Entstanden: 28. Dezember 1954

Die Erhaltung der Unabhängigkeit des Vaterlandes
ist das höchste 
Ziel und die höchste Pflicht der schweizerischen 
Behörden: 
sie zu verteidigen vor allem gegen alle Gefahren, die
von aussen ihr drohen: Früher war dies noch einfach,
05 als es Heere zu bekämpfen gab, die
Österreicher zum Beispiel, gepanzerte Ritter.
Heute aber ist die Drohung viel grösser, weil sie
auf allen Gebieten des Lebens sich zeigt,
weil der Feind durch tausend Ritzen
10 eindringt in unser verwahrtes, geschlossnes,
wohl gereinigtes Haus. 
Der Feind ist das Ausland!
Er hat seine Waffen seit jenen heroischen Zeiten // 060
wohl geschärft und kunstvoll verfeinert.
Und drang er vor Jahrzehnten ein mit seinen Büchern,
15 warf er seine schlüpfrigen, seine undemokratischen,
vom Gedankengut des Totalitarismus und der Diktatur
durchtränkten Zeitschriften in die Seelen
unserer alpenunschuldigen Jugend,
so errichteten wir eine Schanze, geschickt,
20 mit unsern eigenen Schriften, mit unsern
eigenen Büchern. Das verderbliche Reden,
das staatsgefährliche, von der germanischen Rasse
ertrank so, gottlob, bald im laut
gesungenen Lob des keltischen Rundschädels,
25 in urhaften Tönen der Keltisch-alemannischen // 061
Idiome. So wurde die Fahne auf der Zinne
der Alpen gerettet, das Hirtenhemd
rein bewahrt von den Schmutzspritzern des Feindes.
Denn der Feind ist das Ausland!
30 Nicht ruhig lässt er uns schlafen nur eine Nacht:
Wir haben an die Stelle seines Papiers das unsre gesetzt
in den Kiosken, wir haben seine Rundfunkprogramme
übertönt durch unsre eignen. Und seine Waren
werden, dank der Schweizerwache,
von unsern aufrechten Bürgern 
35 nicht mehr gekauft. Und schon
heckt er aus eine neue Gewalttat:
er überstrahlt mit seinen Fernsehsendern
unsre wehrlosen Städte. Mit seinen Revuen,
seinen Songs, seinen Sketschs dringt er ein // 062
in unsere Häuser, weh in die
lauteren Schweizerherzen der Kinder.
40 Mit seinen fremden Visagen will er
verdrängen der Jahrhunderte
reine Essenz: das schweizerische Antlitz,
mit seiner künstlichen, herrschsüchtigen
Sprache schon wieder, schon wieder
(haben wir sie noch nicht endgültig vertrieben?)
den traulichen Urlaut der Alpen.
45 Unser Nationaldrama zwar schrieb uns der
der Schwabe Schiller, 
und auch Keller und Meyer,
die Schweizer Dichter par excellence
bedienten sich seiner Sprache: man wusste
es damals nicht besser. 
Der Helvetismus war damals, wie immer,
schon da in den Seelen und im Blut
der Schweizer. 
Aber zur bewussten Weltanschauung, zur Ideologie, // 063
50 die dem helvetischen Menschen allein und einzig
entspricht, 
vollendete er sich erst in unserer Epoche.
So wollen wir denn jetzt gründen eine Komission
aus Männern, 
die das Vaterland lieben, dass sie einen Plan
aufstellen, würdig der Helden
von Morgarten und Sempach:
wie jene Felsblöcke hinabwälzten
auf die Köpfe der Feinde
55 (und der Feind ist das Ausland!)
so sollen sie Sender aufstellen an den geeigneten
Punkten, 
um die Programme des Feindes, seine
Revuen und Songs und Sketschs
mit unsren Revuen und Songs und Sketschs
zu zermalmen. 
Um die Speere seiner Lieder und Reklamen,
alles was treffen könnte, 
60 ihm auszuziehen und, umgedreht,
alpen gereinigt und mit helvetischer // 064
Lautung gewandet ihm zurückzusenden
wie die Speere kürzlich in Sempach.
Lasst uns eine Mauer bauen, nein, Stacheldrahtrollen,
elektrisch geladne, haushoch legen um unser Land,
mit einigen Lücken freilich für den Fremdenverkehr,
65 lasst uns mit Radarstrahlen fremden Rundfunk,
Bildfunk, fremde Gedanken überhaupt
abwehren von der 
Ewigen Schweiz. Wir haben gekämpft
bei Morgarten, Sempach, bei Dornach und Marignano,
das ist genug. Wir haben genug von der Geschichte
70 und wollen uns jetzt endlich erholen,
unsre Geschichte – man denke an Tell –
war anstrengend genug. Lasst uns austreten
aus der Geschichte, aus der Welt überhaupt. // 065
Wir schicken ihr Liebesgaben und in den Kriegen –
75 die sind eben unvermeidlich – Rotkreuzkommissionen.
Das ist genug, übergenug. Sonst aber,
„da wo der Alpenkreis dich nicht zu schützen weiss,
stehn wir den Felsen gleich, nie vor Gefahren bleich,
Schmerz uns ein Spott. Heil Dir, Hel-
80 vetia, hast noch der Söhne ja, wie sie St. Jakob sah,
Schmerz uns ein Spott.“

Infos
  • Besonderes: Ortsangabe: Luzern; Fortsetzung gleichentags
    Notiz (S. 123):
    Schweizerische Satire: Eine Kommission wird eingesetzt, die Mittel und Wege studieren soll, die Schweiz vor der Überschwemmung durch fremde Fernsehprogramme zu bewahren. Aber der „Wilhelm Tell“ stammt von einem Schwaben.
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Erste Fassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/07
  • Seite / Blatt: 059, 060, 061, 062, 063, 064, 065