Manuskripte 1948-51

Inhalt: 430 Manuskripte zu 151 Gedichten (50 Endfassungen)
Datierung: Mai 1948 – 4. 3.1951
Textträger: 280 Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 174 Dossiers, 436 beschriebene Seiten
Publikation: Gesicht im Mittag (14 Gedichte), Verstreutes (6 Gedichte)
Signatur: A-5-b/02 (Schachteln 30/31) / pdf-Liste
Herkunft: Nr. 1-113: gräulich-grünliche Mappe EG 1 (1948/49/50); Nr. 114-174: grüne Mappe EG 2 (1951)

Kommentar: Willkürlich geordnete Konvolute, Zusammengehörendes oft in verschiedenen Dossiers
Wiedergabe: Edierte Texte, Abbildungen; diplomatische Umschriften  nur bei Texten, die in Gesicht im Mittag publiziert wurden.

Donnerstag, 27 April 1950       )

Bruder, du leitest, ob sie auch gingen zuvor …* (C)

Bruder, du leitest, ob sie auch gingen zuvor
mit den Gaunern des Weges, endlich Bereite
über den See hinter den waldigen Hügeln
zu der Kuppel reinen Lichts, wo die Taube
05 ruht und alles Hiesige schwindet. Du nur,
bleibst bei den Glücklichen, Winterbote, zurück.

Dienstag, 18 April 1950       )

Diese neue Wolke wie ein dunkles Boot …* (A)

Diese neue Wolke wie ein dunkles Boot
droht den fliehend ohnehin zerrissnen Fetzen
Mittagshimmels, unversehrten, ruhenden
einstmals auf den Säulen, die da sangen unterm
05 Anflug stiller Vögel. Jetzt sind stumm die Säulen,
und die Vögel schrein, wie Fledermäuse irrend
durch die schwankenden Lüfte. Fern enthoben schwand die
Wölbung, die da nimmer birst und dreht im Licht,
aller Klänge mächtig, jenseit schlimmem Stern.

Mittwoch, 19 April 1950       )

Diese neue Wolke wie ein dunkles Boot …* (B)

Diese neue Wolke wie ein dunkles Boot
droht den fliehend ohnehin zerrissnen Fetzen
Mittagshimmels, unverletzbar ruhenden
einstmals auf den Säulen, die da sangen unterm
05 Anflug stiller Vögel. Jetzt sind stumm die Säulen,
und die Vögel schrein, wie Fledermäuse irrend
durch die schwankenden Lüfte. Doch enthoben schwand die
Wölbung, die da nimmer birst und dreht im Licht,
aller Klänge mächtig jenseit schlimmem Stern.

Donnerstag, 20 April 1950       )

Welche niemals birst, die Wölbung dreht im Licht …* (C)

Welche niemals birst, die Wölbung dreht im Licht
jenseit schlimmem Stern, der Klänge aller mächtig,
wenn die neue Wolke wie ein dunkles Boot
droht den fliehend ohnehin zerrissnen Fetzen
05 Mittagshimmels, unverletzbar ruhenden
einstmals auf den Säulen, die da sangen unterm
Anflug stiller Vögel, wenn jetzt stumm die
Säulen und die Vögel schrein, wie Fledermäuse irrend
durch die schwanken Lüfte: dreht im Licht, die niemals
10 birst, die Wölbung jenseit, aller Klänge mächtig.

Welche niemals birst, die Wölbung dreht im Licht
jenseit, aller Klänge mächtig, wenn die neue
Wolke wie ein dunkles Boot bedroht die fliehend
ohnehin zerrissnen Fetzen Mittagshimmels,
05 unverletzbar ruhenden ....
Säulen, die da sangen unterm Anflug stiller
Vögel, wenn jetzt stumm die Säulen und Vögel
schrein, wie Fledermäuse irrend durch die schwanken
Lüfte, dreht im Licht, die niemals birst, die Wölbung.

Welche niemals birst, die Wölbung dreht im Licht, 
wenn die neue Wolke wie ein dunkles Boot
droht den fliehend ohnehin zerrissnen Fetzen
Mittagshimmels, unverletzbar ruhenden
05 einstmals auf den Säulen, die sangen unterm
Anflug stiller Vögel, wenn jetzt stumm die Säulen
und die Vögel schreien, irrend durch die
Lüfte, dreht im Licht, die niemals birst, die Wölbung.

Dienstag, 02 Mai 1950       )

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel …* (A)

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel,
der reiner ist als diese klaren Ufer?
Die Türme sind, die göttlichen, im Grunde
erst hoch und klingend, wo sie keiner hoffte:
05 dass klar Gewächs und Blätter, darin
die Geister wohnen, nur gedeihen in den Schlinggewächsen 
O Gärten sind, o Städte gegenwärtig 
nur hier, und diese obern sind nur Schatten,
geworfen an die Höhlendecke; wer
10 doch spürte nicht die Decke, die hinein-
gedrückt, und Freiheit ist der Ausgang nur 
hinunter in die widerliche Lache, 
wo aus der toten Fische aufgeblähten Leichen, 
aus fauler Pflanzen Resten steigt die Stadt 
15 ins Auge uns und Gärten ins Gemüt.

Mittwoch, 03 Mai 1950       )

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel …* (B)

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel,
das reiner ist als diese klaren Ufer?
Die Türme sind, die göttlichen, im Grunde
erst hoch und klingend, wo sie keiner hoffte:
05 Gewächs und Blätter, darin Geister wohnen,
gedeihen in den Algen nur allein.
Die Gärten sind, die Städte gegenwärtig 
nur dort, und diese obern sind nur Schatten,
geworfen an die Höhlendecke; lastend
10 auf seinem Haupt, und Freiheit ist der Ausgang
hinunter in die widerliche Lache, 
wo aus der Fische aufgeblähten Leichen, 
aus fauler Pflanzen Resten steigt die Stadt 
ins Auge uns und Gärten ins Gemüt.

Montag, 08 Mai 1950       )

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel …* (C)

Was ist es, das hineinzieht in den Wirbel 
das reiner ist als diese klaren Ufer?
Die Türme sind, die göttlichen, im Grunde
erst hoch und klingend, wo sie keiner hoffte,
05 Gesträuch und Bäume, darin Geister wohnen,
erwachsen unter Algen nur allein?
Da Gärten sind und Städte gegenwärtig 
nur dort und diese obern bleiben Schatten,
geworfen an die Höhlendecke, lastend
10 auf unsrem Haupt, und Freiheit ist der Eingang
hinunter in die widerliche Lache?
wo aus der Fische aufgeblähten Leichen, 
aus fauler Pflanzen Resten steigt Gestalt 
ins Auge uns und Fülle ins Gemüt.

Dienstag, 09 Mai 1950       )

Was ist das Reinere im trüben Moor …* (D)

Was ist das Reinere im trüben Moor
das macht zur Trübnis diese klaren Ufer? 
Da Städte sind und Gärten gegenwärtig 
nur dort und diese obern bleiben Schatten,
05 geworfen an die Höhlendecke, lastend
auf unsrem Haupt, und Freiheit ist der Eingang
hinunter in die widerliche Lache,
wo aus der Fische aufgeblähten Leichen, 
aus fauler Pflanzen Resten steigt der Turm
10 ins Auge und schwellen Früchte ins Geblüt?

Samstag, 13 Mai 1950       )

Was ist im trüben Moor das Reinere …* (E)

Was ist im trüben Moor das Reinere,
davor zur Trübnis wird dies klare Ufer?
da Stadt und Garten einzig gegenwärtig 
sind dort und diese obern bleiben Schatten,
05 geworfen an die Höhlendecke, die lastet
auf unsrem Haupt, und Freiheit ist der Eingang
hinunter in die widerliche Lache,
wo aus der Fische aufgeblähten Leichen, 
aus fauler Pflanzen Resten steigt der Turm
10 ins Aug und ins Geblüt die Beere schwillt?

Dienstag, 09 Mai 1950       )

Der Vogel fällt, der irrgewordne vor …* (A)

Der Vogel fällt, der irrgewordne vor
dem Überhellen, immerfort nach innen:
und nirgends gibt es Pause diesem Fall, 
er ist unendlich, jedem Innenort 
05 findet des unentwegten Falls Spirale 
noch einen inner-inneren: wie das 
im Dickicht lockende Licht, das Trostlicht für 
den Abendgänger, stets nach vorne flieht 
durch das Gehölz und über wirre Schluchten 
10 stets neu enthoben an den neuen Ort, 
die angebotne Zuflucht unerreichbar:
so fällt der Vogel, willos niederkreisend,
dem Grunde zu, der übermächtig zieht 
und immer jenseits dem erreichten Ort.

Donnerstag, 11 Mai 1950       )

Irrgeworden vor dem Überhellen …* (B)

Irrgeworden vor dem Überhellen 
fällt der Vogel immerfort nach innen,
unentwegten Falls Spirale findet
jedem Innenort noch einen innen-
05 innersten: wie lockt das Trostlicht den
Abendgänger und durch das Gehölz
stets nach vorne flieht und über Schluchten
neu enthoben an den neuen Ort
unerreichbar angebotner Zuflucht:
10 fällt der Vogel, willlos niederkreisend
zu dem Grund, der jenseits dem erreichten
Ort von neuem liegt im Überhellen.

Samstag, 13 Mai 1950       )

Irrgeworden vor dem Überhellen …* (C)

Irrgeworden vor dem Überhellen 
fällt der Vogel immerfort nach innen,
unentwegten Falls Spirale findet
jedem Innenort noch einen inner-
05 innersten: so wie das Trostlicht den
Abendgänger lockt und im Gehölz
stets nach vorne flieht und über Schluchten
noch enthoben an den neuen Ort
unerreichbar angebotner Zuflucht:
10 fällt der Vogel, willlos niederkreisend
in den Grund, der jenseits des erreichten
immerfort ins Überhelle flieht.

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum
enthüllt, das stieg herab in dies Gewölbe,
wo sitzen schon die andern auf den Thronen:
sie füllen das Gemach mit Innenglanz.
05 Und sind sie tot auch gegen dieses Bildnis
des wirklicheren Lebens, und ob es auch
schien Braut und höchstes Gut der schmachtend lang
im Tiefen irrenden Seele, so hört sie doch
auf einmal, wie unter allen Bildern bebt
10 die Höhle im Berg und wankt vom Grund und sich
die Felsen spalten und aus den Donnern steigt,
den keiner zu sehnen wagt, der Fürst, der stillt
noch über dieses Bildnis, das vergänglich.

Dienstag, 16 Mai 1950       )

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum …* (B)

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum
enthüllt, das stieg in das Gewölb herab,
wo schon die andern sitzen auf den Thronen:
sie füllen das Gemach mit Innenglanz.
05 Und sind sie tot auch gegen dieses Bildnis
des wirklicheren Lebens, ob es auch
schien Braut und höchstes Gut der schmachtend lang
in Tiefen irrenden Seele, so hört sie doch
mit eins, wie unter allen Bildern bebt
10 im Berg die Höhle und wankt vom Grund und sich
die Felsen spalten und aus den Donnern steigt,
den keiner zu rufen wagt, der Fürst, der stillt
noch über dieses Bildnis, das vergänglich.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum …* (C)

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum
enthüllt, das stieg herab in das Gewölbe,
wo sitzen schon die andern auf den Thronen:
sie füllen das Gemach mit Innenglanz,
05 obgleich sie tot sind gegen dieses Bildnis
des wirklicheren Lebens. Und wenn es auch
schien Braut und höchstes Gut der schmachtend lang
im Tiefen irrenden Seele, so hört sie doch
auf einmal, wie unter allen Bildern bebt
10 die Höhle im Berg und wankt vom Grund und sich
die Felsen spalten und aus den Donnern steigt,
den keiner zu sehnen wagt, der Fürst, der stillt
noch über dieses Bildnis, das vergänglich.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum …* (D)

Vergänglich ist auch dieses Bildnis, kaum
enthüllt, das stieg herab in das Gewölbe,
wo sitzen schon die vielen auf den Thronen
und füllen das Gemach mit Innenglanz,
05 obgleich sie tot sind gegen dieses Abbild
des wirklicheren Lebens. Und wenn es auch
schien Braut und höchstes Gut der schmachtend lang
im Tiefen irrenden Seele, so hört sie doch
auf einmal, dass unter allen Bildern bebt
10 im Berg die Höhle, wankend vom Grund und sich
die Felsen spalten und aus den Donnern steigt,
den keiner zu sehnen wagt, der König, stillend
noch über dieses Bildnis, das vergänglich.

Montag, 22 Mai 1950       )

Das heraufstieg in den Wald …* (A)

Das heraufstieg in den Wald
an der Bergeslehne flüchtig Tier
brach den Schlaf mir auf der Sonnenkuppe
unter einsam kühlem Schattenbaum:
05 wie es mich erschreckte, Knacken 
schützenden Gehölzes, das den 
Abstieg birgt; denn ringsum dauern
Schluchten ungestümer Bäche,
die, vergessen unter Sommerstille,
10 unterm Summen samtner Hummeln
wieder drangen aus der Seele 
schreckend auf, die nie gedämpften, 
als heraufstieg in den Wald 
an der Bergeslehne, flüchtig Tier.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Das heraufstieg in den Wald …* (B)

Das heraufstieg in den Wald
an der Bergeslehne knisternd Tier
brach den Schlaf mir auf der Sonnenkuppe
unterm einsam kühlen Schattenbaum:
05 wie das mich erschreckte, Knacken 
schützenden Gehölzes, das den 
Abstieg birgt, wo ringsum dauern
Schluchten ungestümer Bäche,
die, vergessen unter Sommerstille
10 und dem Summen dunkler Hummeln
wieder drangen aus der Seele 
schreckend auf, die nie gedämpften, 
als heraufstieg in den Wald 
an der Bergeslehne knisternd Tier.

Schwemmt der Fluss aus hohen kaum gefurchten
Tälern in die alten, tiefen mich
dieser Lust zurück: und duften wieder
Wiesen, wo der Fallende nicht tiefer,
05 von dem hohen Ort nicht tiefer fällt:
immer hält ihn dieser Täler schlummernd
Leben, Kraut und bunter Garten und der
breite, inselreiche Spendestrom.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Schwemmt der Fluss aus hohen kaum gefurchten …* (B)

Schwemmt der Fluss aus hohen kaum gefurchten
Tälern in die alten Tiefen mich
dieser Lust zurück: und duften wieder
Wiesen, wo der Fallende nicht tiefer,
05 von dem hohen Ort nicht tiefer fällt:
immer labt ihn dieser Täler schlummernd
Leben, Kraut und bunter Garten an dem
breiten, inselreichen Spendestrom.

Aus der gestürzten Schale rinnen Tropfen, glühend,
weil den Trinker, da er hob den Becher zum Mund,
jener schreckte, der Ungeheure, der aus der Ödnis,
mit seinem Schatten die Halle verdunkelnd,
plötzlich hereintrat.

Dienstag, 06 Juni 1950       )

Wie das Gespinst des Lichtes, Scheinlichtes …* (A)

Wie das Gespinst des Lichtes, Scheinlichtes
wächst und zieht Irrfäden über die verborgene
Flamme: wie diese Stadt wächst, die
künstlichen Häuser über die Wiesen
05 und den reinen Schrei der Grillen,
Rufen des Kuckucks: dieses glücklichen Vogels:
der andere Vogel ist verworren und fährt
hin und wieder im Netz, im Gespinst
verwirrenden Lichtes, Scheinlichtes, das
10 überspinnt die wahre Flamme, die er
sucht darüber, jenseits im betäubten
Himmel der Nacht, jenseits der Stadt,
in den Wiesen, im Schrei der Grillen,
diesem tönend bergenden Haus:
15 und die Rufe des Kuckucks
sind die lockenden Fenster in den Wald
der geöffneten Stille: Wald, wo die Dunkelheit
birgt inmitten das Feuer, endliches
Licht dem Irrschein entflohenen Vogel.

Mittwoch, 07 Juni 1950       )

Wie das Gespinst des Lichtes, Scheinlichtes …* (B)

Wie das Gespinst des Lichtes, Scheinlichtes
wächst und zieht Irrfäden über
die verborgene Flamme: wie diese
Stadt nun wächst, die künstlichen Häuser
05 über die Wiesen und den reinen
Schrei der Grillen und des Kuckucks
Ruf, dieses glücklichen Vogels; der andere
Vogel ist verworren und fährt
hin und wieder im Netz, im Gespinst
10 wirrenden Scheinlichts, das überspinnt
die verborgene Flamme, die er
sucht darüber, jenseits im
tauben Himmel jenseits der Nacht,
jenseits der Stadt in den Wiesen, im reinen
15 Schrei der Grillen, dem tönenden Haus,
bergenden mit dem Rufen des Kuckucks,
lockendem Fenster, offen in die
Wälder der Stille: wo das Dunkle
birgt inmitten das Feuer, endliches
20 Licht dem Irrschein entflohenen Vogel.

Freitag, 09 Juni 1950       )

Wirr fährt der Vogel hin und wieder im Netz …* (C)

Wirr fährt der Vogel hin und wieder im Netz
im Gespinst des Scheinlichts, das
wächst und zieht Irrfäden über
die verborgene Flamme: wie diese
05 Stadt nun wächst, die künstlichen Häuser
über die Wiesen und den reinen
Schrei der Grillen und des Kuckucks
Ruf, dieses andern glücklichen Vogels; 
er aber sucht überm Lichtnetz, jenseits
10 tauben Himmels, jenseits der Nacht und
künstlichen Häusern
im reinen Schrei der Grillen<,>
tönendem Haus, der Burg
mit den lockenden Fenstern, offen
15 in die Stille des Walds: Rufen des
Kuckucks, wo das Dunkle birgt
in der Mitte das Feuer, endliches
Licht dem Irrschein entflohenen Vogel.

Samstag, 10 Juni 1950       )

Wirr fährt hin und her der Vogel …* (D)

Wirr fährt hin und her der Vogel
im Gespinst des Scheinlichts, das
wächst und zieht Irrfäden über
die verborgene Flamme: diese
05 Stadt nun wächst, die toten Häuser
über Wiesen und den reinen
Schrei der Grillen und des Kuckucks
Ruf, des andern, glücklichen Vogels.
Er doch sucht überm Scheinlicht, überm
10 tauben Himmel, über der Nacht und
künstlichem Haus, im reinen Schrei der
Grillen: Burg mit Fenstern, offen
in die Stille des Waldes: Kukucks
Rufen! Wo das Dunkle birgt
15 ganz im Dickicht das Feuer, endlich
Licht dem Irrschein entronnenen Vogel.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Wirr fährt hin und her der Vogel …* (E)

Wirr fährt hin und her der Vogel
im Gespinst des Scheinlichts, das
wächst und zieht Irrfäden über
die verborgene Flamme: dieses
05 Netz nun wächst über Wiesen und den
reinen Schrei der Grillen und des
Kuckucks Ruf, des andern, glücklichen
Vogels. Er doch sucht überm Scheinlicht
tauben Fadengespinstes in des
10 Grillenschreies reiner Burg
Fenster, offen in des Waldes
Stille, Rufen des Kukucks! Wo das
Dunkle birgt ganz im Dickicht das wahre
Feuer dem Irrschein entronnenen Vogel.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Wirr fährt hin und her der Vogel …* (F)

Wirr fährt hin und her der Vogel
im Gespinst des Scheinlichts, das
wächst und zieht Irrfäden über
die verborgene Flamme: dieses
05 Netz noch wächst über Wiesen und den
reinen Schrei der Grillen und des
Kuckucks Ruf, des andern, glücklichen
Vogels: Er doch sucht überm Scheinlicht
tauben Fadengespinstes in des
10 Grillenschreies reiner Burg
offene Fenster durch des Kukucks
Rufen in die Stille des Walds,
wo das Dunkel ganz im Dickicht
hält das Feuer, endlich
15 Licht dem Irrschein entronnenen Vogel.

Montag, 12 Juni 1950       )

Auf der Insel gehn die gestrandeten Träume …* (A)

Auf der Insel gehn die gestrandeten Träume,
hier ihr Wirrsal rufend und dort. Sie aber
schweigt und ist schön inmitten des Meeres. Dennoch
wissen sie nicht, wo sie gehn und ersehnen klüftige
05 Berge, wüste Wildnis der Herkunft und gehn doch
heute im Garten der Götter: Ihnen ist Duft,
Duft von den Bäumen, Gesang der Zikaden und das
hohe Rauschen der Flut, nur Elend, solange
ruhlos bleibt das Herz und das Gewaltige
10 will, nicht wissend das Glück der reinen Beschauung,
Ruhe im Einklang des Meers mit dem Himmel und den
Quellen des waldigen Bergs, das Ganze tönend geheim.

Dienstag, 13 Juni 1950       )

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer …* (B)

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer,
hier ihr Wirrsal rufend und dort. Sie aber
schweigt und ist schön inmitten des Meeres. Dennoch
wissen sie nicht, wo sie gehn und rufen klüftige
05 Berge, wüste Wildnis der Herkunft und sind doch
heute im Garten der Götter: Ihnen ist Duft
von den Bäumen, Gesang der Zikaden und das
hohe Rauschen der Flut nur Elend, solange
ruhlos bleibt ihre Seeeele und das Gewaltige
10 will, nicht wissend das Glück der reinen Beschauung,
Ruhe im Einklang des Meers mit dem Himmel und den
Quellen des waldigen Bergs, wo das Ganze tönt.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer …* (B')

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer,
hier ihr Wirrsal rufend und dort. Sie aber
schweigt und ist schön inmitten des Meeres. Dennoch
wissen sie nicht, wo sie gehn und ersehnen klüftige
05 Berge, wüste Wildnis der Herkunft und gehn doch
heute im Garten der Götter: Ihnen ist Duft
von den Bäumen, Gesang der Zikaden und das
hohe Rauschen der Flut nur Elend, solange
ruhlos bleibt das Herz und das Gewaltige
10 will, nicht wissend das Glück der reinen Beschauung,
Ruhe im Einklang des Meers mit dem Himmel und den
Quellen des waldigen Bergs, wo das Ganze tönet geheim.

Montag, 22 Januar 1951       )

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer …* (C)

Auf der Insel gehn die gestrandeten Schiffer.
Sie aber schweigt und ist schön inmitten des Meeres,
wenn auch jene rufen klüftige Berge,
Wirrsal und wüste Wildnis der Herkunft und gehn doch
05 heute im Garten der Götter: Ihnen ist Duft
von den Bäumen, Gesang der Zikaden und das
hohe Rauschen der Flut nur Elend, solange
ruhlos bleibt ihre Seele und das Gewaltige
will, nicht wissend das Glück der reinen Beschauung:
10 Ruhe im Einklang des Meers mit dem Himmel und den
Quellen des waldigen Bergs, wo das Ganze tönt.

Samstag, 17 Juni 1950       )

Gefangner der Tiefsee riss sich los …* (A*)

Gefangner der Tiefsee riss sich los
und hinauf in die oberen Wasser:
wie war es da licht,
Nur Licht noch
05 dem endlich befreiten
aus den tiefen Wassern des Lebens,
die waren sein Leben,
nur Licht noch und Tod
hier in den oberen Wassern
10 der Tiefsee entrissnem Gefangnen.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Gefangener der Tiefsee riss sich los …* (B)

Gefangener der Tiefsee riss sich los
und hinauf in die oberen Wasser:
wie war es da Licht und nur Licht
dem endlich befreiten aus den tiefen Wassern des Lebens,
05 nur Licht noch hier in den oberen Wassern
der Tiefsee entrissnem Gefangnen und Tod

Freitag, 23 Juni 1950       )

Der Herzgesang, der aus dem Innern schwirrt …* (A)

Der Herzgesang, der aus dem Innern schwirrt
und sanft die Seele aus den Fesseln wirrt,
der wie die Taube auf den Gipfeln girrt:
wie hätt er auch die Schmachtende gefunden, 
05 das Tor, den wilden Wächter überwunden
nach, ach so vielen, kerkerdunklen Stunden,
gesprengt die Schlösser und die  Mauern hart,
wenn nicht im tiefsten Brunnen aufgespart:
ein fliessend Licht vom Licht geoffenbart?

Montag, 04 September 1950       )

Wenn du nicht vermagst das Unlenkbare zu lenken …* (A)

Wenn du nicht vermagst das Unlenkbare zu lenken,
sei zur Tröstung dir immer das Gewitter des Himmels:
sei dir das Toben der Lüfte, Donner und tötende Flamme
die die verschlossnen öffnet, weckt die versiegten Quellen
05 aus den Sockeln uralt verschollner Bilder – so bringt
Schrecken Heiliges wieder hervor, die Gräber erbrechend.

Samstag, 16 September 1950       )

Aus dem Gebirg …* (A)

Aus dem Gebirg
stürzen donnernd heraus
Bäche unbändig 
wirren Lichtes
05 in die gelassenen Täler 
Immer wieder jedoch 
fahren – bedeutend
ewiges Licht jenseits 
leuchtend und innen –
10 (denn uns allen ist
das Jenseitige innen: O
welches Wissen, dass uns schon
fast verliess das eigene Herz, 
nie uns gehörte, dem Ursprung 
15 anhängt, der ewigen Sonne!)
fahren die Blitze
von dem Gebirge dort 
her zu der hiesigen Höhe;

von den Donnern gefolgt, 
20 die erschüttern, wahrlich, // 02
Land und Gewässer: 
wie verstummen die Bäche, 
lichtlos sind sie
vor diesem Licht, 
25 vor diesem Donner 
stumm: nur Widerschein 
glänzt in ihrem Stieben 
fern und zu innerst gewussten 
Licht entfallenen Blitzes: 
30 o, wie wirklich ist,
was das Auge nimmer geschaut, 
nur die Seele gewusst:
Wahrheit der gestillten verkündigt.

Samstag, 16 September 1950       )

Aus dem Gebirge stürzen donnernd …* (B)

Aus dem Gebirge stürzen donnernd
Bäche heraus unbändig wirren Lichtes

in die gelassnen Täler. Immer
wieder jedoch fahren – bedeutend ewiges

05 Licht, jenseits leuchtend und innen
(denn uns allen ist das Jenseitige innen:

welches Wissen, dass uns schon
fast verliess das eigene Herz, nie uns

zugehörte, dem Ursprung, der ewigen 
10 Sonne anhängt!) – fährt der Strahl vom Gebirge

dort zur hiesigen Höhe herüber
von den Donnern gefolgt, die wahrlich erschüttern

Land und Gewässer: wie verstummen
Bäche, lichtlos sind sie vor diesem Licht, // 04

15 vor diesem Donner stumm.
Widerschein nur glänzt in ihrem Stieben

fern und zu innerst gewussten, Strahls,
der dem Licht entstürzt: o wie wirklich ist,

was das Auge nimmer geschaut:
20 Stillung der Seele unerwartet gewährt.

Donnerstag, 21 September 1950       )

Aus dem Gebirge stürzen donnernd …* (C)

Aus dem Gebirge stürzen donnernd
Bäche heraus unbändig wirren Lichtes

in die gelassnen Täler. Immer
wieder jedoch fahren – bedeutend ewiges

05 Licht, jenseits leuchtend und innen
(denn uns allen ist das Jenseitige innen:

welches Wissen, dass uns schon
fast verliess das eigene Herz, nie uns

zugehörte, dem Ursprung, der ewigen 
10 Sonne anhängt!) – fährt der Strahl vom Gebirge

dort zur heimischen Höhe herüber,
von den Donnern gefolgt, die wahrlich erschüttern

Land und Gewässer – wie verstummen
Bäche, lichtlos sind sie vor diesem Licht, // 05v

15 vor diesem Donner stumm.
Widerschein nur glänzt in ihrem Stieben

fern und zu innerst gewussten Strahls,
der dem Licht entstürzt: O wie wirklich ist,

was das Auge nimmer geschaut:
20 Stillung der Seele unerwartet gewährt.

Freitag, 08 September 1950       )

Ist das heutige nicht …*

Ist das heutige nicht
schmerzlich entrissne Lied

jenen früheren gleich
Liedern der Jugend einst?

05 Jene Ströme nicht mehr
leuchten hinab in die Schlucht,

auch die finstere Kluft
füllend mit Silberstaub,

tönend, tönend hinein
10 in den geheimen Ort,

wo den künftigen Gott
schweigend die Nymphe stillt.

Doch der Weiher ist voll
hier unterm Bergeshang

15 reinen Wassers und auch
trübes Gewässer wird ||

rein im lauteren Schoss, 
wo unterm Laub bewahrt

auch im heissen August
20 Schattenbesinnung bleibt.

Wipfellichtung gewährt
spiegelnden Einfall wohl

heller Wölbung: doch auf
flammt sie furchtbar im Herbst.

Montag, 25 September 1950       )

Ungestillt …*

Ungestillt
ist der (vergebliche) Traum
an der Mark des Gehöfts:
Hundegebell 
05 hält den Wanderer hier 
fest wo das Gebirge 
sendet Wasser herab 
ruht der wartende Hirt
glücklich im Busch.
10 Nicht vermag er 
den Erschreckten 
einzulassen in die
Frucht und Vieh 
nährenden Wiesen.
15 Immer bedrohen // 02
den Fremdling die Wächter,
auf dass er weiter
gehe und anderen Hirten
bringe Nachricht
20 vom Nahn des brüllenden Wildes,
das der rasende Wind,
Wirbelwind vor sich hertreibt

Dienstag, 26 September 1950       )

Das Vorgebirge birst ins Meer …* (A)

Das Vorgebirge birst ins Meer
und Lorbeerhaine lassen ihre Zweige
in dieser trüben Herbstesabendneige
von Gipfeln her
05 in weisse Schäume untersinken.

Und allen, die den Becher täglich trinken
gen Abend, wenn Zikadensang
von Busch und Bäumen in den Garten drang
ein Licht mag blinken
10 aus Untergangs zerfetzter Wolke.

Dem in die Flut gespienen Volke
erscheint entraffend in die Flügelhut
aus düsterblauer Höllenwogenwut
die Geisterordnung, Licht zum Licht gewendet,
15 noch nie erkannt, doch ewig ausgesendet.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Das Vorgebirge birst ins Meer …* (B)

Das Vorgebirge birst ins Meer
und Lorbeerhaine lassen ihre Zweige
in dieser trüben Herbstesabendneige
von Gipfeln her
05 in weisse Schäume untersinken.

Und allen, die den Becher täglich trinken
gen Abend, wenn Zikadensang
von Busch und Bäumen in den Garten drang
ein Licht wird blinken
10 aus Untergangs zerfetzter Wolke.

Dem in die Flut gespienen Volke
erscheint entraffend in die Flügelhut
aus Wogenwut
die Geisterordnung, Licht zum Licht gewendet,
15 noch nie erkannt, doch ewig ausgesendet.

Donnerstag, 28 September 1950       )

Der Sommer ist erkannt …* (A)

Der Sommer ist erkannt
zu End der Glanz
und unverwandt
ist schon die Traurigkeit gebannt,
05 in diesen Kranz
aus Blumen und aus Beeren.

Und willst du ihn beschweren
mit Süssem noch und noch
so musst du Last dir mehren:
10 vom Obsthain und den leeren
entblössten Gärten kommen doch
die Früchte auf dein frevles Haupt,

mit Efeu lang der Trunkenheit belaubt
gehst in den Dämmerröten,
15 die dir die Rauschesnacht geraubt
und irrst vom Schall ertaubt
der wirren Flöten
im Reichtum ächzend durch das Haus.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Der Sommer ist erkannt …* (B)

Der Sommer ist erkannt, 
zu End der Glanz
und unverwandt
ist schon die Traurigkeit gebannt,
05 in diesen Kranz
aus Blumen und aus Beeren

Und willst du ihn beschweren
mit Süssem noch und noch,
so musst du Last dir mehren:
10 vom Obsthain und den leeren,
entweihten Gärten kommen doch
die Früchte dir aufs frevle Haupt.

Mit Efeu lang der Trunkenheit belaubt
gehst in der Dämmerröte,
15 die dir die Rauschesnacht geraubt
und irrst vom Schall ertaubt
der wirren Flöte
in Reichtum ächzend durch das Haus.

Donnerstag, 28 September 1950       )

Ins Heimliche sind wir hinein gefahren …* (A)

Ins Heimliche sind wir hinein gefahren
auf Wagen glänzenden vor reichem Prunken,
und überdrüssig alles Offenbaren
verstreuten wir ins Dunkle eigne Funken

05 die Altverborgne Höhle zu erleuchten
für einen Nu nur jählings hin und wieder,
die Wände, die von Tiefenwassern feuchten
hernieder auf die düftelosen Flieder,

aus Lebensgärten längst herabgesunken:
10 was nützen jenen die der Sonne bräuchten
das Phosphorscheinen dieser grünen Unken,
die dieses Tal mit ihrem Schleim verseuchten?

Donnerstag, 28 September 1950       )

Ins Totenreich sind wir hinein gefahren …* (B)

Ins Totenreich sind wir hineingefahren
auf Wagen rauschenden mit reichem Prunken
und überdrüssig alles Offenbaren
verstreuten wir ins Dunkle eigene Funken,

05 die altverborgne Höhle zu erleuchten
für einen Nu nur jählings hin und wieder,
die Wände, die von Tiefenwassern feuchten
hernieder auf die düftelosen Flieder

aus Lebensgärten einst herabgesunken

Donnerstag, 28 September 1950       )

Wer in das Totenreich wie wir hineingefahren …* (C)

Wer in das Totenreich wie wir hineingefahren
auf Wagen rauschenden mit reichem Prunken
und überdrüssig alles Offenbaren

mit aus dem eignen Witz geschlagnen Funken
05 die allverborgne Höhle will erleuchten,
wo aus den Lebensgärten einst entsunken

Donnerstag, 28 September 1950       )

Die Fahrt ins Totenreich (D)

Wer in das Totenreich vermessene Fahrt
auf Wagen rauscht mit schnell verschlissenem Prunken
und überdrüssig des, was offenbart,

mit aus dem feuchten Stein geschlagenen Funken
05 die allverborgene Höhle kaum erhellt
wo, aus den Lebensgärten einst entsunken,

die Flieder in der unbestimmten Welt
vergrauen düftelos in Moderfeuchte:
der taumelt rückwärts vor dem heiligen Zelt

10 am Jauchepfuhl, der ihm das Blut verseuchte,
vom Gegenufer unzerstörter Macht,
die strahlender als jene frühe Leuchte

den Kranken ruft in Königs heile Pracht.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

Wer in das Totenreich vermessene Fahrt …* (E)

Wer in das Totenreich vermessene Fahrt
auf Wagen rauscht mit schnell verschlissnem Prunken
und überdrüssig des, was offenbart,

mit aus dem feuchten Stein geschlagnen Funken
05 die allverborgene Höhle kaum erhellt, 
wo, aus den Lebensgärten einst entsunken,

die Flieder in der unbestimmten Welt
vergrauen düftelos in Moderfeuchte:
der taumelt rückwärts vor dem heiligen Zelt

10 am Jauchepfuhl, der ihm das Blut verseuchte,
vom Gegenufer unzerstörter Macht,
die strahlender als jene frühe Leuchte

den Kranken ruft in Königs heile Pracht.
Dienstag, 03 Oktober 1950       )

O dieses Wachsens aufgestaute Zeit …* (A)

O Dieses Wachsens aufgestaute Zeit
wie fällt sie geiergleich von dunklen Bergen
auf hastigen Gang der Wanderer, die seit

der ersten Dämmrung sich im Mantel bergen,
05 vorm Anblick, der das nasse Auge quält:
den Leichen in den aufgeklafften Särgen;

auch jene hatten fieberig gezählt
die Stunden, ob sie auch gebotner Fahrt
genügten? Weil, sie wussten es, gewählt

10 der Namenlose war und ausgespart.

Dienstag, 03 Oktober 1950       )

Die Wanderung (B)

O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit,
wie fällt sie geiergleich von dunklen Bergen
auf hastigen Gang der Wanderer, die seit

der ersten Frühe sich im Mantel bergen 
05 vorm Anblick, der das heisse Auge quält:
den Leichen in den aufgeklafften Särgen.

Auch jene hatten fieberig gezählt
die Stunden, ob sie der gebotenen Fahrt
genügten?: Weil den Siegern zugewählt

10 der Knabe ging vom Siechtum ausgespart.

Mittwoch, 10 Januar 1951       )

O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit …* (C)

O dieses Tages schnell geschmolzne Zeit,
wie fällt sie geiergleich von dunklen Bergen
auf hastigen Gang der Wanderer, die seit

der ersten Frühe sich im Mantel bergen,
05 vorm Anblick, der das heisse Auge quält:
den Leichen in den aufgeklafften Särgen.

Auch jene hatten fieberig gezählt
die Stunden, ob sie der gebotenen Fahrt
genügten? Da den Siegern zugewählt

10 der Knabe ging, vom Siechtum ausgespart.

Freitag, 20 Oktober 1950       )

Wenngleich die Tore dröhnen in die Pfosten …* (A)

Wenngleich die Tore dröhnen in die Pfosten
und durch die Halle dunklen Schalles fliegen
die schwarzen Vögel, – siehe wie ermatten
im Schatten die goldenen Geräte – so heben
05 die Greise kaum vom Mahl das Haupt, zu herrlich
ist ihnen Duft und Schmack des Gottes, der
Gefangenen auch in Brot und Wein geheim
auf immer bleibt und mehr als Mittagssonne.

Montag, 23 Oktober 1950       )

Wenngleich die Tore dröhnen in die Pfosten …* (B)

Wenngleich die Tore dröhnen in die Pfosten
und durch die Halle fliegen dunklen Schalles
die grossen Vögel, – siehe wie ermatten
im Schatten die goldenen Geräte – so heben
05 die Greise kaum vom Mahl das Haupt, zu herrlich
ist ihnen Duft und Schmack des Gottes, der
Gefangenen auch in Brot und Wein geheim
zu eigen bleibt und mehr als Mittagsonne.

Nun die Speise den Gästen allen geistig gemundet
und der Wein befreit ihren verschlossenen Sinn:

stand der Meister auf und blickte, der König, das Heer an,
wie der Erbe des Volks Grosse zum Treuschwur empfängt:

05 „In dem Brot bin ich euch, entrückt schon, immer zugegen,
nie, solang ihr es esst, seid ihr verlassen beim Mahl.
Stets erhellt euch der Wein die schwarz verschatteten Tage, 
flammt, so oft ihr ihn trinkt, heller denn Sonne, mein Blut.

Donnerstag, 26 Oktober 1950       )

Im trüben Spiel von Strom und Nebel …* (A)

Im trüben Spiel von Strom und Nebel
wie alles ungestaltet ist, nur mühsam angedeutet
und lechzt doch nach Gestalt, nach festem Umriss:
ist heut das Haus so unbestimmt wie ein Gespenst:
05 abgezogner Schein des einst wahrhaft gewollten Bilds
und wie eine Lockung der Steg zum Sturz ins Leere,
Scheinsteg Scheinfluss hinüber: wie sind 
doch diese Bilder dünn und fliessend, bald täuschender,
bald schwindend hinein ins Wesenlose.
10 O, wenn sie gänzlich schwänden, wäre dann auf einmal da
das Ganze wirklich, der wahre Strom, die Brücke und das Haus
und ohne Furcht ging’ über Sicherem der Fuss?

Mittwoch, 08 November 1950       )

Im falschen Spiel von Strom und Nebel …* (B)

Im falschen Spiel von Strom und Nebel lechzt
gestaltlos alles und aus Wechselwehen
nach jenem Umriss, den die Stunde weigert:
das Haus, gespenstisch abgezogener Schein
05 des einstmals wahren Bilds, und wie zum Sturz
ins Leere Lockung Steg, Scheinsteg hinüber
den Scheinfluss: O wenn gänzlich schwänden auch
die trügrisch wehenden, und das Haus,
die Brücke und der Strom da wären wirklich:
10 aus Irrung leitend portwärts Aug und Fuss.

Samstag, 28 Oktober 1950       )

Wäre dieser Strom doch schon erhoben …* (A)

Wäre dieser Strom doch schon erhoben
diese Tiefe schon bereut
wär der Feind vorm Engelheer zerstoben
und das Leben aus dem Sieg erneut, 

05 würde an den letzten Abendhängen 
jede Pflanze rein benannt 
und in unversehrten Fängen 
trüg der Vogel endlich weg uns aus dem Brand.

Montag, 30 Oktober 1950       )

Wenn die Muschel ist offen …* (A)

01 Wenn die Muschel ist offen, aufgedeckt die Schätze des Meeres, die edlen Steine auf den Strand geworfen: kommen die vergessenen Inselwohner, die vom Schiffbrüchigen Paar hier vor Jahren Gezeugten, die niemals sahen ein anderes Reich, sie finden die Schätze der Tiefe, die einzigen ihnen.

02 Und Begierde fasst sie, zu schauen dies Reich der Meeresbewohner, davon sie die Ahnen glauben: sie gehn hinaus in die Tiefe, und wenn auch die Flut ihnen den Atem erstickt, sie gehn vom Strand immer tiefer hinab zu den leuchtenden Hallen: o wie die Tore sich öffnen zum Empfange der Kinder.

Mittwoch, 01 November 1950       )

Wenn zur offneren Muschel …* (B)

Wenn zur offneren Muschel,
zum Füllhorn edler Steine
auf den Strand geleert
die vergessenen Inselbewohner kommen:
05 – Enkel der langverstorbenen Schiffbrüchigen –
fasst Begierde sie, zu schaun das Tiefenreich,
der Schätze Heimat,
woher sie glauben, dass die Ahnen kamen.
Sie gehn den Strand hinaus der Tiefe zu,
10 und immer tiefer,
bis die Flut den Atem ihnen raubt
und bis die Hallen von ferne leuchten:
o wie das Tor sich auftut
zum Empfang der Kinder.

Mittwoch, 08 November 1950       )

Wenn zum offen …* (C)

Wenn zum offen
auf den Strand geleerten
Füllhorn edler Steine
die vergessenen Inselbewohner kommen,
05 fasst Begierde sie zu schaun
der Schätze Heimat,
Tiefenreich, woher sie glauben, dass
die Ahnen kamen.

Sie gehn den Strand hinaus
10 der Tiefe zu
und immer tiefer,
bis die Flut
den Atem ihnen raubt
und bis von fern die Hallen leuchten:
15 das Tor sich öffnet
zum Empfang der Kinder.

Mittwoch, 08 November 1950       )

Wenn zum offen auf den Strand geleerten …* (D)

Wenn zum offen auf den Strand geleerten
Füllhorn edler Steine die vergessnen
Inselbewohner kommen, fasst Begierde
sie, zu schaun der Schätze Heimat, Meeres
05 Reich, woher – sie glauben es – die Ahnen
kamen. Sie gehn den Strand hinaus der Tiefe
zu, noch immer tiefer, bis die Flut
raubt den Atem und bis fern die Hallen
leuchten durch das aufgetane Tor.

Mittwoch, 08 November 1950       )

Vor dem offen auf den Strand geleerten …* (E)

Vor dem offen auf den Strand geleerten
Füllhorn edler Steine fasst Begierde
die vergessenen Inselbewohner, dieser
Schätze Heimat, Meeres Reich zu schauen,
05 wo die Ahnen – wie sie glauben – wohnten:
und sie gehn den Strand hinaus der Tiefe
zu, noch immer tiefer, bis die Flut
raubt den Atem und die Väterhallen
leuchten durch das aufgetane Tor.

Samstag, 11 November 1950       )

Zu schlagen …* (A)

Zu schlagen
an die ehernen Pforten,
bis springt geheimes Schloss
und am inneren Tor
05 umzudrehen das Schwert 
in der Hand des bronzenen Reiters:

welche Lust, 
wenn dann plötzlich 
tönt Musik 
10 von der Wache des Sultans, 
wenn sich die Pferde
drehn um den Platz 
und aus dem Innern 
ziehn heraus 
15 bunte Scharen
schöner Puppen 
mit Seide staffiert
und roten Turbanen: // 01v
während hoch
20 auf dem Elefanten,
reitet das Kind 
wie lebendig aus Wachs
– in goldnem Damast –
und die Händchen bewegend im Takt.

25 Eine Spieluhr ist die Stadt
und die Säulen 
mit den bronzenen Wächtern 
singen und drehn sich;
und heimlich zuweilen
30 rasselt das Werk,
bewegt durch den Schlag auf das Schloss,
durch das Drehen des Schwertes: 
Tote Spieluhr ist diese Stadt 
und einsam 
35 schaut der Wandrer und lacht.

Donnerstag, 23 November 1950       )

Spieluhr ist die Stadt …* (B)

Spieluhr ist die Stadt
dem Wanderer, der an die ehernen Pforten
schlägt bis springt geheimes Schloss
und am inneren Tor
05 umdreht das Schwert
in der Hand des bronzenen Reiters:

welche Lust, wenn dann plötzlich 
die Säulen mit den
bronzenen Wächtern
10 singen und drehn sich,
Musik tönt
von der Wache des Sultans, 
wenn die Pferde
kreisen am Markt
15 und aus dem Innern 
ziehn bunte Scharen
schöner Puppen heraus,
mit Seide staffiert und Turbanen. // 01v
Und hoch auf dem Elefanten
20 reitet das Kind 
wie lebendig aus Wachs,
die Händchen bewegend im Takt. 

Spieluhr ist die Stadt,
wenn heimlich rasselt das Werk,
25 bewegt durch den Schlag auf das Schloss,
durch das Drehen des Schwertes,
dem Wandrer, der einsam
anschaut und lacht.

Samstag, 25 November 1950       )

Spieluhr ist die Stadt …* (C)

Spieluhr ist die Stadt dem
Wanderer, der an die Pforte 
schlägt, bis springt geheimes Schloss
und am inneren Tor
05 umdreht das Schwert
in der Hand des bronzenen Reiters;

wenn auf einmal die Säulen
mit den ehernen Wächtern
singen und drehn sich,
10 und mit den bunten Reitern
zieht herab von der Burg
mit Musik um den Markt // 02v
auf dem Elefanten das Kind
wie lebendig aus Wachs,
15 Händchen bewegend im Takt:

Einsamem Wanderer, der
anschaut und lacht, wenn
heimlich bewegt vom
Schlag auf das Schloss,
20 Drehen des Schwertes
rasselt das Werk,
Spieluhr ist die Stadt.

Samstag, 11 November 1950       )

Wie der Saal sich auftat …* (A)

Wie der Saal sich auftat,
Zauberraum inmitten der Messingstadt,
der glänzenden in der roten Wüste,
Saal der Spielfiguren,
05 des Gesangs
und Tanzes künstlicher Glieder:
wie er sich auftat,
lag das Kind auf dem Bett
und zwei Wächter davor mit den Keulen.
10 Dies Kind allein ist es, das unbewegt schlummert
das leben könnte;
wenn es erwachte,
es wäre aller ewiger Tod.
und schon griff einer
15 nach der Krone
und nach dem Juwel am Finger. // 01v
Da schlug die Keule ihn tot,
die Keule von links und die Keule von rechts;
es verstummten die Säulen,
20 der Zug der Puppen
steht still
und das rasselnde Werk:
Zu schlugen die Tore
hinter verwesendem Wandrer.
25 Nur das Kind, geweckt,
geht durch die Strassen,
vorbei an erstarrten Puppen,
im Tanz erstarrten,
lächelt in Neugier
30 und klatscht in die Händchen.

Mittwoch, 22 November 1950       )

Wie der Saal sich auftat …* (B)

Wie der Saal sich auftat,
inmitten der Stadt,
der glänzenden in der Wüste,
Saal voller mechanischer Puppen,
05 die sangen und tanzten mit künstlichen Gliedern:
lag das Kind auf dem Bett, einzig lebendig,
und zwei Wächter davor mit den Keulen.
Und als der Wandrer
nach der Krone, der juwelenglänzenden, griff
10 auf seinem Haupt // 02v
schlug die Keule ihn tot,
die Keule von links und von rechts.
Es verstummte Gesang,
der Tanz der Puppen
15 steht still und das rasselnde Werk.
Zu schlugen die Tore
hinter verwesendem Wandrer.
Nur das Kind, geweckt,
geht durch die Strassen,
20 vorbei an schönen,
an ewig im Tanz erstarrten
Puppen, klatscht in die Händchen
und lächelt
fröhlich erstaunt.

1950 * (nicht datiert)       )

Im Saal inmitten der Stadt …* (C)

Im Saal inmitten der Stadt,
die glänzt aus den Wüsten,
voller singender, tanzender Puppen,
wo auf dem Bett das Kind schläft, einzig lebendig,
05 schlagen die Keulen der beiden
bronzenen Wächter den Wandrer,
der nach der Krone greift
auf dem Haupt des Kindes,
das einzig lebendig

Samstag, 25 November 1950       )

Als inmitten der Stadt …* (D)

Als inmitten der Stadt
die klingt aus der Wüste, 
schlagen die Keulen der beiden
bronzenen Wächter den Wandrer,
05 der nach der Krone
auf dem Haupt des Kindes,
das, einzig lebendig unter singenden, tanzenden Puppen,
schläft im Saal, greift:

verstummt der Gesang,
10 mit dem künstlichen Uhrwerk,
schlagen die Tore zu
hinter verwesendem Wandrer,
geht das Kind, geweckt, durch die Strassen,
vorbei an schönen, ewig im Tanz erstarrten // 02v
15 Puppen, händeklatschend
und fröhlich erstaunt.

Montag, 27 November 1950       )

Als inmitten der Stadt …* (E)

Als inmitten der Stadt
klingenden über die Wüste
schlagen die Keulen der beiden
bronzenen Wächter den Wandrer
05 der greift nach der Krone
auf dem Haupte des Kindes,
das, einzig lebendig
unter tanzenden Puppen
schläft im Saal:

10 geht das Kind, geweckt, durch die Strassen,
wo verstummt Gesang mit dem Rasseln des Uhrwerks
und die Tore schlagen ins Schloss hinter verwesendem Wandrer, // 03v
geht vorbei an schönen, ewig im Tanz erstarrten
Puppen, händeklatschend und fröhlich erstaunt.

Montag, 27 November 1950       )

Als inmitten der Stadt …* (F)

Als inmitten der Stadt
klingenden über der Wüste, 
schlagen die Keulen der beiden
bronzenen Wächter den Wandrer,
05 der nach der Krone greift
auf dem Haupte des unterm
Totentanz der Puppen
einzig lebendig im Saale
schlafenden Kindes:

10 geht es geweckt durch die Strassen,
wo verstummt mit dem Rasseln des Uhrwerks Gesang,
schlägt das Tor ins Schloss
hinter verwesendem Wandrer // 04v
und vorbei an schönen, ewig im
15 Tanz erstarrten Puppen,
händeklatschend und fröhlich erstaunt.

Montag, 13 November 1950       )

Nachtrose

Mondlicht, milchiger Dämmerung wachsende Klarheit gen Mitternacht ist am hellsten im Forst, wo es nur hier einfällt auf den Weiher, an dessen Rand die Rose blüht, um diese Stunde nur blüht, wunderbare Nachtblume, täglicher als alle andern; 

02 Sie allein macht Tag mitten im nächtlichen Forst:

03 wen der Mond aufgeht, milchig im Forst niederrinnt, so geistig fern bleibend, blüht sie auf silberne Rose am Wasser im Forst, heller als der Mond, heller als die Nacht, in der Nacht.

Montag, 13 November 1950       )

Die königliche Rose (A)

01 Ist es unmöglich, zu finden die Rose, innerste Rose am Wasser?

02 Solang am Weg lauert der Erdgeist, der sie bewacht, die seinem Besitz gänzlich entblühte, der die Rose bewacht, die wandelt die Kraft seines Reichs in ein Neues und Fremdes:

03 in einen Himmel aus Düften und aus Purpur, der den Gefilden entstammt seliger Geister, die er hasst, der Geister der oberen Sphäre, die nahe wohnen dem einen Licht und sie, die Rose spiegelt das Licht und bildet es ab.

04 Er reckt sich, der Geist der Erde, hier am Eingang zum Hain und sucht mich zu hindern, reckt sich auf, züngelnde Schlange, empor an meiner ängstlichen Wendung. Und dem Ermannenden sich, dem neu Vordringenden brüllt er Löwe ins bebende Antlitz, dem Wiederaufgerafften stürzt er // 01v als Adler ins Auge.

05 Auch dies Schreckbild schwand vor dem erhöhten Mut (er stammt nicht von mir, er ist Mut des tieferen Herzens, des Herzens zutiefst, von dort wo die Tiefe tiefer ist als das Herz und so wieder von ausser dem Herzen, wo ich mit dem Ursprung des Daseins vereint.):

06 Und ich kam und sah und roch die ewige Blume, die stets blüht vor jenen, die mehr sind als sie selber, die kennen von Anfang die Zelte des Königs und hörten den Ruf zum Heerbann: in seinem Thronzelt hat er die Rose, über die Krone geehrt. Der Anblick der Rose ist Leben: wer sie pflückt, der stirbt. Er ist nicht mehr ausser dem König in der gefundenen Rose.

Dienstag, 21 November 1950       )

Solang am Weg lauert der Erdgeist …* (B)

Solang am Weg lauert der Erdgeist
der die Rose bewacht, die, seinem Besitz
gänzlich entblüht, wandelt die Kraft seines Reichs
in ein Neues und Fremdes,
05 in einen Himmel aus Duft und aus Purpur,
der den Gefilden entstammt seliger Geister,
die nahe wohnen dem einen Licht: 
solang ist es unmöglich zu finden die Rose
zuinnerst im Wald,
als er sich reckt, Erdgeist, hier am Eingang
10 als züngelnde Schlange empor an meiner
ängstlichen Wendung,
als er dem neu Vordringenden brüllt
als Löwe ins
bebende Antlitz,
dem Aufgerafften stürzt, Adler, ins Auge. // 02v
Erst wenn der unüberwindliche Mut,
15 hervorgewachsen aus der Tiefe jenseits des Herzens, wo er eins ist mit dem Quell allen Mutes, erst wenn er die Schrecken alle bestand, dring ich ein und sehe die Blume, die stets blüht vor jenen, die sich selbst an die Beschauung verloren und kennen die Zelte des Königs, folgten dem Ruf zum Heerbann:

in seinem Thronzelt er ehrt über die Krone die Rose, deren Anblick ist Leben und tötet den der sie pflückt: ganz ist er eins mit dem König in der gefundenen Rose.

Mittwoch, 22 November 1950       )

Solang am Weg lauert der Erdgeist …* (C)

Solang am Weg lauert der Erdgeist,
Wächter der seinem Besitz gänzlich entblühten
Rose, die wandelt die Kraft seines Reichs
in ein Neues und Fremdes,
05 in Duft und in Purpur,
entstammende den Gefilden seliger Geister,
die nahe wohnen dem Licht: 
solang ist es unmöglich zu finden die Rose
zuinnerst im Wald,
als er sich reckt, Erdgeist, im Eingang
10 als züngelnde Schlange empor an meiner
ängstlichen Wendung,
als er dem neu Vordringenden brüllt // 03v
ein Löwe ins
bebende Antlitz,
dem Aufgerafften stürzt, Adler, ins Auge.
Erst wenn der unüberwindliche Mut,
15 gewachsen hervor aus der Tiefe jenseits des Herzens,
wo er eins ist mit dem Quell allen Muts,
erst wenn er die Schrecken alle bestand,
dring ich ein und sehe die Blume,
blühende stets vor jenen, die sich
20 selbst an die Beschauung verloren
und kennen die Zelte des Königs,
folgten dem Ruf zum Heerbann:
in seinem Thronzelt ehrt er über die Krone
die Rose die da ist Leben dem, der sie sieht
25 und Tod dem, der sie pflückt:
ganz wird er eins mit dem König
in der gefundenen Rose.

Sonntag, 07 Januar 1951       )

Solang ist es unmöglich zu finden die Rose …* (D)

Solang ist es unmöglich zu finden die Rose zuinnerst im Wald,
als sich reckt der Erdgeist im Eingang als züngelnde Schlange, 
als er dem Vordringenden brüllt, ein Löwe, ins Antlitz,
dem Aufgerafften steigt, Adler, ins Auge.
05 Erst wenn der unüberwindliche Mut,
gewachsen hervor aus der Tiefe jenseits des Herzens,
die Schrecken alle bestand, dring ich ein und sehe die Rose,
blühende immer vor jenen, die sich an die Beschauung verloren
folgten dem Ruf zum Heerbann, Bewohner der Zelte des Königs:
10 in seinem Thronzelt ehrt er über die Krone // 04v
die Rose, die da ist Leben, dem, der sie sieht und
Tod dem, der sie pflückt:
ganz wird er eins mit dem König in der gefundenen Rose.

Freitag, 19 Januar 1951       )

Nimmer find ich im Holz die Rose …* (E)

Nimmer find ich im Holz die Rose, solang sich
reckt der Erdgeist – eifersüchtig auf die
lang ihm Entwachsne – im Eingang als Schlange,
als er brüllt ein Löwe dem Bedränger ins Antlitz,
05 Aufgerafftem steigt als Adler ins Auge.
Erst wenn der unüberwindliche Mut
brach hervor aus der Tiefe jenseits des Herzens
dring ich ein und sehe die Rose
blühend immer vor jenen, die folgten dem Ruf
zum Heerbann,
10 Zeltgenossen des Königs: in seinem
Thronzelt ehrt er über die Krone die Rose,
welche der Schauenden Leben
Pflückenden Tod ist. // 05v
ganz werd ich eins mit dem König in der gefundenen Rose.

Mittwoch, 31 Januar 1951       )

Nimmer find ich im Holz die Rose, solang sich …* (F)

Nimmer find ich im Holz die Rose, solang sich
– eifersüchtig auf die lang Entblühte –
hob im Eingang auf als Schlange der Erdgeist,
als er sprang ein Löwe dem Bedränger ins Antlitz,
05 Aufgerafftem fiel als Adler ins Auge.
Erst als der unüberwindliche Mut
brach hervor aus der Tiefe jenseits des Herzens,
drang ich ein und sah die Rose
glühen immer vor den Zeltgenossen des Königs,
10 der im Thronzelt ehrt über Kronen die Rose,
Tod dem Pflückenden einzig, aber dem Schauenden Leben:
ganz bin ich eins mit dem König in der gefundenen Rose.

Mittwoch, 31 Januar 1951       )

Nimmer fand ich die Rose, solang sich …* (G)

Nimmer fand ich die Rose, solang sich
hob am Eingang zum Holz als Schlange der Erdgeist,
sprang, ein Löwe, dem Bedränger ins Antlitz,
Aufgerafftem fiel als Adler ins Auge.
05 Erst als unüberwindlicher Mut
brach hervor aus der Tiefe jenseits des Herzens,
drang ich ein und sah die Rose
glühen vor den Zeltgenossen des Königs,
der im Thronzelt ehrt ob Kronen die Rose,
10 Tod dem Pflückenden, aber dem Schauenden Leben:
ganz bin ich eins mit dem König in der gefundenen Rose.

Donnerstag, 16 November 1950       )

Reinen Herzens Erfahrung …* (A)

Reinen Herzens Erfahrung, 
wo denn anders ist solcher Strauch
mit silbernen Blättern glänzend
denn in den herbstlichen Gärten, 
05 Gärten der vollsten Gegenwart, 
deren Kronen die Kuppel tragen
des Lusthauses voller Spiele der Liebe?
Wo denn anders ist sie als hier
am Ende des Jahrs, das süsser schmeckt,
10 süsser im Abschied.
Nicht weint sie, sie wusste vom Abschied, schon
als die Taube, weisse Gefährtin dem Kind
aus der Hand entschwebte, hoch wegflog,
glänzend über die roten und gelben Kronen der Bäume 
15 aus Furcht vor dem Winter. // 01v
So auch lächelt sie jetzt und geht
allein hinein unter die Kuppel,
entglänzt, wie die Sonne sank eben
und Kühle weht aus den Bäumen.

Freitag, 17 November 1950       )

Wo denn anders ist dieser Strauch …* (B)

Wo denn anders ist dieser Strauch
reinen Herzens Erfahrung,
mit silbernen Blättern glänzend,
als in dem herbstlichen Garten Gegenwart,
05 dessen Kronen tragen die Kuppel
des Hauses aus Spielen der Liebe?
Wo denn anders ist er als hier am Ende des Jahrs,
das nie süsser schmeckt als im Abschied?
Wer immer wusste vom Abschied,
10 schon als die Taube, weisse Gefährtin dem Kind,
aus der Hand entglänzte über die roten und 
gelben Kronen der Bäume 
aus Furcht vor dem Winter: // 02v
der lächelt jetzt und geht
allein hinein unter die Kuppel,
15 schliesst die Tür, wie die Sonne
sank eben und Kühle weht aus dem Strauch,
reinen Herzens Erfahrung
mit matt gewordenen Blättern.

Donnerstag, 09 November 1950       )

In All dem Druck der ungeheuren Atmosphäre …* (A)

In all dem Druck der ungeheuren Atmosphäre
klammert sich der Mensch an das Gestirn, das rast
ins All, das seinen alten Schutz, die Sicherung des
Gleichgewichts, verweigert.
05 Fern sind und in die Tiefe irgendwo entschwunden
des Menschenlebens schmerzliche Gefühle:
innen brennt das Herz wie eine Kohle durch die Brust,
nur Glut noch, eine rote Kohle schwindet
dem Gott entgegen, der auf den Wolken ins
10 Bergesbersten, in den Sturz der Brücken, in geifern-
den Emporquall tiefer Wasser und schmutziger
Lava niederkommt.

Sonntag, 07 Januar 1951       )

In all dem Druck der ungeheuren Atmosphäre …* (B)

In all dem Druck der ungeheuren Atmosphäre
klammert sich der Mensch an das Gestirn,
das rast ins All und seinen alten Schutz,
die Sicherung des Gleichgewichts verweigert.
05 Fern sind in der Tiefe irgendwo entschwunden
des Menschenlebens schmerzliche Gefühle:
innen brennt das Herz wie eine Kohle durch die Brust,
nur Glut noch, und schwindet dem Gott entgegen,
der auf Wolken ins Bergesbersten, in den Sturz der Brücken,
10 in geifernden Emporquall tiefer Wasser und
schmutziger Lava niederkommt.

Montag, 22 Januar 1951       )

In des Sphärenbebens ungeheurem Taumel …* (C)

In des Sphärenbebens ungeheurem Taumel
klammert sich der Mensch an das ins All
rasende Gestirn, das seinen alten Schutz,
Sicherung des Gleichgewichts verweigert.
05 Fern sind in der Tiefe irgendwo entschwunden
seines Lebens schmerzliche Gefühle:
innen brennt das Herz wie eine Kohle durch die Brust, nur
Glut noch, und schwindet Gott entgegen,
der auf Wolken ins Bergesbersten, in Brückensturz, im  
10 geifernden Emporquall tiefer Wasser und schmutziger
Lava niederkommt.

Donnerstag, 07 Dezember 1950       )

Rinnsal vorbei an den goldenen Pforten …* (A)

Rinnsal vorbei an den goldenen Pforten der Geheimnisstadt mündet ins Meer, unerfahren der klaren Bäche, die zuströmen aus der goldenen Pforte[.] mit Fracht, mit dem Geröll aus der Stadt: Diamanten, die nie eine Strömung verzehrt, immer gleich sind in lichtspendender Reinheit. Bäche strömen heiligen Weins von der Tafel des Königs, vom Tisch der versammelten Grossen, denen er naht, ein Diener, und wäscht die Füsse.

Freitag, 08 Dezember 1950       )

Was frommt es dem Strom zu münden ins Meer …* (B)

Was frommt es dem Strom zu münden ins Meer,
wenn er nicht empfing zuvor die klaren Bäche,
zuströmende aus den goldenen Pforten der Geheimnisstadt
mit Fracht köstlichen Gerölls: Diamanten,
05 die nie eine Strömung verzehrt, immer gleichen
in lichtspendender Reinheit?
Sie fliessen, Bäche heiligen Weins,
von der Tafel des Königs, vom Tisch der versammelten Fürsten,
denen er naht, ein Diener, und wäscht die Füsse.

Sonntag, 07 Januar 1951       )

Was strömt der Strom und mündet ins Meer …* (C)

Was strömt der Strom und mündet ins Meer, 
wenn er nicht zuvor empfing die klaren Bäche,
zuströmende aus den goldenen Pforten der Geheimnisstadt
mit Fracht köstlichen Gerölls: Diamanten,
05 die nie eine Strömung verzehrt, immer gleichen
in lichtspendender Reinheit?
Sie fliessen, Rinnsale heiligen Weins,
von der Tafel des Königs und der versammelten Fürsten,
denen er naht, ein Diener, und wäscht die Füsse.

Donnerstag, 18 Januar 1951       )

Strömt der Strom und mündet ins Meer, der empfing …* (D)

<Strömt der Strom und> mündet ins Meer, der empfing
nicht zuvor den klaren Bach, zuströmenden aus
goldener Pforte der Geheimnisstadt,
führenden köstliches Geröll: Diamanten,
05 immer gleiche in lichtspendender Reinheit,
nie von der Strömung verzehrte? Sie fliessen,
Rinnsale heiligen Weins von der Tafel des Herrn und der Fürsten,
denen er naht, ein Diener, und wäscht die Füsse.

Donnerstag, 18 Januar 1951       )

Schwillt der Strom und mündet ins Meer, der empfing …* (E)

Schwillt der Strom und mündet ins Meer, der empfing
nicht zuvor den klaren Bach, aus
goldener Pforte der Geheimnisstadt,
führend köstliches Geröll: Diamanten,
05 immer gleich in lichtspendender Reinheit
nie von der Strömung verzehrte? was frommt’s ihm,
dass von der Tafel des Königs und seiner Fürsten
strömen nieder unendlich Rinnsale heiligen Weins?

Schwillt der Strom und mündet ins Meer, der empfing
nicht zuvor den klaren Bach aus
goldener Pforte der Geheimnisstadt
mit dem köstlichen Geröll: Diamanten,
05 immer gleich in lichtspendender Reinheit,
nie von der Strömung verzehrten: was frommt ihm,
dass von der Tafel des Königs
strömen nieder unendlich Rinnsale lauteren Weins?

Samstag, 09 Dezember 1950       )

Hinwandeln die Heiligen über die Erde …* (A)

Hinwandeln die Heiligen über die Erde,
und selbst wenn sie Gold werfen durch das
ärmliche Fenster
und mit erdebewegender Kraft Berge versetzen:  
so sind sie doch immer im Gemach des Gebets
05 eingeschlossen, dem Ursprung nahe,
Leben saugend an der ewigen Brust,
sodass sie schweben über diesem Boden,
Leben zu saugen von der ewigen Brust

Samstag, 09 Dezember 1950       )

Hinwandelt der Heilige über die Erde …* (B)

Hinwandelt der Heilige über die Erde,
und selbst wenn er Gold wirft durch das
ärmliche Fenster
und mit erdebewegender Kraft Berge versetzt:
so bleibt er doch ganz im Gemach des Gebets
05 eingeschlossen, sodass er schwebt über diesem Boden, 
Leben zu saugen von der ewigen Brust.

Selbst wenn der Heilige Gold wirft durch das
Fenster des Armen
oder mit göttlicher Kraft Gebirge versetzt,
so bleibt er doch im Gemach des Gebetes 
also verschlossen, dass er über der Erde
05 schwebt, Leben zu saugen von der ewigen Brust.

Sonntag, 07 Januar 1951       )

Wer da Gold wirft durch das Fenster des Armen …* (D)

Wer da Gold wirft durch das Fenster des Armen,
ja Gebirge versetzt mit göttlicher Kraft,
wirkt verschlossen im Gemach des Gebets,
wo er, Säugling, emporgerückt an die ewige Brust 
05 schwebt über der Erde.

Freitag, 12 Januar 1951       )

Wer da Gold wirft durch das Fenster des Armen …* (E)

Wer da Gold wirft durch das Fenster des Armen,
ja Gebirge versetzt mit grösserer Kraft,
schwebt verschlossen im Gemach des Gebetes
über der Erde und nährt sich,
05 Säugling, an der ewigen Brust.

Donnerstag, 07 Dezember 1950       )

Erkenntnisflamme loht kalt den Gesteinen zu …* (A)

Erkenntnisflamme loht kalt den Gesteinen zu
im Kern der Erde, den klaren, gleichfalls
kalten Mineralen, Entrückende nach
der tiefen Mitte mich,
05 Da doch die andre Flamme höherer Erkennt-
nis dem Opfernden herab fällt auf den Altar
und schlägt zurück dem grossen Lichte zu,
heiss der heissen Rose, über den Kreisen All
entflammend und dem All verströmend.

Freitag, 08 Dezember 1950       )

Erkenntnisflamme loht kalt hinab …* (B)

Erkenntnisflamme loht kalt hinab den Gesteinen zu
im Kern der Erde, den klaren, gleichfalls kalten Mineralen,
entrückend nach der tiefen Mitte mich:

Da doch die andre Flamme höherer Erkenntnis
05 dem Opfernden herab fällt auf den Altar
und schlägt zurück dem grossen Lichte zu,
heiss der heissen Rose, über den Kreisen
All entflammend und dem All verströmend.

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