Sonntag, 29 Januar 1956

An Thomas Räber, 29.1.1956

Zu deiner Grundsatzerklärung über Gedichte habe ich kein Wort hinzuzufügen: ich bin genau Deiner Ansicht. Alles Esoterische – im Sinn des sich Abschliessenden, vulgus profanum Hassenden – ist mir zuwider. Soll heissen: ein Kustwerk muss jedem zugänglich sein, jeden treffen und betreffen, wenn er und soweit er imstande ist, sein Innerstes, sein Selbst zu öffnen und es aufzunehmen. Und hier liegt ja, wie Du richtig sagst, die ganze Schwierigkeit: wenn einer das Gedicht nicht versteht, liegt das daran, dass er nicht offen ist dafür oder daran, dass das Gedicht zu unverständlich ist, um hineinzufinden durch sein offenes Tor, eine Ware, die nicht in die Stadt kommen kann, nach der sie adressiert ist? Wer soll das im einzelnen Fall wissen? […] Denn ich selber meine immer, diese Bedingung, der Handlichkeit, zu erfüllen in meinen Gedichten: den Geist der Leser zwar vielleicht anzustrengen, aber zuvor ihn zu reizen und auf den Weg der rechten Anstrengung zu führen. Denn so etwa muss man es ja machen: reizen und so zu einer neuen Bewegung zwingen. Gelänge das meinen Versen nicht, so würden sie eine wesentliche Bedingung nicht erfüllen und wären schlecht. […]

  • Besonderes:

    Zur Inversion vgl. auch Raeber an Thomas Räber, 22.2.1956

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Brief
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: E-01-B-02_RAEK/b_005

Inhalt: Briefstellen zur Gedichtproduktion
Signatur: Vgl. Angabe bei den einzelnen Texten

Kommentar: Die Auswahl ist beschränkt auf einige wenige Briefe, v. a. aus der Verlagskorrespondenz;
vgl. auch einige Briefentwürfe Raebers in den Notizbüchern
Wiedergabe: Textkonstitution ohne Verzeichnung der Korrekturen

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