Synopse

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30.12.1945 * (nicht datiert)    (    )

Nachtgedicht

Manchmal bleib' als Gefährte ich nachts der verlassenen Landschaft,
und es erhebt sich vor mir die stets verschmähte Geliebte,
sehnlich begehrend, dass ich sie endlich erkenne, verwundert,
ängstlich schier flieh' ich schnell auf nächtlich wacheren Wegen.
05 Nicht mehr geleiten Bäume sanft wie am Tage die Strassen.
Der sie immer bewohnt, der Geist ergreift sie nun gänzlich.
Heftig drängt er hinauf und dunkel ruft er herüber,
ob nicht Verwandtes hier sei, zu spüren sein Lechzen im Blute.
Abgewendet im Glanz des eigenen, ew'gen Entzückens,
10 halten sich Götter umarmt, von Sträuchern der Liebe behütet.
Ihnen schimmern wie Silber durch grüne wechselnde Schatten
Schultern und Knie und wogende Brust, vom Monde beschienen.
Ueber den Winden geht er, der alte lächelnde Seher,
gleich wie die Biene den Saft aus offenen Kelchen der Blumen,
15 trinkt er aus jedem Geheimnis das innerste Gold, und hernieder
träuft er den himmlischen Honig auf alle, die wandern und warten.

In: Typoskripte Hochstrasser
30.12.1945 * (nicht datiert)    (    )

Genfer Ode / 2

Wenn als Gefährte der Landschaft einsam ich bleibe am Abend, 
eile ich bang und schnell meinen Pfad, wie eine verratne
Braut erhebt sich die Nacht und fleht, dass ich sie erkenne.
Länger geleiten nicht Bäume sanft wie am Tage die Strassen,
05 brünstig lodert der Geist, der stets ihr Innres bewohnte
nun in die äussersten Zweige, und dunkel ruft er herüber,
ob nicht Verwandtes sei hier, zu spüren sein Lechzen im Blute.
Schauen nicht grüne Augen herauf aus den Wellen des Flusses,
stumm und verzaubert? Doch nimmer find' ich den Spruch, um zu lösen
10 all die verwunschenen Wesen aus Bann und magischen Fesseln.
Abgewendet im Glanz des eigenen, ewgen Entzückens,
halten sich Götter umarmt, von Sträuchern der Liebe behütet.
Ihnen schimmern wie Silber durch blaue, wechselnde Schatten
Schultern und Knie und wogende Brust, vom Monde beschienen.
15 Der geht über der Wolken gestaltenwirrem Getriebe,
seherisch lächelnd seit alters, und wie der Biene die Blumen // 02
stehn im Geheimnisse offen, aus träumeduftenden Kelchen
trinkt er das innerste Gold und träuft es wie Honig hernieder.
O, schon erquickt er der Nacht die brennenden Lippen, und bald wie
20 schlummernde Kinder atmet sie still und wandelt zum Morgen.

In: Typoskripte 1943-46
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