Tagebuch
Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen
Umschlagtext zu den „Reduktionen“: Diese Gedichte sind Reduktionen, sie halten von den Gegenständen der Welt, die dem Autor jemals begegneten, nur den entscheidenden Eindruck fest, die Vision, den Klang einer Begegnung, die ihn wie ein Blitz traf. Mythos, Geschichte, Natur sind zurückgeführt auf ein paar Grundfiguren. Konzentriert und allen Beiwerks entledigt, sind sie zuweilen in ihrer Knappheit Rätselsprüchen ähnlich.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises I; Datum in Werke 6 fälschlich: 4.9.80
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: A-4-a/06
- Seite / Blatt: 25r
- Werke / Chronos: Bd.6, 466, 467
Eine Sprache, die man nicht sprechen mag, soll man auch nicht schreiben. Und umgekehrt. Eine Schriftsprache, // die ihre Normfunktion für die gesprochene Sprache nicht oder nicht mehr hat, also keine Hochsprache ist, soll man aufgeben. Die Schweiz versuchte einen früher allgemeinen Übergangszustand zu petrifizieren: Gesprochene Sprache hier, geschriebene Sprache dort. Das ging aber nur so lange, als es eine eindeutige Hierarchie gab. Die Schriftsprache setzte die Norm, der man sich in der gesprochenen Sprache, wenn auch langsam und unvollkommen, immer mehr anglich. Ein Prozess, der nie vollendet sein kann, aber der notwendig ist, wenn nicht ein schizophrener Zustand sich herausbilden // soll. Wie wir ihn in der Schweiz nun nachgerade haben: Die Schweizer glauben, zwei verschiedene Sprachen zu haben und diese fein säuberlich voneinander getrennt benützen zu müssen. Unter diesen Umständen ist es nur natürlich, dass man die gesprochene Sprache der geschriebenen vorzieht. Der einzig vernünftige nächste Schritt wäre, dass man die gesprochene Sprache auch schriebe und die bisherige Schriftsprache, da sie in der Schweiz offenbar tot ist, ganz aufgäbe.
[…]
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises IV
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/04
- Seite / Blatt: 156, 157, 158v
- Werke / Chronos: Bd.6, 499
Die Risiken, die der Künstler auf sich nehmen muss, wenn er wirklich ein Künstler ist, seine Kunst weder als Broterwerb noch als Hobby, sondern unbedingt und ungeteilt ausübt, sind diese: 1.) Dass er als Nichtstuer und Faulenzer verachtet wird, 2.) dass man ihn einen Parasiten schimpft, 3.) dass er wirklich auch ein „Parasit“ ist, insofern er, um seiner eigenen Arbeit willen, vom Besitz und der Arbeit anderer leben muss, 4.) // dass er über lange Strecken hin, oder sogar während seines ganzen Lebens bis zu seinem Tode, keinen Erfolg hat und darum immer wieder von Selbstzweifeln gequält wird, 5.) dass er aufgrund all dieser Umstände paranoisch wird, Verachtung und Nichtanerkennung auch dort wittert, wo gar kein Anlass dazu ist, dass er sich isoliert von den Menschen und am Ende vereinsamt.
02 Aus all dem ergibt sich, dass Anerkennung und finanzieller Erfolg für den Künstler nicht // weniger wichtig sind als für alle anderen Leute auch, jedenfalls beinahe: Im Unterschied zu diesen aber kann er sich, und das ist einer der Punkte, wo die Echtheit seines Anspruchs sich erweist, nicht einfach nach den Umständen richten und, falls er mit der einen Sache keinen Ruhm und kein Geld erlangt, kurzerhand eine andere anfangen. Der Kaufmann, der Fabrikant verlegt sich, wenn er mit der einen Ware nicht ankommt, auf eine andere; man // erwartet von ihm mit Recht, dass er das tut, denn der Zweck seiner Tätigkeit ist es Geld zu verdienen. Der Künstler indessen tut seine Arbeit um ihrer selbst willen, „L’art pour l’art“, und wenn er auch immer hofft, Geld zu verdienen und Erfolg zu haben damit, am Ende, wird ihn das nie bestimmen, weil er, wenn er tatsächlich ein Künstler ist, ein legitimer Nachfolger der Priester, Propheten und Magier des religiösen Zeitalters, // unter einem Zwang steht, dem er sich nicht entziehen kann, ohne sich selbst zu verraten.
[…]
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises V
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/04
- Seite / Blatt: 306, 307, 308r
- Werke / Chronos: Bd.6, 508
Der Titel des Buches „Neue Gedichte – teils in Hochdeutsch teils in Luzerner Alemannisch – mit einigen Bemerkungen zur sprachlichen Situation der deutschen Schweiz". – Eine Begründung steht an zum beabsichtigten Austritt aus dem <deutschen> Schriftstellerverband. Schon lange hatte ich ihn mir vorgenommen, aber ihn aus Ängstlichkeit – ich fürchtete Feindschaften, Intrigen, ökonomische Nachteile – nicht gewagt. Jetzt, da so viele bekannte Leute ausgetreten sind, habe ich solche Befürchtungen weniger, dafür eine neue: mich lächerlich zu machen, unter Niveau zu gehen, indem ich den Eindruck erwecke, ich liefe den anderen nach. Einen Vorwand gäbe mir im Moment // eine Umfrage des Verbandes, wie man zu ihm stehe. Sicher ist, dass ich die permanente ideologische Indoktrination und Inanspruchnahme für politische Ziele gründlich satt habe. Ich kämpfe für niemandes Befreiung, fühle mich keiner Klasse oder Gruppe verpflichtet, der „Fortschritt“ der Menschheit, im Sinn der Linken zumindest, ist nicht mein Anliegen. Als Dichter jedenfalls bin ich weder für noch gegen jemanden und erlaube niemandem, in meinem Namen politisch Stellung zu beziehen und Erklärungen abzugeben. Und dann hasse ich den kumpelhaften Umgangston, der in diesem Verein herrscht. Ich habe keine „Kollegen“ und bin niemandes „Kollege“.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Bemerkung: Vgl. Abgewandt Zugewandt 1985
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VI
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/05
- Seite / Blatt: 344
- Werke / Chronos: Bd.6, 534
Wenn ich wollte, könnte ich gegenwärtig täglich Gedichte schreiben; aber das hätte nur therapeutischen Wert, würde mich wahrscheinlich etwas aufmuntern, erheitern, doch wäre es nur Serienproduktion, ohne „innovatorischen“ Anspruch. // Ich muss mich mit diesem Zustand der Verstimmung nun einfach abfinden, ihn nicht weiter dramatisieren. […]
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VI
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/05
- Seite / Blatt: 363v, 364r
- Werke / Chronos: Bd.6, 534
Meine Vorahnung trog nicht: Schon gestern Abend eröffnete mir Erb am Telefon, seine finanzielle Lage erlaube ihm nicht, mein neues Buch noch im // Herbst herauszubringen. Er hoffe, bis nächsten Frühling die Mittel dafür aufzutreiben. – Was soll ich tun? Nunmehr liegen bei Erb drei Bücher: „Essays“, „Vor Anker“ und „Abgewandt Zugewandt“ zum Druck bereit. Falls er, wie er hofft, ab 1984 alle zwei Jahre ein Buch herausbringt, geht es bis 1988, dass alle drei gedruckt sind. Sollte ich in der Zwischenzeit, sagen wir bis 86, ein weiteres Buch beenden, ginge es dann u. U. bis 1990, dass auch dieses endlich gedruckt würde. Wenn er, wie ich nach meinen bisherigen Erfahrungen fürchten muss, das trotz allen Anstrengungen nicht schafft, dauert es noch länger. Ich bin nun ja wirklich kein Viel- und schon gar nicht ein Schnellschreiber; aber was mache ich mit einem Verlag, // der nicht einmal oder höchstens imstande ist, alle zwei Jahre ein Buch von mir herauszubringen? Ich bin kein Journalist, der sich in Zeitungen, Zeitschriften, im Rundfunk äussert, oder doch nur sehr nebenher, meine Form der Äusserung sind die Bücher. Wenn diese nicht erscheinen, habe ich kein Recht, mich als Schriftsteller zu bezeichnen – ich bin dann nur noch ein literarisch dilettierender Privatier. Es geht hier um meine Selbstachtung.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VI
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/05
- Seite / Blatt: 381, 382r
- Werke / Chronos: Bd.6, 539, 540
„Liebe Barbara Bondy, ich danke Ihnen für Ihren Brief und entnehme ihm zu meiner Betrübnis, dass die SZ zum ersten Mal, seit ich ihr, selten genug, Lyrik zuschicke, für kein einziges der angebotenen Gedichte Verwendung hat. Das stimmt mich nachdenklich. Ich hoffe, sie empfinden es nicht als Belästigung, wenn ich es nochmals versuche // und Ihnen eine Anzahl weiterer Stücke aus dem Manuskript unterbreite. Vielleicht findet sich dabei doch noch das „Passende“. Mit freundlichen Grüssen …“
02 Dass ich immer noch solche Briefe schreiben, mich den Leuten anbieten, mich ihnen aufdrängen muss. Aber das gehört wohl zum Geschäft, man muss da ganz kalt und unerbittlich sein, darf nie das Gefühl der Gekränktheit aufkommen lassen. Wichtig ist, dass ich meine Arbeiten so weit wie möglich verbreite. Ich schreibe schliesslich nicht für mich, sondern für die Welt: ein Gedicht ist erst fertig, wenn es beim Hörer, beim Leser angekommen, in ihn eingegangen ist. –
03 „Sehr geehrter Herr Görtz, es freut mich ebenso sehr, dass sie meine Gedichte // mit Interesse gelesen haben, wie es mich betrübt, Sie mit keinem einzigen davon in dem Masse, das einen Abdruck in der FAZ rechtfertigen würde, überzeugt zu haben. Ich hoffe, Sie empfinden es nicht als Belästigung, wenn ich Ihnen noch einige weitere Stücke aus dem Manuskript unterbreite: vielleicht findet sich doch noch das eine oder andere dabei, das Ihren Ansprüchen genügt.
Es scheint mir angebracht, dass ich Ihnen meine, vielleicht befremdliche Hartnäckigkeit kurz erkläre: Die FAZ ist nun einmal das für die literarischen Entwicklungen im deutschen Sprachraum repräsentative Organ. Kein Autor, der Anspruch darauf erhebt, von den Zeitgenossen zur Kenntnis genommen zu werden, kommt um diese Tatsache herum. Wenn ich Ihnen also immer // wieder Muster aus meinen neuen Arbeiten zuschicke und mich in dieser Übung auch durch regelmässige Ablehnung nicht beirren lasse, hat das seinen Grund einfach in meiner Meinung von der Bedeutung der FAZ und natürlich auch – das bitte ich Sie, mir nachzusehen – in meiner Meinung vom Wert meiner Arbeit. Mit freundlichen Grüssen …“
04 Ich habe die beiden Briefe abgeschickt, der FAZ die Gedichte dazu, die mir die SZ zurückgeschickt hatte, und umgekehrt. Ich glaube zwar nicht, dass ich Erfolg habe, denn warum sollten die Leute die einen Gedichte mehr mögen als die andern? Es gibt da keine wesentlichen Qualitätsunterschiede. Allenfalls im Ton, in der Thematik, das natürlich. Aber die Serien, die ich den beiden Zeitungen gegeben hatte, waren, // soweit ich sehe, gut gemischt.
05 Immerhin, das Experiment macht mir Spass, die Leute in Verlegenheit zu bringen – sie machen es schliesslich mit mir nicht anders. So leicht wimmeln sie mich nicht ab, die Propagatoren von Wolfgang Bächler, Günter Kuhnert, Sarah Kirsch. So gut wie die bin ich auch, um von Ulla Hahn nicht zu reden.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes:
Tagebuch eines Greises VII
Raeber an F. J. Görtz (FAZ), 28.5.1983. Die Schreiben blieben erfolglos. - Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/06
- Seite / Blatt: 401v, 402, 403r
- Textverweis: An Franz Josef Görtz, 28.5.1983 (FAZ)
- Werke / Chronos: Bd.6, 540, 541
In meinem Essay über Dialekt und Hochsprache in der Schweiz verhalte ich mich entschieden opportunistisch: er ist so geschrieben, dass, wenn der Dialekt in der Schweiz wirklich zur Hoch- und Schriftsprache // werden sollte, ich mich dann als Prodromos und (Mit)Urheber dieser Idee und Entwicklung rühmen kann – wenn sie aber verworfen wird und anders verläuft, das Hochdeutsche sich am Ende doch behauptet und wieder an Boden gewinnt, dann bin ich der Warner gewesen, der seinen Schweizern die Situation bewusst gemacht, sie aufgerüttelt und aus der Gefahr gerettet hat.
02 Aber was will ich denn nun wirklich? Für wahrscheinlich halte ich, dass auf längere Dauer, bis in fünfzig, hundert Jahren der Dialekt sich durchsetzt und ganz zur Hoch- u. Schriftsprache wird. Aber meinem Geschmack, meiner Neigung entspricht das Gegenteil: dass das Hochdeutsche // aufholt und aus einer blossen Schriftsprache auch wieder zur Kommunikations- und sogar zur normalen Umgangssprache wird. […]
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VII
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/06
- Seite / Blatt: 411r/v, 412r
- Werke / Chronos: Bd.6, 542
Beginn der Frankfurter Buchmesse. Wut und Erbitterung darüber, dass mein neues Buch „Abgewandt Zugewandt“ nicht erschienen ist, dass nunmehr drei Bücher ungedruckt bei Erb liegen, obwohl er für alle drei versprochen hat, sie zu bringen, die „Essays“ sind sogar schon dreieinhalb Jahre unter Vertrag. – Ein Autor, dessen Bücher nicht gedruckt werden, ist kein Autor, ist gar nicht vorhanden, allenfalls eine // schrullige Erscheinung; er hat den Beruf verfehlt.
[…]
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VII
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c /06
- Seite / Blatt: 452r/v
- Werke / Chronos: Bd.6, 548
Nach drei Jahren eines, relativen, stetigen Erfolges bedeutet dieses Jahr 1983 einen jähen und völlig unerwarteten Absturz: Durch die Weigerung meines Verlegers „Abgewandt Zugewandt“ herauszubringen, durch // seine Inaktivität, was die drei anderen geplanten Veröffentlichungen angeht, bin ich aus dem literarischen Leben praktisch verschwunden. Die Vorabdrucke aus „Abgewandt Zugewandt“, der in Rom gedrehte Film über „Das Ei“ sind da ein geringer Trost, im Gegenteil: die folgenlosen Ankündigungen in der Presse, die wegen des Ausbleiben des Buches abgesagte Ausstrahlung des Films bedrücken mich zusätzlich, steigern meine Erbitterung. Ich fühle mich vor mir selbst und vor der Öffentlichkeit blamiert und lächerlich gemacht.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises VIII
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/07
- Seite / Blatt: 457v, 458r
- Werke / Chronos: Bd.6, 550
Zwei Tage in St. Gerold in Vorarlberg: Tagung österreichischer und schweizerischer Autoren. Helen Keller, Erica Pedretti, Eisendle. Ich hatte, wie schon in Luzern, vor allem Erfolg mit den Dialektgedichten. Der Propst – St. Gerold ist eine Aussenbesitzung von Einsiedeln – sagte mir, dass er den Unterschied zwischen dem „Kopfton“ der hochdeutschen und dem „Herzton“ der alemannischen Gedichte stark empfunden habe. Ich erwiderte ihm, dass Gottfried Keller, sollte das zutreffen, seine Herzgedichte wohl gar nie geschrieben habe, weil man zu seiner Zeit und auf seiner Ebene // nur hochdeutsch schrieb. Schade?
02 Gleichgültigkeit gegen die Meinungen der Menschen einüben. Unbedenklichkeit, Konsequenz, Konzentration immer stärker auf das, worauf es mir ankommt. Die archetypischen Bilder, der Rhythmus, die Musik auch der Prosasprache. Mich nie mit einer mittelmässigen, zweitrangigen Sache begnügen. Das Unzulängliche, allenfalls, eine Zeit so stehen lassen, weil ich noch nicht weiter komme.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Details: 01 Helen Keller] eigtl. Helen Meier (vgl. Werke 6, S. 643, Anm. 380)
- Besonderes: Tagebuch eines Greises XI
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/10
- Seite / Blatt: 665r/v
- Werke / Chronos: Bd.6, 562, 563
Sollte es sich tatsächlich so verhalten, dass ein Schweizer Autor erst in seinen Dialektdichtungen seine volle Sprachkraft entfaltet, wäre das eine Bestätigung meiner Kritik am Schweizer Erziehungssystem: Dass es nämlich falsch ist, Kindern als erste und einzige Sprache in den fünf, sechs ersten Lebensjahren einen Dialekt beizubringen und nachher eine Hochsprache darüberzustülpen. Statt die Hochsprache, wenn man sie schon will, gleich von Anfang an im Umgang mit dem Kind zu verwenden. Was in den ersten Lebensjahren versäumt wurde, kann nie mehr nachgeholt // werden. Eine erst in der Schule erlernte Sprache bleibt immer eine „Kopfsprache“, wird den vollen „Herzton“ einer im frühkindlichen Alter osmotisch erworbenen Muttersprache niemals gewinnen. Meist wird das nicht bewusst und nicht sichtbar, weil der Vergleich fehlt, weil sich, auch heute noch, die wenigsten Schweizer, und schon gar nicht die Schweizer Dichter, des Dialekts für den schriftlichen Ausdruck bedienen.
- Details
- Konvolut: Tagebuch
- Besonderes: Tagebuch eines Greises XI
- Textart: Prosanotat
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-c/10
- Seite / Blatt: 666r/v
- Werke / Chronos: Bd.6, 563