Morgens Wachstum neuerer Gesichte
auf der stillen Höhe fällts uns an.
Doch merkt ihr nicht, wie schon von unten brausen
die bunten Wiesen und die saftigen Hügel
05 o, jene, die bedrängt die Menschenlust,
der süssen Seele und des jugendlichen Leibes:
O Jünglinge, es sind in euch zwei Alter
vereint; die Mönche rufen aus der alten Zeit,
die Eremiten locken aus den Höhlen
10 der Wüste in die geläuterte Verzückung,
ins Schweigen, dass das Innerste erblühe. // 030
Und es rufen die ältern noch, die
Schiffer von den Küsten, die unschuldigen
Hirten und hinaus aus den fruchtbarn Ländern,
15 den reichen Inseln in dem Zwischenmeer:
in die Wonne des allerersten Lebens,
der glühenden Umarmung und der irdischen Zeugung.
Den beiden seid ihr, Enkel, noch verpflichtet,
und eure Ehrfurcht neigt sich beiden zu.
20 Nehmt alles Mass aus euch, sitzt bei den
Mönchen des Morgens und geht zum Hirten, wenn der Abend kommt:
betrachtet die sieben Sphären, dringt // 031
zur äussersten, darin der Eine alles stets bewegt,
und gebt euch dann der menschlichen Liebe,
25 darin allein der Gott dem Menschen eigen wird.
Gehört den einen und gehört den andern:
den beiden fremd zugleich, die euch misstrauen.
Bewegt mit immer neu erkanntem Mass
nach hier und dort um eure eigne Mitte,
30 die schwache, die Mitte nur allein ist, weil ihr seid,
nichts ihr und darum alles, seid.
Morgens Wachstum neuerer Gesichte …*
- Details
- Konvolut: Notizbuch 1950
- Letzter Druck: Unpubliziert
- Textart: Verse
- Datierung: vollständig
- Fassung: Erste Fassung
- Schreibzeug: Bleistift
- Signatur: C-2-b/03
- Seite / Blatt: 029, 930, 031

Morgens Wachstum, neuerer Gesichte
die in Flucht geschlagen durch
auf der
auf jener stillen Höhe fällts uns an.
Doch merkt ihr nicht, wie schon von unten
brausen
die bunten Wiesen und die saftigen
Hügel
05 o, jene, die bedrängt die Menschen-
lust,
der süssen Seele und des jugendli-
chen Leibes:
O Jünglinge, es sind in euch zwei
Alter
vereint; die Mönche rufen aus der
alten Zeit,
die Eremiten locken aus den Höhlen
10 der Wüste euch in die geläuterte Ver-
zückung,
ins Schweigen, dass das Innerste er-
blühe. //

Und es rufen die ältern noch, die
Schiffer von den Küsten, die unschuldi-
gen
Hirten und hinaus aus den fruchtbarn
Hirten und hinaus aus den uner¿
Ländern,
15 den reichen Inseln in dem Zwischen-
meer:
in die Wonne des allerersten Lebens,
der glühenden Umarmung und der
irdischen
Zeugung.
Den beiden seid ihr, Enkel, noch ver-
pflichtet,
und eure Ehrfurcht neigt sich bei-
den zu.
20 Nehmt alles Mass aus euch, lebt bei
sitzt bei den
Mönchen des Morgens und geht zum
Hirten, wenn der Abend kommt:
betrachtet die sieben Sphären, dringt //

zur äussersten, darin der Eine alles
stets bewegt,
und vereint gebt euch dann
und vereint gebt euch ganz der menschli-
chen Liebe,
25 darin allein der Gott dem Menschen
eigen wird.
Gehört den einen und gehört den an-
dern:
den beiden fremd zugleich, die euch miss-
trauen.
Bewegt mit immer heller Mühe neu erkann-
tem Mass
nach hier und dort um eure eigne
nach hier und dort um eure schwache
Mitte,
die schwache, die niemals mitte niemals
30 die schwache, die niemals Mitte ist war
Mitte nur allein ist, weil ich ihr
seid,
nichts ihr und darum alles, seid.
21.12.49
Inhalt: Notizen, Prosa, 71 Entwürfe zu 54 Gedichten (8 Endfassungen)
Datierung: 7.12.1949 – 10.11.1950
Textträger: Blaues Notizbuch, liniert; Bleistift
Umfang: 144 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (7 Gedichte), Verstreutes (3 Gedichte)
Signatur: C-2-b/03 (Schachtel 79)
Spätere Stufen: Manuskripte 1948-51, Typoskripte 1945-50, 1948-50, Kutter
Kommentar: 9 Texte rhythmische Prosa, 21 reine Prosanotate, 1 Briefentwurf
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften (3 private Prosanotate nicht erschlossen)