Inhalt: Typoskripte zu 122 Gedichten (7 Endfassungen)
Datierung: 1950 – 1954
Textträger: Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 10 Dossiers: 1/a (I, 17.4.1951), 1/j (Ia, 11.8.1951), 1/d (II, 1952), 1/b (III, 1952), 1/c (IV, 3.8.1952), 1/e V (Dez. 1952), 1/g (VI, 2.7.1953), 1/h (VII, Okt. 1953), 1/f (VIII, Dez. 1953), 1/i (IX, März 1954)
Publikation: Die verwandelten Schiffe (18 Gedichte); Verstreutes (11 Gedichte)
Signatur: E-03-A-01/a-j (Schachtel 147)
Herkunft: Sammung Markus Kutter
Kommentar: Beschreibung. Texte Dossier /a übereinstimmend mit Sammlung Georgi I (Werke 5, S. 28-36)
Wiedergabe: Edierte Texte
Wenn er auch streift an die Wipfel
mit dem gestohlenen Schuh,
so lässt er ihn doch nicht fallen hinab, wo ruhen die Fürsten,
in einen der Gärten am Wasser.
05 Sondern, wo tief unterm Turm
am Tor der König sitzt im Mittagsgericht,
dort erst stürzt nieder der Adler und wirft ihm den Schuh in den Schoss.
Aufschaun vom umstrittenen Teppich Wirker und Händler,
da wegfliegt der Adler, lässt fragend den König:
10 Bis er findet die Frau im ummauerten Garten,
eben entstiegen dem Bad,
wie ringsum sie sucht den einen, verlorenen Schuh.
Aus dem Ufergebüsch
kommen sie wieder mit Fackeln
und steigen zur Grotte hinab,
wo sieht über silberne Herzen
05 das Auge der Mutter aufs Meer,
da sie her ohne Steuer und Ruder
trieb, bis aus dem Gebüsch
sie kamen und holten vom Schiff
die Wartende ein.
10 Wiederum weht
mit dem Rauch der Fackeln
über silberne Herzen die Hymne
zur erglühenden Kohle des Augs
der Mutter, träges Gewölk.
Als der Fischer
am Fuss des Felsens gelandet,
hinaufgestiegen und die Schulter des Fremden berührte,
hob dieser, der lang geschlossenen Auges gekniet,
05 endlich das Auge und sah,
dass er verlassen den heimischen Strand voller Feinde
und nun hier am entlegenen Strand
war, mit einem Fischer als Freund.
Purpurn troff
der Baum der roten Beeren,
troff, vom Wind verwundet, in den Himmel,
dass das lichte Laken dunkelt.
05 Mit den nachterwartend üppig
überquollnen Blätterfluten troffen
nun die Beeren,
die da blutend, nicht verblutend, rissen
auf das Laken,
10 auf in Baumes Abendwunde.
Hinein führt über die letzte glühende Düne
die Schlange den versengten Fuss in den Tau,
der ihn löscht, noch bevor zuinnerst dem Mund
unter dem Palmbaum die Quelle die mit der steigenden Sonne
05 immer kühlere Kühlung zustäubt: wo,
ihr geneigt, erwacht schon am ersten Tropfen die Lippe.
Als er vom Heerfeld, das lag durstoffenen Munds,
hinabkroch, fand er im Winkel des geborstenen Schluchtmunds
Wasser und bracht es dem, der noch aufrecht allein sass.
Der nahm und goss aus Freundeshänden den Helm
05 wenigen Wassers hinweg: richtete auf mit dem reichlichen Wasser,
das schnell verronnen im Staub, die Halme des Heerfelds.
Du stürzest den Mund ins salzige Wasser,
das bittrer ihn als der Durst sengt.
Ehe du hörst ein Murmeln im Kies,
den Fuss dir scharrend benetzest.
05 Ehe du gräbst mit der Hand,
dass der Strahl dir hervorspringt. –
Laut rufst du, die mit den Wolken am Rand gehn:
Dass sie, wenn träge allein
weiterwandern die Wolken, ins Auge
10 empfangen den Strahl, der die Glut ihnen anfacht
und löscht auf der Scheide der Wüsten.
Wir sammeln das Harz, das die Myrrhenstämme herabrann.
Die Kamele schnupperten es weit in der Wüste,
darüber wegblickt die Palme, die nie sah der Oelbaum
der verschlossnen Oase: Wo nun sie schreiten hinein,
05 beladner als die Palme mit Datteln, als mit Oliven der Oelbaum,
mit der Myrrhen der Wüste würzigem Harz.
Auf der Schaukel schaut der zottige Hund
stumm von unten mich an, stumm von oben und schüttelt das Haar.
Nur wenn er zuweilen dich sieht, blinde Frau,
die du sitzest verhüllt auf der Mauer des Brunnens,
05 dann jault er laut auf der Schaukel
und wendet das Auge und schaut wieder von unten, wieder von oben
stumm mich an auf der Schaukel und schüttelt das Haar.
Auf der Flucht aus den Gassen der nächtlichen Stadt
trat ich ein in den Hof, wo rauschte die Ruhe
und auf dem Rand des Brunnens mitten in Blumen
ich das Haupt fand unterm Linnen.
05 Im Hof, wo rauschte die Ruhe allein in den Blumen,
jenseits der Gassen der Stadt, als aus der Nacht
mit tränenlos offenem Aug ich heimlich hineinfloh.
Zum Kreis der Engel vom Grund der spiegelnden Vase
wölken die Dämpfe: der Talschlucht verwandter, verwundert
finden sich unten im Grund der spiegelnden Vase
von neuem die Engel, wo wölken die Dämpfe, verdunkelnd
05 das Bild der Engel, der hellen, die sich verwundert
verwandelt anschaun im Grund der spiegelnden Vase.
Wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser,
sieht er dort die ganze Welt
um Gebirg und Bäume stehn,
um Gebirg und Bäume wandeln
05 dort den Kämpfer, Lorbeer pflückend,
und am Ufer stehn, die sich umarmen:
wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser.
Wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser,
sieht er hoch den ganzen Himmel
10 um die Sonnen und die Monde stehn,
um die Sonnen und die Monde wandeln
dort den Sieger mit dem Silberzweig
und am Lichtstrom schauend stehn den Weisen:
wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser.
15 Wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser,
sieht er dort die ganze Welt,
sieht er dort den ganzen Himmel,
einen Abglanz von den Sonn und Monden,
wandeln um Gebirg und Baum,
20 sieht den Sieger mit dem Silberzweig
jenem lächeln, der den Lorbeer pflückt,
und den Weisen über der Umarmung
sieht er widerlächeln in der Woge:
wenn er tunkt das Haupt ins grüne untere Wasser. // 02
25 Wenn er tunkt das Haupt ins untere Wasser,
lockt Gebirg und Baum, dass er sich niedersenke.
Wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser,
locken Sonn und Monde, dass er sie umkreise.
Aber, schwachen Atems, kann er nimmer tauchen,
30 schwacher Flügel trägt ihn nicht empor:
wenn er hebt das Haupt aus unterem Wasser.
Wenn er hinschwimmt auf dem unteren Wasser,
der Gespräche stiller Zwischenlauscher,
weiss er jedes Bild und Spiegelbild,
35 selber unbekannt der Höh und Tiefe,
bis am Abend im Gebüsch des Ufers
bricht aus weisser Brust, was er erfuhr,
weher Sang, den Winden übergeben:
als er hinschwamm auf dem unteren Wasser.
Nur Bedrängnis statt erhofften,
statt verheissnen Glücks des Schlafes
an dem kühlen Fuss der Ulme,
wo der Schatten kühner kämpft
05 gegen Nachmittages Licht:
wo die Burg scheint von dem Felsen,
weiss Gemäuer aus dem Silber,
aus den Stacheln der Gewächse,
zwingt den Ruhbegehrer stets
10 neu in diesen hellen Anblick,
sagend: "ich bin stärker als die
Stille und die Schattenkühle;
willst du fliehen, willst du schlafen:
zwingen will ich dich, im Traum
15 aufzusteigen her zu mir,
dich zu ritzen an den Stacheln.
Jede Wunde soll Begierde
nach der Höfe kahlen Mauern,
nach vergessnen Häftlings Seufzern
20 dir befeuern". Ausgedörrt ist
Sinn und Seele beim Erwachen
aus Bedrängnis statt erhofftem,
statt verheissnem Glück des Schlafes.
In die Tiefe, wo das Chaos braust,
fällt vom Stern, der wie der Adler saust
auf den Gipfel aus den höchsten Bränden,
nicht ein Schimmer. Nur in einem Tal
05 wiegt er sich auf grüner Zeder Krone:
Magier, begierig nach dem Sohne,
kennt des Zeichens offenbarte Zahl,
rüstet Herden, ihm sie zuzusenden,
mit den Knechten, nächst dem Tor behaust,
10 über Tiefen, wo das Chaos braust.
Reiner, reiner ist heut dieser Lohn,
den wir gestern zagend noch empfangen:
Mond ist in der tiefsten Stunde schon
hinter Meer und Inselwelt mit Prangen
05 hingesunken. Und das Heer, mit Flügeln
blinkend, kommt von schwarzen Hügeln,
Heiles Schilde mächtig in den Händen,
helfend nieder: grunderregte Welle
drängt, die falschen Lichtes trüglich blenden,
10 Todesfürsten nach der Felsenschwelle.
Und die Pforte donnert überm Drohn.
Glanz im unbefleckten Osten:
wie der Pfau, der im Gesträuch sein Rad
schlägt am Schattenrand des Weihers –
und es sprühn die Augen schmetterlingsgleich,
05 wenn er schreitet unter zapfenreicher
Fichte, dem Granatbaum, der von Früchten strotzt –:
Reicher Glanz im unbefleckten Osten
weckt am Weiher auf den Pfau,
zückt das Fichtengrün zur Helle,
10 küsst Granaten in die Süsse:
Reicher Glanz, der steigt im unbefleckten Osten.
Dort aber, dort aber glüht
deines Gedächtnisses innige Blüte,
wo du am Tor des Gewölbes
hebst den Schleier und Wogen von Flieder
05 hemmen nimmmer den Freund,
wenn er niedersteigt nachmittages,
Unbezwungner, zu dir, die nicht hält der untere König,
zu dir, der Unbezwungnen, Bruder zur Schwester:
jetzt, in der Stunde, wo die Kinder
10 des Vaters täglich sich treffen,
wenn es der Wächter nicht sieht,
heimlich im Hain, der weiter als alle Hallen des Todes:
jetzt, jetzt, wo die Leuchte schattenlos
und ewig die Stunde.
Alter Frau Melancholie
blühn in Armes matter Beuge
nicht der Strauss,
ja die Düfte nicht einmal
05 von dem Blumenstrauss der Sommerwiesen:
und ihr Bruder,
schwülen Sommers dunkler Dämon,
rollt hinweg die goldnen Kugeln
hinter finstere Gebirge,
10 weil der Halle Säulen
diese Last kaum tragen mehr
todestrüben Blicks der Alten,
deren Arm in matter Beuge
nicht mehr hält den Strauss von Wiesen,
15 ja die Düfte nicht einmal
von dem Blumenstrauss der Sommerwiesen.
Wie die aufgebrochne Rose brennt die Liebe nicht einmal.
Wie die Wüste, quellenlose, dürstet Seele nicht einmal.
Urbild überwindet Abbild, dessen Rühmung Prahlerei.
Wie die Nacht, die makellose, leuchten Tage nicht einmal,
05 welche laute Taten tragen, die dem Nachtsinn fortgeschwemmt:
ihm brennt wie die eine Rose Rosengarten nicht einmal.