Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Und dies ist nur ungenau: Denn das war ja gerade das // Unglück, dass Georg nur einen einzigen Ochsen besass und ihn über alles und mit brüderlicher Zärtlichkeit liebte. Nicht dass er etwas von Buddha gehört oder die Herzerweiterung des heiligen Franz von Assisi vorweggelebt hätte, nein, er hing ganz einfach von diesem seinem Ochsen, er hiess übrigens wegen seines Volumens Krümelchen (ein Name, den nicht Georg, sondern seine vergleichsweise witzige Frau gefunden hatte) genau so sehr ab, wie wiederum von diesem die Proliferation des Stalles, die Kontinuität der Fleisch- und Milcherzeugung abhing. Es bleibe dahingestellt und die Vermutung sei jedermann gestattet, die ausserordentliche // und auffallende Liebe des Bauern Georg zu seinem Ochsen Krümelchen habe eine geheimere, aber nicht minder kräftige Wurzel tief unten in seiner wachsenden Ochsenähnlichkeit und in seinem immer entschiedeneren Ochsentum gehabt. Die gefühlvollere und sinnigere Erklärung mag auch darum behagen, weil sie leichter auf den Umschlag in des Bauern Leben hinweist, auf einen Umschlag, der schon fast nicht mehr in sein Leben, sondern schon an seinen Todesrand gehört, der den Tod nach sich zog. Es sei denn, man meine wie die Christen und aber auch der sonderbarerweise am Ende zum Christentum bekehrte Georg, der Tod sei eigentlich das Leben, das Leben hingegen der Tod, dieser führe, zumindest nach der Erfüllung gewisser Bedingungen, // schnurstracks zu selbem. Damit ist die Katze aus dem Sack, wir brauchen sie nicht auch noch um den heissen Brei schleichen zu lassen: Der ochsengleiche Georg erfuhr tatsächlich zu guter Letzt, wider alle Wahrscheinlichkeit und Psychologie eine Bekehrung, und diese verdankte seine Seele zuerst dem Ochsenkrümelchen, dieser ohnehin wichtigen, schliesslich entscheidenden, in jedem Sinne, wie man es eben nimmt, für ihn fatalen Figur: Krümelchens Gesundheit unter seiner enormen Gefrässigkeit, vertrug sie weniger gut als sein Herr, dennoch aber im Lauf der Zeit, vielleicht von diesem, der ihn ja ursprünglich voller Bewunderung nachgeahmt hatte, nicht überholt und so gedemütigt zu // werden, steigerte er sie mehr und mehr, sodass ihn schon bald chronische Verdauungsstörungen, Darmkrämpfe, Magenblähungen, Leberschwellungen und Leberverhärtungen quälten. Im zweitletzten¿ Stadium trieb die Krankheit, genauer: trieb der Komplex von Krankheiten, dessen Schmerzsymptome abwechseln<d> im Leib des armen Tieres herumfuhren, es zum Stöhnen, Muhen, zum sich rastlos im Strohwälzen zwangen und raubten ihm am Ende alle Lust zu seinem Hauptgeschäft: zur durch das landwirtschaftliche Ritual auf bestimmte Zeiten des Jahres festgesetzten Besteigung, Begattung, Bespringung und Befruchtung der Kühe. Der Ochsenkörper quoll in der Bauchgegend unmässig auf, Gehen und Stehen wurden unbequem, ja // unmöglich, Krümelchen lag den ganzen Tag, alle Viere kläglich von sich gestreckt, im Stroh, härmte sich in der Erinnerung an die Weide: Gräser und grüne Kräuter und das lebendige Wasser der Brunnen und Bäche, früher selbstverständliche Atzung und alltäglicher Tummelplatz, bedrängten ihn jetzt als eine Zwangsspiegelung, die im Wachen und Träumen vor ihm stand, aber diesen Unterschied gab es nicht mehr, sein Wachen wurde immer mehr zum Träumen, das Gift, das aus seinem Gekröse in seinen dicken Kopf emporstieg, erzeugte einen bösen Dauerrausch. Das Wasser, das ihm der Bauer Georg in pastellgrünen Plastikeimern // brachte, das sorgfältig mit Medikamenten angereicherte Heu, das er ihm liebevoll unterbreitete, beides widerstand Krümelchen, er weigerte sich zu fressen, warf die Eimer mit vom Unterbewusstsein planvoll gelenkter Ungeschicklichkeit um, und das letzte Stadium liess nicht lange auf sich warten. Krümelchens Bauch, sein ganzer Körper fiel zusammen, das Fleisch unter seiner Haut verschwand auf rätselhafte Weise, wer weiss wohin?, die Haut, überrascht durch die Schnelligkeit des Vorgangs, hatte keine Zeit sich anzupassen, sich zusammenzuziehen, und hing als ein leerer Sack herunter, lag als ein fettiges, brüchiges, schmutzig schwarzes Kleid am Boden.