Sehr g H. Prof.
01 Wenn ich heute mein Dis-
sertationsthema in Ihre Hände zu-
rücklege, so tue ich das nicht unüber-
legt. Der Entschluss dazu ist das
Ergebnis eines langen inneren Kamp-
fes:
02 ich nahm im Herbst 1946 das Ge-
schichtsstudium wieder auf im Zu-
stand einer völligen innern Ratlo-
sigkeit und Apathie,aus
sigkeit und Apathie, in der Vor-
stellung, es liesse sich der tote Punkt
bei andauernder und irgendwie
doch zielgerichteter geistiger Tätig-
keit am besten überwinden.
Darin täuschte ich mich nicht. Im
Sommer 1947 bat ich Sie um ein
Dissertationsthema, weil ich sah, dass
sich alles immer schneller verän-
derte die Voraussetzungen für mein
Universitätsstudium (auch die finan- //
ziellen) bald nicht mehr gegeben
sein könnten, und ich so, den
Wünschen meiner Familie gemäss,
möglichst schnell abschliessen
wollte.
03 Es war kam dieser Entschluss of-
fenbar schon zu spät: seit dem
Sommer 47 vänderte sichin
Sommer 47 wendete¿ sich mir alles
so schnell (dass es sich wenden
würde ändern würde, wusste ich
stets, aber ich rechnete niemals mit
nicht mit so plötzlicher Entwicklung)
dass ich mir heute seit dem
dass ich mir heute seit dem
Frühjahr, eingeklemmt zwischen
der wissenschaftlichen Arbeit und
den mich innerlich täglich vollstän-
diger beanspruchenden poetischen
Versuchen, den Gedanken an Auf-
gabe des Studiums zu erwägen be-
gann.
04 Nun, alle meine Freunde rieten
mir und raten mir noch heftig //
ab. Ich selber sehe das Bedenkliche
eines solchen Schrittes sehr genau.
Dennoch wird¿ will ich ihn jetzt tun:
die innere Spaltung wird täglich
fataler. Und meine Kenntnis×
fataler. Und meine Begriff von
der Wissenschaft ist einerseits zu
hoch, als das ich glauben könnte,
mit halbem Herzen etwas lei-
sten zu können. Anderseits reicht
ein ganz einfach meine innere Kraft
Kraft nichaus
Kraft nicht zur Bewältigung zwei-
er so verschiedener, für mich jeden-
falls ganz verschiedener, Auf-
gaben.
05 Abgesehen davon, dass meine Fa-
milie nicht mehr in der Lage ist,
mich weiterhin finanziell zu unter-
stützen.
06 Ich weiss sehr genau, dass ich mit
diesem Entschluss mich für die
Zukunft mich kaum auf Rosen
betten werde. Und dieser Gedan-
× Begriff //
ke trug das Seine dazu bei,dass
ke trug das Seine dazu bei, als
ich ihn so lange erwog. zögerte.
07 Sehr verehrter Herr Prof.,
ich wäre Ihnen herzlich dankbar,
wenn Sie mir meinen Plan nicht
allzu übel nähmen. diesen brüsken
und vielleicht für Ihr Empfin-
den unvernünftigen Austritt aus
Ihrem Ihrer Wissenschaft nicht
allzu sehr verübeln würden: ich ver-
danke Ihnen zu viel – es ist dies
ein aufrichtiges Bekenntnis – und
verehre Sie zu hoch, als dass ich
Ihren Groll ganz gelassen hin-
nehmen könnte.
Ihr sehr ergebener
16.11.48