Entstanden: 15. Juni 1958

Du hebst das Horn
und vergiftest die Winde, 
hebst es auf vor dem Wald, 
den versteckten 
05 Blüten, den Teichen mit Rosen, 
den Grotten voll von Lianen. 

Du senkst das Horn 
und dringst hinein in den Wald; 
da sind die Blüten verfault 
10 und die riesigen Bäume verkohlt. 
Der Teich ist ein Moor ohne Rosen, 
Moderlöcher die Grotten. 

Du musst hier weiter, du musst 
durch die Gänge, 
15 gewundnen gleich deinem Horn, // 02
doch nicht purpurn. Weh deinem weissen 
Fell: denn da drinnen 
liegt nicht Minotauros. Unter zerbrochnen 
Glasdächern uralter Fabriken, 
20 bei rostroten Maschinen, 
die keiner mehr zu bedienen versteht, 
liegen die Mumien da: 
Könige wie aus Leder 
und Krokodile mit blätternden Schuppen 
25 (Blätter, duftende Blüten) 
Augen, offen und schimmlig, 
(im Teich die offenen Rosen<)>. 

Hebe nochmals dein Horn, 
dann ist nur noch Staub, 
30 und du watest. 
Moder war noch ein Duft // 03
Labyrinth war noch eine Richtung. 
Die Mumien waren ein Grausen. 
Jetzt watest du bis zu den Knöcheln 
35 nur noch im flimmernden Staub. 
Du watest im Kreis und suchst eine Jungfrau.

Infos
  • Besonderes: Verso: Typoskript (Raeber, Netz, S. 20, 19, 18 = Die Lügner sind ehrlich)
  • Letzter Druck: Verstreutes
  • Textart: Verse
  • Datierung: vollständig
  • Fassung: Zwischenfassung
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-d/05_003
  • Seite / Blatt: 01, 02, 03