Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Quelle:
Schweizerisches Literaturarchiv
SLA-Raeber (A-1-c/03)
Notizbuch C, S. 185–199

Der Bauer Georg // jedoch war so weit wie nur möglich davon entfernt, auch nur einen Augenblick seines Lebens sich um anderes zu kümmern als um seine Kühe und Ochsen, schwer bewegliche Dämmertiere, die ihm, da er sie striegeln, füttern, tränken, melken, schlachten musste, gerade so viel zu schaffen machten, dass er immer an sie denken musste, sofern sich die umständliche und halb unbewusste Bewegung seines Geistes überhaupt als Denken bezeichnen lässt. Sie liess sich schon darum immer weniger, weil die Intimität mit den Tieren täglich und fast allnächtlich (verdarben sie sich doch häufig den Magen, brüllten im Stall, zerrten am Halfter, // sodass er aus dem Mittagsscheinschlaf¿ oder aus dem traumtrüben Nachtschlummer aufschoss, um sie mit Heiltränken und Beruhigungskörnern zu stillen), weil die Intimität mit den Tieren ihn ihnen immer unauflöslicher verbrüderte, ihm eine Kuh-, eine Ochsenseele schuf, eine Ochsenseele, vor allem: Er war nicht so gutmütig in sich gekehrt wie die Kühe, sondern brach in plötzlicher Heftigkeit, wie die Ochsen, zuweilen aus, wandte sich, von innen erhitzt und bedrängt, nach aussen, sein Zorn war selten, aber berühmt und gefürchtet, hätte ihm etwas Menschliches gegeben, wenn es nicht eben ein Ochsenzorn gewesen wäre: von unten // rötlich schäumend den Kopf, im feisten Nacken, hilflos schüttelnd, das Ziel, wenn er nach oben stiess, verfehlend. Und ochsengleich war Georg auch im Essen: Er frass, vertilgte, im Lauf der Jahre immer wütender und gehetzter, dem Hungertod im letzten Augenblick zu entrinnen, Berge von Fleisch und Brot und gekochten Gartenkräutern und Kartoffeln und saurer Bohnen und süsser Bohnen und Salaten und runden Nüssen und ovalen Nüssen und Mandeln und Mais und Topinambur. Er frass, vertilgte, schlang, würgte in sich hinein, erbittert, ein Gefangener, der aus seinem Gehäuse nicht herauskommt, ohne // überhaupt sich bewusst zu sein, dass er in einem Gehäuse und eingesperrt ist: nur eine derart unbewusste Gefangenschaft kann solche Reaktionen hervorrufen: Der Bauer Georg war ein richtiger unausgeglichener, seelisch ungeklärter, präfreudianisch unanalysierter, neurotischer Ochse. Und da Neurosen bei primitiven Individuen, da diese nicht einmal jenes Minimum an Selbstkontrolle besitzen, das sie befähigt, wenigstens eine Fassade aus Vorsicht und Gelassenheit zu errichten, war Georg mit seinen Launen und Ausbrüchen eine rechte Qual und Last für seine Familie, der schwierigste aller schwierigen Ochsen des Hofes.


Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Und dies ist nur ungenau: Denn das war ja gerade das // Unglück, dass Georg nur einen einzigen Ochsen besass und ihn über alles und mit brüderlicher Zärtlichkeit liebte. Nicht dass er etwas von Buddha gehört oder die Herzerweiterung des heiligen Franz von Assisi vorweggelebt hätte, nein, er hing ganz einfach von diesem seinem Ochsen, er hiess übrigens wegen seines Volumens Krümelchen (ein Name, den nicht Georg, sondern seine vergleichsweise witzige Frau gefunden hatte) genau so sehr ab, wie wiederum von diesem die Proliferation des Stalles, die Kontinuität der Fleisch- und Milcherzeugung abhing. Es bleibe dahingestellt und die Vermutung sei jedermann gestattet, die ausserordentliche // und auffallende Liebe des Bauern Georg zu seinem Ochsen Krümelchen habe eine geheimere, aber nicht minder kräftige Wurzel tief unten in seiner wachsenden Ochsenähnlichkeit und in seinem immer entschiedeneren Ochsentum gehabt. Die gefühlvollere und sinnigere Erklärung mag auch darum behagen, weil sie leichter auf den Umschlag in des Bauern Leben hinweist, auf einen Umschlag, der schon fast nicht mehr in sein Leben, sondern schon an seinen Todesrand gehört, der den Tod nach sich zog. Es sei denn, man meine wie die Christen und aber auch der sonderbarerweise am Ende zum Christentum bekehrte Georg, der Tod sei eigentlich das Leben, das Leben hingegen der Tod, dieser führe, zumindest nach der Erfüllung gewisser Bedingungen, // schnurstracks zu selbem. Damit ist die Katze aus dem Sack, wir brauchen sie nicht auch noch um den heissen Brei schleichen zu lassen: Der ochsengleiche Georg erfuhr tatsächlich zu guter Letzt, wider alle Wahrscheinlichkeit und Psychologie eine Bekehrung, und diese verdankte seine Seele zuerst dem Ochsenkrümelchen, dieser ohnehin wichtigen, schliesslich entscheidenden, in jedem Sinne, wie man es eben nimmt, für ihn fatalen Figur: Krümelchens Gesundheit unter seiner enormen Gefrässigkeit, vertrug sie weniger gut als sein Herr, dennoch aber im Lauf der Zeit, vielleicht von diesem, der ihn ja ursprünglich voller Bewunderung nachgeahmt hatte, nicht überholt und so gedemütigt zu // werden, steigerte er sie mehr und mehr, sodass ihn schon bald chronische Verdauungsstörungen, Darmkrämpfe, Magenblähungen, Leberschwellungen und Leberverhärtungen quälten. Im zweitletzten¿ Stadium trieb die Krankheit, genauer: trieb der Komplex von Krankheiten, dessen Schmerzsymptome abwechseln<d> im Leib des armen Tieres herumfuhren, es zum Stöhnen, Muhen, zum sich rastlos im Strohwälzen zwangen und raubten ihm am Ende alle Lust zu seinem Hauptgeschäft: zur durch das landwirtschaftliche Ritual auf bestimmte Zeiten des Jahres festgesetzten Besteigung, Begattung, Bespringung und Befruchtung der Kühe. Der Ochsenkörper quoll in der Bauchgegend unmässig auf, Gehen und Stehen wurden unbequem, ja // unmöglich, Krümelchen lag den ganzen Tag, alle Viere kläglich von sich gestreckt, im Stroh, härmte sich in der Erinnerung an die Weide: Gräser und grüne Kräuter und das lebendige Wasser der Brunnen und Bäche, früher selbstverständliche Atzung und alltäglicher Tummelplatz, bedrängten ihn jetzt als eine Zwangsspiegelung, die im Wachen und Träumen vor ihm stand, aber diesen Unterschied gab es nicht mehr, sein Wachen wurde immer mehr zum Träumen, das Gift, das aus seinem Gekröse in seinen dicken Kopf emporstieg, erzeugte einen bösen Dauerrausch. Das Wasser, das ihm der Bauer Georg in pastellgrünen Plastikeimern // brachte, das sorgfältig mit Medikamenten angereicherte Heu, das er ihm liebevoll unterbreitete, beides widerstand Krümelchen, er weigerte sich zu fressen, warf die Eimer mit vom Unterbewusstsein planvoll gelenkter Ungeschicklichkeit um, und das letzte Stadium liess nicht lange auf sich warten. Krümelchens Bauch, sein ganzer Körper fiel zusammen, das Fleisch unter seiner Haut verschwand auf rätselhafte Weise, wer weiss wohin?, die Haut, überrascht durch die Schnelligkeit des Vorgangs, hatte keine Zeit sich anzupassen, sich zusammenzuziehen, und hing als ein leerer Sack herunter, lag als ein fettiges, brüchiges, schmutzig schwarzes Kleid am Boden.


Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Eines Tages fand der Bauer Georg Krümelchen tot, verwunderlich ist nur, dass er, // ausgerechnet er, es überhaupt so weit kommen liess, und nicht, nach Bauernsitte, das Tier, sei es, um es von seinen Qualen zu befreien, sei es, um sich der Mühe mit den nutzlosen Mxx zu entheben, Krümelchen schon längst umgebracht hatte. Verwunderlich ist das und bezeichnend, legt jenes Samenkorn im Herzen Georgs bloss, aus dem die Bekehrung als die einzige, aber verhängnisvolle Peripetie, in seinem Leben plötzlich herausspringen sollte. Denn Georg war insgeheim empfindsam, sein plumpes Gemüt hing an dem Ochsen Krümelchen zu sehr, als dass er ohne ihn hätte länger leben können und wollen. Un- oder wenigstens nur halb bewusst, wie er // alles tat, suchte er nach einem schicklichen Vorwand zu sterben, ein eigener Tod lag ausserhalb seiner Dimensionen, er suchte nach einem zeitgemässen konventionellen Tod, die Bekehrung lieferte ihn, wie die Verhältnisse damals lagen, am schnellsten. Der Tod des Ochsen trieb ihn dem in diesem Augenblick des Stimmungstiefs erwünschten, zumindest keineswegs verhassten, in die Arme: Er war in die Stadt gefahren und bog eben, von der Autobushaltestelle auf der Piazza Venezia kommend, in die Piazza Santa Maria in Cosmedin ein, wo der Ochsenmarkt war. Denn ochsenlos konnte er schliesslich nicht bleiben, der Hof, der Pflug, der Acker bedurfte eines Ochsen, // und seine Frau, deren Witz er fürchtete, hätte nicht die Spur von Verständnis dafür gehabt, wenn er aus Pietät zu dem tote Krümelchen Haus und Wirtschaft hätte leiden lassen. Als Georg nun also widerwillig, von gesellschaftlichem Zwang und ökonomischer Vernunft vorwärts gezerrt, den Ochsenmarkt betrat, kam eben sein Namensvetter Georg, der Ritter, in Ketten geführt von Henkersknechten vorüber: auf dem Weg vom Verhör im Gefängnis Regina Coeli auf der andern Tiberseite zur Folterung, da das einfache Verhör leider erfolglos geblieben war, im Keller // des Justizpalastes. Zwar lag der Platz von Santa Maria in Cosmedin nicht auf dem direkten Weg zwischen den beiden Rechtsgebäuden, dennoch gab der Staatsanwalt die Anweisung, den renitenten Reiterhauptmann über den Viehmarkt zu führen, in doppelten Ketten, und eine Tafel vor ihm herzutragen, die sein Verbrechen aller Welt kund tat: Dass er sich nämlich geweigert habe, den Göttern zu opfern, das heisst, rein proforma und als Ausdruck seines Respekts vor der Autorität des Kaisers, ein paar Weihrauchkörner in das Opferfeuer vor dem kapitolinischen Jupiter zu streuen und ein paar Tropfen Wein, als Trankopfer am Sockel der Kolossalstatue auszugiessen. Die viehhandelnden Bauern // schienen den Behörden solch drastischer Abschreckung besonders bedürftig; waren es doch vor allem die einfältigen, fast durchwegs analphabetischen Landbewohner, die sich durch die Erlösungsversprechungen des Christentums betören, von der praktischen und nützlichen Tätigkeit für die menschliche Gesellschaft abziehen und zu bedenklichem Fanatismus, wenn nicht geradezu zu staatszersetzendem Anarchismus, das war es, was das Reich, das sich als eine vollkommen funktionierende Ordnung begriff, den Christen vorwarf, was es keineswegs dulden wollte. An welche Götter der einzelne glaubte oder nicht glaubte, war seine Sache. Das Opfer // vor den Staatsgöttern war ein Akt der Disziplin, der Solidarität gegenüber dem Staat, eine geheiligte Formel, dass sie das nicht begriffen, sich borniert weigerten, eine einfache Geste zu machen, dass sie deren Sinn nicht verstanden, sie vielmehr in einem falschen Sinn ernst nahmen, kurz, ihre Beschränktheit und Eingleisigkeit war es, die die kaiserliche Regierung den Christen nicht nachzusehen gewillt war, weil sie sie für gefährlich und ansteckend, für den Beginn der Barbarei hielt. Grundsätzlich täuschte sie sich nicht in ihrer Meinung, nur, unglücklicherweise, war die Massenpsychologie noch nicht differenziert genug, das Risiko auszuschliessen, dass aus einer Abschreckungsmassnahme bei seelisch dazu disponierten Individuen eine Propagandaaktion für // die der Vernichtung bestimmte Sekte wurde: Als der Bauer Georg plötzlich den silbern geharnischten (man hatte ihm eigens seine Rüstung wieder angelegt, um die Gleichheit aller Stände vor dem Reichsgesetz zu demonstrieren) Namensvetter, hübsch und adrett, wenn auch kettenklirrend und von Ermüdung und Anspannung bleichem Gesicht, von den starken Verhörlampen geröteten Augen, vor sich stehen sah, fiel ihm alles ein, was ihm seine Frau, selbst konnte er ja nicht lesen, über den sensationellen Fall aus der Boulevardpresse vorgelesen hatte: Ungeachtet man ihm schon mehrmals die Seiten mit Fackeln verbrannt // und die Wunden mit Salz bestrichen hatte, hatte er sich nicht nur geweigert vor der Statue des kapitolinischen Jupiter die formelle Opferhandlung zu vollziehen, sondern er hatte sich in aller Öffentlichkeit über das hohe Gericht lustig gemacht, indem er den Gott als einen dummen und machtlosen Poltergeist bezeichnete. Zu allem Unglück und zur Verwirrung des einfältigen Volkes, sei eben in diesem Augenblick auch noch ein Gewitter ausgebrochen, ein Blitz niedergefahren und habe die Pappkopie der Götterstatue, man hatte sie aufgestellt, // draussen auf dem Kapitolsplatz um das Marmororiginal im Tempel zu entlasten, zu gross war der Andrang jener, die der Verfügung der Regierung gemäss täglich zum Opfer drängten und dafür den amtlichen Bestätigungsstempel, um ihn bei ihrem zuständigen Polizeiposten abzugeben, in Empfang nahmen, und habe die Pappkopie der Götterstatue zum schadenfrohen Gelächter der servilen Menge innerhalb weniger Sekunden verbrannt. Das Gelächter sei von den Behörden, mit Recht, so meinten die Boulevardblätter tantenhaft, als Zeichen der Bewunderung und Aufmunterung für den widerspenstigen // Ritter empfunden worden, sie hätten sich genötigt gesehen, den Platz von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern räumen zu lassen. Wenn dem Bauern Georg bei dieser amüsanten Vorlesung noch keine bestimmte Reaktion, kein entschiedenes Gefühl gekommen war, der klägliche, sich stündlich verschlechternde Zustand Krümelchens beschäftigte ihn damals zu sehr, so stellte sich jetzt, bei der unerwarteten Begegnung auf dem Viehmarkt auf einmal heraus, dass er den ritterlichen Namensvetter, warum wusste er natürlich nicht, bewunderte, anstaunte.


Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Die Berechnung der Behörden war, in diesem Falle zumindest, gänzlich danebengegangen. Der Bauer Georg glotzte den Ritter Georg in seinem Rüstungs- // und Kettenglanz wahrlich ochsenhaft an, schrie ihm dann, plötzlich ausser Rand und Band geraten, entgegen: Gib mir mein Krümelchen wieder. Das brach so aus ihm heraus, wahrscheinlich infolge einer vagen Erinnerung an gleichfalls von der Boulevardpresse breitgetretene Gerüchte, dass jener Ritter Georg, bevor man ihn als einen Drahtzieher der Anarchistischen Christensekte verhaftete, irgendwo am Rand der Welt, in Schottland oder Kapadozien, einem pestausatmenden Seeungeheuer, gegen das die Feuer- und Bürgerwehren, die Polizeikräfte und die dort stationierten regulären Truppen weder mit Feuer- // noch mit chemischen Waffen das Geringste ausgerichtet hatten, mit einem einzigen Zauberspruch den Garaus gemacht hatte. Wenn es für ihn so einfach war, ein Ungeheuer umzubringen, war es ihm da nicht viel leichter, ein gutmütiges, wenn auch etwas brummiges Geschöpf auf die gleiche Weise ins Leben zurückzubringen? Der gefangene Ritter begriff die Lage sofort: Die brüllende Forderung des Bauern war nur die ungeschickte, missglückte¿ Form, zu bitten. Nicht anders zu erwarten von einem Menschen, der das Bitten nie gelernt hatte, der Mann war offensichtlich labil, beunruhigt, verstört, also disponibel. Der Märtyrer kannte seine Pflicht, nahm seine Missionschance wahr. // «Glaubst du an den Herrn Jesus Christus?» drang er in den Bauern mit einem Blick, der dem Verdatterten, durch die langwierige Passion seines Krümelchens, sogar wenn er die Tragweite der Frage, der Forderung vielmehr, verstanden, geahnt hätte, jeden Widerstand, jedes Zaudern, Zweifeln, Überlegen verbot. «Ja, ich glaube», diese damals übliche, sozusagen in der Luft liegende Formel kam dem guten Bauern Georg, der als allerletzter imstande war, sich gegen den Trend der Zeit, gegen den als Nonkonformismus plakatierten Konformismus, jeder wollte sich als Rebell gegen die etablierte Ordnung hervortun, zu // wehren, so leicht über die Lippen, als hätte er sie schon tausendmal gesprochen. Die Bekehrung, vorbereitet von der öffentlichen Stimmung, einer Infektion, deren Bakterien überall, wo man auch war, was man atmete, ass oder berührte, die überall und immer präsent war, sie hatte nun auch ihn ergriffen, war, scheinbar ohne jede Vorbereitung, tatsächlich aber nach einer kurzen Infektion, ausgebrochen und besass ihn, total und unwiderruflich. Und Anlass der Ochsenbekehrung war der Ochse Krümelchen, woraus die Frommen eine Bestätigung für ihre Meinung ziehen können, dass Gott sich aller Geschöpfe, // selbst der Ochsen, zu seinen höheren Zwecken bedient. Im vorliegenden Falle bediente er sich ergiebig und nicht ohne Maliziösität: Als der bekehrte Bauer Georg, in der Seele erhoben und verklärt, sein schwerfälliges, bodenklebendes Gemüt war auf einmal leicht geworden, die Erde trug ihn wie eine Rosenwolke, und die nicht eben süssen Hof- und Stallgerüche, sie hatten ihn bisher nie gestört, er hatte sie einfach überrochen, stiegen ihm jetzt wie Fliederduft in die Nase, so durchdrang ihn immer noch und mit wachsender Entfernung immer mehr, die Gestalt seines ritterlichen und heroisch unbedingten Namensvetters: Sie beschlug und verwandelte all seine Sinne, bezauberte sie und wandte // sie völlig um, Jauchegestank wurde in seiner Nase zu Lilienduft, Georg, der Bauer, tauchte ein in die süsse Berauschung, die damals, zur Verwunderung der heidnischen Beobachter den Erdkreis überflutete, durchdrang, um- und umkehrte. Hatte schon der Apostel richtig bemerkt, dass die neue Lehre für die Heiden eine Torheit sei, den guten Bauern Georg hatte diese Torheit innerhalb eines Augenblicks, in Gestalt des schönen Ritters, so völlig in Besitz genommen, dass er zu seiner gewohnten Tätigkeit und Lebensweise wohl gar nicht mehr imstande gewesen wäre. Die Probe aufs Exempel brauchte nicht mehr statuiert zu werden, das Ende der Geschichte ergibt sich von selbst: Als der Bauer den Stall betrat, drehte sich Krümelchen auf die Füsse, der schwabblige //Hautsack füllte sich wieder mit muskulösem Fleisch, munter und frisch sprang das Tier auf die Füsse, schüttelte sich, leckte seinem gerührten Herrn die Hände. Die Frau, in diesem Fall etwas schwer von Begriff, lief überall herum und machte sich mit dem Ereignis wichtig, erst als die Dorfbehörden, angeführt von den Priestern, die gleich Lunte rochen, zum Lokaltermin erschienen, wurde sie gewahr, dass sie etwas Ungeschicktes getan hatte. Der Rest verlief wie damals üblich: Verhör, ostentatives Bekenntnis, Bemühungen, den Bauern zum Opfern zu bringen, planmässig und geduldig gesteigert von einfacher Überredung über einfache Peitschung, Peitschung mit Knotenriemen, Peitschung // mit Nagelriemen, Auszerrung der Fuss- und Fingernägel, Versengung der Haare und Schamteile, Verrenkung der Glieder usw. usw. Da auch die Reaktion die in solchen Fällen gewohnte war: nämlich mit der Verspottung der Amtspersonen begann und mit wüsten Beschimpfungen der Götter als Teufel und Lotterbuben endete, kam die ganze Prozedur schnell zu ihrem erbaulich grausigen Ziel. Der Bauer wurde geköpft, seine Güter eingezogen, seiner Frau setzte die Milde des Kaisers immerhin eine kleine Rente aus. Ein paar Jahre später, als das ganze Dorf christlich, das Christentum zur vorherrschenden Religion wurde, bekehrte auch sie sich, die Verehrung, die man nunmehr dem Grab ihres ochsengleichen Georg als dem Grab eines Märtyrers darbrachte, enthoben sie // der Gewissensbisse wegen ihrer folgenreichen Redseligkeit von damals: immerhin hatte sie ihrem Mann zur Krone des Martyriums verholfen. Müssig, nachträglich darüber zu disputieren, ob es von dem Ritter Georg sehr freundlich war, dem Einfaltspinsel Georg aus seiner animalischen Sentimentalität für seinen Ochsen Krümelchen den Todesstrick zu drehen: Andere Zeiten, andere Sitten, jemanden unter Zuhilfenahme seiner Ochsenliebe aus diesem Jammertal ins Himmelreich zu bringen, galt damals als weniger anstössig, als das heute der Fall wäre.