Montag, 23 Dezember 1957

Der Fisch und der versunkene Poseidon (D)

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse: das Wasser 
kommt nicht auf gegen den heissen 
Asphalt und ist, kaum 
05 er es nur begriff, schon verdunstet. 

Der Fisch aber war 
gerade so weit 
als man ihn fing heute früh: 
„Seit ich einmal ins Licht
10 und in die Wärme hinaufstiess, 
von wo vor langem der Hochfisch, der seither, 
Seesterne im Ohr, auf der Brust 
Polypen, im Grund liegt, 
herabgestürzt war: 

15 Seit ich einmal hinaufstiess, 
fürchte ich mich: Das Kühle 
war nicht mehr da. Mir erstarrten 
die Kiemen. Die Flossen 
fanden nicht Widerstand mehr, 
20 sich voran zu bewegen… 

Gehn wir alle dorthin und verlieren 
wie der Hochfisch Kiemen und Flossen?: 
Nach wievielen Toden? // 07v

Der Hochfisch war Uebertreibung. 
25 Unten muss man bleiben und die 
verdächtigen Höhen vermeiden. 
Wohnen will ich von morgen 
an in seinem noch freien 
Ohr, wo die Erinnerung ist
30 Ansporn und Warnung zugleich …“

Gerade so weit war der Fisch, 
als man ihn fing, heute früh. 
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 
kommt gegen den heissen 
35 Asphalt der Strasse nicht auf 
und ist, kaum er es nur 
begriff, schon verdunstet.


Blatt 07r (A-5-d_02_152.jpg)

Der Fisch und der versunkene PoseidonD

Die Fischhändlerin leert

den Eimer aus auf die Strasse: das Wasser 

kommt nicht auf gegen den heissen 

Asphalt und ist, kaum 

05 er es nur begriff, schon verdunstet.

Der Fisch aber war ,

gerade so weit 
als man ihn fing heute früh ,:

gerade so weit gekommen:

"Seit ich einmal   ins Licht / und   ↓in die
10 Seit ich einmal, von Licht / und  Wärme gelockt, hinaufstiess

einmal dorthin hinaufstiess,

von wo vor langem der Riese, Hochfisch, der seither, 

viele der unsern erschlagend,

↓↓herabgestürzt war:↓↓

der Meteor, der seither, Seesterne im Ohr, auf der Brust 

im Ohr, auf der Brust

Polypen,im Grund
Polypen,  daliegt, das Bild eines Hochfischs …



15 Seit ich einmal hinaufstiess, 

fürchte ich mich: Das Kühle 

war nicht mehr da. Mir erstarrten 

die Kiemen. Die Flossen 

fanden nicht Widerstand mehr, 

20 sich fächelnd voran zu bewegen… 


Gehn wir alle dorthin und verlieren 
Kam der Hochfisch von dort, gehn wir alle

wie der Hochfisch
dorthin und verlieren Kiemen und Flossen?: 

Nach
Durch wievielen Toden? //

Blatt 07v (A-5-d_02_153.jpg)


[ Vor kurzem sank ein kleiner und weicher

Hochfisch auf den grossen und harten:

eine Abart, schon geschwächt,

weil es jenseits im Leeren

auf die Länge
auf die Dauer zu leben unmöglich? ]


Nun,  Der Hochfisch war Uebertreibung. 

25 Unten muss man bleiben und die 

durch Wärme und Licht

verdächtigen Höhen vermeiden. 

Wohnen will ich von morgen 

an in seinem
an in dem noch freien 

Ohr des grossen Hochfischs., wo
Ohr des grossen Hochfischs., Dort ist die Erinnerung | ist

30 die Erinnerung Ansporn und Warnung zugleich…“

Gerade so weit war der Fisch,
Hier war der Fisch heute früh, gerade,

gerade als man ihn fing ., heute früh. 

Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst, 

kommt gegen den heissen 

35 Asphalt der Strasse nicht auf 

und ist, kaum er es nur 

begriff, schon verdunstet.

Kuno Raeber, 1957

Kuno Raeber, 23.XII.

 

  • Besonderes:

    Blatt beidseitig beschrieben
    Typoskript mit Tinten- und Bleistiftkorrekturen; datiert: 1957, Tag und Monat mit Bleistift ergänzt

  • Letzter Druck: GEDICHTE 1960
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Schreibmaschine
  • Signatur: A-5-d/02_021
  • Seite / Blatt: 07r/v

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

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