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Mittwoch, 29 August 1951

29.8.51

Die Aufgabe des Gedichtes ist, am Ort der höchsten Helligkeit zu stehen, dem, der sie anschaut, den Zusammenhang des Ganzen in der Gestalt zu zeigen, soweit dieser Zusammenhang überhaupt erkannt werden kann. Die Grösse seines Anteils an dieser Erkenntnis und die Evidenz, mit der sie in ihm erscheint, entscheidet über den Wert // des Gedichtes. 

02 Im Gedicht muss die vollkommene Kommunikation erscheinen, die Aufhebung der Grenzen – das grosse Postulat der neuen Phase der Geistes- und Seelengeschichte – muss in ihm geschehen. Das vollkommene Gedicht wäre das, worin diese Aufhebung restlos durchgeführt wäre. Es wird nie geschehen: im Augenblick, wo das geschähe, wäre alle weitere dichterische Bemühung überflüssig. 

03 Der Dichter müsste eigentlich in allen Wissenschaften zuhause sein, in den Natur- und Geisteswissenschaften: vom Wissenschafter unterschiede er sich dadurch, dass er von der Ebene der Erkenntnis in seinem Werk hinüberginge auf die Ebene der Gestaltung, dass in seinem Gedicht das Erkannte sich vereinigen würde mit allem andern Erkannten zur anschaubaren Gestalt, jenes höchste Licht ausströmend, das ihr // nun zuflösse, weil sie in den Zusammenhang gesetzt, dem inspirierenden Geiste (= πνευματι) ausgesetzt wäre.

Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)

Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen