Aus dem Nachlass (Paralipomenon zu Alexius unter der Treppe)

Die Berechnung der Behörden war, in diesem Falle zumindest, gänzlich danebengegangen. Der Bauer Georg glotzte den Ritter Georg in seinem Rüstungs- // und Kettenglanz wahrlich ochsenhaft an, schrie ihm dann, plötzlich ausser Rand und Band geraten, entgegen: Gib mir mein Krümelchen wieder. Das brach so aus ihm heraus, wahrscheinlich infolge einer vagen Erinnerung an gleichfalls von der Boulevardpresse breitgetretene Gerüchte, dass jener Ritter Georg, bevor man ihn als einen Drahtzieher der Anarchistischen Christensekte verhaftete, irgendwo am Rand der Welt, in Schottland oder Kapadozien, einem pestausatmenden Seeungeheuer, gegen das die Feuer- und Bürgerwehren, die Polizeikräfte und die dort stationierten regulären Truppen weder mit Feuer- // noch mit chemischen Waffen das Geringste ausgerichtet hatten, mit einem einzigen Zauberspruch den Garaus gemacht hatte. Wenn es für ihn so einfach war, ein Ungeheuer umzubringen, war es ihm da nicht viel leichter, ein gutmütiges, wenn auch etwas brummiges Geschöpf auf die gleiche Weise ins Leben zurückzubringen? Der gefangene Ritter begriff die Lage sofort: Die brüllende Forderung des Bauern war nur die ungeschickte, missglückte¿ Form, zu bitten. Nicht anders zu erwarten von einem Menschen, der das Bitten nie gelernt hatte, der Mann war offensichtlich labil, beunruhigt, verstört, also disponibel. Der Märtyrer kannte seine Pflicht, nahm seine Missionschance wahr. // «Glaubst du an den Herrn Jesus Christus?» drang er in den Bauern mit einem Blick, der dem Verdatterten, durch die langwierige Passion seines Krümelchens, sogar wenn er die Tragweite der Frage, der Forderung vielmehr, verstanden, geahnt hätte, jeden Widerstand, jedes Zaudern, Zweifeln, Überlegen verbot. «Ja, ich glaube», diese damals übliche, sozusagen in der Luft liegende Formel kam dem guten Bauern Georg, der als allerletzter imstande war, sich gegen den Trend der Zeit, gegen den als Nonkonformismus plakatierten Konformismus, jeder wollte sich als Rebell gegen die etablierte Ordnung hervortun, zu // wehren, so leicht über die Lippen, als hätte er sie schon tausendmal gesprochen. Die Bekehrung, vorbereitet von der öffentlichen Stimmung, einer Infektion, deren Bakterien überall, wo man auch war, was man atmete, ass oder berührte, die überall und immer präsent war, sie hatte nun auch ihn ergriffen, war, scheinbar ohne jede Vorbereitung, tatsächlich aber nach einer kurzen Infektion, ausgebrochen und besass ihn, total und unwiderruflich. Und Anlass der Ochsenbekehrung war der Ochse Krümelchen, woraus die Frommen eine Bestätigung für ihre Meinung ziehen können, dass Gott sich aller Geschöpfe, // selbst der Ochsen, zu seinen höheren Zwecken bedient. Im vorliegenden Falle bediente er sich ergiebig und nicht ohne Maliziösität: Als der bekehrte Bauer Georg, in der Seele erhoben und verklärt, sein schwerfälliges, bodenklebendes Gemüt war auf einmal leicht geworden, die Erde trug ihn wie eine Rosenwolke, und die nicht eben süssen Hof- und Stallgerüche, sie hatten ihn bisher nie gestört, er hatte sie einfach überrochen, stiegen ihm jetzt wie Fliederduft in die Nase, so durchdrang ihn immer noch und mit wachsender Entfernung immer mehr, die Gestalt seines ritterlichen und heroisch unbedingten Namensvetters: Sie beschlug und verwandelte all seine Sinne, bezauberte sie und wandte // sie völlig um, Jauchegestank wurde in seiner Nase zu Lilienduft, Georg, der Bauer, tauchte ein in die süsse Berauschung, die damals, zur Verwunderung der heidnischen Beobachter den Erdkreis überflutete, durchdrang, um- und umkehrte. Hatte schon der Apostel richtig bemerkt, dass die neue Lehre für die Heiden eine Torheit sei, den guten Bauern Georg hatte diese Torheit innerhalb eines Augenblicks, in Gestalt des schönen Ritters, so völlig in Besitz genommen, dass er zu seiner gewohnten Tätigkeit und Lebensweise wohl gar nicht mehr imstande gewesen wäre. Die Probe aufs Exempel brauchte nicht mehr statuiert zu werden, das Ende der Geschichte ergibt sich von selbst: Als der Bauer den Stall betrat, drehte sich Krümelchen auf die Füsse, der schwabblige //Hautsack füllte sich wieder mit muskulösem Fleisch, munter und frisch sprang das Tier auf die Füsse, schüttelte sich, leckte seinem gerührten Herrn die Hände. Die Frau, in diesem Fall etwas schwer von Begriff, lief überall herum und machte sich mit dem Ereignis wichtig, erst als die Dorfbehörden, angeführt von den Priestern, die gleich Lunte rochen, zum Lokaltermin erschienen, wurde sie gewahr, dass sie etwas Ungeschicktes getan hatte. Der Rest verlief wie damals üblich: Verhör, ostentatives Bekenntnis, Bemühungen, den Bauern zum Opfern zu bringen, planmässig und geduldig gesteigert von einfacher Überredung über einfache Peitschung, Peitschung mit Knotenriemen, Peitschung // mit Nagelriemen, Auszerrung der Fuss- und Fingernägel, Versengung der Haare und Schamteile, Verrenkung der Glieder usw. usw. Da auch die Reaktion die in solchen Fällen gewohnte war: nämlich mit der Verspottung der Amtspersonen begann und mit wüsten Beschimpfungen der Götter als Teufel und Lotterbuben endete, kam die ganze Prozedur schnell zu ihrem erbaulich grausigen Ziel. Der Bauer wurde geköpft, seine Güter eingezogen, seiner Frau setzte die Milde des Kaisers immerhin eine kleine Rente aus. Ein paar Jahre später, als das ganze Dorf christlich, das Christentum zur vorherrschenden Religion wurde, bekehrte auch sie sich, die Verehrung, die man nunmehr dem Grab ihres ochsengleichen Georg als dem Grab eines Märtyrers darbrachte, enthoben sie // der Gewissensbisse wegen ihrer folgenreichen Redseligkeit von damals: immerhin hatte sie ihrem Mann zur Krone des Martyriums verholfen. Müssig, nachträglich darüber zu disputieren, ob es von dem Ritter Georg sehr freundlich war, dem Einfaltspinsel Georg aus seiner animalischen Sentimentalität für seinen Ochsen Krümelchen den Todesstrick zu drehen: Andere Zeiten, andere Sitten, jemanden unter Zuhilfenahme seiner Ochsenliebe aus diesem Jammertal ins Himmelreich zu bringen, galt damals als weniger anstössig, als das heute der Fall wäre.