Die verwandelten Schiffe (Kommentar)

Das Inhaltsverzeichnis (S. 62/63) unterteilt Römische Reklamen (S. 36/37) und Artisten (S. 38/39) nicht und führt nur 47 Titel auf.

Auf der Umschlagsklappe vorne und hinten (U2, U3) ist ein programmatischer Text Raebers abgedruckt:

Das Gedicht heute

Es gibt keinen unmittelbaren Ausdruck; er ist immer vielfach gebrochen. Die Wahrhaftigkeit einer Aussage bemißt sich an der Distanz, die der Geist von dieser vielfachen Brechung zu gewinnen vermag. – Poesie ist für mich eine Maskerade, wo es keine Demaskierung gibt, sondern nur das Durchprobieren immer neuer Masken. Dem Gedicht steht eine Welt zur Verfügung: wir leben am Beginn des größten Synkretismus, den es je gab. Nicht nur in dem Sinn, daß alle Zeiten und Kulturen aufeinander stoßen, uns gleichzeitig gegenwärtig sind. Sondern vor allem auch in dem andern: daß unser Bewußtsein alle Ebenen der Erfahrung gleichzeitig durchleuchtet, alle unsere Empfindungen und Widerempfindungen, alle unsere Triebe und Widertriebe, alle unsere Motive und Widermotive auf einmal gegenwärtig hat. Das Gedicht ist ein Ort, wo der // Geist die Welt versammelt und ordnet. Es setzt die Schichtung, die Übereinanderlagerung all dieser Motive, Triebe, Empfindungen voraus, all dieser Zeiten und Kulturen, die in uns liegen und auf ihre Erweckung warten. – Gedichte sind so viele möglich, als es Entsprechungen und Verwandlungen gibt: ein Gegenstand erhellt und deutet den andern. Alles berührt sich mit allem. Die Kunst besteht darin, daß man jene Berührungspunkte findet, die dem Zentrum eines jeden Gegenstandes am nächsten liegen. Und wenn es dann gelänge, diese Punkte zu finden und die Scheinwerfer so genau aufzustellen, daß sie das ganze System auf einmal ins helle Licht setzten: dann wäre das unerbittlich Faszinierende da, das erschreckt und entzückt, im Entzücken erschreckt – eben das Gedicht.

Ein erster Versuch im Mai 1956, die Sammlung bei der Deutschen Verlagsanstalt unterzubringen, scheiterte. Tagebucheintragung, 17.5.1956:

Die DVA schickt mir die Gedichte mit einer schroffen Ablehnung zurück: das seien gar keine Gedichte, es handle sich um eine Aneinanderreihung und Verkoppelung von Einzelheiten, um mehr nicht, usw. –

Am 30.10.1956 versprach Heinz Schöffler, trotz der Schwierigket mit Lyrikbänden eine Realisierungsmöglichkeit zu suchen (B-4-C-GEDI_009), am 28.12.1956 wurde Raeber der Verlagsvertrag zur Unterzeichnung zugestellt (ebd.).

Am 12.1.1968 teilte die Verlagsleitung des Luchterhand Verlags Raeber mit, "die noch vorhandenen rd. 950 gebundenen Exemplare an das moderne Antiquariat abzugeben", da der Absatz weit hinter den Verkaufserwartungen zurückgeblieben sei (B-4-c-SCHIFF).


Nachdruck von 6 Gedichten in Texte und Zeichen (1957, H. 3).