Entstanden: 10. Dezember 1982

Von Wien
steigt er auf und über
dem Schwarzwald erscheint er
als ein heimischer Vogel und doch
05 war es vermutlich über dem persischen Hochland dass er
ausschlüpfte aus dem
Ei. Aber das ist
zu lange her. Über
Frankfurt steht er
10 ein halbes Jahrtausend und manche 
behaupten sogar sie hätten
ihn mit zwei Köpfen gesehen ein Fabel-
tier sei er damals gewesen doch seither
ist er ein einfacher // 01v
15 Vogel nun schon
lange allein und ohne
Genossen und findet
zwischen den Wolken-
kratzern sein altes
20 Nest St. Bartholomäus nicht mehr schon auf
Goethe hatte er dort
nur noch exotisch
gewirkt wie aus einem fernen
Zwinger hergeflogen da fällt
25 eine Feder und dort
eine Feder herunter Passanten
lesen sie auf und erinnern
sich sie hätten im Nordosten
ihn neulich auf einem verschneiten
30 Sandplatz im Schnee
sitzen sehen abgemagert und heiss-
hungrig schnäbelnd wie lang
ists her dass er über den Toren der alten
Städte des Südens aus goldenen Tellern
35 frass und von Castel del Monte die Flotten // 02
der Sarazenen die Segel
des heiligen Markus erspähte dass er in der Grotte
am Palatin wohnte bequem 
und gefürchtet noch heute
40 schmerzt ihn der Rauch in den Augen
womit man ihn austrieb.
Doch auch über Frankfurt wird er sich nicht mehr
halten können schon bald
hat er alle Federn verloren man wischt sie
45 jeweils morgens um fünf Uhr
an der Konstabler-
wache an der
Kaiserstrasse zusammen er fällt
wenn er Glück hat am Römer
50 herunter ein kahles
ausgemergeltes Aas liest ihn ein Türke
vom Pflaster auf und wirft ihn zum übrigen
Müll in den Container.

Infos
  • Letzter Druck: Abgewandt Zugewandt 1985
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Tinte
  • Signatur: A-5-h/03_106
  • Seite / Blatt: 01r/v, 02