Freitag, 29 März 1957

Orpheus im Hafen (B)

Nichts ist hier, was man unbedingt sehen müsste;
nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,
sondern weil es Stunden gibt,
wo du hier tiefer bist in Venedig als selbst am Rialto:

05 Auf den Stufen des Herberghügels,
das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,
die über dem Hafen tönen;
wenn auch zu fern noch, als dass nicht
die Lötlampen in den Schwimmdocks
10 greller aufsprühten, ihr Schrei 
übers Wasser kälter hinschliffe und wüchse.

Klammere dich nicht an meinem Arm fest,
du sollst dich nicht fürchten,
wenn du das grosse Gesicht weiss liegen siehst zwischen den Schiffen, // 03
15 mit offenem Mund,
verstummt und wie schlafend.
Du sollst dich nicht fürchten, weil eine geheime
Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte:
Städte und Häfen magst immer du fliehen,
20 ich glaube, immer fändest dus wieder.

Drum sieh drüber weg und steige ganz auf den Hügel:
von da ist das weisse Gesicht
einfach der Mond, der sich mit Sternen bescheiden
zwischen ruhenden Schiffen spiegelt im Becken: wenn dus nur willst. –
25 Du sollst dich nicht fürchten.


Blatt 02 (A-5-d_02_020.jpg)

B Orpheus im Hafen

Nichts ist hier, was man unbedingt sehen müsste;

nicht wegen Denkmälern gefällt es mir hier,

sondern weil es Stunden gibt,

wo du hier tiefer bist in Venedig als selbst am Rialto:

05 Auf den Stufen des Herberghügels,

das Ohr dem Klang der Sterne geschärft,

die über dem Hafen tönen;

wenn auch zu fern noch, als dass nicht

die Lötlampen in den Schwimmdocks

10 greller aufsprühten, ihr Schrei 

übers Wasser kälter hinschliffe und wüchse.

Klammere dich nicht an meinem Arm fest,

du sollst dich nicht fürchten,

wenn du das we grosse Gesicht weiss liegen siehst

zwischen den Schiffen, //

Blatt 03 (A-5-d_02_021.jpg)

B Orpheus im Hafen2 B

15 mit offenem Mund,

verstummt und wie schlafend.
stumm

Du sollst dich nicht fürchten, weil eine geheime

weil eine geheime

Strömung es sogar in diesen entlegenen Hafen herschwemmte:

Städte und Häfen magst immer du fliehen,

20 ich glaube, immer fändest dus wieder.

Drum sieh drüber weg und steige ganz auf den Hügel:

von da ist das Gesicht weisse Gesicht, wenn dus nur willst,

einfach der Mond, der sich mit Sternen bescheiden

zwischen ruhenden Schiffen spiegelt im Becken: wenn

dus nur willst. –

25 Du sollst dich nicht fürchten.

29.3.57

 

  • Besonderes:

    Bräunliches Papier
    Verso: Typoskripte (Der Mund (Sacro Bosco in Bomarzo)), durchgestrichen

  • Letzter Druck: GEDICHTE 1960
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-d/02_004
  • Seite / Blatt: 02, 03

Inhalt: 89 Manuskripte und 11 Typoskripte zu 24 Gedichten und 2 szenischen Texten (2 Endfassungen)
Datierung: 27.11.1956 – 31.12.1957
Textträger:114 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Gedichttyposkripten und bräunliche Blätter
Umfang: 27 Dossiers, 192 beschriebene Seiten
Publikation: GEDICHTE (10), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-d/02 (Schachtel 37)
Herkunft: Mappe EG 57

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

Manuskripte 1957 (alph.)
(Total: 100 )
Manuskripte 1957 (Datum)
(Total: 100 )
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