Tagebuch
Inhalt: Tagebuchauszüge zur Poetik und zu einzelnen Gedichten
Datierung: 1948 – 1991
Umfang: Ausgewählte Textstellen aus ca. 20 Tagebuch-Heften
Signatur: C-2-a/01 …, C-2-c/01 … (Schachtel 77-79)
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen
Mit Paul zum Weintrinken und Cassata-essen im Gambrinus: er legt mir zusammenhängend und wohlbegründet dar, warum er an meiner „dichterischen Sendung“, wie er das nennt, zweifle. Ich sei zu bewusst, zu sehr lebend in den Zwischenbereichen, als dass ich zu dem spontanen Aufschwung noch fähig wäre, dessen der Dichter, der Lyriker insbesondere, bedürfte. Er fürchte sehr, ich müsste mich zum Aufschwung zwingen. In ein Pathos wider mich selber hineinsteigern.
02 Es ist merkwürdig, wie sehr man angewiesen ist auf Ermutigung, auf die auch noch so geheime Anerkennung durch Freunde und // Kameraden. Das fühlte ich diesem Falle wieder negativ: es entstand die schmerzhafte Empfindung, isoliert zu sein. Zugleich der Wille auch, zu prüfen und in jedem Falle das Wahre zu tun. Vielleicht komme ich doch noch endgültig in die Historie, wie man das auf der Fakultät allgemein vorauszusetzen scheint. Da spielt wohl sehr das Fachinteresse mit, der Selbsterhaltungstrieb einer wissenschaftlichen Zunft: sie muss sich selber wohl ernst nehmen, damit sie überhaupt existieren kann.
03 Kann nicht Dichtung aus dem Bewussten heraus geformt werden? Wobei es klar ist, dass die tiefere Kraft nach wie vor aus anderen Schichten heraufkommt. Ist nicht vielleicht der Grossteil moderner Lyrik Lyrik in meinem Sinn? Die Kunst Valérys, Mallarmés, Georges, R. A. Schroeders, F. G. Jüngers, um nur im engsten Kreis der Lyrik zu bleiben. Es ist klar, wir sind nicht mehr in der Romantik. Alles hat sich verändert, oder doch sehr vieles. Die Konturen der Dinge sind schärfer // geworden, die Welt unerbittlicher. Selbst dem Dichter fällt die Schau nicht mehr zu, er muss sie sich erkämpfen.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/05
- Werke / Chronos: Bd.6, 095
Dichtung als mystische Aussage: Versuch, das Unsägliche auszudrücken, das sich anders nicht mehr ausdrücken lässt. Da wir alle anderen Aussageformen verloren haben: die Kritik hat sie unterhöhlt und schliesslich weggeschwemmt. Es bleibt nur noch das Sprechen in Bildern. Dichtung als Anthropomorphismus, Versuch einer Neu-Übersetzung des scheinbar (aus dem rationalen Raum) verlorenen Göttlichen in menschliche Vorstellungsweise.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/05
- Werke / Chronos: Bd.6, 096
Unter meinen ältern Versen, aus den Jahren 44–46 finden sich doch recht gute Sachen. Von einem oder zwei Gedichten wage ich fast zu sagen: sie sind in ihrer Art vollkommen.
02 Dennoch, es leuchtet mir täglich mehr ein, dass auf die Dauer Lyrik nicht im Zentrum // meiner Produktion stehen kann. Ihrer ganzen Natur nach ist sie Rahmenwerk zur eigentlichen Aussage, die anderswie gemacht werden muss, in Prosa wahrscheinlich, in der Form der Erzählung beispielshalber. Es scheint mir selber unangebracht im Augenblick, das zu sagen, finde ich doch in mir gegenwärtig auch nicht eine Voraussetzung zu dieser Gattung. Gleichwohl, Lyrik vermag meine Hauptströmung nicht zu fassen. Darüber muss ich mir klar sein und allmählich versuchen, die Folgerungen zu ziehen.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/05
- Werke / Chronos: -
Mit Paul Huber und Armin Gespräche über meine Verse. Merkwürdig, beiden gefallen // die Reimstrophen, während sie die freien Rhythmen – auf die ich selber am meisten halte – ablehnen.
02 Armin gab eine eingehende Kritik zu „O, Aufglanz in den allerhöchsten Sphären“ Die Verbindung „schneidenden Gerichts“ in der zweiten Quatrine fand er konventionell. Besonders aber schien ihm meine Zeichensetzung pedantisch: es gebe keine verbindliche Regel dafür. Man müsse sie ganz vom einzelnen Gedicht her bestimmen lassen. Eine unangemessene Zeichensetzung zerstöre den Fluss des Satzes und entstelle ihn. Im übrigen, die Form meiner Verse sei hinter ihrem Inhalt noch zwanzig bis dreissig Jahre zurück. Was noch angehe, bei andern betrage der Abstand hundert bis hundertfünfzig Jahre.
03 Diese Äusserungen sind auf jeden Fall erwägenswert. Wenn mir auch immer mehr scheint, dass Kunst fast ganz von innen her sich entwickelt, dass die Erkenntnis von Ungleichmässigkeit // und Unangemessenheit der Form sich genau dann einstellt, wenn die innere Fähigkeit, anders und reiner, intensiver zu gestalten, so weit herangewachsen ist, dass sie die alten Formen einfach sprengt und abstösst. Um die in jedem Augenblick grösstmögliche Reinheit und Intensität, darum geht es ja. Nur um ihretwillen alle Bemühung!
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/06
- Textverweis: O Aufglanz in den allerhöchsten Sphären …*
- Werke / Chronos: Bd.6, 107, 108
C. M. Bowras Aufsatz über George gelesen: Es ist erstaunlich, wie wenige Leute unserer Generation – so weit ich zumindest bisher feststellen konnte – Stefan George kennen, ihn lesen, sich mit seiner Welt beschäftigen. Wo er doch noch vor wenigen Jahrzehnten eine eigentliche Magie ausgeübt haben muss.
02 Vielleicht liegt das an der Überstilisierung, in die er alles zwang, sodass nur noch Form da war, und zwar keine irgendwie verbindliche, sondern // eine ganz und gar subjektive Form, die mit dem Tode ihres Schöpfers starb und schon uns heutigen nicht mehr zugänglich ist. Es scheint zwar, dass Ideenlinien von ihm zu uns führen, sichtbar und sehr gerade, aber er war nicht fähig, das Gedächtnis seiner Urheberschaft zu erhalten.
03 Ich vermute, seine künstlerische Gestalt ist zu flächenhaft, zu wenig zwingend und elementar. Seine Gedichte wie eine feine Häkelarbeit (aus ungeheurer Willensanspannung geschaffen). Wir aber tendieren auf das Räumliche, auf den Zauber des Plastischen. Das Plastische aber scheint seinen Figuren ganz zu fehlen.
04 Das Stossende am Maximin-Kult: die bewusste Übertragung von Andachtsformen einer vor kurzem noch gültigen Religion auf eine ephemere Figur, die nur ganz wenigen bedeutend sein kann. Religions-Ersatz in der widerlichen Bedeutung des Begriffes. Versöhnen kann hier höchstens die offenbare Lächerlichkeit eines solchen // Unternehmens.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/06
- Werke / Chronos: Bd.6, 109, 110
Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Für Staiger ist Lyrik das ganz naive, spontane Lied Brentanos oder Eichendorffs. Er kann sich nicht genug tun, ihre Ungeistigkeit, Absichtslosigkeit, Zu-Fälligkeit zu betonen. Was ich unter dem Gedicht vor allem verstehe, das ordnet er am ehesten wohl unter der Kategorie des Pathetisch-Dramatischen. Leider geht er darauf nicht näher ein. Das gehört ihm schon nicht mehr zu den Grundelementen.
02 So erscheint bei Staiger die Ordnung der Dichtung stark verschoben: das Kunstgedicht, das mir zentral scheint und eigentlich Geistiges stiftend, beachtet er in seiner Poetik gerade darum, weil es „stiftet“<,> nicht. Um ein Gedicht zu sein, muss es im Traume kommen, so glaubt er, je weniger Kunstverstand, // je weniger geistiger Gehalt, desto besser. Freilich, er gibt zu, dass sich nur erste Elemente einer Theorie der Dichtung in seinem Buch finden. Aber wie weit gibt es denn das wirklich naive Gedicht? Wie weit ist es der grossen Beachtung, die Staiger ihm schenkt, nur schon wert? Um kühn zu sein: die deutsche Romantik ist ein „weltliterarischer Höhepunkt des Liedes“, weil sie eine einseitige, falsche Vorstellung von Dichtung hatte, überkommen von Herder und seiner Schule. Es wurden schöne Verse geschrieben damals, aber sie stehen nicht, sie zerrinnen, sie sind Lyrik, aber nicht Gedichte, soweit es nicht doch einem Dichter gelang, einzugehen in den Geist, teilzunehmen am Geist, das Verborgene Leuchtende herauszuschlagen in bewusster Bemühung und mühsamer Kunst: Gedichte, die tanzen, in denen sich irgendwie ein Gott offenbart, kommen aus der hellsten Wachheit des Geistes, aus höchster Anspannung aller innern Kräfte. Wer das nicht weiss, hat noch nicht gemerkt, worauf es ankommt.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Schreibzeug: Tinte
- Signatur: C-2-a/06
- Werke / Chronos: Bd.6, 111, 112
Meine Verse ein Spiegellabyrinth, allerdings stets versuchend, zum Objektiven aufzusteigen. Das Objektive darin wohl als Postulat, // aber noch nicht als Realität. Die Trennung von der menschlichen Welt darin so stark, dass der Kristallraum bald sich selber sprengen muss: ich kann in dieser Richtung nicht mehr weiter gehen, ohne dass die Wände zerbrechen. Vor diesem letzten notwendigen Schritt aber scheine ich eine geheime Angst zu haben. Jedenfalls weiss ich nicht, wie ihn vollziehen.
02 Die positive Bedeutung solcher Verse mag sein, dass sie eine wesentliche Not der Generation zu gestalten versuchen, dass sie es unternehmen, das Gefälle der Auflösung in Dienst zu nehmen. Also etwas wie der «heroische Realismus». Nur, die Leere ist bald so vollkommen, dass sie nur mehr schweigen kann.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/06
- Werke / Chronos: -
Auch bei den Deutschen scheint langsam der Dichter dem Autor Platz zu machen (vgl. Ernst Jünger, Gottfried Benn: Ausdruckswelt). Es könnte dies das Zeichen sein für einen Gewinn an innerer Freiheit, für ein wachsendes Misstrauen gegen alles Krampfhafte in der geistigen Produktion. Man will sich nicht mehr auf das Pathos verpflichten und sich den Aufenthalt auf mehreren Ebenen zugleich offen lassen. Damit wird man allmählich fähig zur Literatur im französischen Sinn: das Schrifttum nicht mehr ein geschlossener Raum, zu dem niemand Zugang haben soll, vielmehr einer, der grundsätzlich allen offensteht.
02 Die Veränderung lässt sich auch begreifen // als eine neue Intensivierung der Beziehung zu Frankreich, die seit dem 18. Jhdt., zu unserem Schaden, so dünn geworden war. Freilich, das heutige Frankreich, dem wir uns wieder nahe fühlen, ist nicht mehr das, was wir im r 8. Jhdt. verlassen haben. Es hat Veränderungen erfahren durch den romantischen Geist, seine Literatur wäre kaum denkbar ohne die romantische Dichtung Deutschlands. Freilich, die neue französische Lyrik, an sie denke ich hier vorab, ist etwas anderes als das deutsche Vorbild, insofern sie den Traumgesang zum rationalen Kunstwerk gesteigert hat. Und dies rationale Kunstwerk ist es, das wir seit fünfzig Jahren den Franzosen abzulernen im Begriffe sind. […]
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/07
- Werke / Chronos: Bd.6, 122
Walter G. sprach mir gestern über meine Verse. Insbesondere von jener Aufstiegszene, die endet mit den Worten: „…und unverletzte Gärten auf den Inseln“. Es schienen ihm gerade diese letzten Worte bezeichnend für meine Versuche, von denen er glaubt, sie seien bedeutend.
02 Sei dem wie immer, meine Stellung zu Walter G., was ich von seinem Geistigen zu halten habe, ist mir noch nicht klar. Seine Ausbildung scheint, wie die vieler begabter Mediziner, hinter seiner Sensibilität zurückzustehen. Doch diese scheint er, das glaubte ich immer, zu haben, Gespür für das Eigentliche. Insofern ist mir seine Sympathie für meine Verse doch sehr wertvoll, sehr erfreulich. Ausweitung des Raumes, darin man lebt und gehört wird.
03 Er sprach mir auch von der Labilität des Selbstbewusstseins, // der steten Gefährdung des Glaubens an die eigene Produktivität als eine ihrer wichtigsten Bedingungen. Eine Problemstellung, die bei ihm zu finden mich freudig erstaunte. Da sie mir bestätigte, dass er zu einem meiner wichtigen Anliegen Zugang hat. Das ist ja, zwischen sozusagen Unbekannten, sehr selten auf den ersten Anhieb. Er war imstande, aus den Versen zu lesen.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/07
- Textverweis: Mittag
- Werke / Chronos: Bd.6, 122, 123
Da im Grunde nichts vergeht, es keine Abscheidung gibt von irgendeinem wesentlich Zugehörigen, muss der Punkt erreicht werden, wo alle vergangenen Situationen zugleich erlebt werden können, und zwar ohne dass sie sich Abbruch tun oder widersprechen, sondern so, dass sie alle zusammen erst ein ganzes Erlebnis bilden, die ganze erlebte Realität darstellen. Annäherung an diesen Punkt wäre praktisch Annäherung an die Gestalt. Überflüssig zu sagen, // dass auch dieser Punkt hier nicht erreicht werden kann, was die Leidenschaft der Annäherung nicht mindern, sondern steigern soll: es kann immer noch ein Mehreres erreicht werden.
02 Die Erschütterung als Quelle einer sich fortpflanzenden Bewegung: Gefahr der Erstarrung wachsend mit dem Abstand von der Erschütterung. Sie muss also in der Erinnerung stets wieder reproduziert werden. Auch hier muss sich die Beherrschung der Mittel immer mehr ausbilden, die Verfügung über den in der Tiefe ruhenden Erinnerungsstoff: alles Vergangene muss potentiell stets gegenwärtig sein.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Signatur: C-2-a/07
- Werke / Chronos: Bd.6, 124, 125
Die Aufgabe des Gedichtes ist, am Ort der höchsten Helligkeit zu stehen, dem, der sie anschaut, den Zusammenhang des Ganzen in der Gestalt zu zeigen, soweit dieser Zusammenhang überhaupt erkannt werden kann. Die Grösse seines Anteils an dieser Erkenntnis und die Evidenz, mit der sie in ihm erscheint, entscheidet über den Wert // des Gedichtes.
02 Im Gedicht muss die vollkommene Kommunikation erscheinen, die Aufhebung der Grenzen – das grosse Postulat der neuen Phase der Geistes- und Seelengeschichte – muss in ihm geschehen. Das vollkommene Gedicht wäre das, worin diese Aufhebung restlos durchgeführt wäre. Es wird nie geschehen: im Augenblick, wo das geschähe, wäre alle weitere dichterische Bemühung überflüssig.
03 Der Dichter müsste eigentlich in allen Wissenschaften zuhause sein, in den Natur- und Geisteswissenschaften: vom Wissenschafter unterschiede er sich dadurch, dass er von der Ebene der Erkenntnis in seinem Werk hinüberginge auf die Ebene der Gestaltung, dass in seinem Gedicht das Erkannte sich vereinigen würde mit allem andern Erkannten zur anschaubaren Gestalt, jenes höchste Licht ausströmend, das ihr // nun zuflösse, weil sie in den Zusammenhang gesetzt, dem inspirierenden Geiste (= πνευματι) ausgesetzt wäre.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Fassung: Zwischenfassung
- Signatur: C-2-a/07
- Textverweis: Dichtung als Ort der Begegnung …*
Ein Hauptgrund meiner Abneigung gegen die erzählende Prosa, gegen das Schreiben erzählender Prosa, scheint die Unabsehbarkeit dieser Art Arbeit zu sein: wenn ich ein Gedicht anfange, so habe ich sehr schnell ein Resultat; wenn ich auch selten schon das erste Mal damit fertig werde, so weiss ich doch schon, was noch zu tun bleibt, wenn ich es wieder vornehme. Und im Falle ich einsehen muss, dass ich nicht weiterkomme, so ist damit nicht viel verloren, ich lege die Missgeburt beiseite und fange etwas neues an. Da ich immer mehrere Gedichte auf einmal in Arbeit habe, fällt es mir nicht allzu schwer, // gelegentlich eines davon abzustossen.
02 Ganz anders bei der Prosa: man arbeitet über Wochen und Monate hinaus, mehr oder weniger auf einmal, aber immer ist das, was ich in einer Arbeitsstunde zu Papier bringe, nur ein kleines Stück dessen, was schliesslich herauskommen sollte. Nie weiss ich, wie die Arbeit weitergehen soll, ob ich sie nicht mitten drin abbrechen muss, weil sich plötzlich der ganze Ansatz als verfehlt erweist. Es ist ein Gang ins gänzlich Ungewisse, nie habe ich etwas in der Hand, von dem ich sagen kann: wenn ich das und das noch ändere, ist es fertig, kann ich es beiseite legen. Dies enerviert mich, verärgert mich im höchsten Grade gegen diese Arbeit, und Verstimmung wiederum ist der Arbeit ohnehin wenig günstig.
03 Als Gymnasiast noch schrieb ich häufig wie im Fieber, ich war von einem Bild, einer Bilderfolge über lange Zeit hin wie besessen, das riss mich vorwärts. Heute, wo ich mir jedes Wort mühsam und oft fast unter Schmerzen entreisse und abliste, reicht es, wenn ich mich immer wieder aufreisse, gerade noch zu ein paar Versen. In sie zwinge ich alles, was ich zu erfahren fähig bin, was ich vielleicht noch etwa bin und habe, mit ihnen // suche ich meinen Auftrag einzulösen (ohne zu wissen, ob es mir je gelingt). Zur Prosa fehlt mir der lange Atem, so scheint mir wenigstens bisher, die Geduld, die Kraft, der Optimismus, die Fähigkeit, in dauernder Spannung zu leben.
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- Konvolut: Tagebuch
- Textart: Prosanotat
- Datierung: vollständig
- Signatur: C-2-a/07
- Werke / Chronos: Bd.6, 165, 166