Du tönst mit offener Krone,
vorfallend aus lockrem Geröll,
in das Gewölbe des Sommers,
weil du fürchtest die Felsschlucht:
05 In das Gewölbe des Sommers
vorfallend, aus offener Krone
tönst du mit Bienen hinaus.
DER BAUM
- Details
- Konvolut: Die verwandelten Schiffe 1957
- Besonderes:
Zu diesem Gedicht existiert eine Interpretation von Markus Kutter, als Replik auf die vernichtende Rezension von Die verwandelten Schiffe in den Basler Nachrichten» vom 7.3.1958.
«[…] Was wird an Wendigkeit von uns verlangt? Ein ganz knappes Gedicht von sieben Versen in seinem sich selber abschliessenden, ringförmigen Charakter zu begreifen. Das Gefühl dafür aufzubringen, wie eine thematisch fast trockene Beschreibung eines Teils der Natur in ihrem letzten Satz von plötzlichem Leben durchbrochen und erfüllt wird. Zu sehen auch, dass der vierte Vers die arithmetische architektonische sinnliche logische Mitte einnimmt, noch markiert durch einen Doppelpunkt, also der Wendepunkt ist, von dem aus das Gedicht wieder auf sich selber zurückkommt und sich schliesst. Zu hören, dass hier, in diesem vierten Vers auch rhythmisch der Schwerpunkt liegt – in seiner für Lyrik zwar fast bedenklich schweren kausalen Feststellung, die sich nun aber sogleich wieder ins Bild auflöst bis zu den über dem Abhang summenden Bienen in der Baumkrone. Zu merken, wie kunstreich […] dieses Ring- oder Kreischarakters wegen noch die kleinsten sprachlichen Teile mit einander ausgewechselt und kombiniert sind: zuerst heisst es "`mit offener Krone vorfallend `aus lockrem Geröll", dann heisst es "`aus offener Krone tönst du `mit Bienen hinaus" – hier liegt, schon nur einmal vom blossen sprachlichen Handwerk her gesehen eine in ihrer Knappheit schöne Lösung einer dichterischen Aufgabe vor. Und jetzt begreift man auch, warum Vers 3 und 5 identisch sein dürfen das Gebilde wird künstlerisch klar, durchsichtig und in dieser Klarheit wohltuend.
(RAE-B-2-Kutt_005) - Letzter Druck: Die verwandelten Schiffe 1957
- Textart: Verse
- Datierung: pauschal (Konvolut)
- Fassung: Letzte Fassung
- Seite / Blatt: 20
- Textnummer: 014
- Werke / Chronos: Bd.1, 40
Titel: Die verwandelten Schiffe / GEDICHTE
Verlag: Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt, Berlin-Frohnau, Neuwied (1957)
Druck: Wiking Druckerei GmbH, Darmstadt
Inhalt: 48 Gedichte; vorangestelltes Motto (Aeneis-Zitat); Klappentext von Raeber (vgl. Umschlag)
Textträger: Broschüre mit Zeichnung auf vorderem Umschlag, 64 Ss
Vorstufen: Notizbuch 1952-54, 1954-55, 1955-57, Manuskripte 1953, 1954, 1955, 1956, Typoskripte 1954
Kommentar: Tantiemen-Vertrag: 31.12.1956
Wiedergabe: Freie Handhabung des Zeilenumbruchs bei Langversen
Vorangestelltes Motto: AENEIS X, 219-223:
Atque illi medio in spatio chorus ecce suarum
Occurrit comitum: Nymphae, quas alma Cybele
Numen habere maris, Nymphasque e navibus esse
Iusserat, innabant pariter, fluctusque secabant,
Quot prius aeratae steterant ad litora prorae.
Das Inhaltsverzeichnis (S. 62/63) unterteilt Römische Reklamen (S. 36/37) und Artisten (S. 38/39) nicht und führt nur 47 Titel auf.
Auf der Umschlagsklappe vorne und hinten (U2, U3) ist ein programmatischer Text Raebers abgedruckt:
Ein erster Versuch im Mai 1956, die Sammlung bei der Deutschen Verlagsanstalt unterzubringen, scheiterte. Tagebucheintragung, 17.5.1956:
Die DVA schickt mir die Gedichte mit einer schroffen Ablehnung zurück: das seien gar keine Gedichte, es handle sich um eine Aneinanderreihung und Verkoppelung von Einzelheiten, um mehr nicht, usw. –
Am 30.10.1956 versprach Heinz Schöffler, trotz der Schwierigket mit Lyrikbänden eine Realisierungsmöglichkeit zu suchen (B-4-C-GEDI_009), am 28.12.1956 wurde Raeber der Verlagsvertrag zur Unterzeichnung zugestellt (ebd.).
Am 12.1.1968 teilte die Verlagsleitung des Luchterhand Verlags Raeber mit, "die noch vorhandenen rd. 950 gebundenen Exemplare an das moderne Antiquariat abzugeben", da der Absatz weit hinter den Verkaufserwartungen zurückgeblieben sei (B-4-c-SCHIFF).
Nachdruck von 6 Gedichten in Texte und Zeichen (1957, H. 3).