in Mittnachttiefe zieht.
05 Wo ist das Künftige stärker als Vergängnis?
da in den Wolkenspalten bleibt das Licht
dem Zug der Wetter klarheitwärts enthoben
und Donner tönen vor den Regenschauern
noch unterhalb der Bergesgipfel, die,
10 wie hoch auch, nimmer rühren ans Gewölbe.
Mittwoch, 15 Juni 1949       )

Mittag

Noch kommt auf Wogen dumpf des heissen Schweigens
der Dämon der Verwirrung in den Mittag;
der Weg den Weinberg hoch im Schatten der
Oliven nur gibt klare Sicht hinüber
05 in bunter Büsche Wucherung am Wasser
und auf den Inseln unverletzte Gärten.

Sonntag, 11 Dezember 1949       )

Vogelzug

Sonst dämmert immer augenlos die Stadt,
bis auf die lichten Züge grosser Vögel,
die schon die Sonne aus den Schwingen träufeln
hernieder auf die Kuppel, wissend hohe
05 über der Stadt im Dämmer ohne Augen.

Donnerstag, 27 April 1950       )

Botschaft

Hergewehter Staub des Frühlings strömt
reinen Duft der Blütenwohnung, die
schnell verdorrt und dennoch brennend Glück
dauert dem, der einmal wohnte dort.
05 Allen andern weht er auf den Kahn,
wo sie treiben mit dem Bettelgut,
Botschaft in den steil und steilern Strom,
dass des brachen Reichtums leere Stadt
harrt der Schiffer unterm Katarakt.

Freitag, 10 Dezember 1948       )

Die Weisheit klagt ob ihrem ewigen Spiel …*

Die Weisheit klagt ob ihrem ewigen Spiel
klagt auf der klar umzirkten lichten Scheibe
dass jener Gott vor dem sie Kind war durch
Aeonen schaut mit schattigen Augen über
05 ihr Spiel hinweg und lichter Scheibe Rund
hinausschaut in das undurchdrungene Dunkel.
Die lichten Bälle, spielend ausgesandt
die geistigen Gestirne sieht er nicht mehr:
wohin sie schwinden nur, sieht er, den Schlund.
10 wer fängt sie dort und wirft zurück die Bälle?
Ob er ihn wieder fordert und sein Kind
die lichte Scheibe hart zurückzuschlingen?
Die Weisheit klagt ob ihrem ewigen Spiel.

Dienstag, 18 Januar 1949       )

Düftedunkler Turban …*

Düftedunkler Turban
glühende Blume. 
Innen frisst dich der Wurm:
Giftiger Stachel des Glücks.
05 Du lebst und nur
Toten ist Rettung.
Fruchtbar ist
das neue Gestirn 
geplant im denkenden Haupt
10 in der vollkommnen
Maschine geschmiedet:
gewollter Lilie
übersüsser Ruch 
rein berechneter Rausch
15 herabgezwungen
von eisig glühender Gier:
Garten kristallener Wolllust.
Dienstag, 18 Januar 1949       )

Taumelnde Maste …*

Taumelnde Maste
Segel im Sog.
Wer schützt vor dem Sang der Sirenen?
Gefährliche Inseln.
05 Du suchst die dauernden Berge:
von oben schaust du
nieder auf Rom
das sicher bemessne.
Rings zwar droht
10 lehmige Weite
in der Ferne noch dunkle
Erinnrung: das Meer.
Hier aber sind
Kuppeln gewölbt
15 über Vages
steigen die Säulen.
Porphyrn leuchtet die Göttin
zu Füssen der Quell
kristallklaren Wassers.
Freitag, 01 April 1949       )

Der Lehrer der Gestirne dir beschrieb …*

Der Lehrer der Gestirne dir beschrieb
den Aufgang und das Sinken höchster Bilder
er ist's der dir die tiefste Lehre schuldig blieb:

Woher empfangen denn vom inneren Licht
05 den Glanz die Sterne? Leer bemalte Schilder
sind andere Sonnen, Sonnen sind sie nicht.

O Drehung unerbittlich, heilig wilder
Figurentanz: des inneren Strahls Gesetz
ist streng wie jener glaubt, doch als du fürchtest milder.

Mittwoch, 20 April 1949       )

In hohen Rastorts Stille …*

In hohen Rastorts Stille
brausen Winde her vom Küstendunst
zerschlagen sich am Fuss
des nicht lange Widerstrebenden:
05 hinab steigt er zum Hafen
der von aufgeschreckten Völkern wimmelt.
Aus überschwemmten Gassen
trägt sein schwerer Kahn
Kinder voller Hoffnung
10 über schnell gewachsne Flut
in hohen Rastorts Stille..

Sonntag, 12 Juni 1949       )

Dort hält Gebirge hinter Vorwelttrümmern …*

Dort hält Gebirge hinter Vorwelttrümmern
die Sonne fern verwahrt den ganzen Sommer.
Die klare meidet dieses feuchte Tal,
die faden Blumen, die Vergängnis und
05 Verwelkung brüten in dem dumpfen Brodem.
O besser ist zu fliehen heute noch,
zu steigen über jene Scheideklippe:
noch derer, die ihn suchen harrt dort Mittag;
die starken Farben wehen und die Düfte
10 den Kommenden erheiternd ins Gesicht.

Mittwoch, 22 Juni 1949       )

Tote Nymphen, gespült von unterseeischen Riffen …*

Tote Nymphen, gespült von unterseeischen Riffen,
unterseeischen Höhlen herauf, liegen blau am Strande,
Götter der Tiefe auch mit grünen triefenden Haaren
im zerstörten Gesicht, den Leib von Algen bedeckt.
05 Draussen aber treibt auf dem glatten Wasser des grossen
Gottes Kadaver selbst mit dem Dreizack, ungeheurer
Leichnam, schwarz von Vögeln der See; und der Verwesung
Ruch schon weht in die Stadt an diesem traurigen Mittag.

Mittwoch, 01 März 1950       )

Diese sind eins mit Jenen am reicheren Ufer …* (a'*)

Diese sind eins mit Jenen am reicheren Ufer:
alle sehen das kreisende Licht, in der Sonne
ist den Spätern vereint der Helden und Könige
Antlitz, die gingen einstmals dort und alle
05 suchten das Eine, sie kreisen in dieser Kuppel,
summen im offenen Kelch um Staubblatt und Stempel,
nach der Mitte von singenden Schwestern geleitet,
Führerinnen der Seelen: nach der obern
Mitte im Aufstieg, nach der innern im Abstieg:
10 Mitte und Mitte sind eins, woher sie auch kommen.

Freitag, 14 April 1950       )

Die Bezeugung rufst du, Wesensbild …*

Die Bezeugung rufst du, Wesensbild,
aus den hohen Tänzerchören durch die
Wolkenschwaden in den lehmigen Schlaf
nieder, ständig hier und dennoch rufend
05 weither, wie bedroht in deiner Botschaft:
wenn den Blinden auch das Ohr erstarrte?

Donnerstag, 27 April 1950       )

Bruder, du leitest, ob sie auch gingen zuvor …*

Bruder, du leitest, ob sie auch gingen zuvor
mit den Gaunern des Weges, endlich Bereite
über den See hinter den waldigen Hügeln
zu der Kuppel reinen Lichts, wo die Taube
05 ruht und alles Hiesige schwindet. Du nur
bleibst bei den Glücklichen, Winterbote, zurück.

Montag, 01 Mai 1950       )

Des Morgens fällt das Wachstum der Gesichte …*

Des Morgens fällt das Wachstum der Gesichte
auf jeder Höhe an, und kaum bemerkt
braust unten heiss die ewige Menschenlust.
Zwei Alter, Jüngling, sind in dir verereint:
05 ins Schweigen aus der Wüste ruft der Mönch,
der Hirt vom Zwischenmeer in die Umarmung.
Nimm alles Mass aus dir, sitz bei dem Mönch
des Morgens, und zum Hirten geh am Abend,
den beiden fremd zugleich, die dir misstrauen:
10 Bewegt um deine schwache Mitte, der
in nie gefestigter Bewegung du
gerade bist noch, nichts und zugleich alles.

Dienstag, 14 Dezember 1948       )

Da sind sie wieder, dunkelgrüne Zweige …*

Da sind sie wieder, dunkelgrüne Zweige
und weisse Beeren, alten Waldes Duft
die Wege tief im Unterholz verloren.
Zwar Wasser, heimlich gleissend hier und dort.
05 Doch Dämmer rings und nirgends eine Oeffnung.
Da bricht und naht in unbeirrtem Gang
aus knisterndem Gehölz die reine Lampe.
Sie leuchtet aus dem makellosen Busch
dem Hochgeweih des Hirschs, der, Wunder äugend
10 Gestalt und Klarheit eilt durch Wildnis hin.

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