Synopse

(8)
Montag, 06 Februar 1956    (    )

Narziss

[ Am Rand lag ich und trat aus dem Schlaf 
hinein in dies Glänzen aus 
der Schachttiefe, mir Zuglänzen,
die Tür meines Schlafs war nur offen dahin in dies
dunkle Glänzen 
der Rätselfrage: sind dies meine Augen nochmals,
die Spiegel, 
05 denen ich tief unten im Schacht begegne:
ich trat durch die Tür, entlassen vom Schlaf 
und stürzte hinab, 
Ich falle, falle: das Auge, das Antlitz, das
dunkle Glänzen 
bleibt immer fern unten, immer lockt es; 
nur dass die Sonne, die eben noch den
Gegenglanz gab, // 068
10 den hellen, entschiednen, nun nicht mehr leuchtet
und dass jetzt die Wände nass widerspiegeln
den Blick des unteren dunkeln, 
des unbekannten Spiegels:
Darein ich mir selber begegne:
selber bleibe getrennt, 
wenn ich falle, Ball, verloren vom Kind in der Höhe
15 aufgefangen warm vom Kind in der Tiefe?
Nie aufgefangen, und immer fallend im Schacht ]

In: Notizbuch 1955-57
Dienstag, 07 Februar 1956    (    )

Der Schacht / Das Abwasserkanalrohr

Ball, fällst du, achtlos gestossen,
hinab in den Schacht und triffst auf 
auf das Glanzschwarz des Grunds
und verwirrst es, erhellst es,
05 bis dass es befestigt dich hin ein wenig
schupst und ein wenig her schupst zum Wandnass. // 069
Aber ich glaube, du triffst nicht auf
auf das Glanzschwarz des Grunds,
der Schacht ist lang, und unten
10 weiss man nicht wo unten ist und wo oben,
und das Glanzschwarz des Grunds ist unten und
oben. 
Und die Augen, die unten,
offen im Glanzschwarz warten,
dass du ankommst, die selben
15 warten auch oben im Glanzschwarz auf den Aufschlag
noch vor allem Fallen. 
So bleib denn still, Ball, und warte:
denn langsam dreht sich der Schacht,
warte mit Fallen, dann bist du oben und unten
und gewinnst das Lachen nicht der Augen, // 070
20 nicht das Weinen der andern.
Doch alle halten, Augen im Glanzschwarz,
dich am Seil fest der straff gespannten Erwartung.

In: Notizbuch 1955-57
Sonntag, 04 März 1956    (    )

Der Abwasserschacht (A)

Ball, du fällst, achtlos gestossen,
in den Schacht und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm vielleicht 
und verwirrst ihn, erhellst ihn, 
indes er dich hinstösst ein wenig und herstösst zum Wandnass. 

05 Aber vielleicht triffst du nicht auf den Schwarzschlamm des Grundes; 
denn lang ist der Schacht, 
und man weiss drin nicht mehr, wo unten ist und wo oben, 
der Schwarzschlamm des Grunds ist unten, ist oben. 

So bleib denn still, Ball, in der Mitte: 
10 schon, merkst du’s?, dreht sich langsam um seine Achse der Schacht, 
warte mit Fallen, 
und gewinnst du so nicht das Lachen der Augen dort, 
– vielleicht sind es die abgespiegelten nur – 
so verlierst du auch nicht das Lachen der Augen hier: 
15 stehst im Schwarzschlamm zwischen der Augen straff gespanntem 
Verlangen 
still nach oben und 
unbeweglich nach unten verheissend.

In: Manuskripte 1956
Sonntag, 27 Mai 1956    (    )

Der Abwasserschacht (B)

Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht 
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm bald, 
verwirrst ihn, erhellst ihn, 
indes er dich hinwiegt ein wenig 
05 und herwiegt zum Wandnass. 

Aber ehe du triffst auf den Schwarzschlamm des Grundes, 
erwäge: tief ist der Schacht, 
und drin weiss man nicht mehr, 
wo unten ist und wo oben; 
10 der Schwarzschlamm des Grundes ist unten, ist oben. 

So bleib denn still, Ball, in der Mitte: 
schon, merkst du’s?, dreht sich 
langsam um seine Achse der Schacht. 
Warte mit Fallen. – 

15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen 
dort – vielleicht sind es die gespiegelten nur – 
so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen 
hier und stehst zwischen der Augen im Schwarzschlamm 
straff gespanntem Verlangen, 
20 nach oben, nach unten, 
unbeweglich verheissend.

In: Manuskripte 1956
Samstag, 27 Oktober 1956    (    )

Der Schacht (C)

Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht 
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, bald, 
verwirrst ihn, erhellst ihn, 
indes er dich hinwiegt ein wenig 
05 und herwiegt zum Wandnass. 

Aber ehe du triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, erwäge: 
tief ist der Schacht, 
und drin weiss man nicht mehr, 
wo unten ist und wo oben; 
10 des Grundes Schwarzschlamm ist unten, ist oben. 

So bleib denn still, Ball, in der Mitte: 
schon – merkst du's? – dreht sich 
langsam um seine Achse der Schacht. 
Warte mit Fallen. – 

15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen 
dort – vielleicht sind es die gespiegelten nur – 
so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen 
hier und stehst im gespannten 
Zug der Augen im Schwarzschlamm, 
20 nach oben nach unten gleiche gerechte Verheissung.

In: Manuskripte 1956
Datiert: 1956    (    )

Der Schacht (D)

Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht 
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, bald, 
verwirrst ihn, erhellst ihn, 
indes er dich hinwiegt ein wenig 
05 und herwiegt zum Wandnass. 

Aber ehe du triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, erwäge: 
tief ist der Schacht, 
und drin weiss man nicht mehr, 
wo unten, wo oben; 
10 des Grundes Schwarzschlamm ist unten, ist oben. 

So bleib denn still, Ball, in der Mitte: 
schon – merkst du's? – dreht sich 
langsam um seine Achse der Schacht. 
Warte mit Fallen! 

15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen 
dort, so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen 
hier und stehst im gespannten 
Zug der Augen im Schwarzschlamm, 
gleiche Verwirrung, Erhellung nach unten, nach oben.

In: Manuskripte 1956
Datiert: 1956    (    )

Der Schacht

Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, bald,
verwirrst ihn, erhellst ihn,
indes er dich hin wiegt ein wenig
05 und herwiegt zum Wandnass.

Aber ehe du triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, erwäge:
tief ist der Schacht,
und drin weiss man nicht mehr,
wo unten, wo oben;
10 des Grundes Schwarzschlamm ist unten, ist oben.

So bleib denn still, Ball, in der Mitte:
schon – merkst du's? – dreht sich
langsam um seine Achse der Schacht.
Warte mit Fallen.

15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen
dort, so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen
hier und stehst im gespannten
Zug der Augen im Schwarzschlamm
gleiche Verwirrung, Erhellung nach unten, nach oben.

In: Typoskripte 1956
Datiert: 1958    (    )

Der Schacht

Ball, du fällst aus dem Spiel in den Schacht
und triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, bald,
verwirrst ihn, erhellst ihn,
indes er dich hinwiegt ein wenig
05 und herwiegt zum Wandnaß.

Aber ehe du triffst auf des Grundes Schwarzschlamm, erwäge:
tief ist der Schacht,
und drin weiß man nicht mehr,
wo unten, wo oben;
10 des Grundes Schwarzschlamm ist unten, ist oben.

So bleib denn still, Ball, in der Mitte:
schon – merkst du's? – dreht sich
langsam um seine Achse der Schacht.
Warte mit Fallen.

15 Gewinnst du nicht den Lachdank der Augen
dort, so verlierst du auch nicht den Lachdank der Augen
hier und stehst im gespannten
Zug der Augen im Schwarzschlamm
gleiche Verwirrung, Erhellung nach unten, nach oben.

In: Verstreutes
Typoskripte 1956 (alph.)
(Total: 14 )
Typoskripte 1956 (Folge)
(Total: 14 )