Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Eines Tages fand der Bauer Georg Krümelchen tot, verwunderlich ist nur, dass er, // ausgerechnet er, es überhaupt so weit kommen liess, und nicht, nach Bauernsitte, das Tier, sei es, um es von seinen Qualen zu befreien, sei es, um sich der Mühe mit den nutzlosen Mxx zu entheben, Krümelchen schon längst umgebracht hatte. Verwunderlich ist das und bezeichnend, legt jenes Samenkorn im Herzen Georgs bloss, aus dem die Bekehrung als die einzige, aber verhängnisvolle Peripetie, in seinem Leben plötzlich herausspringen sollte. Denn Georg war insgeheim empfindsam, sein plumpes Gemüt hing an dem Ochsen Krümelchen zu sehr, als dass er ohne ihn hätte länger leben können und wollen. Un- oder wenigstens nur halb bewusst, wie er // alles tat, suchte er nach einem schicklichen Vorwand zu sterben, ein eigener Tod lag ausserhalb seiner Dimensionen, er suchte nach einem zeitgemässen konventionellen Tod, die Bekehrung lieferte ihn, wie die Verhältnisse damals lagen, am schnellsten. Der Tod des Ochsen trieb ihn dem in diesem Augenblick des Stimmungstiefs erwünschten, zumindest keineswegs verhassten, in die Arme: Er war in die Stadt gefahren und bog eben, von der Autobushaltestelle auf der Piazza Venezia kommend, in die Piazza Santa Maria in Cosmedin ein, wo der Ochsenmarkt war. Denn ochsenlos konnte er schliesslich nicht bleiben, der Hof, der Pflug, der Acker bedurfte eines Ochsen, // und seine Frau, deren Witz er fürchtete, hätte nicht die Spur von Verständnis dafür gehabt, wenn er aus Pietät zu dem tote Krümelchen Haus und Wirtschaft hätte leiden lassen. Als Georg nun also widerwillig, von gesellschaftlichem Zwang und ökonomischer Vernunft vorwärts gezerrt, den Ochsenmarkt betrat, kam eben sein Namensvetter Georg, der Ritter, in Ketten geführt von Henkersknechten vorüber: auf dem Weg vom Verhör im Gefängnis Regina Coeli auf der andern Tiberseite zur Folterung, da das einfache Verhör leider erfolglos geblieben war, im Keller // des Justizpalastes. Zwar lag der Platz von Santa Maria in Cosmedin nicht auf dem direkten Weg zwischen den beiden Rechtsgebäuden, dennoch gab der Staatsanwalt die Anweisung, den renitenten Reiterhauptmann über den Viehmarkt zu führen, in doppelten Ketten, und eine Tafel vor ihm herzutragen, die sein Verbrechen aller Welt kund tat: Dass er sich nämlich geweigert habe, den Göttern zu opfern, das heisst, rein proforma und als Ausdruck seines Respekts vor der Autorität des Kaisers, ein paar Weihrauchkörner in das Opferfeuer vor dem kapitolinischen Jupiter zu streuen und ein paar Tropfen Wein, als Trankopfer am Sockel der Kolossalstatue auszugiessen. Die viehhandelnden Bauern // schienen den Behörden solch drastischer Abschreckung besonders bedürftig; waren es doch vor allem die einfältigen, fast durchwegs analphabetischen Landbewohner, die sich durch die Erlösungsversprechungen des Christentums betören, von der praktischen und nützlichen Tätigkeit für die menschliche Gesellschaft abziehen und zu bedenklichem Fanatismus, wenn nicht geradezu zu staatszersetzendem Anarchismus, das war es, was das Reich, das sich als eine vollkommen funktionierende Ordnung begriff, den Christen vorwarf, was es keineswegs dulden wollte. An welche Götter der einzelne glaubte oder nicht glaubte, war seine Sache. Das Opfer // vor den Staatsgöttern war ein Akt der Disziplin, der Solidarität gegenüber dem Staat, eine geheiligte Formel, dass sie das nicht begriffen, sich borniert weigerten, eine einfache Geste zu machen, dass sie deren Sinn nicht verstanden, sie vielmehr in einem falschen Sinn ernst nahmen, kurz, ihre Beschränktheit und Eingleisigkeit war es, die die kaiserliche Regierung den Christen nicht nachzusehen gewillt war, weil sie sie für gefährlich und ansteckend, für den Beginn der Barbarei hielt. Grundsätzlich täuschte sie sich nicht in ihrer Meinung, nur, unglücklicherweise, war die Massenpsychologie noch nicht differenziert genug, das Risiko auszuschliessen, dass aus einer Abschreckungsmassnahme bei seelisch dazu disponierten Individuen eine Propagandaaktion für // die der Vernichtung bestimmte Sekte wurde: Als der Bauer Georg plötzlich den silbern geharnischten (man hatte ihm eigens seine Rüstung wieder angelegt, um die Gleichheit aller Stände vor dem Reichsgesetz zu demonstrieren) Namensvetter, hübsch und adrett, wenn auch kettenklirrend und von Ermüdung und Anspannung bleichem Gesicht, von den starken Verhörlampen geröteten Augen, vor sich stehen sah, fiel ihm alles ein, was ihm seine Frau, selbst konnte er ja nicht lesen, über den sensationellen Fall aus der Boulevardpresse vorgelesen hatte: Ungeachtet man ihm schon mehrmals die Seiten mit Fackeln verbrannt // und die Wunden mit Salz bestrichen hatte, hatte er sich nicht nur geweigert vor der Statue des kapitolinischen Jupiter die formelle Opferhandlung zu vollziehen, sondern er hatte sich in aller Öffentlichkeit über das hohe Gericht lustig gemacht, indem er den Gott als einen dummen und machtlosen Poltergeist bezeichnete. Zu allem Unglück und zur Verwirrung des einfältigen Volkes, sei eben in diesem Augenblick auch noch ein Gewitter ausgebrochen, ein Blitz niedergefahren und habe die Pappkopie der Götterstatue, man hatte sie aufgestellt, // draussen auf dem Kapitolsplatz um das Marmororiginal im Tempel zu entlasten, zu gross war der Andrang jener, die der Verfügung der Regierung gemäss täglich zum Opfer drängten und dafür den amtlichen Bestätigungsstempel, um ihn bei ihrem zuständigen Polizeiposten abzugeben, in Empfang nahmen, und habe die Pappkopie der Götterstatue zum schadenfrohen Gelächter der servilen Menge innerhalb weniger Sekunden verbrannt. Das Gelächter sei von den Behörden, mit Recht, so meinten die Boulevardblätter tantenhaft, als Zeichen der Bewunderung und Aufmunterung für den widerspenstigen // Ritter empfunden worden, sie hätten sich genötigt gesehen, den Platz von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern räumen zu lassen. Wenn dem Bauern Georg bei dieser amüsanten Vorlesung noch keine bestimmte Reaktion, kein entschiedenes Gefühl gekommen war, der klägliche, sich stündlich verschlechternde Zustand Krümelchens beschäftigte ihn damals zu sehr, so stellte sich jetzt, bei der unerwarteten Begegnung auf dem Viehmarkt auf einmal heraus, dass er den ritterlichen Namensvetter, warum wusste er natürlich nicht, bewunderte, anstaunte.