Typoskripte 1957

Inhalt: 21 Typoskripte zu 21 Gedichten (12 Endfassungen)
Datierung: 1957
Textträger: Einzelblätter (A4-Format)
Umfang: 23 Dossiers; Dossier Nr. 01-022: Gedichtlisten
Publikation: GEDICHTE (7 Gedichte), Verstreutes (2 Gedichte)
Signatur: A-5-d/03 (Schachtel 37)
Herkunft: Graue Mappe 1957 G

Kommentar: Alle Typoskripte unterzeichnet mit: Kuno Raeber, 1957
Wiedergabe: Edierte Texte

Datiert: 1957       )

Die Münze

Zweifelst du, Leser von Büchern, nur darum
nicht am Dasein dieses Menschen,
der neben der Frau im Garten sein Bier trinkt
und neben dem sommersprossigen Söhnchen,
05 das, den Mund von Erdbeereis ganz überschmiert,
aus Biertellern ein Haus baut:

nur darum nicht,
weil manchmal eine Bewegung
seiner Schulter ihn als den Sohn der Sonne verrät,
10 der auf Emesas Mauer den Purpur sich umwirft;
nur darum nicht,
weil manchmal ein Glanz im Winkel des Augs
und ein Zucken im Winkel des Munds
ihn als den gleichen Cäsar verrät, der am Fenster
15 des Palasts in Lutetia erstmals den Ruf
hört: Augustus –?

Zweifelst du nur darum nicht, Leser von Büchern,
weil der Jubel des Kindes über das Haus
aus Biertellern sich verrät als der Jubel
20 der Legionen für Spenden,
das Lächeln der Frau als das Lächeln der neu erhöhten Augusta,
die Schaumkrone des Biers als der Lorbeer?

Zweifelst du, Leser von Büchern,
nur darum nicht am Dasein dieses Menschen? // 01v
25 "Nein, es ist die uralte Münze,
und diese Lösung hat sie für einmal gereinigt: Kann sein,
dass eine schärfere Lösung ein genaueres Bild gibt."

Datiert: 1957       )

Das Atelier oder Das himmlische Jerusalem

Die Cherubim verriegeln die Nische,
wo der Dirigent sein Schinkenbrot isst,
mit grellen Balken
vor dem Blick der Choristen.

05 Einer kommt noch
übers Gelände der Filmstadt, verspätet,
zum schwarzen Türvorhang: Die eine
Wache leuchtet in seinen Ausweis; die andre
patroulliert auf und ab und achtet
10 genau, die Linie aus weissen
Pflastersteinen nicht zu betreten.

Denn es wenden die Cherubim plötzlich
und stossen die Balken
den Choristen ins Auge:
15 es fällt hinab in die Noten. –

Der Dirigent tritt aus der Nische und wischt
sich den Mund mit der einen
Hand, mit der andern
zieht er sein Trikot straff.

Datiert: 1957       )

Der Kardinal

Seine Robe rollt,
wenn er im Park spaziert,
bis fast ins Meer,
das ihn violett zurück ins Zimmer mahnt.

05 Eh er sich aber ganz gewendet,
bezaubert ihn das Sternbild, das,
die bunten Lichter wechselnd,
aus dem Dunstsaum schnell herauffährt.
So schnell, daß er Sankt Nikolaus bäte,
10 es aufzuhalten,
wenn er nicht wüsste,
daß es täglich um diese gleiche Stunde unaufhaltsam
hier durch nach Rom fliegt.

Statt seiner Robe bleibt das Rosenbeet
15 am Strande ausgebreitet,
wenn er im kleinen Kleid Zitronensaft
trinkt und beschwört die ruhigeren Bilder,
dass sie bleiben, bleiben.

Da doch manchmal schon Matrosen
20 ganz nah heran auf Paddelbooten kommen
und ihn zusammen mit den Pfauen knipsen
und ihm freundlich "Dann eben nicht" zurufen,
wenn er mit Würde ihre Zigaretten ablehnt.

Datiert: 1957       )

Das Glashaus

Die Engel öffnen
zwar täglich sein Glashaus, aber nur,
um ihn schnell in die Lüfte
zu tragen, bis ihn der Wipfel
05 peitscht und er fürchtet,
hinab in die Oellache vor der Garage zu stürzen.

Dort hupt man und ruft
und hört nicht den Zank,
den die Nachbarsengel mit seinen Engeln aufrühren, 
10 die heftig auf- und abfahren und zerren
und ihn wirklich fallen liessen, beinahe.

Doch wieder sicher im Glashaus, zerschlägt er,
als er die Hand hebt, um einen,
der vorbeigeht, zu grüssen, die Wand
15 und wirft ihm die Scherben
grad ins Gesicht,
sodass er das Blut
mit dem Taschentuch von der Stirn wischt und wegläuft.

Seine Engel schweigen; aber
20 sie werden die Last, eine neue
Scheibe zu schneiden, zu kitten,
morgen heimzahlen beim AuffIug.

Datiert: 1957       )

Ara illuminata

(Wachtraum eines Schülers vor dem von Glühlampen umkränzten Madonnenbild, das jährlich am 8. Dezember vor den versammelten Gymnasiasten der "Grossen marianischen Kongregation" im Chorgewölbe der Luzerner Jesuitenkirche schwebt)

Sie fährt in ihrer Angst aus elektrischen Lampen
durch das Gespensterlabyrinth des Gehirns
und fährt gleich auf den Zahnarzt und macht
ihn aufstehn und neu sausen den Bohrer im Nerv.

05 Sie leuchtet im Winkel die graue
Hand des Lehrers an, die eben
die Lateinarbeit schlachtet.
Und die Sorge um die Versetzung im Frühjahr
wischt ihr feucht übers Gesicht.

10 Es braucht jetzt nur noch das Tier dort
sich mit Stöhnen zu recken,
und sie schwankt zurück in den Altarraum.

Aber leider genügen die Phrasen des Mönchs:
"O unbefleckt Empfangene du…“
15 nicht mehr, sie zu beruhigen.
Zwei Glorienstrahlen sind schon erloschen;
für den Rest ist höchstens noch Hoffnung,
wenn der Küster die Sicherung wechselt.

Und man fürchtet bereits, es liegt an den Lampen.

Datiert: 1957       )

Der Fisch und der versunkene Poseidon

Die Fischhändlerin leert
den Eimer aus auf die Strasse: das Wasser
kommt nicht auf gegen den heissen
Asphalt und ist, kaum
05 er es nur begriff, schon verdunstet.

Der Fisch aber war
gerade so weit,
als man ihn fing heute früh:
"Seit ich einmal ins Licht
10 und in die Wärme hinaufstiess,
von wo vor langem der Hochfisch, der seither,
Seesterne im Ohr, auf der Brust
Polypen, im Grund liegt,
herabgestürzt war:

15 Seit ich einmal hinaufstiess,
fürchte ich mich: Das Kühle
war nicht mehr da. Mir erstarrten
die Kiemen. Die Flossen
fanden nicht Widerstand mehr,
20 sich voran zu bewegen …

Gehn wir alle dorthin und verlieren
wie der Hochfisch Kiemen und Flossen?:
Nach wievielen Toden? // 01v
Der Hochfisch war Uebertreibung. Unten
25 muss man bleiben und die
verdächtigen Höhen vermeiden.
Wohnen will ich von morgen
an in seinem noch freien
Ohr, wo die Erinnerung
30 Ansporn und Warnung zugleich ist … "

Gerade so weit war der Fisch,
als man ihn fing heute früh.
Doch das Wasser, das die Händlerin ausgiesst,
kommt gegen den heissen
35 Asphalt der Strasse nicht auf
und ist, kaum er es nur
begriff, schon verdunstet.

Datiert: 1957       )

Flieder

Der Flieder dringt mit weisser Stimme
durch das vom Rost ertaubte Gitter ein.

Der Fliederstrauch,
des Duftens müde, hat
05 sich gelöst ins Lied und stiebt
in das zerbrochne Labyrinth herein.

Der Fliederstrauch,
gelöst in Staub und Stimme,
schwillt auf und droht und wogt
10 auf diese dämmelose Insel ein.

Datiert: 1957       )

Wolken

Ballen, auf blauen
Bahnen geschoben zu Haufen,
lasten so,
dass schon der Vorschatten des Sturzes
05 biegt nieder die Bäume.

Nun wendet das Linnen den Spiegel,
der an der Leine blind wartet,
mit dem heimlich gesammelten Licht ihnen zu
und zündet die Ballen
10 an an ihren zaudernden Bändern.

Datiert: 1957       )

Neros Frosch

Heute zwar geleitet die Prozession
aller Priester den Frosch, den
der Kaiser mit unverdauter
Speise ins Laken gekotzt,
05 in die Kammer am Tor der äusseren Mauer.

Doch am Abend des Tags, wo
sie den Kaiser aufgeschlitzt im Kot finden,
werden die Römer nicht schlafen, solang
sein Wort in den Ohren noch bohrt:
10 "Wenn meine Mutter sogar
es konnte, warum
soll ich nicht gebären den Sohn
und ihm den Stab übergeben?"

Finster werden sie schweifen, ergreifen
15 den Frosch und verbrennen auf einem Gebirge von Reisig.

Dass du nicht mit den anderen Schiffern
einstiegst in Birnau
in die rosig erlöschende Muschel,
sondern es vorzogst,
05 die Zustellung des ohnehin
unvermeidlichen Befehls
an der Autobahn zu erzwingen …

Nicht erlaubt ist dies Auge,
das nur schaut und nicht ansieht.
10 Immerhin, das hattest du nun zu verstehen beschlossen:
die Gefahr für die andern
Verkehrsteilnehmer
bei so plötzlichem Wechsel des Glanzes. –

Aber "Was wollen Sie hier an der Strasse?"
15 "Nichts, nichts, was sollte ich wollen?"
"Wissen Sie nicht …?"
Du hast leider vergessen,
dich rechtzeitig mit andern,
zwecks Wahrnehmung deiner Interessen,
20 zusammenzuschliessen.

Du weisst von keinen Interessen,
es sei denn von diesem Bedürfnis,
das manchmal unüberwindlich da ist:
einen dürren Zweig mit dem Fuss
25 von der Strasse weg in die Gräser zu schieben.

Datiert: 1957       )

Der Fischteich

Es genügt, dass ein Wagen dem andern
beim Parken die Stossstange verbeult,
um die Frau und zwei Männer,
mit Halbglatze den einen,
05 von ihrem Eis auf der Terrasse
aufschiessen zu lassen;

um das kleine Mädchen im Schottenrock
auf den Stuhl steigen
und alle vier ihre Blicke auf den Parkplatz richten zu lassen:
10 Neugier genügt.

Es genügt, dass die Sonne
sich einen Augenblick hinter Wolken zurückzieht,
damit sie alle
sich wieder setzen und wieder ganz auf ihr Eis konzentrieren:
15 Ein Tadel genügt.

Es genügt, dass die Fliegen
hin und her durch die Luft
schwärmen, damit wieder offen
der Teich liegt mit dem immer
20 unmerklich erneuerten Wasser,
damit die Fische,
die dem Helios heilig sind, schwimmen:
Mehr als alles, 
Erinnerung, die genügt.

Datiert: 1957       )

Die Sibylle

Nur in den ersten
Nächten des Frühlings erregt
der Gesang der Sibylle:
"Wie unter Tiburs Bäumen,
05 wenn da der Dichter sass
und unter Götterträumen
der Jahre Flucht vergass …"
die Gebirge zum Grünen.

Treibt den einen in die Hotelbar, die
10 von Lippenrot heissen
Schnäpse zu trinken.

Den andern erregt er,
die rauhe Uralte
selber im Tempel zu suchen: Sie hat sich
15 in der Cella verborgen.
Und voll
strahlt jetzt erst der Mond. Die Hänge
dampfen; die Droge
wäre jetzt wohl am stärksten.

20 Doch ihn erschrecken
Ruinen schon wieder, und Blüten
fand er so üppig sonst nur auf Gräbern.
Sogar die Kaskaden, sie fallen
stumm vor der Stimme, // 01v
25 die aus der Cella
"Wo ihn die Ulme kühlte
und wo sie stolz und froh
um Silberblüten spielte,
die Flut des Anio"
30 im Wachtraum heiser herabschreit.

Datiert: 1957       )

Fontana tiburtina

Dein Wasservorhang, Neptunus, 
verbirgt tagsüber den Flüchtling
im Felsgang, der Kammer zunächst,
wo wirken die Pumpen.

05 Des Nachts aber liegst du
tot im Spiegel, Neptunus:
müde zu wirken, befahlst
Ruhe den Pumpen?

Den Flüchtling bedroht
10 dein regloser Dreizack, bedroht
dein Fisch, der aus dem Grund naht.

Nimm den Dreizack weg und den Fisch: die
Stille bläht sie und treibt sie. Zerbrich
den Spiegel, wirke den Vorhang, bewege
15 die Pumpen, Neptunus.

Datiert: 1957       )

Die Dryade

Mit ihren Aesten
greift die Dryade unter die Leine voll Linnen,
reisst sie in des Windhimmels Oeffnung
und schmückt sich und flattert,
05 Eitle, mit erlisteten Linnengirlanden.

Die Frau aber, die
auf den Balkon herausstürzt, verrät
durch Lachen den Nachbarinnen hinter den Läden:
dass sie die Baumfrau als Schwester erkannte.

Datiert: 1957       )

Hermes

Sie mitzunehmen im Wagen,
ist das einzige Mittel,
die Uhrwerkpuppe,
die ihn anhielt,
05 seine schwarzen Schwingen übersehen zu lassen.

Er fährt sie ins Kino:
das Ticken des Uhrwerks
hält den Sturz in den Mund,
der, ausgedörrt, offen,
10 überall klafft,
eben noch auf.
Ueberall offen. Heute
noch übertickt ihn das Uhrwerk.

Datiert: 1957       )

Der Tod in Blumen

Der Sturm reisst die Blüten,
die ins Faulige riechen, zur Seite:
Da liegt der Schläfer, herein
auf Gerüchen geglitten, erstickt
05 in der Mitte des Wirbels:

Wo dem Saurier nie mehr die Sonne
stürzt an die Brust,
sodass er, zu Lämmern gesänftigt,
über den Himmel sich hinstreut.

10 Und der Sturm trägt die Blüten,
die ins Faulige riechen,
zur Seite,
doch den Staub von den Wegen
in Ohren und Nüstern
15 und in den klaffenden
Mund des Erstickten:
Da steht der Saurier still
mitten im Wirbel.

Datiert: 1957       )

Xenion

Die Hundekoppel kläfft im Unterholz,
wenn dein Hali-Halo die Kronen zaust.
Die Hundekoppel geifert Ebbe,
wenn dein Gelächter weissen Flutgischt schneit.

05 Das Salzmeer weint nicht in die Waldung,
das Salzmeer lacht, wenn du inmitten
des Fragerings und Staunaufstands der Hunde
fragst und staunst:

Denn über Silberlaken trabt die Stute,
10 ihr Wiehern springt dir über Wipfel zu
und folgt der Reizung deines Schreis,
des Schreiers Auge Reizung, Jägermeister.

Datiert: 1957       )

Die Staubwolke

Werfen die persischen Reiter dort drüben
die Wolke am Horizont auf?

Wenn sie heranstöben, wären
sie freilich enttäuscht;
05 denn sie fänden hier nicht den Kaiser
im Purpurzelt, sie fänden
den unrasierten Reisenden nur, von dem sich
kein Genius, sein Gesicht verhüllend, mehr wendet.

Genien verhüllen und wenden
10 sich nur in purpurnen Zelten.
Aber die Luft
entwich längst aus den Reifen.
Und schösse auch eine Lanze
heraus aus der Wolke,
15 sie durchschlüge einen rostigen Kühler.
Und löste sich trotzdem die Ordnung
des Heers auf, so doch nur,
damit es sich um den Wagen versammle: die Marke,
das Baujahr, die Zahl
20 der Pferdekräfte zu sehen.

Doch wahrscheinlich wirft niemand mehr Lanzen,
wahrscheinlich haben alle neuere Wagen
gesehen und fahren in Panzern vorüber…:

Sind die persischen Reiter, // 01v
25 der Genius und das purpurne Zelt,
sind sie Julians,
sind sie sein eigener Tod, den die Wolke
vom Horizont dort drüben heranträgt?
 

Datiert: 1957       )

Die Heilung

"Glaubst du, dass ich,
weil ich im Buschhemd und in
Farmerhosen am Abfallkorb lehne,
in der Hand eine angegessne Banane,
05 glaubst du, dass ich deswegen
nahbarer bin als andere Engel?"

Der Geheimrat dachte sofort,
als er ihn von seiner weissen
Bank aus unter Kinden und strickenden Müttern
10 hinten im Park stehen sah:
dass dieser gekommen war in den Sonntag,
ihm seine Heilung zu bringen.

Gewiss war es ihm, als die Sonne den Nebel
fester umnahm und die Kinder entflohen:
15 Da blieb jener zwischen den schweren
Todkastanien stehen,
obwohl es anfing zu rieseln
und auch das Mädchen,
das zwischen den Bänken
20 verlegen lang schon auf- und abging,
sein Rad nahm und wegfuhr.

Als er jetzt, keuchend
von Asthma, herankam,
lachte der Engel und streckte
25 ihm die Banane entgegen. // 01v
Aber die Füsse, nein, die liess er nicht küssen,
wenn auch der Stock des Geheimrats
schon auf der Erde
lag und er sich zu knien anschickte
30 – ungeachtet des Saums
seines Sonntagsmantels,
der in den Sand sank –.

Und es regnete sehr stark: Der Engel
hob ihn auf und steckte
35 ihm in den Mund den ganzen Rest der Banane.

Datiert: 1957       )

Antonius und der Satyr / Dialog

SATYR, bricht aus dem Gehölz: Wo hast du die silberne Schüssel, die ich dir auf den Weg gelegt hatte?

ANTONIUS: Ah, von dir stammte diese Schüssel. Ich sah sie wohl, aber ich habe mich schnell abgewandt.

SATYR: Und ich habe den ganzen Tag hier gewartet, dass du vorbeikämst, um mich an deiner Freude über das Geschenk zu weiden.

ANTONIUS: Und nun bist du doch herausgekommen, mich zu erschrecken?

05 SATYR: O nein, daran, dass ich dich erschrecken könnte, dachte ich nicht. – Das bin ich nicht gewöhnt, die Zeiten haben sich geändert.

ANTONIUS: Freilich, das haben sie. – Weisst du, was mit der Schüssel war? Als ich den Namen Christi aussprach, da löste sie sich in Rauch auf.

SATYR: Was sagst du da? Das ist ja unheimlich.

ANTONIUS: Du Heuchler, meinst du, ich erkenne dich nicht? Gib nur zu, wer du bist.

SATYR: Ich, nein, mich erkennst du doch; ich bin Satyr, der Waldgott, gehöre hieher.

10 ANTONIUS: Damit sind wir der Wahrheit schon näher: gib zu, gib nur zu, wer du bist! Weich mir nicht aus!

SATYR: Satyr bin ich, glaub mir, der Waldgott.... nach dem Irrglauben der Heiden.

ANTONIUS:  Siehst du, du kommst mir nicht aus. – Sag es doch nur genau: der Teufel bist du, gekommen, mir aufzulauern, mich zu verderben. // 01v

SATYR: Der Waldgott bin ich, Satyr, glaub mir. Ein Geschenk wollte ich dir machen.

ANTONIUS: – –

15 SATYR: Schau mich nicht so an; ich weiss, ich bin der Teufel, der Böse, gekommen, dich zu verderben. Aber schau mich nicht so an.

ANTONIUS: Im Namen des allein wahren Gottes, weiche Satan!

Der Satyr liegt verröchelnd. Antonius setzt, triumphierend, seinen Weg fort.

Datiert: 1957       )

Chiron und Achill / Dialog

CHIRON, legt die Leier beiseite: Ich glaube, ich habe dich jetzt alles gelehrt, was ich dich lehren kann.

02 ACHILL: Heisst das, dass du jetzt nicht mehr mit mir sprechen willst?

03 CHIRON: Das heisst es nicht. Aber es ist nicht mehr nötig, so wie es diese drei Jahre lang vielleicht nötig war.

04 ACHILL: Nein, erst jetzt fängt unser Gespräch an interessant zu werden, seit du vor vierzehn Tagen das erste Mal die Leier weglegtest.

05 CHIRON: Nur die Leier konnte ich dich lehren. Daran hatte unser Gespräch Halt. Ohne bedürfte es eines Aufwands von deiner und meiner Seite, von dem ich nicht weiss, ob du bereit bist, ihn zu leisten. Und ich glaube auch gar nicht, dass du ihn leisten sollst. Ich habe erreicht, was ich wollte, was ich erhoffen durfte; du brauchst mich nicht mehr.

06 ACHILL: Du willst mich verlassen?

07 CHIRON: Und dabei bist du es, welcher den Abschied will. Nur weil du jung und zutraulich bist und weil man dir viel von Dankbarkeit und Treue gesprochen hat, willst du es im Augenblick nicht wahrhaben. Aber das gibt sich schnell. Es ist genau umgekehrt: ich bin der, welcher dich bitten möchte, dessen Seele bittet, den Abschied aufzuschieben, weiterzuleben mit mir wie bisher.

08 ACHILL: Aber das will ich doch.

09 CHIRON: Es ist nicht möglich, nachdem ich die Leier weggelegt habe. – Du schaust mich an, Achill! Stört dich, daß ich ein Kentaur bin?

10 (Er wendet sich zur Höhle)

11 ACHILL: Du gehst?

12 CHIRON, ruft zurück: Behalte die Leier, ich schenke sie dir.

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Typoskripte 1957 (Folge)
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