Entstanden: 24. Januar 1950

Es kann sich im Gespräch doch nicht nur um ein Aufstapeln von Paradoxen handeln, es sei denn man mache den Widerspruch der Erscheinungen so deutlich, dass sie, zwangsweise, den Blick, die Richtung des inneren Auges auf eine Gestalt hinweisen, die jenseits alles vereinigt, die den Widerspruch vollkommen aufhebt im unsäglich Klaren, im geläuterten Reinen. Aber jenseits: das will sagen: die Gestalt (man könnte es auch anders nennen, das Reine, vielleicht auch, wenn ich recht verstanden habe, das Heitere Heideggers, oder, das ist schon kühn: Gott, insofern er uns begegnet), die Gestalt kann nie // 049 theoretisch definiert, philosophisch oder theologisch irgend zureichend umrissen, sie kann nur geschaut werden. Schau aber lässt sich nur im Bilde annähernd ausdrücken, mitteilen. Hier ist doch wohl die Beziehung der Kunst zur Mystik, zu jenem Ort darin, den man Ekstase heisst. Denn es handelt sich darin wohl um eine Art Ekstase, wenn auch, in der höchst reflektierten Dichtung der Gegenwart z. B. oder auch der hohen Antike, des Horaz, des Vergil, um eine weithin bewusste Technik des Schauens, eine Methode der Annäherung an die Gestalt – dies mag immerhin zweifelhaft sein, es ist mir noch nicht klar – um eine Methode // 050 auf jeden Fall, eine immer genauer ausgebildete Technik der Wiedergabe geschauter Gestalt, der Wiederholung der Gestalt im Ausdruck.

02 Wenn dies annähernd gelingt: das Nachbild der Gestalt im Stoffe (des Wortes z. B.) dann ist wohl ein ebenso Wichtiges erreicht wie eine theoretische Erklärung, eine Theologie irgend einer Art jemals erreichen könnte. Das Paradox muss gesehen werden, bis zum letzten, bis in den Zynismus des Bekenntnisses scheinbarer Sinnlosigkeit von allem: erst dann wird der Glanz der höchsten Wölbung, der Klang der siebten Sphäre offenbar!

Infos
  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Prosanotat
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: C-2-b/03
  • Seite / Blatt: 048, 049, 050