Typoskripte Thomas Raeber

Inhalt: Typoskript-Durchschläge zu 114 Gedichten (2 Endfassungen)
Datierung: 1943/44-1954
Textträger: Einzelblätter (A4-Format)
Publikation: Die verwandelten Schiffe (20 Gedichte), Verstreutes (10 Gedichte)
Signatur: E-01-A-02 (Schachtel 110)
Herkunft: Sammlung Thomas Raeber (Bruder)

Kommentar: Beschreibung
Wiedergabe: Edierte Texte

Datiert: 1954       )

Der Trunk

Als er vom Heerfeld, das lag durstoffenen Munds,
hinabkroch, fand er im Winkel des geborstenen Schluchtmunds
Wasser und bracht es dem, der noch aufrecht allein sass.
Der nahm und goss aus Freundeshänden den Helm
05 wenigen Wassers hinweg: richtete auf mit dem reichlichen Wasser,
das schnell verronnen im Staub, die Halme des Heerfelds.
Datiert: 1954       )

Der süsse Quell

Du stürzest den Mund ins salzige Wasser,
das bittrer ihn als der Durst sengt.
Ehe du hörst ein Murmeln im Kies,
den Fuss dir scharrend benetzest.
05 Ehe du gräbst mit der Hand,
dass der Strahl dir hervorspringt. –
Laut rufst du, die mit den Wolken am Rand gehn:
Dass sie, wenn träge allein
weiterwandern die Wolken, ins Auge
10 empfangen den Strahl, der die Glut ihnen anfacht
und löscht auf der Scheide der Wüsten.
Datiert: 1954       )

Ankunft in der Oase

Wir sammeln das Harz, das die Myrrhenstämme herabrann.
Die Kamele schnupperten es weit in der Wüste,
darüber wegblickt die Palme, die nie sah der Oelbaum
der verschlossnen Oase: Wo nun sie schreiten hinein,
05 beladner als die Palme mit Datteln, als mit Oliven der Oelbaum,
mit der Myrrhen der Wüste würzigem Harz.
Datiert: 1954       )

Auf der Schaukel (A*)

Auf der Schaukel schaut der zottige Hund
bald von unten mich an, bald von oben und schüttelt das Haar.
Nur wenn er dich sieht, blinde Frau,
die du sitzest verhüllt auf der Mauer des Brunnens,
05 dann jault er laut auf der Schaukel.
Aber schon schaut er wieder von unten, wieder von oben
mich an auf der Schaukel und schüttelt das Haar.
Datiert: 1954       )

Auf der Schaukel (B*)

Auf der Schaukel schaut der zottige Hund
stumm von unten mich an, stumm von oben und schüttelt das Haar.
Nur wenn er zuweilen dich sieht, blinde Frau,
die du sitzest verhüllt auf der Mauer des Brunnens,
05 dann jault er laut auf der Schaukel.
und wendet das Auge und schaut wieder von unten, wieder von oben
stumm mich an auf der Schaukel und schüttelt das Haar.
Datiert: 1954       )

Das Haupt unterm Linnen

Auf der Flucht aus den Gassen der nächtlichen Stadt
trat ich ein in den Hof, wo rauschte die Ruhe
und auf dem Rand des Brunnens mitten in Blumen
ich das Haupt fand unterm Linnen.
05 Im Hof, wo rauschte die Ruhe allein in den Blumen,
jenseits der Gassen der Stadt, als aus der Nacht
mit tränenlos offenem Aug ich heimlich hineinfloh.

Datiert: 1954       )

Der Spiegel

Zum Kreis der Engel vom Grund der spiegelnden Vase
wölken die Dämpfe: der Talschlucht verwandter, verwundert
finden sich unten im Grund der spiegelnden Vase
von neuem die Engel, wo wölken die Dämpfe, verdunkelnd
05 das Bild der Engel, der hellen, die sich verwundert
verwandelt anschaun im Grund der spiegelnden Vase.

1944 * (nicht datiert)       )

Mendrisiotto / Ode von Kuno Räber / 1.

Soll ich nicht der lobenden Worte
Fülle verschwenden
an diese Glocken,
die aus bedachtsam
05 kreisenden Rädern
hängen dem Nachtwind
ein ihre Töne,
dass ein jeder
leuchte für sich
10 neben den Sternen?
Nicht zum Reigen gefügt
quellen sie los aus dem Turm.
Nein, wie das Kind aus dem Schoss, wie
Tränen aus trauerndem Herzen
15 perlen sie einzeln,
schwer und vollendet,
ohne dass einer wüsste,
wie sie gewachsen.

Ja, ihr fielet,
20 klingende Tränen,
in meine wache,
friedlose Nacht.
Und mit den irrenden Winden
kamt ihr zu mir, da ich stand
25 am Gemäuer des Weinbergs
mitten im Winter.
Zu mir, dem Trauernden, her
fandet ihr,
wie zu den Hügeln dort, die
30 tragen auf kahlen Gipfeln
verfallne Kapellen.
Aber es bleibt noch Gestrüpp,
wucherndes wild,
und noch Bäume gereckt
35 in dieses Januars, des sommergleichen,
unbegreiflichen Himmel.

1944 * (nicht datiert)       )

Mendrisiotto / Ode von Kuno Räber / 2.

Auch du, Clivio, harrtest und beugtest dich duldend,
als dir kahl ward das Land, das
stets dich schmückt' als Geschmeide
und im duftenden Kranz
05 dir deine Hochzeit umprangte.
Duldend ertrugst du die Öde,
immer gehorsam gebreitet über die Hänge am Bach.
Aber dass dir nicht mangle vom neuen Tage die Botschaft,
hobst du nicht darum die Türme
10 hoch zum schweigenden Himmel?
Hobst du nicht darum sie auf,
dass sie hinaus vom Rade schleudern sollten die Töne,
wie einst Noah den Tauben am Fenster der Arche
löste die Fesseln der Füsse,
15 dass sie suchten trockenes Land und eine grünende Insel?
Siehe, schon fanden sie dort zum Rasten den Hügel
und der Eichen blattlose Kronen gesponnen ins Silber des Himmels.
Wer wollte Segen dir weigern und wer dir weigern Lobpreisung,
magdliches Clivio, dir? Denn nicht vergebens
20 drehte sich langsam das Rad im Gehäuse des Turmes,
säend die Klänge hinaus, die strenge gestuften,
über den trauernden Weinberg und den versiegenden Bach.

Stille steht es jetzt, es stocken die Töne,
schweigend ruhst du im Lichte,
25 da dir der Bräutigam kommt.

1944 * (nicht datiert)       )

Mendrisiotto / Ode von Kuno Räber / 3.

Gibt es denn Winter, mein Herz, die, wenn kahl auch,
glühen wie Sommer und, blumenlos, duften wie Rosen?
Warum liebe ich die trüglich erbrochene Landschaft,
ob sie vom Juli auch zehrt und von den Gluten des Augusts?
05 Singen will jetzt mein Herz dem blutigen Ringe,
wie ihn der Abend entflammt,
ziehend zum Zenith empor des Himmels glasblau Gewölbe.
Und wie dunkle Gebärden des Flehns und der ständigen Bitte
brechen Zypressen hinauf,
10 schwarz durch den feurigen Saum.
Wagst du es noch, mich zu lieben, da über die feurige Flut
immer dunkelt mein Trotz,
querhin gestreckt?
Aufwühlt vergebens der Wind die kreisende Erde,
15 und nur ein Totes aus mir
bricht in den fiebernden Winter.

Dienstag, 13 Juli 1943       )

Elegie

Allzu blau noch
spannt sich der Himmel
mir im Herzen.
Süss, zu süss noch
05 duften die Blüten,
und die Schwäne auf
silbernen Gleisen
gleiten noch immer im
Wasser des Sees.
10 Rauschend schlagen
auf sie die Flügel,
wie die weissen,
schwimmenden Rosen
heben die Blätter
15 aufwärts zum Tag.

Dass ich endlich
sähe den Weg,
klarer ihn sähe,
der mich hochträgt
20 in die Gebirge,
wo auf den Felsen, in
einsamen Höhlen
krächzen schwarze,
freudlose Vögel:
25 Dunkle Flügel
falten sie traurig
aus in die Nebel.

Dort aus den Wolken
gleissen hernieder
30 stählerne Blitze,
und im Regen
strömt aus der Höhe
lang erharrte
Fülle der Gnaden

Dienstag, 30 Mai 1944       )

Denkmal am Rhein

Ueber Grünem schwärzlich schwingt sich die Sichel des Nachens.
Leise rauscht es am Kiel, und hell erhebt sich das Jauchzen
schiffender Knaben mitten im Strom. Die Wimpel umschmeicheln
farbig ihn. Und schau nur, er lacht, wie öfters im Sommer,
05 wenn der Himmel blinkt über seinem gleissenden Zuge
wie ein Baldachin und wenn ihm singen die Menschen.
Deine Stimme aber, früh vor andern und lauter,
hör' ich nicht mehr, die fröhlich zur Sonne des Festes erhobne;
denn wie die Türme des Münsters, die viel mehr als sich selber
10 lieben das Licht und, hassend die eigene steinerne Schwere,
ihm verschenken den eigenen Raum, gefährlich gelockert:
machtest du auf und hobest dein Herz und spanntest von Säule
Bogen hinüber zur Säule, schmale, die fast nicht mehr trugen,
dass nur Raum sei dem Himmel und überall flutendes Leuchten.
15 So entglittest du uns, dem Strom und den fordernden Giebeln,
Höheres fordernden Türmen: Du hast erfüllt ihren Anspruch,
schwindend auf einmal hinein ins ältere Leben der Dinge,
welche den Sommer noch haben und Herbst und fallende Nächte
vor dem Aufstieg des Tages. Mehr als sie noch bereitet
20 warst du dem Ruf, der uns plötzlich anschlägt aus Tiefen des Himmels.
Nichts umfing deine Hand, die mass nicht zum voraus die Tage,
kümmernd zu kommendem Werk: Wie auf dem Brette der Springer
standst du, dass einer dich rufe. Er rief, du schlossest die Augen,
Sprangst und schwangest federnd hinaus wie Vögel und Fische,
25 die nur lieben Weite des Himmels und Wassers und keiner
sicheren Stätte bedürfen. Gelingen trugst du seit Anfang
mitten in dir. Auf unerhörtem Vertrauen bewegte
wie auf der Spitze der Nadel der schnelle Magnet deiner Seele
eilig sich, immer gedreht, doch nie im Sturme verloren.

Freitag, 16 Juli 1943       )

Dem Gedächtnis einer Freundschaft. / An B. K.

Denkst du noch der
Morgengärten
unserer ersten,
helleren Sommer?
05 Weisst du noch, wie
damals wir klirrten
hell im Harnisch
und im Helme
unserer Hoffnung
10 durch den dämmernd
weithin verlornen
Wald der Gefühle?

Dort erbauten
unsere Träume
15 wiegende Brücken
über der Wasser
schäumende Stürze.
Und in Höhlen
schlugen wir Riesen als
20 lachende Sieger.

Weisst du noch, wie
einst wir spürten
Hand in Hand
unserer Flügel
25 kühnes Wachstum,
wie unser Atem
eins war den Winden des
offenen Himmels?

Dass wir jetzt noch
30 pochenden Herzens
Einheit erführen
aller Dinge,
Einheit wie damals,
als die Wasser
35 droben am Himmel
und die Wasser
an der Erde,
übergegossen aus
kreisenden Becken,
40 mischten sich immer die
einen den andern.

Aber es wuchs der
Mittag der Trennung
über den Bergen
45 leuchtend empor.
Da zerrann das
grüne Weben
heimlicher Wälder
schnell im Lärm der
50 heissen Plätze,
wo die Menschen
wägen und zahlen. //

Du aber eiltest
vorzulenken
55 deinen Wagen
über den Trotz der
widrigen Steine
und geschickte
Bahn dir zu brechen
60 durch die verworrene
Not der Leute,
dass so allen
wachse ein Gutes.

Mir aber blieb im
65 Herzen ein Heimweh
nach den Bächen
meines Frühlings.
Nimmer wusste ich
Kluges zu schaffen
70 auf den hohen
Bühnen der Städte.
Heimwärts fliehe ich
immer ins Weite,
wo noch keiner
75 Grenzen erfunden
und zu singen,
kindlich zu sagen,
jedem erlaubt.

Da, mein Lieber,
80 will ich stehen,
an den Rändern
deiner Strasse,
glücklich staunend,
wenn du hinfährst,
85 sicher leitend,
hoch im Wagen.
Und wir sehn uns
eine Weile
fröhlich an,
90 froh und traurig,
denkend unsrer
wogenden Freundschaft,
wie sich alles
ändert und wandelt,
95 dass der Reigen
dieses Lebens
schön zu Ende
werde getanzt.
Aber innen, im
100 innersten Garten
bleibt und blüht
stets eine Treue.

Donnerstag, 13 Juli 1944       )

Denkmal am Rhein. / II. / Für M.

Was für Tage sind dies, so müde und lockend zum Schlafe,
wo das schüchterne Blau, stets von Wolken bedrängt,
nie den Mittag bekrönt und vor dem Abend schon schwindet,
wo die Lüfte quer laufen und wie ohne Ziel?
05 Andere ruf' ich zurück, mein Freund, lebendige Stunden,
da uns vom Strome herauf wogte ein silberner Wind.
Unterm Zeltdach der Fähre sassen und winkten die Mädchen
bunt mit Tüchern uns zu. Aber auf waldigem Berg
liess eine Wolke sich nieder: ein Schwan mit entfalteten Flügeln,
10 ruhig rudernd hinan, sanft überschattend das Land.
Draussen schritt feiernd der Park im grünen Gang der Alleen
bis zu dem schweigenden Haus, wo ihn die Treppe empfing,
freundlich fallend entgegen, doch wehrten sachte Geländer
neckisch Bäumen und Busch, schön zur Bewahrung bestellt.
15 Weiden hingen im Weiher und um die marmorne Herme
lichtete hell sich der Hain, wiegender Tempel im Duft.

Alles glitt in den Abend. In Dämmer zerrann uns die Landschaft.
Schnell war die Wiese verblasst, wo wir uns trafen zur Lust.
Aber weissere Wege gehn durch den Traum der Verlassnen,
20 sichrer schimmernd voran über die Auen am Fluss.
Sinnst du, Liebender, noch, gelehnt an die Pfosten des Herzens?
Folge dem wendenden Pfad, leuchtenden Nebeln vorbei,
die, in Sträuchern verloren, warten künftiger Feste,
wo eine Göttin vielleicht schmückenden Schleiers bedarf.
25 Sieh, auf finsteren Wipfeln rundet sich rötlichen Glanzes
neu des wachsenden Monds glückhaft gebogenes Horn.

Montag, 01 Mai 1944       )

Sonett.

Warum hast du den Weg so schnell gefunden,
Der heimlich her in diese Lichtung führt?
Schon hat dich, Dunklen, hell der Strahl berührt
Des Mittags. Und, vom Rausche überwunden,

05 Gehst tanzend du, in Zauberzwang gebunden.
Wer hätte die Gefährdung je gespürt,
Bevor des Taumels Wut, zu hoch geschürt,
Der Seele reines Antlitz ihm zerschunden?

Doch unser lang schon angefangner Reigen
10 Soll gleichwohl dich in seine Wirbel ziehn,
Ob du auch eines klar beschränkten Ganges 

Entbehren musst: es wächst im schönen Neigen
Das stolzre Herz, und weiter weht dahin
Der hohe Klang vereinigten Gesanges.

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