Krebsgang nach Polignano* (Sacco di Roma)

es war durchaus anzunehmen, daß es immer von Anfang bis Ende, vom Ende bis zum Anfang des Gangs, des Stollens, des Tunnels, des Flußtals immer und überall etwa gleich viele Krebse waren, die Zahl der Krebse, wie es sich auch immer damit verhielt, die Zahl war unwichtig, es ging um die Teilnahme, die Empfindlichkeit, um das Gespür für das Krebstum, die Krebsheit, darum nur ging es, und es mochte wohl sein, es war durchaus anzunehmen und keinesfalls von der Hand zu weisen, daß diese Teilnahme, diese Empfindlichkeit, dieses Gespür immer mehr zunahm und anstieg in ihr, je länger sie dahinging auf diesem Weg, auf diesem Krebswechsel voranschritt, wo die Krebse, soweit sich bei der sonderbaren Bewegungsweise und Gangart, bei der scheinbaren Richtungslosigkeit 30 ihres Ganges, wo zahllose Krebse, so jedenfalls schien es ihr, ihr teils entgegenkamen, teils, hinter ihr, vor ihr, neben ihr gehend, kriechend, krabbelnd, wie sollte man es zutreffend nennen?, sie begleiteten, denselben Weg, dieselbe Richtung einhielten wie sie, aber das waren nur Vermutungen, reine Spekulation und Hypothese war das, denn es war unmöglich, wie schon gesagt, war ausgeschlossen, mit bloßem Auge, während man ohne längeren Stillstand und Aufenthalt immer voranschritt, festzustellen und zu bestimmen, in welche Richtung am Ende und alles in allem ein einzelner Krebs sich bewegte, was für ein Ziel er hatte, unmöglich war das zu bestimmen da unten […]

34 […]

obwohl du am Ende, oben angekommen, nichts zu bereuen hättest, du würdest, die Augen knapp über der Erdoberfläche, bemerken, daß du aus einem Tümpel herauskröchst, daß du im Begriff wärst, herauszukrabbeln aus einem von zahllosen Tümpeln, Seelein und Teichlein, wie du sie schon unten im Gang, im Stollen, im Tunnel, im verschütteten Flußtal und Bergwerk vermutet, wahrzunehmen geglaubt hast, du würdest bemerken, daß du bis zum Hals noch im bracken, lauen Restwasser der letzten Flut steckst, aber mit dem 35 Kopf wärest du oben und sähest die weite Seenlandschaft mit Inseln und Riffen und flachen, sandigen Auen und steil abfallenden Buchten, und überall würdest du deine Mitkrebse entdecken, deine Genossen im Krebstum, ringsum an den Rändern und Ufern und Inseln, den Riffen, den Felsen, an den steil abfallenden Hängen der Buchten alle versammelt und meerwärts lugend, du hättest unzählige Krebse um dich, und mit ihnen gemeinsam sähest du, hinter und über der mit Sandhügeln und Seen durchsetzten, von Tümpelchen, Bächlein zerfressenen Sandstrandfläche sähest du mit allen Krebsen gemeinsam die blauen Flügel, auf einem gleißenden Spiegel schwebten sie langsam, Schmetterlinge auf silberner Flur, langsam dahin, einer hinter dem anderen, eine lange Reihe von Segeln, aber du könntest nicht hinaus und hinüber, schon faßte der Wirbel dich wieder und risse dich durch den Gang, den Tunnel, den Stollen, das versunkene Flußtal und Bergwerk zum Grabmal und Rundturm am anderen Ende, zöge und söge dich hinab in den Strudel, den Sog, in die schwarze Öffnung des Rohrs, einen Schaumfetzen sähst du noch eben mit dem Sacco di Roma, dem Brand im Borgo und der Speisung der Greise entwischen

[…]

  • Besonderes:

    Auszug aus Sacco di Roma. Zürich: Ammann 1989, S. 34-35

  • Letzter Druck: Verstreutes
  • Datierung: Vollständiges Datum
  • Seite / Blatt: 30, 31, 34, 35
FLUSSUFER (alph.)
(Total: 53 )
FLUSSUFER (Folge)
(Total: 53 )