Mittwoch, 22 Juni 1955

Im Brunnen (D)

Unten tief im Brunnen sitzend,
habe ich dich gleich erkannt: 
als du mir, der ängstlich schwitzte, 
ob er nackt und hungrig sitzen 
05 bleiben müsse, warfst herab das Festgewand. 

Unten tief im Brunnen sitzend, 
habe ich dich gleich erkannt: 
als du mir mit Seidenlitzen 
und mit Steinen, die im Dunkel plötzlich blitzen, 
10 warfst herab ein Festgewand. 

Soll ich aus dem Schlamm und Sand 
mit dem Festgewand dir steigen? 
Lass mich als mein Herr und Herrscher 
hier im Brunnen unten bleiben: 
15 Wenn ich aus dem Brunnen stiege, 
wie dann bliebe, das du mir herabgesandt, 
heil und ganz dein Festgewand? 

Wirf mir lieber Brot und Schinken 
in den Grund, wo still ich sitze 
20 und mich freu am seltnen Blinken 
deiner Steine deiner Seide, 
doch seit Stunden hungrig sitze. // 05

Unten tief im Brunnen sitzend, 
habe ich dich gleich erkannt: 
25 als du mir, der nackt vor Ängsten schwitzte, 
warfst herab das Festgewand, 
warfst herab dann auch die Speise 
und zuletzt zur Kletterreise 
warfst herab die leichte Leiter: 
30 aber diesen Aufwärtsleiter 
will ich nicht. Nach eigner Weise 
will ich Brunnenherscher sein. 

Schon am eitlen Festgewand, 
das du mir herabgesandt, 
35 habe ich dich gleich erkannt. 
Unten tief im Brunnen sitzend 
wink ich dir und lache dir: 
Bleib allein im trocknen Land.


Blatt 04 (A-5-c_11_071.jpg)

D Im Brunnen

Unten tief im Brunnen sitzend,

habe ich dich gleich erkannt:

als du mir, der ängstlich schwitzte,

ob er nackt und hungrig sitzen

05 bleiben müsse, warfst herab das Festgewand. 

Unten tief im Brunnen sitzend,

habe ich dich gleich erkannt:

als du mir mit Seidenlitzen

und mit Steinen, die im Dunkel plötzlich blitzen,

10 warfst herab ein Festgewand. 

Soll ich aus dem Schlamm und Sand

mit dem Festgewand dir steigen?

Lass mich als mein Herr und Herrscher

hier im Brunnen unten bleiben:

15 Wenn ich aus dem Brunnen stiege,

↔ dann ↑wie↑ bliebe, das du mir herabgesandt,

heil und ganz dein Festgewand? 

Wirf mir lieber Brot und Schinken

in den Grund, wo still ich sitze

20 und mich freu am seltnen Blinken

deiner Steine deiner Seide,

doch seit Stunden hungrig sitze. //

Blatt 05 (A-5-c_11_072.jpg)

 D Im Brunnen 2

Unten tief im Brunnen sitzend,

habe ich dich gleich erkannt:

25 als du mir, der nackt vor Ängsten schwitzte,

warfst herab das Festgewand,

warfst herab dann auch die Speise Speise

und zuletzt zur Kletterreise

warfst herab die leichte Leiter:

30 aber diesen Aufwärtsleiter

will ich nicht, Nach eigner Weise

will ich Brunnenherscher sein. 

Schon am eitlen Festgewand,

das du mir herabgesandt,

35 habe ich dich gleich erkannt.

Unten tief im Brunnen sitzend

wink ich dir und lache dir:

Bleib allein im trocknen Land.

22.6.55

 

  • Details:

    V. 31 Emendation: nicht, → nicht.

  • Besonderes:

    Verso: Typoskripte↑ (Sebastian Franck, S. 140, 116)

  • Letzter Druck: Unpubliziert
  • Textart: Verse
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • gereimt: ja
  • Strophen: ja
  • Schreibzeug: Bleistift
  • Signatur: A-5-c/11_008
  • Seite / Blatt: 04, 05

Inhalt: 135 Manuskripte und 21 Typoskripte zu 24 Gedichten (keine Endfassung)
Datierung: 14.11.1954 – 21.11.1955
Textträger: 200 Einzelblätter (A4-Format); v.a. durchscheinende Makulatur von Dissertation und Gedichttyposkripten
Umfang: 25 Dossiers, 213 beschriebene Seiten
Publikation: Die verwandelten Schiffe (12 Gedichte), GEDICHTE (1 Gedicht), Verstreutes (2)
Signatur: A-5-c/11 (Schachtel 36)
Herkunft: Nr. 1-15: braune Mappe EG 55 I; Nr. 16-25: rote Mappe EG 55 II

Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen, Umschriften

Weitere Fassungen

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