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Dienstag, 01 Juli 1958

1.VII.1958

[…] – Ich hasse den rein solipsistischen Künstler. Kunst geschieht, für mich, in der Welt. Der Künstler kann ein Narr sein, aber er muss ein Hofnarr sein, der Narr eines Hofes. – Nur unter äusserstem Zwang könnte ich mich entschliessen, in die Wüste zu gehen, die Stimme des Rufenden aus der Wüste zu spielen. Ich tue es, wenn ich muss, aber ich werde mich bis zum letztmöglichen Augenblick gegen dieses // Schicksal wehren. Meine Antipathie gegen Hölderlin, gegen Rilke, gegen Nietzsche, trotz aller Bewunderung, kommt daher, von diesem Misstrauen gegen das ungemischt Dämonische, das Brutale, das Unkonziliante dieser Figuren. Meine Liebe zu Thomas Mann, Hofmannsthal, André Gide (auch André Gide?) kommt aus meinem Einverständnis mit ihrem „gesellschaftlichen“ Künstlertum, das immer menschlich blieb, ohne das Geringste an Intensität aufzugeben. –  Heute ist die Frage // für mich die, ob ich diesen Standpunkt halten kann, ob ich ihn nicht modifizieren muss. […] // […] Ich habe eine – unglückliche Liebe zum Bürgerlichen. Ich möchte ein bürgerlicher Künstler sein. Ich fürchte, ich muss, wenn ich überhaupt ein Künstler sein will, diese Ambition aufgeben, weil ich der doppelten Belastung, vielleicht, nicht gewachsen bin. […]

  • Textart: Prosanotat
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: C-2-a/11
  • Werke / Chronos: -

Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)

Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen